Kartografien der Macht 5 [Literatur]

Zum Abschluß dieser Sequenz ein Hinweis auf diverse informative und bisher unerwähnt gebliebene Orte / Texte:

Kartografien der Macht 4 [Countermapping]

Karten haben einen Grund: das Bildliche. Sie funktionieren und operieren nur als Bild. Das ist notwendig, aber nicht hinreichend. Um die Eigenschaft der Karte zu erlangen, muss nicht nur dieses Medium in Gang gesetzt werden, sondern es muss noch etwas hinzukommen, zusätzliche Informationen – Metadata also, die Himmelsrichtungen, Straßennamen oder ein anderes Overlay ins Spiel bringen, das „Google Earth“ in „Google Maps“ verwandelt. Will man aus der Fülle der Funktionen, die Karten mittlerweile haben, eine zentrale Funktion herausheben, dann ist es die der Orientierung. Ohne solche Daten gibt es sie nicht. An diese Bestimmung ließe sich eine dramatische Folge anfügen: ohne Metadata keine Orientierung, ohne Orientierung keine Positionierung, ohne Positionierung und Selbtslokalisierung keine Selbstobjektivierung oder gar Idenditätsbestimmung. Ersichtlich wird, welche Grundzusammenhänge durch das mapping vermittelt werden. Ein aktuelles Beispiel hierfür der disorientation Guide 2006 des counter-cartographies collective. Die Orientierungsleistung von Karten hängt sicherlich zentral mit ihrer Fähigkeit zur Repräsentation ab, die (in diesem Fall) mit dem Anspruch auftritt, zwischen „richtig“ und „falsch“ bei der Positionierung im Raum klar zu unterscheiden. Doch wenn Karten nicht nur repräsentieren und wiedergeben, sondern auch konstruieren (und „erfinden“), dann ist diese Klarheit deutlich relativiert. Orientierung wird durch neue Unterscheidungen bewirkt.

Es wäre daher spannend zu untersuchen, wie sich kulturelle Idenditätskrisen gesellschaftlicher Subjekte (Klassen, Eliten usw.) in Kartenpräferenzen, -innovationen, -gegenstandwahlen, Raumbestimmungen oder spezifischen ästhetischen Strukturierungen niederschlagen, wie veränderte gesellschaftliche Konstellationen ein cognitive mapping hervorbringen, dessen Wandlungen in gesellschaftlichen Orientierungen sich auch in einer Neukartierung der Gesellschaft reflektieren.

Im letzten Jahrzehnt ist eine neue Kartographie des Politischen und des Widerstands, ein heterogenes counter-mapping entstanden. Brian Holmes hat diese Entwicklung mehrfach analysiert. Zu den oft vergessenen Wegbereitern dieser Wende gehören Ronald Segal und der Kartograph und Trotzkist Michael Kidron, die seit Anfang der 80er Jahre mehrere Atlanten zu Politik, Armut, Rüstung, Hunger und Reichtum publizierten, u.a. Hunger und Waffen, Hamburg 1982, Die Aufrüstung der Welt, Hamburg 1983, Die Armen und die Reichen, Frankfurt 1985 und Der Fischer Atlas zur Lage der Welt: globale Trends auf einen Blick, Frankfurt 1996. Die neue Kartographie des Politischen verknüpft neue Orientierungs- undPublic Internet Project Medientechnologien mit wissenschaftlichen, theoretischen, politischen, häufig auch künstlerischen Zielen. Diese ganz andere, oft kollaborative Kartographie der Macht wirkt erstens auf die Produktion, Bearbeitung und Visualisierung der räumlich relevanten Daten ein (Critical GPS [s. Propen und Crampton/Krygier], Open Public Data, „Data Liberation Initiatives“, Map Hacking) und entwickelt eine eigene kritische und partizipatorische, zuweilen explizit linke Kartographie und Geographie.

In diesem Kontext steht die Etablierung einer kritischen Geographie ausgehend vor allem von den USA seit den 80er Jahren, die theorie- und wissenspolitisch stark zurückgriff auf postkoloniale und marxistische Ansätze und – neben vielen anderen – repräsentiert ist durch Autoren wie David Harvey, Neil Smith, Simon Dalby, Gearóid O Tuathail, John Agnew oder Matthew Sparke (eine zweite Tradition der kritischen Thematisierung des Raumes und seiner Politik knüpfte an die Linie Michael Foucault, Deleuze, Guattari u.a. an). Diese oder Gruppen wie An Architektur oder das Counter-Cartography Collective versuchen sich an der politisch-wissenschaftlichen und -ästhetischen Instrumentierung sozialer Bewegungen und jener, die diese zu vertreten beanspruchen: Indigene, Ausgeschlossene, Pauper und Prekarisierte, Subalterne, Arbeiterklasse, MigrantInnen, Frauen, Behinderte. Für derlei Kartographien der Klassenkämpfe stehen etwa die wissenschaftlichen Themen des globalisierungskritischen „Atlas der Globalisierung“ von Le Monde Diplomatique oder die ästhetisch operierenden antikolonialen Großkarten und Arbeiten des beehive designbeehive.jpg collective. Stichworte für die historischen Entwicklungszusammenhänge solcher politischer Praxen sind: Situationismus, Surrealismus, Psychogeographie, Mapping als Kunstaktion, taktische Medien. Das ästhetische Feld, in dem sich solche Politiken der politischen Bildung behaupten müssen, lässt sich etwa in den zwei Blogs visualcomplexity und infosthetics oder an der Arbeit von Jonathan Harris sehr schön nachlesen und -sehen. Oft operieren solche Alternativ: New YorkAnsätze historisch (dabei natürlich nicht immer unbedingt kritisch, aber oft ironisch). Diese Atlanten und Kartenerzählungen können als Informations-, Wissens- und Bildungskarten angesehen werden, welche die Individuen in den Stand versetzen sollen, lernend Macht zu erkennen und mit ihr in ihrem eigenen Interesse umzugehen. Sie werfen von unten einen Blick auf die vielen Variationen der Beziehungen zwischen der Macht und der Machtlosigkeit. Die sozialen Beziehungen und die Kämpfe, die sich in deren Feldern konkretisieren, sind das Thema in diesem zweiten Feld der anderen Kartographie der Macht, weniger die Subjekte selbst (z.B. Klassen), die in solchen Beziehungen stehen.
Das dritte Feld thematisiert als social mapping Sozialwelten, die in den Staats- und Kapitalperspektiven nicht oderstateless05.jpg schief vorkommen: es geht hier beispielsweise um

Hier sind imperiale Plätze, Orte und Landschaften das Thema:31 Todestage im Irak (New York Times)

  • die Orte der Gewalt (der Ausrottung und Vernichtung, die Orte der Bombardements, die Testbeds und die Zonen ethnischer Säuberungen, die Orte des Verschwindes und der Verwahrung, der Geheimhaltung, die Militärbasen, die ground zeros und die expansiven landscapes of fear). Und es geht um
  • die „lebendigen“ Orte der Appropriation und Enteignung, der Landschaften der Ausbeutung, Armut und Assymmetrien, welche in die ständig neuen Hinterhöfe der Globalisierung mutieren – die natürlich auch inmitten der Hauptländer dieser Aktionen liegen (z.B. sind die ungenutzten Industrieareale in der Schweiz so groß wie die Stadt Genf – und die bemerkenswerte Karte Pariser Sex.Shops ist ebenso ein Beitrag zur Ökonomie der Enteignung).

Das vierte Feld schließlich umreisst die anderen Strukturbilder der Macht, also die Karten und Organigramme derPlaces the United States has Bombed - Elin O`Hara Slavick Strukturen der Macht und ihrer Subjekte. Exempel sind etwa die „narrativen Strukturen“ Mark Lombardi`s, die Kartierung der Exxon-Verflechtungen, die Visualisierung medialer Netzwerkmacht durch die FAS oder die Amsterdamer Govcom-Stiftung, das interaktive Projekt They Rule von Josh On, Hans-Jürgen Krysmanski`s machtsoziologische Ringburgen und Power Maps und endlich die cool verschwörungspolitisch operierenden Organigrammkarten des französischen Bureau d`Etudes, die zwar als Konzeptkunst klassifiziert werden, aber ebenso als avantgardistische Organogramme der Machtstrukturforschung gelten können oder military urbanism. Sie alle kartographieren bzw. visualisieren die Akteursstrukturen der Weltmacht und reflektieren dabei die Ergebnisse intensiver empirischer (ökonomischer und CIA-Flüge http://clockshop.org/here.phpsoziologischer) Bestandsaufnahmen, theoretischer Analysen und ästhetischer Entscheidungen. Ihr Ort ist die Peripherie der selbst randständigen Machtstrukturforschung und Kulturproduktion und sie sind wenig verbreitet in den textverpflichteten und bildpolitisch zumeist kargen Politik- und Bewegungszusammenhängen, denen sie sich zurechnen. Ihr cognitive mapping (Frederic Jameson) kann aber gleichwohl gesehen werden als strukturanalytischer Unterbau massenwirksamer realistischer Aktualisierungen des Geopolitischen durch Filme wie Syriana oder Der ewige Gärtner, die das dunkle Milieu der wohltätigen Warren Buffetts [„If there is a class war going on, my side is winning„] aufhellen und deren Herrschaftsblicke auf die Welt konterkarieren. Das Paradigma dieser Ansätze insgesamt sind Karten, die nicht als statische Produkte, sondern als aktive Prozesse, Praxen Performanzen verstanden werden, welche Kartenräume schaffen, in denen sich Wissenspolitiken konfrontieren; Karten, die Wirklichkeiten repräsentieren und machen, die Subjekte kodieren und Idenditäten produzieren, Karten, die Realitäten der Macht kritisieren und versuchen, sie wissenspolitisch zu verändern.

Kartografien der Macht 3 [Wirtschaft]

Wieder anders die Karten der Wirtschaftsmacht. Konzerne bilden Ressourcen (Standorte, Rohstoffe, Energie wie Atom und Öl, gebundenes Kapital, Warenzeichen und Ikonen, Aufmerksamkeit und Arbeitskräfte), Märkte (Geld- und Warenströme, Konkurrenten) und die Relationsgrafiken ihrer Profitwirtschaften ab – also die Landschaften des Kapitals und seiner Imperien des Eigentums. Ihre Karten repräsentieren die quantitativen Dimensionen der Verteilung und Bewegung von Eigentum und Kapital. Sie operieren in den Mustern der Konkurrenz und visualisieren die Profile der Standorte. Es geht um Wertschöpfung und Bonitäten. Wer also an die Karten des Kapitals denkt, wird an erster Stelle auf die Grafiken treffen, welche die Statistiken ökonomischer Daten wiederspiegeln: Bruttosozialprodukt, Beschäftigung, Handel, Einkommen, Finanzdaten, die Börsenkarten, Warenströme, Gewinngrößen, -relationen und faktoren. Sie spiegeln also den Fluß und die Verteilung des Kapitals und des Eigentums wieder [z.B. die Chicago Busniess Market Facts Interaktive Maps oder die scharfe Property Shark Website]. Sie sind zugleich Karten der Macht und werden von dieser gemacht. In der lassen sie nicht erkennen, was das Zeichnen von Karten bedeutet: Repräsentation, also Selektivität, Auswahl, Weglassen, Hervorhebung, Übertreibung, Vereinfachung und Kombination.

Nun produziert das Kapital nicht nur den Fluß von Gütern und Geld, sondern auch von Zeichen und Erzählungen. Vor allem ist jeder Schritt der Expansion verbunden mit neuen Karten und Zeichen, die seine neuen Repräsentanzen belegen. Seine Presseabteilungen infiltrieren die Medien des Neuen, Websites der Unternehmen präsentieren Idendität. Ihre Werbung und ihr Marketing binden sich an neue Märkte. Werbung lässt sich als symbolisches Mapping und als Konstruktion einer visuellen Konstellation verstehen – auch wenn es hier um Markenzeichen und um Verkauf geht. Die Karten der Wirtschaftsmacht geben meist solchen Erwägungen Raum: sie müssen Wiedererkennbarkeit durch die Präsentation von Profitabilität, unverkennbar eigenen Stil und Logo sichern und eine eigene große Erzählung andeuten. Räumliche Konstellationen oder konkrete geografische Bezüge haben im Feld der Kapitalperspektiven differenzierte Rollen. So bleibt in der medialen Alltagspräsentation des Kapitals dieses gleichsam unsichtbar, es ist ein mythisches, utopisches „gutes“ und „wohltätiges“ Kapital, ein dekontextualisiertes und deterritorialisiertes (also zumindest global präsentes) Kapital. Im globalen Raum gibt sich das Kapital hilfreich: beim Übergang in die Moderne, bei Katastrophen, bei individuellen Problemen. Epische Projekte monumentalen Zuschnitts werden da angegangen, die Anrufung des Spirituellen schwingt dabei oft mit. Es präsentiert Weltbilder des Fortschritts und der Kontrollfähigkeit, des Wandels und der Stabilität. Es ist Träger erfolgversprechender Ideen. Es sind Versprechenskarten. Seine Veränderung im Raum geht nach außen und nach oben: Expansion und Aufstieg sind die Bewegungen, die es vorführt. Für Raumeroberung und –kontrolle stehen die Netzwerkgraphiken der business-charts, in denen die Verflechtung und Verdichtungen der interlocking directorates dokumentiert werden.
Und es bewegt sich ökonomisch eben, mit der eigenen Zeitrationalität des Verwertungsflusses (Mobilität, Logistik, Just-in-Time, Raum-Zeit-Kompression etc.). Das visuelle Marketing der internationalen Konzerne in den Werbebotschaften des Fernsehens und Kinos geht dabei klar auf Abstraktion: keine Bindung an Orte, also serielle, delokalisierte globale oder Nicht-Orte, die keine bekannte Geographie haben. Da gibt es austauschbare serielle Geschäftstürme, wichtige Männer (Power-Broker des Wandels, verantwortungsschwere Manager, mobile klassenindifferente Aufstiegsnomaden, weißgekleidete Technikbeherrscher), Hochtechnik, Logos und exotische Orte, wo Frauen und wilde Landschaften kolonial als affektiver Hintergrund konfiguriert werden, zuweilen auch national iraq_oil_2003.jpgkonnektierte architektonische Zeichen (Freiheitsstatue, Eiffelturm, Brandenburger Tor). In diesen Netzwerken der Krisenlosigkeit ist die dunkle Seite des Kapitals versteckt: Ungleichheit, gar nicht exotische Armut, Gewerkschaften, Ausbeutung, Krieg. Die Stile der visuellen Raumpräsenz des Kapitals haben zugleich viel zu tun mit der Verortung und Bewegung seiner verschiedenen Abteilungen. Die Selbstdarstellung der Extraktionsindustrien (Rohstoffe, Öl, Energieproduktion) operiert häufig mit gängigen, ortsbezogenen Landkarten, auf denen sie Ressourcen,economic-freedom-2006.jpg Produktionsstrukturen und Verteilmedien vermerkt. Die visuellen Beschreibungen der Transportindustrie und des Cyberkapitals fokussieren auf Netzwerke und den Fluß der profitablen Objekte in ihnen, ob es nun um Migranten oder um Megabits geht. Die weitläufigen Industrien der Soft Power schließlich zeichnen auch die Verteilungsmuster ideologischer Güter und ideeller Waren. Alle Getränkegemeinsam verfolgen in vielfältigster Weise die räumliche Verteilung ihrer Produkte und ihren Verbrauch – ein Exempel unter Tausenden ist die schicke Karte „Generic Names for Soft Drinks by County“.

Alle nutzen Mapping als Marketing. Ihr Verfolg der sozialen Welten des Konsums geht über in die Sozialkartierungen, die zu einem Betätigungsfeld der soziokulturellen Machtapparate geworden sind. Hier geht es um die visuellen Kulturen der sozialen Integration und Gefolgschaften, der Differenz, Diversität oder Multikulturalität, der „natürlichen“ Extreme der Ungleichheit und der neoliberalen Illusionsideologien der kommenden oder schon vorhandenen Gleichheit. Dieses breite Milieu der Zivilgesellschaft ist differenziert, seine Kulturen sind unübersichtlich und mit zahllosen Interessen und Akteuren verknüpft. Hier tummeln sich google earth-Spieler, Sozialnavigationsexperten, Symbolfachleute – und ein paar Millionen Mapper mehr.

Kartografien der Macht 2 [Staat]

Die aktuellen bürgerlichen, gleichsam klassischen Karten der Macht sind weiterhin partikular, utilitaristisch und mit deutlichen Interessen- und Funktionsperspektiven ausgestattet. Entsprechende rhetorische und metaphernbildende Verrichtungen prägen die Kartenwelt. Die Staaten zeichnen ihre Territorien mitsamt den formellen Machtaufbauten ihrer Souveränität. Sie zeichnen vor allem die Grenzen und ihr Management, denn diese repräsentieren letztlich die eigene raison d`etre, das Politische, manifestieren und organisieren sie doch jenseits konkreter Eigentums- und Machtansprüche die zentrale Unterscheidung zwischen „Innen“ und „Außen“, also insofern auch zwischen Freund und Kontrahent / Gegner / Feind. Sie zeichnen Zentren („Hauptstadt“!) und Peripherie, Raumordnung, politische und administrative Gliederungen, „Landesverteidigung“ und „Justiz“. Der 2006 abgeschlossene 12-bändige „Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland“ soll sich so auf „ein Staatsgebiet“ beschränken und gilt, wie die Website formuliert, als „Hoheitsaufgabe des Staates, d.h. die Herstellung oder Finanzierung (soll) durch staatliche Institutionen“ geschehen – vier Bände sind allerdings von Stiftungen (Thyssen, Mercator, ZEIT-Stiftung) gefördert, darunter just jene über „Unternehmen und Märkte“ und „Deutschland in der Welt“. Unter den thematischen Kartenwerken dieses ambitiösen Unternehmens einer post-89er nationalidentifikatorischen Gebrauchsanleitung für Deutschland, an dessen Edition über ein Jahrzehnt lang rund 600 AutorInnen arbeiteten, wird man allerdings wie bei allen anderen aktuell vergleichbaren Nationalatlanten (Kanada, Schweiz, Frankreich, Schweden, USA) durchgängig sechs substantielle Abteilungen durchaus möglicher kartographischer Visualisierung vermissen:

Ø die unmittelbare und mittelbare orientierende Erfassung der räumlichen Dimension von Macht und HerrschaftForbes-Karte der Reichen

Ø die Erfassung, Analyse und Darstellung von Reichtum – die zaghafte Forbes-Karte könnte hier eine kleine Motivation sein

Ø die Untersuchung und Abbildung der räumlichen Konfiguration von Eigentumsbeziehungen, die zwar in den örtlichen Kataster- und Liegenschaftskarten für operationelle Zwecke äußerst penibel vermerkt sind, aber nicht zu einer herrschaftsbezogenen und politikökonomisch sinnhaften nationalen und letztlich transnationalen Datenbasis und einem entsprechenden Verständnis verknüpft werden können

Ø die räumlichen Strukturen des strafenden Staates (Gefängnisse, Camps, Lager etc.)

Ø die sozialen, politischen und kulturellen Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen gesellschaftlichen Subjekten (Klassen, Bewegungen etc.) und schließlich

Ø die transnational-imperialen Outlets der Politik und des Kapitals.

Diese externen Outlets und Handlanger, deren Verzeichnung in den Kriegs- wie Appropriationsoptiken der einstigen imperialistischen und kolonialistischen Überlagerungen der Welt so gängig war, kamen in den offizialisierten Bildern der zerfallenden formellen Imperien seit Mitte des letzten Jahrhunderts in aller Regel nicht mehr oder nur noch beiläufig vor. Dies freilich ändert sich nun langsam in der Situation der neuen Raum-Zeit-Kompression des transnationalen Globalkapitalismus.
Jenseits der nationalstaatsgenerierten und –bezogenen raumvisuellen und kartographischen Kultur konzentrieren sich im Zeitalter des von der Weltraumindustrie gepflegten planetaren Blicks [siehe die Ausstellung „Kunstwerk Erde„] die Karten der Staatsmacht in der Regel auf die Diagnose und strategische Planung der Dimension der globalisierten Mapping SwitzerlandInfrastrukturentwicklung: Ökologiekarten etwa wie jene von UNEP/GRID oder von privater Seite aus die „Kartenmaschine„. Dass sich dabei eigentümliche Ungleichgewichte ergeben, zeigt der berühmte Atlas der Schweiz: er lässt keine Libellenart und deren Lokation aus, dafür aber das bekannte Schweizer Bankwesen [wie die Blicke und Haltungen auch auf die Nationalstaaten ideologisch geleitet sind, zeigt das Projekt Mapping Switzerland, das u.a. Hunderttausende von Newsgroup-Einträgen danach untersuchte, welche Begriffe mit „Schweiz“ konnotiert (s.Beitrag in der Weltwoche 52/52-2004, -> pdf 6,3 MB) wurden]. Gleichwohl zeigt sich hier, welche Fülle öffentlicher Daten vorliegt, die vor allem statistisches Orientierungswissen projiziert und bereitstellt. Global angelegt dann die zahlreichen Karten zur Human Development. Hier geht es um die Kartenwerke internationaler Organisationen, insbesondere der UNO und ihrer Teilgliederungen (z.B. FAO) oder der Weltbank. Typisch sind hier mittlerweile Kopplungsprojekte mit privaten Akteuren wie z.B. das Global Poverty Mapping Project oder das Poverty and Food Insecurity Mapping Project. Auch von privater Seite wird diese Dimension natürlich bearbeitet – beispielhaft, oft originell und zugänglich hier die Werke der Hive-Group oder der Kaiser Family Foundation zur Gesundheit, des Unternehmensberatungsnetzwerks Maplecroft und der Gapminder Foundation. Schließlich geht es der Politik auch in der Zeit des Neoliberalismus um die Herstellung und Sicherung der allgemeinen (nunmehr auch globalen) Bedingungen der Produktion (Akkumulation) und Reproduktion desamerican-empire-net.jpg Kapitals. Eher peripher wird zwar nicht das alte, aber das neue (digitale) Eigentum zum Thema, sei es kommerziell wie bei dem Telegeography-Unternehmen oder wie GovCom sozialkritisch.
Weitaus bedeutsamer auf dem weiten Feld der Staatskarten aber ist die Gewaltkartographie des Sicherheits- undDas Auge der Überwachung Militärstaates. Im Zeichen der inneren Sicherheit wird Sichtbarkeit und Identifizierung organisiert, um so gegebenenfalls Überwachung und Kontrolle zu ermöglichen. In den sich andeutenden oder bereits ausbreitenden neuen Praxen der Spurensicherung, der Biokontrolle (z.B. elektronische Fußfessel) oder des Biomapping [Zum hier anders verwandten Begriff vgl. das (nicht-militärische) Projekt Christian Nolds. Die Traditionslinien der Psychogeografie sind mit solcher Emotionskartierung verbunden; zum Thema Überwachung Robert O`Harrow: No Place to Hide, New York u.a. 2005] werden nicht nur die bisherigen Privaträume aufgebrochen, sondern auch Wege geöffnet für eine detaillierte zeitnahe Durchdringung sozialer Ereignisse (Versammlungen, Demonstrationen, Aufstände) und technischer Systemoperationen. Crime-Mapping [S. das Forschungsprojekt MAPS („Mapping and Analysis for Publicfrancemap.jpg Safety“) des Justizministeriums der USA] und Riot-Mapping breiten sich als disziplinäre Fronttechnologien der Sozialsteuerung und der Implementierung kultureller Alltagssymboliken im Inneren der hoheitlich ihre Verantwortung tragenden Nationalstaaten aus. Die „Unruhen“ oder „Aufstände“ in „den Pariser Vororten“ und „in Frankreich“ wurden nach wenigen Stunden in Karten der Medien dokumeniert, die überwiegend mit dem Flammensymbol operierten. Zu den Kartoon-Riots tauchten ebenso rasch google-earth-Karten auf. Sie markieren jene Privatisierung des öffentlichen Raums, die von einem rechtfertigungsabstinenten Staat betrieben werden kann. Zuweilen bietet er auch Farbkarten seiner Gefängnislandschaften. Ohnehin boomt Justice Mapping und Mapping Crowds – ob nun Demonstranten, „Jugendliche“ oder „Migranten“ – ist mittlerweile eine sich ständig verfeinernde Routinepraxis des Sicherheitsstaates.

domain rule.comDie Kultur und Ambition der Geopolitik zeigt sich jedoch im militärischen Milieu, das nach außen geht, am deutlichsten. Hier ist auch neben der Erfassung der Eigentumsverhältnisse das historisch elaborierteste und auch innovativste Feld staatlicher Raumerfassung und -organisation. Militärkarten sind Legion –US-Militärbasen in Deutschland Opferkarten dagegen eine kaum auffindbare Ausnahme. Das Vokabular ist auf wenige Objekte reduziert: es geht zunächst um Schauplätze militärischer Aktion oder um die Klassifizierung relevanter strategischer Räume und ihre militärisch bedeutsamen Potentiale, also um direkte (z.B. RisikoländerFeuerkraft, Militärbasen) und indirekte (z.B. Wirtschafts- und Produktionskraft) Ressourcen, endlich konkret um die Akteurs– und Feindbestimmung [s. z.B. propagandistisch die Datenbasis zu Al Qaeda],core_and_the_gap.jpg um militärische Lokationen, Bewegungen, Ziele, Treffer, Opfer. Thomas P.M. Barnett`s The Pentagon`s New Map steht paradigmatisch für solche Konstruktionen. Das Weblog des einflußreichen Barnett detailliert seit 4 Jahren sein Konzept einer „nicht-integrierten“ „Lücke“ in der Weltgeographie, Terrorismus Trends 2005die es militärisch zu beseitigen gelte, um das Revier der USA vollends planetar zu machen. Ein neues Genre ist hier in den letzten Jahren entstanden: die Terrorkarten und die Karten der sog. failed states, endlich die nicht empfehlenswerten Risikoländer, von denen der militärisch unerfahrene Mensch nach Anraten des Staates fernhalten solle. Mittlerweile ist in der neuen Zeit des Terrors derlei visueller Orientierungsservice unentbehrlicher Standart medialer Konkurrenz geworden. Wenige Minuten nach radical_islamic_activities.jpgden ersten Meldungen über die Verhinderung eines vielfachen Flugzeuganschlages aus England offerierte beispielsweise Spiegel-Online am 10.8.2006 eine interaktive flash-Karte „Die schlimmsten Anschlägeheroes.jpg seit 9/11 – al-Qaidas Blutspur“. Minutiös werden in dieser Welt der Gewaltkartographie die Makro- und Mikrowelten der landscapes of fear entfaltet. Sie zeigen, wie überwacht, kontrolliert, vernutzt, zerstört und getötet werden kann – und wird. Eher zurückhaltend wird dabei die „eigene Seite“ heroisiert, doch dies reflektiert sich zuweilen auch in eher grotesken Bildern -ein etwas angestrengtes Beispiel für das mapping der Heimatorte von 2800 gefallenen amerikanischen Helden des Irak-Krieges gab etwa die Palm Beach Post.

Kartografien der Macht 1 [Mapping]

mercator1.jpgDie Blicke, Repräsentationen und Imaginationen der Welt verändern sich: 1569 publizierte Gerardus Mercator seine Weltkarte, welche die Wege des Handelskapitalismus ökonomisierte und bis heute die einzige wirklich global präsente Kartenkonfiguration begründete.

1972 zeichnete der schwedische Künstler Oyvind Fahlström seine World Map: eine Karte, die fastfahlstromworld-map.jpg ohne Ozeane auskam und in der sich die Kontinente nach sozialen Zwängen, ökonomischen Mächten und politischen Kriegen formten.

Weniger denn je gibt es eine „offizielle“ Weltkarte. Plötzlich wurde das Privileg der Variable „Land“ für die Kartenzeichnung gebrochen – viel mehr trat auf den Plan und erwies sich als wichtig. In den neuen Karten der neuen kinderarbeit.jpgworldmapper brechen die alten Konturen und Gewichte der Kontinente zusammen. Seit einem Vierteljahrhundert drängen neue Blicke auf die Welt in den Vordergrund.

Seit 1989 wird die Welt neu aufgeteilt: der Globalkapitalismus ist bei sich angekommen. Es gibt eine neue – ambivalente – technische Revolutionierung des Mapping. Eine Demokratiserung ist die Folge, die ihre Janusköpfigkeit ausspielt: die Individualisierung, die neue Orientierungsnöte und -räume schafft; und die Totalisierung, diesurrealistische weltkarte 1929 welthistorisch ungekannte Weltblicke eröffnet. Und ganz prosaisch: die alte Kunst und Wissenschaft der Kartographie wird ent-diszipliniert. Die Kunst der Abbildung (und mehr) expandiert und zerstreut sich in der neuen Welt der Visualisierung über zahllose wissenschaftliche Disziplinen und Künste.

Was sind eigentlich Karten? Und welche Funktion haben sie? Karten sind eine visuelle „versinnbildlichte Repräsentation geographischer Realität…um räumliche Beziehungen abzubilden“ (so die Internat. Kartographische Vereinigung ICA), zu klassifizieren und zu kommunizieren. Repräsentiert werden können aber auch so diverse Dinge wie Zeit, Konzepte, Hypothesen, Dinge, Bedingungen, Ereignisse, Prozesse in der menschlichen Welt. Als Visualisierung sind Karten – neben der Sprache – ein zentrales Zeichensystem, das Raum, Territorium, Landschaft als historische Kategorien, also die Welt darstellt. Frederic Jameson entwickelte u.a. in seiner Bearbeitung der geopolitischen Ästhetik das Cognitive Mapping (Jameson Fredric, Cognitive Mapping, in: Cary Nelson und Lawrence Grossberg (Hg.): Marxism and the Interpretation of Culture , Urbana: University of Illinois Press, 1988).

Karten sind les- und sichtbare Strategien der Orientierung: „Sie haben ihr Ziel erreicht“. Sie organisieren visuell den Raum nach unterschiedlichen Kriterien, in denen die Zeit- und Kulturgebundenheit der Wahrnehmung mit Diskursen des Entstehungskontextes verknüpft sind. Als Wissensspeicher operieren sie nach eigenen Normen, Benennungen und Logiken, welche etwa „Höhenlinien“, „Signaturen“, die „Dicke der Straßen“ etc. festlegen und Farbsymboliken fixieren. Karten sind aber auch Ausdruck, Grundlage und Voraussetzung für die Ausübung von Macht durch die Kodifizierung,america.jpg Rechtfertigung und Beförderung von Weltsichten. Ein vitales Beispiel dafür ist die Nutzung von Karten zur Beanspruchung von Rechten auf Grenzverläufe und Landeigentum, wie jahrzehntelang die Auseinandersetzung um die „Oder-Neiße-Grenze“ oder, gleich ganz hoch gegriffen, um den Status der DDR zeigten. Für solche weittragenden Effekte steht natürlich voweg die vertragtordesilla.jpgNamensgebung, wie das „america“ durch Martin Waldseemüller (1507) zeigt, die kartenbezogene Aufteilung der neuen Welt zwischen Spanien und Portugal 1494, zahllose kolonialen Namensgebungen wie „Westindien“ „New Amsterdam“ „New York“ oder „la Nouvelle France“ (Kanada) und, heutzutage, die Kämpfe um Ortsnamen im Elsaß, in Korsika, in Polen und anderswo, die Idendität schaffen wollen. Natürlich sind Karten und Namen längst unentbehrliche Medien administrativer Macht geworden [so schuf etwa das US Public Land Survey ein 1,6/km-Raster für die Landmasse der USA, das die 39 000 administrativen Gliederungseinheiten des Landes neu fixierte].Ein Herr der Welt

Diese grundlegende Funktion ist unentbehrlich für die Politik, die der – sagen wir: visionären Funktion – des Mapping einhergeht: der Geopolitik.

Die Geschichte der Karten-Beschreibung der Welt reicht weit zurück und kann hier nicht nachgezeichnet werden. In den Mappae Mundi wurden nicht nur gleichsam die „Nahräume“ der Betrachter dokumentiert; vor allem wurde die Bibel kommentiert und mit der Orientierung im religiösen Raum die spirituelle Funktion der Karte ausgespielt. Kartographie war in dieser Zeit zugleich auch sehr modern: sie begründete und organisierte Landnahme („Jerusalem als Zentrum der Welt“). Die Umrisse der Kontinente in der Welt traten zurück gegenüber ihrer räumlichen und zeitlichen Relationptolemauskarte.jpg zum religiösen Zentrum – eben Jerusalem {siehe etwa die Hereford-Karte oder die Epstorfer-Weltkarte}. Mit der Entdeckung der ptolemäischen Geografie im 14. Jahrhundert, der Gliederung der Welt nach „Breiten“- und „Längengraden“, der Verlagerung des Nordens „nach oben“, die Entdeckung, dass Raum in Punkten, Linien, Gebieten und Oberflächen zureichend konzeptualisiert werden kann, dann die Festlegung des Verlaufs des Nullmeridians durch Greenwich, die Platzierung Westeuropas als Kartenmittelpunkt, die Positionierung Nordamerikas und des Nordatlantiks etc. – in dieser langen Zeit begann sich jener Begriff von Welt herauszubilden, der dann zur bürgerlichen Welt transformiert wurde.

Die Gerardus Mercator-Karte freilich („A New and Enlarged Description of the Earth With Corrections for Use in Navigation“), welche die Karte der kommerziellen Seefahrt – also der Handelsimperien der Zeit, der Holland, Spanien und Portugal – wurde, war seit dem 18. Jahrhundert dann „die“ Weltkarte“ und galt als Icone westlicher Überlegenheit.

Mercator-ProjektionDiese Karte war nicht der Globus; Aufgrund der Funktion der Projektion wurde – dies war der sichtbarste Effekt – die Proportionalität der Kontinente und Landmassen verzerrt. Die rasch berühmt gewordene Karte von Arno Peters (1974) gab die realen relativen Größen wieder: während die Mercatorprojektion Europa größer als Südamerika oder Afrika und Nordamerika größer als Afrika aussehen ließ und Alaska 3mal größer als Mexiko, korrigierte die Peters-Karte diese Vorstellung. Europa hat 3,8 Mio. Quadratmeilen Fläche und Südamerika 6,9 Mio. und Mexiko ist größer als Alaska und Afrika größer als Nordamerika – wer näher an den Polen ist, wird in der Mercatorprojektion proportional Peters-Mercator-Kartenvergleichgrößer dargestellt, so dass dort die ehemalige UdSSR größer als Afrika erscheint, doch Afrika ist größer als die USA und das heutige Rußland zusammen genommen. Europa würde dann mit Australien um den letzten Größenplatz konkurrieren. Da die Länder umso weiter aufgebläht werden, je mehr sie sich vom Äquator entfernen, wirkt auch Grönland mit seinen zwei Millionen qkm Fläche größer als Afrika mit etwa 30 Mio. qkm. Der globale Effekt war die Gewichtsminderung der südlichen Länder. Erst 1988 brachte die National Geographic Society die Weltkugel nicht mehr wie seit 1922 nach der Art des Alphons van der Grinten zu Papier, sondern nach dem 1963 entwickelten Entwurf von Arthur Robinson. Dadurch halbierte sich die vorher Furcht einflößende Landmasse der UdSSR auf die Hälfte.

Eine Staatskarte des letzten JahrhundertsIn den Staats- und Weltkarten des 18. und 19. Jahrhunderts reflektierte sich die Herausbildung der professionellen Disziplin Kartographie vor nunmehr über einem Jahrhundert. Sie versammelte eine oft enthustiastische, engagierte, immer wieder auf Alltags- und Laieninteressen zurückgreifendeworld physical map Gemeinde. Es waren aber auch Karten der Selektivität und des Schweigens, der impliziten, „natürlichen“ Positionsnahme, aber auch des Teilwissens: wie sollten die Kartenwelten des frühen Imperialismus mit Grasland, Wüsten und Meer umgehen? Langsam, aber sehr millionenfach, wanderte die physical world map der Moderne in die Medien, Klassenzimmer, Museen, Geschichtsbücher und Köpfe ein. Zugleich waren Karten Medien, in denen Torres-Garcia-Karte von 1943sich Veränderungen der Welt widerspiegelten: der Blick vom Süden nach Norden etwa des uruguayischen Modernisten Joaquín Torres-García in seiner 1943 gezeichneten Upside-down Map Südamerikas. In den 80ern des letzten Jahrhunderts beginnt dann der fundamentale Wandel von „Handkarten“ zur digitalen Kartographie. Davor und damit die Etablierung einer neuen Ökonomie der Karten: Michelin! ITM aus Kanada! Und: Mairs geographischer Verlag aus Ostfildern. In Hamburg findet sich „Dr.Götze“ als größter Karteneinzelhändler der Bundesrepublik Deutschland mit 50 000 Landkarten. Sukzessiv entstehen im Internet riesige Kartenanbieter wie National Geographic. Und es beginnt der lange Zug der neuen SatellitenblickWelterfassung, des globalen Blicks par excellence – der Satellitenbilder. Uwe Pörksen hat über diese Revolution des Blicks auf die Erde früh geschrieben. Dieser Blick ist aber auch gepägt von den Retuschen, mit denen die Bearbeiter ihren Vorstellungen von Weltblicken nahekommen wollten: die frühen Bilder zeichnen eine wolkenlose Erde aus Land und Wasser, in den hohen Breiten und Höhen ist Winter, in niedrigen Breiten dominiert die grüne Sommervegetation, Flüsse werden der besseren Sichtbarkeit halber breiter gemacht, Falschfarben werden benutzt, Zeichen von Zivilisation, von Städten und Licht werden beseitigt, um die Vorstellung unberührter Natur zu vermitteln. Der wirkliche Kampf um den Blick jenseits dieser ideologischen Produktionen fand anderswo statt und dauert bis heute an: es ging darum, ob der Militärstaat das Monopol auf diesen Blick behält, welche Geheimhaltung dieser Staatsblick durchsetzen kann oder ob der private Blick der neuen Raumfahrtmonopole und Militärindustrie in den Vordergrund kommt.

Heute werden im Zeichen der Globalisierung des Kapitals die alten Karten erneut revidiert. Die Geopolitik schreibt wieder eine Neuaufteilung der Welt, aber ihre jetzt digitalen Texte und Bilder haben mehr Verfasser denn je und es geht schon lange nicht mehr nur um die Beziehungen des Raums. Wie jeher organisieren und kodifizieren zwar auch die neuen Karten der Welt Visionen des Raums, speichern Wissen, legitimieren Politik und rechtfertigen Eigentumsansprüche. Übrigens: sie „lügen“ natürlich auch noch [S. Mark Monmonier: Lying with Maps, in: Statistical Science 3/2005Karte zum Libanonkrieg 2006 S.215-222], freilich differenziert, aufwendig und erfinderisch, vor allem dann, wenn es um die Mediengeographie der Kriege geht. Der letzte Nahostkrieg etwa brachte vielfach digitale Karten hervor, die detailliert Ziele und Treffer, zuweilen auch Opfer kartierten und dabei die tödlichen Resultate der eigenen Aktivitäten ausklammerten – ein Beispiel jene Karte, auf der die Ziele, Treffer und Opfer des Raketenbeschusses durch die Hizbollah fehlten. Auch hier gilt: „Karten konstituieren eine Wirklichkeit, gegenüber der sie vorgeben sekundär zu sein“ (Stephan Günzel)

Die Verbindung von Wissen und Macht wird in der neuen Kartographie der Macht dramatisch verdichtet – und ist zugleich transparenter denn je, denn im letzten Vierteljahrhundert ist das Kontrollmonopol über die Sammlung wie Produktion von Daten und ihre digitale Repräsentation (also auch ihre Umsetzung in Karten, Perspektiven und Blicke) den alten Kartierungsmächten entglitten. Die Kartierung ihrer Kerngeschäfte ist gleichwohl weiterhin Geheimsache, aus kommerziellen oder militärischen Gründen. Wo die Grenzen alter Souveränitäten der Nationalstaaten und –kapitale immer neu verwischt werden, ersetzen aber Wirklichkeitsvermutungen die hergebrachte Repräsentationssicherheit. Die Kartographie ist im so oft angerufenen spatial turn längst entdiszipliniert. [S. vor allem das exzellente Buch von Karl Schlögel: Im Raum lesen wir die Zeit. München 2003; weiter John B. Harley: The New Nature of Maps, Baltimore 2001; Deconstructing the Map, in: Cartographica 26,2 (1989) S.1-20; Ute Schneider: Die Macht der Karten, Darmstadt 2004; Denis Woods: The Power of Maps, New York 1992].

Die Technologien der Geoinformatik und des detaillierten Blicks aus dem All, der Stadt, den Vehikeln der Mobilität und der häuslichen Webcam haben die alte Orientierungsmaschinerie entwertet, schöpferisch zerstört und so revolutioniert. Geocodierung erlaubt die Verknüpfung von Karten mit beliebig anderen Informationsschichten. Eine alte biopolitische Utopie hat die Akteure dabei unerhört mobilisiert: die dynamische Ortung, Erfassung, Überwachung, Kontrolle und Disziplinierung der Subjekte (sei`s der Individuen oder der dangerous classes) durch Identifizierung ihrer Standorte und Positionen, ihrer Wegstrecken, Bewegung, Entwicklung und ihrer sozialen oder kommunikativen Zusammenhänge – in Realzeit. Anderes, altes, hergebrachtes und oft im Nahbereich exklusiv kompetentes Raumwissen wird entwertet.

Sicherlich kann man einem strengen Begriff des Mapping folgen, was hier nicht geschieht [s. so Wolfgang Ernst: Jenseits des Archivs: Bit Mapping (2004)]. So wird es leichter, wenn auch verführerischer, die Fülle der neuen Ambivalenzen zu erfassen. Seit einem Vierteljahrhundert ging mit dem biopolitischen Ausgriff ja einher eine unerwartete Demokratisierung des Mapping: die Standortbestimmung durch satellitengestützte Orientierungstechniken ist kein Monopol der technologisch avanciertesten Militärapparate mehr, die in der Regel nicht ohne Detailwissen über ihre Opfer auskommen. Individual mapping ist die Kehrseite dieses ungeheuren Zuwachses an Macht, der aus völlig neuen Dimensionen des Raumwissens schöpfen kann. Der Wahn des Sehens (Buci-Glucksmann) ergreift alle. Technologiegestützte Orientierung im Raum durch GPS und ihr kognitives und visuelles Remix öffnen neue Möglichkeiten des Empowerment des Einzelnen. Nach den Stadtkarten, die mit den Zwischenstädten, dem Sprawl, den Zonen und Knoten zu kämpfen hatten, den Land- und Weltkarten kommen nun die Individualkarten. Die binäre Unterscheidung map maker / map user lässt sich auf – schnell kontrolliert. Datenzugänge werden ein Schlüsselproblem – und ein Geschäft: EU gibt im Moment 9,5 Mrd € für die Erhebung von Daten aus und nimmt durch Verkauf und Lizenzierung 68 Mrd ein, die USA geben 19 Mrd aus und nehmen 750 Mrd. ein.
Diese vielfältige Vergesellschaftung der Technologien der Orientierung und des Raumwissens hat neue Konfliktfelder und umstrittene Themen mit sich gebracht. 2005 dann das Schlüsselereignis hier: Google Earth. Zusammen mit Yahoo Maps oder MS MapPoint steht es für integrative Großtechnologien, die auf das Mitmachen von Millionen aus sind, die Räume identifizieren und mit sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Overlays neu dimensionieren. Das alte Spiel des prekären Einbaus der Mobilisierten in „offene“ Machtprojekte wird hier neu aufgelegt. Das Risiko, dass die damit angerufenen Kulturen des counter-mapping [Begriff und Konzept wurden eingeführt von Nany L. Peluso: Whose woods are these? Counter-mapping forest territories in Kalimantan, Indonesia, in: Antipode 4 / 1995 S.383-406] aus dem Ruder laufen, sehen die milliardenschweren Erben der New Economy offenbar als gering an. Spätestens die politische Folgenlosigkeit des Durchbruchs des Mappings von Geodaten über die mashups von google earth zum Hurrikan Kantina 2005 steht dafür.

Welt Foto Wettbewerb

Einige Gewinnerbilder des hochrangigen, high-level (man betrachte nur die Copyright-Bestimmungen!) World Press Photo Contest 2007 gingen vor ein Paar Tagen durch die Medien – vor allem das Siegesphoto schicker junger Libanesen und Libanesinnen, die mit Fotohandy, Sun Glasses und zugehaltener Nase im roten offenen Cabriolet Zerstörungstourismus praktizierten. Nun scheint der Wettbewerb – sieht man von der irrelevanten Sportkategorie ab (Zidane, vorher und nachher!) – auf den ersten Blick seit jeher gar nicht so weit von der Gefühlslage der knipsenden Handyfrau entfernt zu sein. Doch dieser Eindruck dürfte irren. Durchgängig bilden die Fotos menschengemachte Gewalt, Krieg, Elend, Verzweiflung, Verkrüppelung, Mord ab. Ausnahmslos.

Jutta Held ist gestorben

Jutta.jpgEine besonders angenehme, zurückhaltende und glaubwürdige Menschin“ formulierte eine Mail dieser Tage zu Jutta Held, die am 27. Januar gestorben ist. Ja wirklich. Ihre freundliche, bedachte Bestimmtheit und eine dem Gegenüber schon fast verstörend Raum gebende bescheidene Aufmerksamkeit passte ja auch gar nicht zu der Kultur der Organisationshektik und so extrem wichtigen Entscheidungsorientiertheit, die sie jahrelang in den 90ern über sich im Vorstand des BdWi ergehen liess. Damals lernte ich sie kennen und schleppte sie sogar 1996 mit ihrem Mann Norbert Schneider in unsere Herbstakademie nach Volterra, wo sie über „Kunst und Politik im 20. Jahrhundert“ referierte.
Sie hat sicher ganz wesentlich die Kunstgeschichte an der Universität in Osnabrück etabliert, dort sind auch einige Nachrufworte erschienen, auch in der FAZ und vor allem in SZ. Aus dem Online-Archiv der Osnabrücker Zeitung ist die Meldung schon wieder verschwunden. Vor allem aber: sie hat eine große Fülle von Publikationen erarbeitet, die in kleinen linken und großen rechten Verlagen erschienen. „Kunst und Sozialgeschichte“ war der Titel einer Festschrift 1995 für sie. „Picassos Koreabild und die avantgardistische Historienmalerei“ war das Thema ihrer Abschiedsvorlesung. Ihr letztes Buch, das sie zusammen mit ihrem Mann verfasst hat, trägt den Titel „Grundzüge der Kunstwissenschaft“ (Böhlau Verlag) und ist erst kurz vor ihrem Tode erschienen.
Ihr politisches Herz aber galt einer Kunst, die sich politisch zum Faschismus verhält und ihn bekämpft, kurzweg, immer. Und sie haßte Krieg, der Kapitalismus war ihr zuwider – was sie nicht daran hinderte, mit über die „Kunst der Banken. Gemeinsinn durch Privatisierung“ zu verhandeln und vor Jahren in der FAZ über die Inwertsetzung von Kunst einen gewitzten Beitrag zu schreiben.

Sie hat die Guernica-Gesellschaft ausschlaggebend mitgegründet, deren Tagungen und klugen Veröffentlichungen immer wieder vorangetrieben. In vielen Projekten der Wissenschaftslinken hat sie mitgearbeitet: dem BdWi oder dem HKWM oder im Beirat von „W&F“. Im „Forum Wissenschaft“ und in „W&F“ hat sie geschrieben und als Vertrauensdozentin der Rosa Luxemburg Stiftung vertrat sie dort ein Feld, mit dem die Stiftung erst langsam etwas anfangen kann. Greifen wir zu ihren Worten, wenn wir uns Zeit nehmen.

Neocon`s Klima

Das American Enterprise Institute (AEI) ist zusammen mit Heritage der wichtigste rechte Think Tank in den USA. Über 20 Mitglieder des AEI wechselten in die erste Bush-Administration über, für zahlreiche Projekte der Bush-Administration (bis hin zum Krieg gegen den Iran) entstanden im AEI die Vorlagen. Laut Guardian vom 2.2.2007 bezahlt das AEI nun jenen Geld (nämlich 10 000 $), die eine Kritik der eben publizierten UN-Klimastudie schreiben. Von ExxonMobil bekam das AEI übrigens 1,6 Mio $ gespendet und ein vormaliger Chef des Unternehmens ist stellvertretender Vorsitzender des AEI-Aufsichtsrates. Der Worldwide Giving Report 2005 von ExxonMobil ist ein Blick wert.

Merci

hippo-small.JPGan Markus, den Eselsgeduldigen, & Jutta von Minuskel, der Raschesten!

Ohne sie hätte dieses Blog nie überstanden, dass ich es am Samstag einfach mal platt gemacht habe, mitten im Zahnextraktionsdelirium.