leseschlange1

Heute die 284 Seiten von

Dieter Segert: Das 41. Jahr. Eine andere Geschichte der DDR, Böhlau, Wien u.a. 2008

gelesen, denn es war klar: sie sind lesenswert. Der Text balanciert fruchtbar zwischen Analyse und Erfahrungsgeschichte, zuweilen fast zu ruhig und abgeklärt, die Turbulenzen der rasenden Umbruchszeit werden so verlangsamt, wirken nicht selten geglättet und sehr unaufgeregt. Diese Nüchternheit ist vielleicht der Preis für eine Unabhängigkeit, auf die Segert so Wert legt, denn sie beansprucht immer wieder sein Leben und seine Position nach diesem 41. Jahr und prägt seinen Blick zurück. Und dieser richtet sich auf die explosive Rolle der Intellektuellen im letzten Jahr der DDR, vor allem vieler linkspolitisch agierenden Wissenschaftsintellektuellen in der Humboldt-Universität und darüber hinaus, deren Zeitzusammenhang oft die Jahrzehnte überdauerte (die Eigentümlichkeit, dass in der Deutschen Demokratischen Republik nicht 7, sondern vermutlich höchstens 3 Kontakte nötig waren, um jeden zu kennen, kommt hier zuhilfe… ) und die politisch mehr bewirkten als viele zugereiste äußerst wichtige Abwicklungsrentner, die sich über das Hochschulsystem der DDR hermachten. Wer die seit Jahrzehnten dröhnenden Reminiszenzen der einschlägigen 68er nicht mehr sehen und hören kann, der kann sich bei dieser Lektüre erholen. Schließlich waren die Einen nahe an der Macht und am Ende weit entfernt von ihr, während die Anderen weit weg von ihr waren und sich am Ende in sie verwandelten, im Regelfall jedenfalls.

Zizek

Das hat mir gerade noch gefehlt: das International Journal on Zizek Studies. O.k., Zeitschriften zu Lebenden sind möglich und diese können sogar antworten. Wär ich Zizek, ich würde es aushalten. Ich bin aber nicht Zizek und würde so etwas nicht aushalten, wie mensch sieht.

Bei diesem kleinen reaktiven Befindlichkeitsausflug belasse ich es auf absehbare Zeit.

Immerhin: das Public Knowledge Project, in deren Rahmen es publiziert wird, ist ein sehr gutes Unterfangen. Dort erscheinen auch die neuen Studies in Social Justice, Thirdspace und New Proposals.

Über Intellektuelle [Der Bourdieu der Linken].

Jener, der Nein sagte.

Pierre Bourdieu. Photo: Bernard Lambert, Journal Forum, Université de Montréal, 1996Der Bourdieu der Linken war derjenige, der Nein sagte – „celui qui disait non“. Dieser Bourdieu steht für eine Politik der Zurückweisung, die zwei radikalen Projekten galt, für welche eine Margret Thatcher die apodiktischen Formulierungen gefunden hat: „There is no such thing as society“ und „There is no alternative“. Bourdieu widersprach dem als Soziologe, der die Möglichkeit einer kritischen, auf Gesellschaft zielenden Gegenstandsbestimmung seines Fachs sichern und ebenso die neoliberale Übermächtigung des Sozialen durch die Ökonomie zurückweisen wollte. Er sprach auch als politischer Intellektueller, der die Dimension der Reproduktion und Produktion der gesellschaftlichen Verhältnisse, also der Veränderung und Alternativität offenhalten wollte.

Soziologie ist ein Kampfsport, so formulierte er demgegenüber, zur Selbstverteidigung. Eine wissenschaftspolitisch sehr sinngebende Formulierung: Soziologie als Modus der Selbstverteidigung, schließlich geht es in der Soziologie und in Sachen Soziologie um Macht. Diese Formulierung ist vieldeutig. Soziologie ist ein Feld, in dem um Macht gekämpft wird (und es soll dabei eben fair zugehen). Die Soziologie selbst gilt es zu verteidigen gegen die neoliberale Inwertsetzung. Und Soziologie ist ein Medium des sozialen und politischen Kampfes – es soll hier eben nicht um die dekorative Ausschmückung der Varietäten des neoliberalen Kapitalismus gehen. Gehen wir kurz diesem Selbstverständnis weiter nach. „Über Intellektuelle [Der Bourdieu der Linken].“ weiterlesen