Rainer In: UTOPIEkreativ 2/2002 home texte
|
Verirrt im Amerika-Diskurs?
Unter der Überschrift
"VorSatz" handelt Jörn Schütrumpf in UTOPIEkreativ 1/02 vom
Antiamerikanismus. Dort ist zu lesen, dass nach 1945 - eine genauere
Zeitangabe bleibt offen, vermutlich sind die 50er und 60er Jahre gemeint
- "auch Teile der europäischen Linken amerikafeindlich"
geworden seien. Sie seien es, Frankreich ist da wohl nur drastisches
Exempel, "bis heute" geblieben. Weiter heißt es: "Unfähig
zu differenzierter Kritik warfen sie jegliche amerikanische Außenpolitik
in einen Topf - vergaßen sogar den Krieg gegen Hitler - und
vermittelten das Bild von genetisch ausschließlich zu Imperialismus und
Krieg fähigen US-Amerikanern. Antiamerikanismus kam plötzlich als
linker Nationalismus daher." Amerika stand "bei Linken für zu
verwerfenden Imperialismus...linke Antiamerikaner, die sich an der
Moderne Amerikas begeisterten (waren) eine Seltenheit." Diese
"Zumutung" verrührte, so heißt es später, im
Realsozialismus Herr Shdanow zum doppelt ungenießbaren Gebräu eines
linken und rechten Antiamerikanismus, das dann irgendwie ein halbes
Jahrhundert später "der Islamismus" beerbte, ein kühner
Zeitsprung nebenbei. Im Folgenden ist zum Umgehen der DDR-Macht mit
US-Massenkultur noch manches zu lesen, das irgendwie damit zusammenhängt.
Mit der Sicht des
„VorSatzes“ auf die DDR will ich hier nicht handeln, zumal ich nicht
weiß, inwieweit Ina Merkels differenzierter Beitrag[1] oder die Analysen von Uta G. Poiger[2] fortgeführt wurden. Überhaupt nicht einverstanden bin ich
mit JS`s Sicht auf die linke Tradition, vor allem die
"westlinke" in Sachen Amerikanismus und Antiamerikanismus.
Hier existieren offenbar sehr unterschiedliche Erfahrungen und
Beurteilungen. Da habe ich zunächst ein
Wirklichkeitsproblem. Auf welche real einst oder jetzt existierenden
Texte und AutorInnen und linke Menschen bezieht sich eigentlich konkret
diese Rede vom "linken Antiamerikanismus"? Das ist ja ein äußerst
gängiger Topos, der durch
die neue Akzeptanz der Rede von den beiden deutschen Diktaturen oder
Totalitarismen gerade auch bei manchen Linken mächtig befeuert wird.
Ich frage mich immer, wo ich in meiner knapp 35Jahresgeschichte in
dieser Westlinken einer solchen unappetitlichen Art begegnet bin, welche
die 4 Buchstaben ihrer DNA permanent antiamerikanisch kombinierte und
kodierte? Im Ernst: gibt es Beispiele? Konkret (ich meine nicht die
Zeitschrift! - die auch in den 68er-Zeiten kein Beleg ist!) mit Namen
und Adresse und Zitat und nebenbei auch hegemonialer Relevanz? Es würde
mich wirklich interessieren. Mich haben zuweilen irrelevante fellow travellers à la Rolf Winter[3] genervt, die aber eigentlich STERN-Autoren oder ähnliches
waren - und mit der linken Tradition nichts zu tun hatten, sondern
schlicht Liberale waren. Aber auch von diesen ließ sich ein bisschen
lernen, manchmal, schließlich waren sie meistens entsetzt und sensibel
über die US-Alltagsgewalt. Welche relevanten und reflektierenden
politischen Köpfe der bundesdeutschen Linken und welche Organisationen
und Zeitschriften pflegten aber nun derlei hier angerufenen -
linksnationalistischen, antimodernistischen und totalisierenden -
Antiamerikanismus? Die "Marxistischen Blätter", um mit dem
naheliegendsten anzufangen? Das "Institut für marxistische Studien
und Forschungen", e.g. Jupp Schleifstein oder Heinz Jung? Das
"Argument"? Die "Probleme des Klassenkampfes"? Wo
sind die antiamerikanischen Artikel in den vier Jahrgangsjahrzehnten der
"Blätter für deutsche und internationale Politik"? In den
"Frankfurter Heften" oder der "Neuen Gesellschaft"?
Im vergessenen SDS-Blatt "neue kritik"? In den verblichenen
"Kürbiskern", "Sozialistische Politik" (SOPO) und
"Düsseldorfer Debatte"? Im munteren
SOSt-"Sozialismus", der wackeren "SPW", der
theoriepolitischen „Z“ oder der schneidenden "1999"? Bei
Oskar Negt oder Erhard Eppler oder Frank Deppe oder Frigga Haug oder
Johannes Agnoli oder, sagen wir, Ulrike Meinhof? Margarete Mitscherlich?
Klaus Holzkamp? Sind die Texte von Hans-Jürgen Krysmanski seit 1958 bis
hin zu seiner Analyse des amerikanischen Planetarismus auf der
RLS-Tagung "Out of this world 1" in 2001 antiamerikanisch? Wie
steht es mit den Analysen zur US-Geschichte, die Bernd Greiner seit
Jahrzehnten immer neu vorlegt? Ist die Trilogie von Gert Raeithel zur
"Geschichte der amerikanischen Kultur"[4] antiamerikanisch? Welche Beiträge in der einzigen linken
Fachzeitschrift in Europa zu USA / Amerika / Europa-Amerika - nämlich
die "Englisch-Amerikanischen-Studien - EASt" (Münster),
herausgegeben von einem langjährigen DKP-Mitglied und späteren
akademischen Rat einer westdeutschen Hochschule - waren eigentlich
antiamerikanisch? Waren dies Angriffstexte gegen die Moderne? Gegen
welche Moderne? Die von Watergate? Henry Ford? Die der Nasa oder des
Pentagons? Die der Wallstreet oder der Madison Avenue? Die von James
Madison, Martin Luther King oder Miles Davis? Oder ging es gegen die größte
zeichenproduzierende Maschinerie der Welt - also das Empire
of Fun Hollywood mit seiner soft
power über das kulturelle Kapital? Waren die Proteste gegen die
US-Massenmordmaschinerie in Vietnam antiamerikanisch? Warum tauchten
dann immer irgendwelche US-Amerikaner auf den linken
"antiamerikanischen" Kongressen der Zeit der Bewegungen gegen
den Vietnamkrieg auf, wo doch deren Organisatoren eigentlich "das
Bild von genetisch ausschließlich zu Imperialismus und Krieg fähigen
US-Amerikanern" in sich trugen? Hatten diese Amerikaner einen
Gendefekt oder waren sie bloß politisch korrekte Pets, die sich die
68er im Vorgriff auf die Quotenwelt des Multikulturalismus so hielten?
Sind die berühmten Kaufhausflugblätter der "Kommune I"
gemeint? Oder geht es um deutschtümelnde "Linke" des
Zuschnitts Mahler oder Oberlercher und wie die vorwiegend westberliner
Gewächse und prärechten maoistischen Kurzzeitumtriebe denn alle hießen?
Und ach ja: was waren denn die bekannten "unamerikanischen
Umtriebe" der Herren Brecht & co? Handelte es sich hier um
linken Antiamerikanismus? Schliesslich, was Frankreich angeht: Ist
Jospin gemeint? Ist "Espace Marx" antiamerikanisch? Wie steht
es um die Projekte Pierre Bourdieus? Was ist mit der radikalen "Le
Monde Diplomatique", die in fast jeder Ausgabe besonders heftigen
US-Bürgern Platz gibt? Oder war nicht die Zeit der Dominanz der
Rechten, die gaullistische Zeit des Kampfes um die Hegemonie in Europa
die Zeit der schärfsten Frontstellung zwischen den USA und Frankreich?
Natürlich will ich auch die völlig umgekehrt gelagerten scharfen
Konflikte der Gegenwart nicht leugnen - wie zum Beispiel die in
"Lettre" 53 (2001) ganz wunderbar genussvoll skizzierte
subversive Untergrabung der globalen Herrschaft des französischen
Weinkapitals durch den US-Weinkritiker Robert Parker. So ist das ein luftiges
Konstrukt. Ein Papiertiger ist das, dieser (west-) linke
Antiamerikanismus, er kann nicht einmal auf seine eigenen Füße fallen.
Irritiert nicht, dass auf
Betreiben und im Verlag des oben erwähnten DKP-Mitglieds 1985 ein
einflussreicher und viel gelesener Text von Umberto Eco und anderen über
das
Modell Amerika erschien[5],
der nachdrücklich und exzellent zeigte, wie sehr einzelne enorm
attraktive popular cultures "Amerikas" den gegen- und
subkulturellen rebellischen Dissens ("I had a dream"!)
zum Faschismus beförderten (die Untergrundkultur der elektronischen
Emigration: Jazz!) und als Topos der (kulturellen) Freiheit auch in die
Tradition der internationalen Linken eingingen ("The sound of
freedom" - "We shall overcome") - eben solcher
Kulturen der Emanzipation, die von den zeitgenössischen Kultureliten
der USA selbst als "unamerikanisch" angesehen und
jahrzehntelang subtil und vor allem brutal bekämpft wurden - nicht
zuletzt, weil sie die Kulturen der Unterdrückten und Benachteiligten
und Ausgebeuteten waren, also vor allem: der Schwarzen? Kaspar Maase hat
dies später aufgegriffen[6],
auch Axel Schildt[7]
hat darauf im Blick auf die 50er und 60er diese kulturelle Verflechtung
gezeigt und am besten hat das mittlerweile Rudolf Wagnleitner analysiert[8].
Die
Gespräche mit deutschen Schriftstellern von Engelmann bis Walser, die
Heinz D. Osterle in "Bilder von Amerika"[9]
gesammelt hat, reflektieren dies von Seiten linker Literaten der 70er
und 80er. In keiner Phase der bundesdeutschen Geschichte gab es einen
vergleichbaren konsumkapitalistischen Amerikanisierungsschub wie in den
langen Sechzigern, die mit der Ölkrise 73/74 endeten - und die Linke,
allen voran ihre 68er Jugendintelligenzabteilung, war geradezu seine
(nicht nur protest-)kulturelle, wissenschaftlich-theoretische und
grass-roots-politische Avantgarde! Linker Antiamerikanismus? Jene, die
da auf den Straßen von Frankfurt am Main im Ho-Chi-Minh-Schritt
"USA-SA-SS" skandierten, dokumentierten eher (und sich diesen
Tatbestands in keiner Weise bewußt) einen bemerkenswerten Fall
erfolgreicher Selbstaustattung mit dem, was man mit weit mehr
historischer Berechtigung Amerikanisierung der Linken oder linken
Amerikanismus nennen könnte (ungeachtet des folgenden deutschen
Staatsableitungsakademismus und anderer germanischer "unernster
Diskurse" (Bohrer) die es dann doch auch gab). Insofern war dieser
kulturelle Durchbruch zu politischen Kritik der imperialistischen
Kriegspolitik der USA und ihren politischen wie wissenschaftlichen
Rechtfertigungen ebenso amerikanisiert -"modern" wie eine äußerst
erfolgreiche Inszenierung politischer Distinktion gegenüber vorherigen
Generationen (nicht nur der „Väter“) und dem damals herrschenden
wie konkurrierenden politischen Milieu. In diesem Doppelbezug - Amerikanismus
und Aufgreifen der im CDU-Staat radikal zerstörten linken
Traditionen - liegt die zweifache politisch-kulturelle Differenz
zwischen dieser bundesdeutschen linken 68`er Mittelklassenintelligenz
und dissentierenden DDR-Linken auf der einen, den
USA-Oppositionsbewegungen auf der anderen Seite. Ein erster Augenschein
spricht dafür, dass es in den folgenden Jahrzehnten keine ähnlich
distinkte bundesdeutsche Amerikanisierungsavantgarde gegeben hat – es
gab auch keinen Bedarf mehr dafür. In keiner hochentwickelten
westlichen Industriegesellschaft konnte der Amerikanismus vergleichbar
stark Fuß fassen. Dass die akademische westdeutsche Linke zwar ihre
theoretische und politische Kritik des Kapitalismus und Imperialismus über
„Amerika“ codierte, gleichwohl aber die konkrete Analyse des
US-Herrschaftssystems kaum betrieben hat, ist ihr vorzuwerfen. Ebenso
fand sie übrigens die wissenschaftliche Befassung mit der Sowjetunion
oder der DDR ziemlich abseitig; wenn sie über ihr Desinteresse
hinauskam, wurde sie meistens apologetisch. Das aber ist weder
Antisozialismus noch Antiamerikanismus gewesen, sondern
theoriestrategische Dummheit - bis zum heutigen Tag. Nicht einmal das
freilich war "linker Nationalismus", sondern politische
Borniertheit, Provinzlertum und Überpolitisierung. Da Dummheit kein
Gendefekt ist, wäre darüber nachzudenken. Was ist Antiamerikanismus? Es ist Antimodernismus von
links und rechts, so wird das im VorSatz definiert. Das Problem mit
einer solchen "Moderne" ist - sie ist so groß, dass alle
antimodernen Katzen von links wie rechts völlig grau werden, um es
etwas missglückt auszudrücken. Was ist, um zugleich das nächste
Problem zu benennen, eigentlich der "Amerikanismus"? In der
linken Tradition verband sich der Begriff rasch mit der
Kapitalismusanalyse und Fordismusdiagnose (remember Antonio Gramsci: 22.
Gefängnisheft über "Amerikanismus und Fordismus" von
1934). Das in den USA-Eliten selbst im 19. Jahrhundert entstandene
sprachpolitische Anliegen der Rede vom "Amerikanismus" war
einfach: es ging integrationspolitisch um die kulturelle
Vereinheitlichung der größten Einwanderernation der Geschichte. Im
folgenden "amerikanischen Jahrhundert" dann meinte der Begriff
wohl den assymetrischen, globalen Transfer und die lokale Umcodierung
amerikanischer Kultur und Lebensweise ("American Way of Life")
und, vor allem, eines Konsumkapitalismus (Coca Cola & McDonald) als,
wie Wagnleitner es formuliert, Modus der "pursuit of happiness
in its most updated version: as the pursuit of consumption."
"Amerikanismus" wird hier zum kulturellen Repertoire, dessen
Zeichenstücke als Verbindungsknoten und Übersetzungshilfen einer
global werdenden Kultur fungieren - im Newspeak des Internets: die
imperial ausreichenden Backbones des Netzwerks einer sich
globalisierenden Kulturökonomie. Möglich wurde dies durch das
qualitativ neue Wechselverhältnis von Kultur und Ökonomie, das
vielleicht als das Spezifikum der "Amerikanisierung" oder der
amerikanischen Phase in der langen Geschichte der
"Verwestlichung" angesehen werden kann: nur durch die
Kommodifizierung der Kultur und die Kulturalisierung der
kapitalistischen Warenwelt wurden die neuen Weltmärkte zugleich Märkte
globaler Visiotypen (Pörsken) und vor allem politischer Zeichen.
Trademarks (von Coca-Cola bis zu Levi`s) - galten als Signifikanten von
"individueller Freiheit", „Teilhabe“,
"Berechtigung" und "Inwertsetzung". Dieser
warenweltlich vermittelten Politisierung des Alltags hatte das zentrale
Medium des konkurrierenden Realsozialismus (die Politik) nichts
vergleichbar Durchdringendes entgegenzusetzen. „Anti -
Amerikanismus“ endlich ist daher funktionell ein Kampfbegriff der
Subjekte des „Amerikanismus“, der Widerstände gegen derlei
hegemonialen (oder hegemonial werden wollenden) Transfer und die Praxis
der Globalisierung eines Formtypus kapitalistischer Entwicklung aus dem
Wege räumen soll. Als Formel politischer Kampfrhetorik macht er sich
zugute, dass die Übernahmen und Adapationen solcher Formen und Muster
bei der Durchsetzung einer liberalen „Hegemony by invitation“
(Wagnleitner) natürlich immer selektiv, partiell und unvollkommen sind.
Es gibt immer auch auch Ablehnung und Ignoranz – als Abwehr
(„Antiamerikanismus“). Hier entsteht dann das weite Spektrum der
Ambivalenzen und Entgegensetzungen, die sich danach unterscheiden,
wogegen auf welche Weise konkret Position bezogen wird. Der
„Amerikanismus“ hat daher immer Wirklichkeitsmaterial, das er zum Branding
des Kontrahenten nutzen kann – wie trivial es denn auch sein mag. Im
ideologiepolitischen Alltagsgeschäft einer Rhetorik der Abwertung des
jeweiligen Kontrahenten kann man im übrigen meist davon ausgehen, dass
jemand, dem erfolgreich das Label „anti“ zugeschrieben werden kann,
damit zugleich die Absicht einer undemokratischen Abwertungsabsicht
unterstellt werden kann. Wenn es gelingt, den „Anti-Amerikanismus“
in der lauten politischen Debatte zu halten, lässt sich der
Amerikanismus still durchsetzen. Es gab immer ein Traditionsmassiv der Linken, in dem
eindeutig unterschieden wurde zwischen den Americas
in Amerika, also zwischen dem Agieren der US-Eliten und dem, was die
Linke Europas und Deutschlands von dem "anderen Amerika"
lernen konnte. Diese Tradition, welche das Utopische in und an
„Amerika“, seine Entstehung aus dem antikolonialen Kampf, die
radikaldemokratischen Impulse und universalistischen Menschenrechtsideen
seiner langen Gründungszeit aufgriff und für die es auch in der
radikalen sozialistischen und kommunistischen Bewegung zahlreiche
Beispiele gibt, wurde immer als „linker“ Antiamerikanismus gelabelt.
Gegenüber der Orientierung auf die Sowjetunion und ihrem politischen
sowie zunächst auch kulturellem Modell verlor er seit den 20er Jahren
natürlich krass an politischer Bedeutung. Diese Tradition des linken
utopischen Amerikanismus war deutlich unterschieden von einer nicht zu
unterschätzenden Tradition des Pro-Amerikanismus in der deutschen
politischen Kultur, die eine politisch-ideologische und kulturelle
Integrationsklammer der bekannten neuindustriellen (modernen, jeweils
hochtechnikorientierten) Fraktion des deutschen Kapitals lieferte,
welche zur Einbindung des Sozialliberalismus (in Sonderheit eines großen
Teils der SPD) in Weimar, in der Zeit des Faschismus und in den 50ern
taugte (s. früh natürlich Kurt Gossweiler und Reinhard Opitz,
neuerdings etwa Alexander Schmidt[10],
Mary Nolan[11]
oder Howard P. Segal[12]
zu dem kulturellen Vokabular). "Antiamerikanismus" in der
westdeutschen Gewerkschaftsbewegung nach 1945 oder der SPD war daher
kein relevanter politischer Faktor. Mit dem Konservativ- bzw.
Nationalliberalismus gab es hier weitläufige weltanschauliche Überlappungen
("deutscher Sonderweg"), übrigens ebenso mit dem völkischen
Antiamerikanismus, der zwar in kultureller Hinsicht (allerdings auch
nicht ausnahmslos) als "antimodernistisch" (i.S. eines
radikalisierten, zu gewaltsamer „Ordnungsbereitschaft“ terroristisch
zugespitzten "Kulturpessimismus") gelten kann, zugleich aber
genau wie die von ihm beiseite geschafften großen konkurrierenden
politisch-ideologischen Strömungen massiv die Formate und Muster der
Produktivkraftentwicklung, Produktions-, Industrie-, Büro- oder
Raumorganisation der amerikanischen Moderne adaptierte. Diese ökonomisch-technische
Entwicklungsdifferenz zwischen "Amerika" und dem Rest der Welt
markierte für alle politischen Richtungen eine ideologiepolitisch
positiv konnotierte Referenz, die unumstritten war wie vielleicht keine
andere im 20. Jahrhundert, ganz im Unterschied zu den politischen
(Republikanismus) und soziokulturellen (Chancengleichheit) Dimensionen
des Amerikanismus, die immer kontrovers oder ambivalent aufgenommen
wurden. Nur dann, wenn eine Linke diese ökonomisch-technische Differenz
kapitalismuskritisch relativierte oder attackierte, zeigten sich
Bruchstellen. Das war sehr selten der Fall - gerade in der nachholenden
UdSSR oder auch der DDR. Erst die Einführung der Ökologie in den
globalen Diskurs über Gesellschaftsmodelle und -zukünfte hat diese
positive Referenz (mitsamt ihres Lobs des Wachstums und der
Beschleunigung) nachhaltiger erschüttert. Sie war gleichwohl ein
Jahrhundert lang und mehr das Massiv, auf dem der sich schrittweise
globalisierende Amerikanismus beruhte. Ein Amerikanismus im übrigen,
dessen Verallgemeinerung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts
dazu führte, das heute erstmals in fast allen entwickelten westlichen
Industriestaaten (sowie in einer Großzahl Länder der 3. Welt)
politische und wirtschaftliche Eliten an der Macht sind, deren Angehörige
weitgehend in der selbstverständlichen Kultur des Amerikanismus
sozialisiert wurden. Das könnte auch eine gute Voraussetzung
internationaler, verständigungsorientierter und dialogischer
Kooperation sein – vorausgesetzt, es gibt jenseits dieser Kultur auch
eine Fähigkeit zu Entwicklung und Durchsetzung eigener besonderer
Interessen. Wenn es einen "linken" im Unterschied zu
einem "rechten " Antiamerikanismus gab und gibt, dann lässt
sich die Diffenz zum Beispiel den Reden und Texten amerikanischer Linker
wie Noam Chomsky oder Doug Henwood ablesen. Der fundierte 'linke' Anti -
Amerikanismus zielt auf die Abschaffung der Machtakteure einer globalen
kapitalistischen Hegemoniestruktur ("Empire") und wendet sich
gegen eine Globalisierung, die nichts als eine Planetarisierung des
Blicks amerikanischer Eliten ist (Jameson). Er vollzieht die
Gleichsetzung der Interessen dieser Akteure mit den allgemeinen
Menschheitsinteressen nicht mit. Der fundamentalistisch - ethnisierende
'rechte' Antiamerikanismus dagegen will diese Machtakteure und ihre
Struktur schlicht
austauschen und ein neues Trademark (DeutschlandInc
oder EuropaTM) an ihre Stelle setzen. Das ist eigentlich alles.
An dieser Basisdifferenz zwischen 'links' und 'rechts' ließe sich sogar
festhalten - von links. Eigentlich kann man deshalb ja überhaupt nicht
amerikanisch genug sein. Anmerkungen [1]
Ina Merkel: Eine andere
Welt. Vorstellungen von Nordamerika in der DDR der fünfziger Jahre,
in: Alf Lüdtke/Inge Marßolek/Adelheid von Saldern (Hg.), Amerikanisierung.
Traum und Albtraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts,Stuttgart
1996 S. 245-254 [2] Jazz, Rock, and Rebels, Berkeley 2000 [3] Ami go home, Goldmann (!), München 1989 [4]
Quadriga, Weinheim / Berlin, 1987-1989 [5]
Modell Amerika /
Gian Paolo Ceserani; Umberto Eco ; Beniamino Placido - Münster:
Englisch-Amerikan. Studien, 1985. La riscoperta dell' America ISBN 88-420-2462-7 [6] BRAVO Amerika, Hamburg 1992 [7]
Moderne
Zeiten, Hamburg 1995 [8] Coca-Colonization and the Cold War: The Cultural Mission of the United States in Austria after the Second World War, Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 1994 [9]
auch EASt, Münster
1987 [10] Reisen in die Moderne. Der Amerika-Diskurs des deutschen Bürgertums vor dem Ersten Weltkrieg im europäischen Vergleich. Berlin 1997 [11] Visions of Modernity: American Business and the Modernisation of Germany, New York 1994 [12] Technological Utopianism in American Culture, Chicago-London 1985 Dr.
Rainer Rilling ist Privatdozent für Soziologie an der Universität
Marburg und wissenschaftlicher Referent in der Projektgruppe
Wissenschaft und Politik der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Web: www.rainer-rilling.de;
Mail: rilling@roasaluxemburgstiftung.de |