Eine historische Debatte

Die intensive Debatten in den Medien und offenbar auch Parteien in Sachen Linkspartei sind ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Man muss sich das vergegenwärtigen: es hat seit wohl sechzig Jahren eine solche Debatte nicht gegeben. Sie findet statt in den zentralen Tages- und Wochenzeitungen der Republik ebenso wie in den Zeitschriften und Zeitungen im Spektrum der Linkspartei, die großenteils im Linksnet-Projekt kooperieren, unverzichtbar hier vor allem die Zeitschriften Sozialismus und neben den Publikationen der RLS zunehmend auch Utopiekreativ und natürlich der Freitag. Im machtnahen sozialdemokratisch-grünen Spektrum operiert man da noch weitaus zurückhaltender. Aber auch die „Neue Gesellschaft“, die übrigens vor ein paar Jahren eine freundliche interne Anfrage zur Beteiligung an eben diesem Linksnet-Projekt sehr schnippisch ablehnte, schließt in eine Debatte zum „Linksbündnis“ Autoren wie Michael Brie und Rolf Reissig ein, deren Perspektive Die Linke. und die Linke sind.
Ein Großteil dieser Debatten fokussiert sich freilich auf die unmittelbare Konkurrenzsituation zwischen den drei Parteien Grüne, Linke und SPD oder skizziert die „Parteibildung“ zur Die Linke. Auffällig ist, dass gerade die wenigen verbliebenen theoretischen Zeitschriften und Autoren aus dem sozialdemokratisch – grünen Spektrum (sieht man von der SPW ab) offenbar weitgehend unvorbereitet auf die Institutionalisierung der Linkspartei waren – ein Beispiel ist die (auch arrogante) Ignoranz der oftmals sehr sensiblen und krisenbewußten Kommune. Dieses linkskatastrophisch trainierte politische Mediengenre ging davon aus, dass die PDS verschwinden, dann die WASG verschwinden, endlich die parlamentarische Präsenz der Linken verschwinden würde. Der Irrtum, der diesen Annahmen zugrundelag, hat mit der Weigerung der SPD begonnen, nach 1989 SED-Mitglieder aufzunehmen und einen sozialistisch konfigurierten linken Flügel in der (Ost-) SPD aufzubauen, um ihn dann gemächlich zu domestizieren. Statt dessen erzwang diese Entscheidung die Bildung eines eigenen linken Projekts jenseits der SPD. Der lange Schatten dieses Grundirrtums ist 2007 zur deutschlandweiten Parteiform geworden.
Eine der wenigen Analysen, die über die aktuelle Perspektive der Parteienkonkurrenz hinausgehen, hat Ingar Solty mit seinem hervorragenden Text „Transformation des deutschen Parteiensystems und europäische historische Verantwortung der Linkspartei“ in Das Argument 271 (2007) S.329-347 publiziert. Solty bringt einen historischen Zugriff in die Debatte, der – obwohl mit einem schicken Lenin-Zitat beginnend – jegliche überflüssige Referenz auf Arbeiterbewegungs- und Parteigeschichts- oder damit auch DDR-Reminiszenzen vermeidet und statt dessen die Konstitution der Linkspartei konsequent in die Zeit des Aufstiegs, der Hegemonie und der neuen Legitimationskrise des Neoliberalismus verankert. Seine zentrale These: „Die Linkspartei ist somit nicht ein geschwächtes Überbleibsel aus vergangenen Epochen mit einem gealterten Jungbrunnen aus den 1960er Jahren, sondern eine Parteienneugründung, die sich inmitten einer allmählich Konturen annehmenden Hegemoniekrise des Neoliberalismus vollzieht. Dies ist in Europa, mehr noch in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern bisher einzigartig (…) In Deutschland ist der Rechtspopulismus fürs Erste gebannt. Die Linkspartei ist damit die einzige politische Linksartikulation der neoliberalen Spaltungsprozesse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Hieraus erwächst für sie eine historische Verantwortung, die weit über den deutschen Kontext hinausreicht.“ (S.343,347). Kühl charakterisiert Solty „Die Linke.“ eingangs als eines der „großen historischen Projekte“ (329) und macht sich dann an die Begründungsarbeit. Indem er die Konstitution der Linkspartei strikt in die neoliberale Konfiguration platziert, stellt er konsequent den Ost-West-Bezug in den Hintergrund – zu Recht, denn er schwindet, auch wegen der Linkspartei. Deren Gründung hat mit der Entsozialdemokratisierung der SPD zu tun und damit mit der „Fähigkeit des Neoliberalismus zum trasformismo“ (331), deren oppositions- und traditionsradikalistische zugespitzte Rolle die Linkspartei gegenwärtig, zeitweise, übernimmt – und zugleich sind alle anderen Parteien gegen sie, eine historische Volte, deren Paradoxiepotential in der Partei natürlich wenig präsent ist. Ihr gegenüber steht eine Große Koalition, eine neue Möglichkeit, die nicht aus Zufall entstand, sondern aus der rotgrünen Zeit, in der „ehemalige Gegner zu einem neuen Projekt“ (335) verschmolzen – hier dynamisieren sich die Spätwirkungen der 68`er zu einem merkwürdigen Konstrukt, das einerseits die schon von Candeias skizzierte große Rechtswende seit drei Jahrzehnten als „hegemoniale Verallgemeinerung“ repäsentieren, andererseits gerade mal eine politische Regierungs-und Machtkonstellation zu bewirken imstande sind, die nicht mehr als die fantasielose Verlängerung eines relativ blöden, aber zunehmend sozialreaktionären wie imperialen Neoliberalismus leisten kann. Solty zählt daher zu Recht die Effekte und Leistungen der Linkspartei auf (beides geht auf interpretationsfähige Weise ineinander über): Verhinderung eines Einzugs der rechtspopulistischen oder faschistischen Rechten in den Bundestag; deutliche Verschiebung der öffentlichen Debatte auf die Schlüsselfrage der sozialen Gerechtigkeit; breitere gesellschaftliche Öffnung der Perspektive für eine postneoliberale Konstellation; Mobilisierung und Reintegration aus der politischen Gesellschaft excludierter Gruppen; sogar ein gewisse Normalisierung des „Zauberklangs des Sozialismus„, vom dem Allensbach und die FAZ im Juli 2007 sprachen. Und ebenso gehört zu den Leistungen des Projekts Linkspartei, dass sie das kulturrevolutionäre Projekt der 68`er definitiv historisiert: seine politischen Repräsentanten verlieren rapide ihren Anspruch auf die „moderne“ Definition dessen, was links ist. Mit der Kultur der gegen den dominierenden Fordismus rebellierenden 68`er lässt sich nur noch begrenzt gegen einen bloß leicht flüchtig werdenden Neoliberalismus angehen -insofern halt bloß, als es beide Male um kapitalistische Unternehmen geht. Nicht nur das alte Parteiensystem ist definitiv vorbei. Das Vokabular und die linksbürgerlich bis weiträumig – klassisch – sozialistische Optionswelt der 68`er läuft ebenso aus, schon ein Jahr bevor die paar geschichtsaffinen Konservativen ihr jubiläumsgerecht mal wieder den Garaus machen wollen.

Was aber der Post-Neoliberalismus einer Linkspartei und ihres offenbar überraschend dynamischen Feldes sein wird ist noch krass offen und unbekannt und auch noch kein Thema für Solty. Denn das muss passieren in einer Zeit, die – wie Andreas Eschbach in seinem Text: „Realität – sehr zu empfehlen. Vom Sterben und Weiterleben der Science Fiction“ (in: Das Science Fictionn Jahr 2007, München 2007, S. 266ff.) skizziert – die vielen Utopien tatsächlich wirkungslos geworden sind, ein Achselzucken bestenfalls noch provozieren. Was also das Linke an Der Linken. sein wird – über den heutigen neutoleranten Sozialismus – Sozialdemokratismus – Kommunismus – usw. hinaus – das ist das zentrale Problem und wird substantiell die Differenz zu anderem Richtungen markieren, also die Überarbeitung und Ablösung der Linksutopien – kurz: das Ende der Linken, wie wir sie kennen, sein müssen.

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