Rainer 
Rilling

In: Ingrid Lohmann, Rainer Rilling (Hg.): Die verkaufte Bildung. Kritik und Kontroversen zur Kommerzialisierung von Schule, Weiterbildung, Erziehung und Wissenschaft, Opladen 2001, S.303-313

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Virale Eigentumsmuster

 1 Die Ökonomie des Erdrutsches: privat

Eric Hobsbawn hat in seinem „Zeitalter der Extreme" für die Zeit nach 1973 das Wort vom „Erdrutsch" gefunden: die Welt taumelte in eine Folge von Krisenjahrzehnten, geprägt von Turbulenzen der Instabilitäten, Kriege, Regimezusammenbrüchen und neuen Machtkonstellationen. Mittlerweile gibt es viele Versuche, die globale politische Ökonomie der Zeit des Erdrutsches und des politischen Triumphes des Neoliberalismus zu erfassen. In hohem Maße selbstverständlich und deshalb kaum analysiert ist die ungeheure Dynamisierung des Privateigentums in dieser Zeit, die nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Staatenverbundes dann auch mit der dramatischen Raumausdehnung des Kapitalismus verknüpft war. Die Privatisierung vormals öffentlichen oder gesellschaftlichen Eigentums, dessen Unveräußerlichkeit kulturell lange außer Frage stand, entfaltet sich seit über drei Jahrzehnten mit konzeptioneller Stärke, ungeahnter Dynamik und hoher Durchsetzungskraft. Neuerdings werden auch überkommenes wie neues Wissen, kulturelle Produkte, Daten, Kommunikationen usw. dem öffentlichen Raum entzogen. Es scheint, als sei das Inventar des gemeinschaftlichen Reichtums nur noch ein historisches Dokument, das nicht mehr weitergeschrieben wird. Die Anschlussfähigkeit an Märkte, die in dieser Zeit sich als Wirkungsvoraussetzung für vordem eigensinnige Praxen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen (ob Politik, Wissenschaft, Bildung, Kultur oder Technik) zu etablieren begann, bedeutete zugleich Anschlussfähigkeit an die privaten Formen der Ökonomie und ihre kulturellen Arrangements. Wo es selbstverständlich wurde, die Werte, Normen und Ziele vormals ökonomiefreier oder -ferner Gesellschaftsbereiche mehr oder weniger unter den Vorbehalt ihrer Marktfähigkeit zu stellen, da etablierte sich zugleich eine neue Normalität des Privaten.

Dieser neue Siegeszug des Privateigentums hat viele Gesichter, Akteure, Orte, Rechtfertigungen, Kulturen, Utopien. Im alten Binnenland des Kapitalismus brach das Privateigentum in die traditionellen öffentlichen Räume der klassischen Infrastrukturen (Energie, Wasser, Verkehr, auch Bildung) ein und transformierte zugleich in bloß einer Handvoll Jahre die zentrale New Economy der Erdrutschzeit - die aufkommenden netzbasierten Industrien - in das wirtschafts- und industriepolitische Schlüsselprojekt der neuen privaten Massenökonomie. Innerhalb weniger als einem Jahrzehnt verankerte es sich tief in der Ökonomie des neuen Internets und fasste so Fuß an den Schalt- und Schnittstellen, über welche diese historisch bisher mächtigste Transaktionstechnologie kontrolliert werden kann. Die privaten Kerne dieser neuen Technologie der elektronischen allgemeinen Vermittlung der gesellschaftlichen Funktionssysteme, deren innere Ratio auf die nicht endenwollende Verknüpfung von allem aus ist, was digitalisierbar ist, haben sich mittlerweile schon massiv gepanzert. Ihre Kapitalballungen sind umgeben von frisch angepassten Rechtsregeln (Copyright, Urheberrecht, Warenzeichen, Patente usw.), politischen Allianzen, Institutionen und verwertbaren Alltagsgewohnheiten der Konsumenten („User") – in den Worten des Chefs der Motion Picture Association of America: "If you can't protect that which you own, then you don`t own anything." (Rilling, 2001). In den Zentren der immateriellen Produktion, vor allem der neuen für die zukünftige Bildungsordnung ausschlaggebende Content- und Wissensordnung sind das Privatkapital und seine kulturell abgesicherte Maximen privater Verwertung mittlerweile gut platziert.

Noch im 18. Jahrhundert war die Vorstellung äußerst befremdlich gewesen, dass es beispielsweise neben dem „greifbaren" Eigentum an Land, Gebäuden, Tieren oder Juwelen ein juristisch analog ausgestaltetes „immaterielles" Eigentum geben könnte, das sich auf exklusive Nutzungs- (bzw. Verwertungs-) rechte an Bildern, Texten, Melodien oder technischen Erfindungen bezieht (Geser, 1999). Im 19. Jahrhundert ist das juristische Instrumentarium zur Absicherung des Warencharakters ideeller Produkte (z.B. Patente, Urheberrecht, Warenzeichen) zur Reife gebracht worden und im letzten Jahrhundert wurden dann mit seiner Hilfe weite Sektoren der immateriellen Produktion kommodifiziert. Eine Reihe klassischer Staatsaufgaben (z.B. Bildung, Grundlagenforschung, Verkehr) blieben als öffentliche Güter der unmittelbaren privaten Verwertung entzogen. In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrzehnts jedoch ist das gesamte Feld der Produktion, Zirkulation und Verteilung immaterieller Güter (als deren Bestandteil hier auch das Bildungswesen angesehen wird) einem neuen Kommodifizierungsschub unterworfen worden. Dabei geht es auch um die Einschränkung der Möglichkeiten: ein öffentlich-rechtliches Fernsehen, das sein Budget weitgehend für Fußballvertragungsrechte einsetzen muß, hat keine Spielraum für Alternativen mehr.    

2 Anfechtungen

 Die aktuelle offensichtliche Hegemonie des Privaten und des Privateigentums ist jedoch keineswegs unumstritten und unangefochten. Wer die neue Dynamik des Privaten im Raum der Bildung analysiert und kritisiert, sollte die gegenstehenden und gegenläufigen Prozesse – also die Entwicklungswidersprüche – nicht ignorieren. Zur politischen Ökonomie des Erdrutsches gehört eben auch ein wildes Muster der Ungleichzeitigkeit und neuen Konflikte, der Kämpfe um die Revitalisierung alter Ideen des Öffentlichen, der Gemeinschaftlichkeit, des Gemeineigentums und des Allgemeinen als Referenz ökonomischen Handelns. Diese Realitäten und Optionen stehen in den Traditionen der res publicae und res communes, der Allmende und des Gemeineigentums, des Commonwealth, der Commons und Cooperatives oder der public domain und der öffentlichen Treuhänderschaft. In ihren radikalen Varianten zielen sie auf die res extra commercium, also die Überwindung der Kommodifizierung und die soziale Konstruktion einer Unveräußerlichkeit der Güter. Um welche Anfechtungen der Hegemonie des Privaten geht es?

3 Die funktionelle Veränderung des Privaten

 Wo in der Gesellschaft und ihrer Ökonomie bislang öffentliche, aufs Allgemeine zielende Funktionen privatisiert wurden, wirkt dies auf das, was „privat“ ist, selbst zurück. Privateigentum, einmal etabliert, hört dadurch nicht auf, sich selbst zu verändern – auch wenn die Privateigentümer sich selbstverständlich als Ende der Geschichte (sie meinen natürlich: als ihren unübertrefflichen Höhepunkt) darstellen und das Privateigentumverhältnis als unveränderbar, also als ewig deklarieren wollen. Eine private Neuorganisation der alten und neuen gesellschaftlichen Infrastruktur - der allgemeinen Bedingungen der Produktion - ist ohne eine Veränderung des Privaten nicht zu machen: so wird seine Diskriminierungskraft (also die Kontrolle der Unterscheidung zwischen privat / nicht-privat, der Grenzen des Privateigentums und damit die Entscheidungsfähigkeit über Inklusion oder Exklusion) relativiert und abgeschwächt. Das bedeutet nichts weniger, als dass damit auch die traditionell aus dem Privateigentumsverhältnis begründeten Ansprüche auf Nutzung und Verwertungssouveränität relativiert werden (Leibinger, 2001). 

 4 Die Wirkung der Zeit auf die Eigentumsverhältnisse

 Alter hinterlässt Spuren an den Eigentumsverhältnissen. Einiges - etwa ein Fossil, ein historisches Dokument, ein Platz wie Stonehenge, historische Güter, Antiquitäten, manche Kunstwerke, historische Gebäude, Landschaften - wird ungeachtet seiner formellen Eigentumsverfassung als inhärent gemeinschaftliches Eigentum angesehen und kulturell entsprechend definiert. Bestimmte Normen gelten hier: es ist zu als Original zu erhalten und Zugänge dazu für die Allgemeinheit  oder auch mehr oder weniger uneingeschränkte Formen des Gebrauchs und der Nutzung sind zu sichern. Die in der formellen Eigentumsverfassung begründeten Verfügungsrechte werden insofern eingeschränkt. Natürlich werden solche Normen ständig verletzt - so hielt fast ein Jahrzehnt lang eine französische Familie einen Text aus dem zehnten Jahrhundert unzugänglich, der zwei der berühmtesten Wissenschaftstexte von Archimedes enthielt. Schließlich gehören Kontrolle und Proprietarisierung der Zeit durch Privatisierung der Dinge, die sie auf besondere und seltene  Weise repräsentieren, zu den ertragreichsten Modi Exklusivität begründenden Eigentums. Dennoch wird jeder beliebige Eigentümer eines Empire State Building oder eines Eiffelturms solche historischen Artefakte weder abreißen noch substantiell verändern oder den Zugang zu ihnen versperren können. Sie sind Bestandteile eines öffentlichen Raums als sozialem und kulturellem Ort, der von seiner juristischen Definition und ökonomischen Existenz unterschieden ist und als Medium bzw. Gegenstand der Identitätsbildung der Gesellschaft existiert. Hier geht es vor allem um gemeinsame kulturelle Güter als ästhetische Exemplifizierungen einer immer schon allgemeinsozialen Lebensweise, um Artefakte und ihre räumlichen Kontexte, die von jedermann angeeignet werden können und die das Ergebnis der Pluralität der Menschen sind (Arendt). Vor allem die Möglichkeit zur Herstellung von  Unzugänglichkeit und damit die Grenzkontrolle als zentrale assets der Privateigentumsbeziehung werden hier untergraben, eingeschränkt oder sogar aufgehoben. Diese ständige Irritation des Privaten baut sich auf in der Zeit als zwingendes Ergebnis des geschichtlichen Handelns der Menschen und ihres Bewusstseins davon. 

 5 Das Staatseigentum als Nothelfer

 Der Vorrat an staatlich arrangierten gesellschaftlichen, ökonomischen und natürlichen Ressourcen ist immer noch groß und vielfältig. Dass es außerordentlich schwierig ist, seinen Umfang und ökonomischen Wert exakt zu bestimmen zeigt im Grundsatz, dass er in der gesellschaftlichen Rechnungsführung des Kapitalismus ein externer Faktor ist, der in der Regel nur dann kalkuliert wird, wenn es um seine Privatisierung geht. Hier geht es immer wieder um die Bereitstellung von öffentlichen Grundgütern des gesellschaftlichen Bedarfs wie Nahrung, Wohnen, Mobilität, Gesundheit, Energie, Kommunikation, Bildung, Erholung, Sicherheit etc. Ihre durchgängige Überführung in Privateigentumsverhältnisse und darüber arrangierte Regulierungsformen ist zwar durchaus prinzipiell möglich, da es keine logische Schranke der Privatisierung gibt. Konkret-historisch stößt ein solcher Umbau jedoch immer wieder auf soziale und politisch-kulturelle, aber auch ökonomische Schranken. Weiterhin sind große gesellschaftliche Gruppen auf die Bereitstellung dieser öffentlichen Güter angewiesen und versuchen, gemeinschaftlich ihre Positionen der Benachteiligung und Unterlegenheit auszugleichen und zu überwinden. 

 6 Die globalen öffentliche Güter 

 Die neue Entdeckung der Ökologie in den 70er Jahren erneuerte im Konzept der globalen Gemeinschaftsgüter die Theorie der öffentlichen Güter (public goods) und zugleich die Idee der common pool resources (CPR) bzw. der Analyse damit verbundener Eigentumsregimes wie beispielsweise dem Gemeineigentum (common property). Die systematische Formulierung der Theorie der öffentlichen Güter begann 1954 mit Samuelson und wurde in den 60er und 70er Jahren etwa von Mancur Olsen (1965) einflussreich fortgesetzt. Das Konzept der öffentlichen Güter wurde dann insbesondere in den 90er Jahren auf die globalen Probleme übertragen (global public goods). Hier geht es um global relevante Güter (eingeschlossen sind hierbei auch Werte wie Frieden oder Gerechtigkeit), die der Markt nicht bereitstellen kann. Zu solchen Gütern (oder öfters: zu den globalen Commons)  gehören vor allem Ressourcen des gemeinsamen Menschheitserbes („common heritage of mankind") wie die Hoch- und Tiefsee, der Weltraum, die Atmosphäre, Teile der Antarktis oder der Regenwälder, die allen Nationen nützlich sind, niemandem besonderen gehören und deren Nutzung (was freilich eben auch heißt: gemeinsame Verwertung und Ausbeutung) nach der zugrundeliegenden normativen Vorstellung innerhalb einer Nutzergruppe (z.B. Staaten) zu teilen sei (Clancy, 1999; Kaul u.a., 1999).

 7 Die New Commons

 Eine zweite Traditionslinie (die nicht mit der klassischen Gemeinwohldebatte oder der Frage nach der „guten Gesellschaft“ zu verwechseln ist) entstand mit den Beiträgen von Gordon (1954) und Scott (1955), die eine erste ökonomische Diskussion um die Common Pool Resources (CPR) in Gang setzten, wobei es im wesentlichen um natürliche Ressourcen und ihre Nutzung ging (Landwirtschaft, Wälder, Fischgründe, Wasser, Tierwelt, Weideländer). Sie setzte sich im neu entstehenden ökologischen Diskurs in den späten 60er Jahren vor allem mit Garrett Hardin`s einflussreichem Aufsatz „The Tragedy of the Commons" (1968) und seiner Kritik fort; Autoren wie Ostrom, welche die Frage nach der Rolle gemeinschaftlicher bzw. geteilter Naturressourcen in der Folgezeit vertieften (Ostrom, 1990), verknüpften unterschiedliche disziplinäre Ansätze und standen bereits für die starke Anwendung dieses Konzepts auf die Entwicklungsländer. Mittlerweile sind Tausende theoretische und experimenteller Analysen bzw. Fallstudien zum Thema CPR vor allem im englischsprachigen Raum und in Entwicklungsländern erschienen (vgl. Hess, 2000, S.6). In den neunziger Jahren ging es dann nicht mehr nur um Naturgüter oder Landrechte - plötzlich wurden städtische Räume oder Straßen, Volksmusik, Müll, Car-Sharing, das Internet, Autobahnen, Staatshaushalte, Radio, ehemalige Militärbasen, der menschliche Genpool oder Sport unter der Überschrift der New Commons verhandelt. „Reinventing des Commons“ war das Thema der 5. Tagung der International Association for the Study of Common Property (IASCP) in Norwegen. Sie debattierte, “wie und warum Einrichtungen, die Gemeineigentum sind, Ressourcen auf eine gerechte und nachhaltige Weise verwalten können” (Berge 1995). Zugangskontrolle, Regulierung der Aneignung bzw. Nutzung und Betreuung der Anlagen und Ressourcen des Gemeineigentums sowie die Entstehung und Verteilung der Macht zur Rede, Entscheidung, Kooperation oder Konfliktarrangement sind hier die Schlüsselfragen - gleichgültig, ob aus ihrem Gebrauch Einkommen (z.B. Fischerei) entsteht oder es um unmittelbare Dienstleistungen geht (z.B. Straßen, Netze, Entsorgung). Hier wird vor allem auch darauf reagiert, dass sich im Produktions- und Verteilfeld der zentralen Arbeitstechnologie der New Economy (der Software) eine neue Dynamik nicht privatförmiger Eigentumsenklaven entwickelte, deren Kultur den Maximen des Privaten - Recht auf Verfügungs-, Nutzungs- und Zugangskontrolle und damit Schließung (Exklusion) statt Offenheit und Zugang (Access), also der Praxis der Konstruktion und Sicherung von Knappheit und Seltenheit - ebenso dezidiert wie explizit nicht folgt. Auf exklusive Bearbeitungs-, Kopier- und Distributionsrechte (die den Kern der Urheberrechts-, Copyright- oder Patentregelungen bilden) wird dabei verzichtet, weshalb die Kontrahenten dieser Bewegung die rechtliche Absicherung dieses Verzichts auf privateigentümliche Regelungen - die General Public Licence (GPL) - durchaus zu Recht als „intellectual-property destroyer“ charakterisierten (James Allchin, bei Microsoft verantwortlich für Betriebssysteme, 2001). Ins Blickfeld gerät das Internet als zentrales digital commons. Die Frage nach der Möglichkeit einer gerechten und nachhaltigen Regelung gemeinsamer Angelegenheiten unter den Bedingungen gemeinschaftlichen Eigentums akzeptiert also die verbreitete Annahme nicht, wonach durch dieses Medium weder gerechte Aneignung noch nachhaltige Ressourcensicherung gewährleistet werden könnten. Sie steht auch für den Versuch, Hardins einflussreiche pessimistische Voraussage einer Tragedy of the Commons zu kritisieren. Hardins These war, dass frei zugängliche und verfügbare Ressourcen – zum Beispiel Weideland oder Fischressourcen - dazu tendieren, mit der Zeit zu verfallen: „The tragedy of the commons develops in this way. Picture a pasture open to all. It is to be expected that each herdsman will try to keep as many cattle as possible on the commons.... As a rational being, each herdsman seeks to maximize his gain. Explicitly or implicitly, more or less consciously, he asks, "What is the utility to me of adding one more animal to my herd?" This utility has one negative and one positive component. 1) The positive component is a function of the increment of one animal. Since the herdsman receives all the proceeds from the sale of the additional animal, the positive utility is nearly +1. 2) The negative component is a function of the additional overgrazing created by one more animal. Since, however, the effects of overgrazing are shared by all the herdsmen, the negative utility for any particular decision-making herdsman is only a fraction of -1. Adding together the component partial utilities, the rational herdsman concludes that the only sensible course for him to pursue is to add another animal to his herd. And another; and another.... But this is the conclusion reached by each and every rational herdsman sharing a commons. Therein is the tragedy. Each man is locked into a system that compels him to increase his herd without limit - in a world that is limited. Ruin is the destination to which all men rush, each pursuing his own interest in a society that believes in the freedom of the commons. Freedom in a commons brings ruin to all.“

Nach Hardin bleibt also der Zugewinn durch individuelle Nutzungsausweitung – will sagen: durch maximale Ausbeutung - beim Einzelnen, die Kosten der wachsenden Nutzung aber werden allen auferlegt. Es gebe also unter den Bedingungen einer allgemein zugänglichen und nutzbaren Ressource (was keineswegs gemeinsames Eigentum an dieser Ressource bedingt!) einen Anreiz für individuelle Überausbeutung dieser Ressource. Als Lösungen des Dilemmas werden angesehen die Regulierung durch eine Disziplin der Selbstbeschränkung oder die Ermöglichung von Ausschluss durch Bildung von Privateigentum. Hardin entwickelte hier übrigens ein paralleles Argument zu der klassischen These, dass es eine Tendenz zur strukturellen Unterversorgung mit öffentlichen Gütern gebe, da es für Einzelakteure meist die beste und rationalste Strategie bedeute, andere diese Güter bereitstellen zu lassen und sie dann kostenlos zu genießen. Solche Güter haben die doppelte Eigenschaft der Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität im Konsum. Nichtausschließbarkeit meint, dass Güter wie zum Beispiel ein Feuerwerk oder Straßenbeleuchtung, Parks oder Leuchttürme - sind sie erst einmal vorhanden, nur mit hohem Aufwand oder überhaupt nicht der Allgemeinheit vorenthalten werden können. Es sind in der Regel open-access-regimes. Das bedeutet, dass die Nutzung eines Gutes nicht über Geld geregelt werden kann, weil eine bezahlte Nutzung entweder extrem teuer oder technisch unmöglich ist. Nichtrivalität meint, dass der Konsum eines Nutzers den Konsum anderer Nutzer nicht tangiert und der Nutzen des Gutes nicht von der Zahl der Nutzer abhängt. Daher gibt es kein Motiv, ein solches Gut auf den Markt zu bringen, weil alle anderen dieses Gut ohne Zahlung eines Entgelts nutzen können - also Trittbrettfahrer sind. Daraus resultiert tendenziell Unterversorgung.

 Bei Hardin ist das soziale Handeln nur das Resultat eines binären Kosten-Nutzen-Kalküls individueller Akteure, andere Handlungsmotive werden ebenso ignoriert wie die wirkliche Vielfalt historischer Prozesse, welche hier auf eine einlinig zweckrationale Dimension reduziert wird, wonach Gesellschaft nur als Summe kalkulierter Individualhandlungen angesehen werden kann. Die Ressourcen von Hardins Modellwelt sind begrenzt („a world that is limited“) – und aus der  Endlichkeit oder Knappheit der physischen Ressourcen (Güter) ergibt sich, dass der Verbrauch des einen die Nutzung des anderen begrenzt. Dieser Sachverhalt nun gilt für den Bereich der ideellen Produktion und Güter nicht, denn sie werden auch bei mehrfacher Nutzung nicht verbraucht, es gibt keinen erschöpflichen Nutzensvorrat (David, 2000; Vaver, 1999). Im Falle des Internets etwa, das auch als ein faktisch unbegrenztes Kopiersystem begriffen werden kann, gibt es keinerlei Verknappung der vorhandenen Informationsmenge durch deren Konsumption, aus einem Informationspool entnommene Informationen werden geteilt und müssen nicht ersetzt werden, der vorhandene Informationsvorrat wird dadurch nicht vermindert. Im Gegenteil: der Wert einer Netzwerkverbindung hängt von der Anzahl der bereits vernetzten Teilnehmer ab. Dann ist es nicht mehr die Knappheit, sondern die Verbreitung und damit der Überfluss, welche den Wert eines Gutes bestimmen. Das gemeinsame Teilen von Wissen erzeugt mehr Wissen (Multiplikatoreffekt) - die comedy of the commons (Carol Rose). Es gibt also insofern keine Tragödie der digitalen Gemeingüter, denn die Intensität der Nutzung („Übernutzung“) und das  Maß der Verbreitung sind hier belanglos. Knappheit muss – wie im Falle der immateriellen Produktion insgesamt – demnach artifiziell hergestellt und ständig neu durch juristische Formen (Patente, Copyright, Warenzeichen, Kopierverbote) oder Geheimhaltung gesichert werden. Da die Grenzkosten der Reproduktion immaterieller Güter extrem gering sind und nicht steigen, sinken die Durchschnittskosten der Produktion mit wachsender Verbreitung rapide, so dass eine erfolgreiche Proprietarisierung hohen Gewinn verspricht. Die Sicherung durch Recht und somit durch staatlichen, außerökonomischen Zwang ist deshalb von ganz entscheidender Bedeutung für die strategische Einbindung auch der New Commons in die New Commodification. Dies erfordert übrigens eine präzise Identifikation jeder Person, die gegen die Garantien der Knappheit verstößt – hier ist der innere Zusammenhang zwischen der Kommerzialisierung des Internets und der aktuellen Politik der Identifizierung und Authentifizierung der Netznutzer durch digitale Signatur, Überwachungssysteme wie Echelon, oder weitgehende Protokollierungspflichten der Provider (Barbrook 2000).

 8 Enclosing Microsoft!

 Nicht umsonst also der scharfe Kommentar des Vizepräsidenten der Firma Microsoft Craig Mundie zur General Public Licencse (GPL), die eine private Proprietarisierung so lizensierter Software verhindert: "This viral aspect of the G.P.L. poses a threat to the intellectual property of any organization making use of it"(NYT 3.05.2001). Die hier ungewöhnlich aggressiv angegangene rechtliche Absicherung der freien Software ist nur ein Aspekt einer alternativen Eigentumspolitik. Mundie sieht zu Recht eine Strategie, die „community, standards, business model, investment and licensing model“ umfasse (ebd.). Mittlerweile ist der Konflikt um freie Software bzw. open source in das eigentums-, industrie- und rechtspolitische Zentrum der New Economy eingerückt. Die Auseinandersetzung findet dabei auf den unterschiedlichsten Ebenen statt und ihre Schauplätze lassen sich über den Globus verstreut ausmachen. In den 90er Jahren dominierte noch fast uneingeschränkt ein Diskurs einer Einhegungsbewegung (enclosure movement), welche sukzessiv vorgängig offene Daten- und Informationsräume in private Nutzungs-, Verfügungs- und Aneigungszusammenhänge transferieren und eine sehr einfache Erwartung in den Köpfen verankern wollte: dass Informationen oder generell die Resultate geistiger Arbeit jemandem gehören und sie durch einen Eigentümer kontrolliert werden, der das Recht hat, alle andere von ihrem Gebrauch auszuschließen (ausführlich Benkler 1999, 2001, 2002; Bollier, 2001). Die Dominanz dieses Diskurses und auch – wenigstens in ersten Ansätzen – der damit verknüpften Politik – ist mittlerweile deutlich geschwächt. Offenbar wird beim weltweit mächtigsten Akteur auf dem Feld des private intellectual property über seine potentielle Einhegung nachgedacht. Dieser Vorgang ist deshalb so bemerkenswert, weil keine der neuen Großtechniken des 20. Jahrhunderts in relevanter Weise unter eigentumspolitischer Perspektive das Problem einer alternativen Vergesellschaftungsform aufgeworfen hatte. Dies hat sich nun dramatisch geändert. Es gibt kein unumstrittenes eigentumspolitisches Paradigma der New Economy mehr und die Konflikte, die sich hier entwickeln, beziehen sich in ersten Ansätzen auch unmittelbar auf andere Auseinandersetzungen, die ebenfalls eigentumspolitische Dimensionen haben.

Genau dieser Zusammenhang macht das Konzept der „Commons“ theoriepolitisch spannend: seine begriffspolitische Reichweite macht es zum ersten Kandidaten für die Entwicklung alternativer Positionen zu dem hegemonialen und vielfältigen Diskurs des Privateigentums ist. Commons meint Öffentlichkeit (die auf dem Diskurs von Privateigentümern aufbauen kann); es meint öffentlicher Raum (Public Space), den zu unterschiedlichen Zwecken zu betreten und zu nutzen jede/r das gleich Recht hat; es meint Public Domain (als handlungs-  und damit nutzungsoffenen Raum, der nicht durch juristische Formen wie dem Copyright geschützt ist – in der Rechtssprechung freilich in der Regel nur als unbestimmte Residualkategorie behandelt wird); es meint öffentliche Güter, Gemeinschaftsressourcen,  Netzwerkgüter oder Geschenkökonomien; es meint gemeinsame Governance, Nutzung oder Aneignung auf der Basis von Gemeineigentum und anderen Eigentumsformen; es meint endlich eine Kultur und Ökonomie des communi-care, des "Gemeinsam machens", "Teilens", "Mit-teilens".  Sie steht für vielfältige Facetten einer anderen Ökonomie und Kultur als die neue Privatökonomie der neoliberalen Zeit des Erdrutsches.

 Welchen Raum sie gewinnen kann durch eine flexible und lernfähige Verknüpfung des Spektrums alternativer Eigentumspolitiken, wird über die zukünftige Bildungsverfassung entscheiden. 

 

Literatur

Sämtliche Netzquellen wurden am 8.7.2001 überprüft.

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Dr. Rainer Rilling ist Privatdozent für Soziologie an der Universität Marburg und wissenschaftlicher Referent in der Projektgruppe Wissenschaft und Politik der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Web: www.rainer-rilling.de; Mail: rilling@roasaluxemburgstiftung.de