Rainer Rilling

 

  Standing in the middle of nowhere - where do you want to go today?
Über das Verschwinden der flüchtigen Netzgesellschaften
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Die Unstimmigkeiten des Auseineinandergehens und Verschränkens sind herausragende Grunderfahrungen beim Begreifen des Internets. Wir sind konfrontiert mit Widersprüchen und Ambivalenzen, Antinomien oder Paradoxien. Die Leitkonzeptionen und Paradigmata, Ideologien und Verständnismuster vom Netz strukturieren sich danach, auf welche Seite die Betrachter oder Akteure sich schlagen oder in aller Kurzatmigkeit gesetzt werden. Anders als bei der Betrachtung der alten Gesellschaftsbauten und ihren Medien ist dabei die Wegstrecke zu solchen Verstrickungen verblüffend kurz, weshalb die Meinungen zur Sache Netz in der Fläche unmässig differenziert und im Einzelnen schnell verfestigt - und bodenlos - sind, fest gebunden an Konzepte von Raum, Bewegung, Zeit oder Zeichen. Noch sind die Bilderfelder der Internet Dreams präsent und ob ihre Macht angesichts der Veralltäglichung der Technik nur auf den ersten Blick abgenommen hat, Cyberspace also noch kein alter Hut geworden ist1, bliebe zu klären. Es gibt welche, zum Beispiel Amerikaner wie Edward J. Valauskas, die überzeugt und sogar national träumen. Das Internet, schrieb der amerikanische Netzunternehmer und -experte jüngst in der elektronischen Zeitschrift "First Monday", "is the best and most original American contribution to the world since jazz. Like really, really good jazz, the Internet is individualistic, inventive, thoughtful, rebellious, stunning, and even humorous. Like jazz, it appeals to the anarchist in us all.... Indeed if the Internet were alive and well in the 18th century British colonies, Benjamin Franklin would not have been working a printing press but instead would have been the moderator of the alt.dump-king-George newsgroup with Thomas Jefferson and others using to anonymous remailers as daily contributors to the newsgroup. Of course, the newsgroup would have been banned in England, increasing its popularity on the continent, especially in France."2

Nun, da ist es wieder, das Versprechen der neuen Technik auf revolutionäre Effekte. Ihre Dezentralität mache die Netztechnik anschlussfähig an Thomas Jefferson oder Miles Davis, nicht aber an King George. Solche Großmythen des großtechnischen Systems Internet mitsamt den daran geknüpften Projektionen haben freilich eine profane Bodenhaftung.

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Sie rekurrieren auf vertraute Metaphern zumeist aus dem Natur- oder Technikbereich, deren praktischer Zweck es ist, neue Technik oder Maschinerie durch Anrufung des mitschwingenden vertrauten Kontextes handhabbar und in begrenztem Umfang interpretationsfähig und begreifbar zu machen. Solche Metaphern, die an den Zeichen und Symbolen des Interfaces (der Software) zwischen Mensch und Computer anknüpfen, müssen stringent und für eine gewisse Zeit beständig sein, wenn sie durch das Bereitstellen kognitiver Karten Komplexität reduzieren und die Performance des Technikgebrauchs optimieren sollen3. Sie sind die Schlüsselsprache des graphischen Interface des Computers. Sie soll die scheinbare Unendlichkeit des Informationsraums vorstellbar machen. Wer die ästhetische Kontrolle des Interface erobert hat, prägt die Orientierungs- und Aktionskultur im Dataspace4. Die kognitive Komplexitätsreduktion (Debatin) durch Metaphern ist ständig im Fluß, die Metaphern sind Knüpfstellen für Mythen, an die sich flottierende Projektionen heften. So wurde der Mythos von der Allmacht der Medien durch das Internet neu befeuert: da generierte die Macht der Pornografie im Handumdrehen die reale Vergewaltigung5.

Das neue großtechnische System nicht (nur...) als Medium, sondern als Informationsraum zu konzipieren meint, als Kern der Sache den technikgenerierten Transfer der Bewegungs- und Raumfunktionalität aufzufassen6. Die Strukturmetaphern des Internets lesen sich daher über die Raummetaphorik eines Netzes7 und die Bewegung in diesem Raum oder in einer Landschaft, in der Orte und Plätze miteinander verknüpft sind8.

Die Bewegung im Netzraum wird gefaßt mit Sozialmetaphern. Die Bewegung wird gefaßt mit dem Konzept des Reisens, da gibt es Abkürzungen - den Shortcut - , den Reiseführer, manchmal auch Start und Ziel. Vor allem aber geht es vordergründig um das Surfen9, Browsen und Navigieren - eine in Richtung Kontrollzuwachs und Gerichtetheit aufsteigende Begriffslinie, die mit Verbindungsvorstellungen operieren muss - also Strassen oder Routen, der Infobahn also10. Dass solche Anrufungen des Raums zugleich Zeitvorstellungen provozieren, zeigt die Rede vom Information Highway: mitschwingt der Weg in "nach vorne", in die Cyberfuture, in das "Informationsnirwana" (Rohrer), die Bewegung im Raum mutiert zur Bewegung in der Zeit11.

Diese Bewegungsmetaphern knüpfen an klassische geometrische oder mechanische Raumvorstellungen an und operieren im vertrauten topographischen Modell des Verkehrsnetzes in einer Landschaft. Tatsächlich aber sieht das Konzept des Cyberspace, des Hyperraums oder Informationsraums hier einen virtuellen sozialen "Zusatzraum" (Faßler) aus einem relationalen Netzwerk von Kommunikationen, das sich über eine Struktur der Knoten, Links und Adressen realisiert12. Die metaphorische Strukturierung des Informationsraums folgt demgegenüber - metaphernfunktionsgerecht aber fälschlicherweise - diesem vertrauten topographischen Modell und operiert mit sozialgeographischen Metaphern - in erster Linie mit der Stadtmetaphorik. Hier gibt es bevölkerte Sites (also Plätze oder Standorte), Städte13 und Domänen und bewohnte Gebäude oder Dörfer14 und vor allem ein Home. Die Suchmaschine "Alta Vista" zählte am 14. März 1998 21,3 millionenfach das Wort "Homepage", zu deren "Besuch" ich und du, wir alle, weltweit, vom "Gastgeber" (Host) als "Gast" "eingeladen" sind - "Visit the White House"15. Hier wird einerseits mit der "Page", der Seite, auf die Metaphernwelt der Gutenberggalaxis zurückgegriffen und der Aspekt der Dauer, Unvergänglichkeit und Ordnung betont, die dem Druck ja eigen ist. Zugleich wird das Eigentumsverhältnis des Hauses angerufen, zusätzlich mit den Begriffen "Sicherheit" und "Intimität" konnotiert, oftmals sich differenzierend in Richtung auf "Raum" (-> im Sinne von "room", Zimmer) und eine dauerhafte Platznahme im Fluß der Daten versucht.
Der Blick durch die Windows16 dieses Hauses führt uns die vielfältigsten Identitätsmodelle vor, denn die Homepage ist der Versuch, kohärente (eben nicht fragmentierte!) Identität konzentriert durch die elaborierte Konstruktion eines oft tiefenschichtigen Sozialkontextes zu visualisieren17. Das "Heim" ist gegenüber anderen sozialgeographischen Metaphern - global village und globales Dorf, digital city oder internet community - unvergleichlich präsent in den maschinellen Wortzählwerken: dieses insgesamt ein rundes Dutzend weiterer Metaphern zählen Alta Vista oder Hotbot gerade gut 300 000mal. Die Homepage, ein Zuhause mit Eigenordnung, kalkulierbar, kontrollierbar, sicher, dauerhaft, unterscheidbar - fast scheint es, als sei die Homepage der bodenlose Realitätsanker der Subjekte in der flüchtigen Welt des Cyberspace, das mächtige Gegengewicht zur Magie des Mausklicks auf den Link, auch der vermittelnde Überbau zur Mutter aller Metaphern aus der Welt der Benutzerschnittstellen, dem Desktop, dem Schreibtisch mitsamt dem Folder, der Aktenmappe und den dazu gehörenden Icons und Bookmarks, den Lesezeichen, mit denen besondere Pages, also Seiten markiert werden, die dann im Papierkorb landen.

Auf der Strukturmetaphorik von Raum, Netz und Landschaft bauen dann normative Funktionsmetaphern auf, dem Verständnis des Netzes als Wissensmedium entspringen die Metaphern vom Gedächtnis (Brain) und dem Netz als gigantischer Bibliothek, organisiert von Bricoleuren und Ingenieuren; wo es um politische Freiheit geht, werden die Agora oder die last frontier der Netizen beschworen, wo endlich die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des cyberbusiness zum Thema wird, bekommt der elektronische Marktplatz sein metaphorisches Recht, der mit seinen systematisch desorientierenden Shopping Malls den Umbau des Netzes in eine "virtuelle Werbebroschüre mit integraler Einkaufstüte" (Mazenauer) begleitet. Die Metapher vom elektronische Markt assoziiert Austauschhandeln, Transaktionen, bezieht sich dabei aber nicht auf die Informationen (d.h. das bewegte Gut selbst, den Gebrauchswert), sondern auf die Warenförmigkeit, die es in der elektronischen Welt herzustellen gelten: jede/r könne produzieren, distribuieren, tauschen, konsumieren, also bei der Sache gewinnen. Die hier unterstellte Selbstregulierung anzukoppeln an liberale Ideologien des freien Marktgeschehens und der "Selbstregulierung" der Agora ist nur ein kleiner Schritt. Endlich werden zahlreiche Rollenbeschreibungen der Netzsubjekte18 entwickelt: User, Newbies, Einsteiger, Lurkers, Freaks, Nerds, Digerati, den elektronischen Butler und die elektronischen Gemeinschaften wie die Internet community etc.19. Alle diese Metaphern liefern Bedeutungen, Verständnisse oder Handlungsmodelle und selektieren auch: auf eine Art zu sehen heißt auch, im "Netzwerk von Verweisen" (Foucault) auf andere Arten nicht zu sehen.20

Die drei Bewegungsmetaphern des Browsens, Surfens und Navigierens summiert unser Alta Vista - Zählwerk auf stattliche 2,1 Millionen Vorkommen. Allerdings steht dem gegenüber ein Zählergebnis von schon 1,2 Millionen zu einem einzigen weiteren Begriff: dem Wort "Password" oder "Passwort". Der Erfahrung der Grenzenlosigkeit des Cyberspace, des Raumüberflusses, der das klassische Verständnis der Struktur des Raums als Verhältnis zwischen Zentrum und Periphere sinnlos macht, dieser Erfahrung hat sich offenbar zunehmend die neue Erfahrung der Begrenzung hinzugesellt21. Was geschieht, wenn sich soziale Subjekte im Sozialraum Internet bewegen und wie wird die Verschränkung von Begrenzung und Entgrenzung bearbeitet? Was überhaupt zeichnet den Informationsraum aus, was seine Grenzen? Warum ist die Rede von Netzräumen so gängig, nicht aber die von Netzorten oder Netzplätzen?

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Ein denkbarer Ansatz wäre, Raum als das Abstraktere zu fassen, dessen soziale Identität durch Praxis, also Aneignung sich bilden muss. In der Aneignung transformiert sich ein Raum in den Ort. Zu Orten mutierte Netzräume bekommen Eigenbezeichnungen, denn die Verortung spielt eine Rolle bei der Konstruktion sozialer und kultureller Identität. Ein Raum wird ein Ort durch Realisierung von Richtungsvektoren und Zeitvariablen durch Bewegung: die Straße ohne mobile Elemente ist noch kein Ort, die Stadt wird nur durch die örtliche Praxis, also die räumlichen Bewegungen der Bewohner zur Stadt22.

Das Surfen und Browsen oder das Flanieren der Datendandys: ist das nun Aneignung, Transformation des Netzraums in idenditätsbildende Sozialorte?

Das ist fraglich - und im Fehlen der Rede von den Netzorten im Kontrast zum Informations- oder Hyperraum zeigt sich das schon an.

Nicht bloß, weil beständige Orte knapp sind, im Durchschnitt jede Webseite nicht älter als 44 Tage wird23 und nicht mehr als vier Seiten pro Websitebesuch aufgerufen werden und so schon zeitökonomisch der Gedanke der Identitätsbildung merkwürdig scheint. Eigentlich will niemand mehr lesen. Die Zeit wird kurz gehalten im Cyberspace und ist sie erst demontiert, strukturiert sie auch nicht mehr den Raum, es zählt allein die Bewegung.

In der Click-Trough-Bewegung des Websurfers fungiert der Raum allerdings bloß als Durchgang. Es wird durch den Raum gesurft. Dieser hat somit seine Identität durch den Verweis auf etwas anderes, davor- oder nachher Gesetztes - als Transit. Seine Identität als Ort entsteht nicht aus etwas, was ihn jenseits dessen, auf was er verweist, auszeichnet - er ist insofern ein Nicht-Ort24 (Augé), das "generalisierte Irgendwo" (Joshua Meyrowitz), das Augé als immer stärker hervortretendes Merkmal der weltlichen Realräume identifiziert hat - ob es um Flughäfen oder Durchgangslager geht. Die spurenlose Bewegung im unendlich scheinenden Cyberspace hinterläßt zwar einen Datenschatten, aber er ist nicht von Dauer und vor allem praktisch unbemerkt. Die Spuren verwischen sich: gleichsam ein ständig neu sich leerender Strand. Der Informationsraum als Nicht-Ort ist ein Raum ohne Begegnung - der Moment der Nähe ist kurz - oft Sekunden -, der Abschied ohne jede Dramatik, die Bewegung konsequenzlos, bis auf den Datenschatten, natürlich. Nicht-Orte haben nach Augé keine Identität, Relation und Geschichte. Als Durchgangs-, Transit und Bewegungsraum ist der Cyberspace ein neuer globaler Archetyp des Nicht-Ortes. Der neue Raum des Cyberspace ist ein historischer Sprung im Bildungsprozess der Agglomerationen der Nicht-Orte des Verkehrs und der Einkaufszentren und der Strände und der Durchgangslager25. Und Nicht-Orte sind übrigens das "Gegenteil der Utopie"26, sie integrieren die alten Orte nicht.

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Wer sich im Cybertransit bewegt, muss sich zuvor allerdings identifizieren: eine Million Aufforderungen zur Abgabe eines Passworts und zuvor die Selbstadressierung beim Login ins System. Was geschieht mit der sozialen Identität, ist sie - zum Beispiel als E-Mailadresse - beim Zugang ausgewiesen? Bleibt sie, wenn dann der Raum durchmessen wird? Könnte nicht der Kampf um die Frage der Netzidentität, um Privacy und Datenschutz als Indiz für das Verschwinden all jener Identitäten in den Nicht-Orten gelten, die sich nicht über den Vorgang der Bewegung bestimmen? Welche residuale (oder originäre) Sozialkategorien der Bewegung bleiben oder entstehen?

Selbstredend bringt diese Welt höchst aktivistische Propagandisten und Schreihälse, Märchenerzähler, Prediger und Verwalter der Bewegung hervor, ihr Credo ist: "Information want`s to be free" - "Wir glauben an den ungefähren Konsens und den running code". Sie sind beredte Repräsentanten und Organisatoren der fluiden Cybersociety, nicht aber deren paradigmatisches Personal. Wo unterschieden wird zwischen Zentrum und Peripherie - das eine von Freaks, Nerds oder Digeratis bewohnt, die andere bevölkert von Newbies und Einsteigern27 - dann geht es um diffuse Kulturpopulationen, deren bewegungstypische Figuration demgegenüber weitaus typischer ist.
Benjamin hat den Spaziergänger als zentrale Symbolfigur der Bewegung in der modernen Stadt identifiziert. Wer sich hier trifft, ist nebeneinander, nicht miteinander. Man bedarf einander nicht: "Der Zweck der eigenen Anwesenheit würde nicht im geringsten darunter leiden, würden alle anderen dort verschwinden oder wären sie überhaupt nicht erst dagewesen."28 Wenn doch agiert wird, dann um Begegnungen zu vermeiden. Der Spaziergänger ist keiner, der interagiert, er lebt in einer "Gesellschaft von Oberflächen."29 Auf der Cybermall ist vollends alles in ein Objekt des flanierenden Blicks verwandelt worden, nichts spiegelt oder blickt zurück. Es wird hingesehen, nicht gesehen - der Blick mutiert zum Schnappschuß auf die präsentierten Oberflächen und Entblößungen: consumer`s world at your fingertip. Doch nicht nur der Spaziergänger findet sein virtuelles Korrelat im Websurfer und -browser. Zygmunt Baumann erinnert in seinen 1997 erschienenen Essays über "Flaneure, Spieler und Touristen" an einen Fluch der frühen Moderne, den Vagabunden, der herrenlos war, also jenseits des überwachten Raums. Diese erratische Figur zu kontrollieren war deswegen ein Problem, weil seine Bewegungen unvorhersehbar waren - er hatte kein Ziel und keine Route und wußte selbst nicht, wie lange er an einem Ort bleiben wird und was er als nächstes tut - Where do you want to go today? "Der Vagabund" so Baumann, "entscheidet an der Kreuzung, wohin er sich wendet, er wählt den nächsten Aufenthalt, indem er die Namen auf den Straßenschildern liest."30 Wo das Bild der Vagabundenrolle auf den Cyberspace nicht mehr paßt, ist der Geschmack der Herkunft: er kann beim Vagabunden gelesen werden, beim Cybervagabunden nicht. Auch der Tourist oder Reisende formiert die Kultur der virtuellen Bewegung. Auch er läßt sich nicht ein, gehört nicht dazu, schaut zu, ist ein passiver Gaffer, ein Lurker, läßt sich bestenfalls zur Interaktion mit seinesgleichen animieren, bleibt also routiniert fremd gegenüber der Welt, die er besucht, an der ihn bloß interessiert, ob sie "interessant" ist. Da geht es um Geschmack. Und schließlich hat sich der bürgerliche Typus des Spielers zum Sozialexperimentator entfaltet, der im "Hunger nach Kostümen" (Nietzsche)31 seine virtuelle Existenz in den MUD`s  und Selbstadressierungen experimentell - demonstrativ in vielfältige Maskierungen und Geschlechter- oder Sozialimages verflüssigt und die sozialkonstruktive Grundformel des Cyberspace - "under construction" - zur kundigen Maxime virtueller Präsenz erhebt32.

Als Nicht-Ort der Reisenden und Spaziergänger, Flaneure und Vagabunden, Surfer, Spieler, Browser, Lurker und Experimentatoren bleibt der Cyberspace ein nur über die Bewegung präsenter Raum und wenn jene, die sich hier bewegen, sich begegnen, dann sind die Begegnungen fragmentarisch oder episodisch, also konsequenzlos, oftmals mit Absicht. Ein anderer sozialer Kosmos mit einer großen Leichtigkeit der Kontakte, reduzierter Komplexität sozialer Beziehungen und der Möglichkeit sanktionsloser Regression. Von einer wechselseitigen Abhängigkeit, der Interaktionen vorausgehen und die bindungshaft bei ihnen entsteht und sich zur gegenseitigen Verantwortung entwickeln könnte, ist nicht die Rede. Der Angelpunkt solcher "postmodernen Lebensstrategie", die Baumann anhand von Sozialkategorien wie dem Spaziergänger oder Touristen entwickelt hat, "heißt nicht Identitätsbildung, sondern Vermeidung jeglicher Festlegung."33


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Die Bestimmung des Raums, nur als Transit, als Nicht-Ort zu fungieren, wird ermöglicht durch die Endlosigkeit der Bewegung, die scheinbar von keinen Grenzen aufgehalten wird. Der Raum scheint unendlich aneigenbar. Die Magie der Metapher Cyberspace gründet in der - freilich illusionären - Grenzenlosigkeit des Informationsraums, dessen Population sich im Gespinst der Daten zur twilight zone eigentümlich entlokalisierter und interaktionsloser, transitorischer, flüchtiger Netzgesellschaften, virtueller Bewegungsgesellschaften kompiliert. Zu den ideologische Formen solcher Bewegungsgesellschaften als einem ersten Typus virtueller Vergesellschaftung gehören liberale Neuland- ebenso wie sozialdarwinistische Frontiernetzmythen, technoliberale Klassenlosigkeitsideologien und Gleichheitsrethoriken ebenso wie die Ideen der Expansion und des grenzenlosen Wachstums.

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Auch die Schwächung traditioneller Grenzen in der wirklichen Welt ist ein Gang und Gäbe diskutierter Vorgang: da Grenzerhaltung als Systemerhaltung gilt, ist ihre Transformation systemrelevant. Traditionelle Grenzen werden geschwächt, die Inklusionsbedingungen sind weich: Kommunikations- und Überwachungstechnologien spielen bei der Unterminierung der physikalischen, geografischen, räumlichen und rechtlichen Grenzen, die das Individuum, Gruppen, Wohnungen, Städte, Regionen und Nationalstaaten als distinkte Entitäten definiert haben. Das betrifft die physikalisch / räumlichen / geografischen Grenzziehungen, da große Einheiten neu entstehen bzw. an Gewicht gewinnen und Migrationsprozesse dazu führen, dass etwa durch doppelte Staatsbürgerschaften oder Briefwahlen auf eine Aufweichung der Standortbindungen reflektiert wird. Hier reflektiert sich Umstellung der modernen Selbstwahrnehmung von Universalität zu Globalität. Universalität meinte das Moderne-Projekt der Menschheitsselbstherrschaft durch Vernunft, Globalität meint die Praxis McDonalds und der generalisierten Konformität (Castoriadis).34 Globalisierung als zeitdiagnostische Kategorie meint den Prozeß der Entstehung einer neuen Epochenbestimmung: das Zeitalter der Globalisierung also. In den Debatten der Politik spielt die Schließung des Raums eine prominente Rolle, spätestens wenn es um territoriale Nutzungsrechte und Eigentumsrechte an Grund und Boden geht35. Historisch ist der moderne bürgerliche Staat als Territorialstaat entstanden, innerhalb dessen die Regelung als allgemein bestimmter Angelegenheiten durch "policing" anstelle gewaltförmiger Realisierung des Willens Privater stand. Nunmehr ist "Telepolitik", also etwa auch "Teledestabilisierung" territorialer Macht möglich, was impliziert die Vergleichgültigung territorialer Grenzen, die im Bereich der Kommunikation eine Erfindung des 19. Jahrhunderts war36. Die hier einsetzende Entstaatlichung der Politik ist somit der Ausbildung der starken imperialistischen Staaten von Beginn an eingeschrieben. Die am Ende des Jahrhunderts vielfach vermerkte Fiktionalisierung der Staatssouveränität geht einher mit der Fiktionalisierung der Volkssouveränität und der Entwertung demokratischer Selbstgesetzgebung: "Im Zuge der Globalisierung...hat sich das Problem des Kapitalismus von der Ungleichheit auf die Exklusion oder den Ausschluß von der Kommunikation verschoben."37 Es kommt zum "Ausschluß von Millionen von Körpern aus allen gesellschaftlichen Kommunikationen"38. Inklusion heißt: dazugehören. Bewerkstelligt wurde das im Bereich des alten Nationalstaats durch das Recht. Mittlerweile gibt es ein Weltrecht, wo die Staaten keine Herren der Verträge mehr sind, das nicht einklagbar und erzwingbar ist und remoralisiert wurde, wie das Beispiel des Sicherheitsrats zeigt. Das polykontexturale Recht hat keine zentrale Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, es mangelt ihm an formaler Rationalität und Kohärenz (und insofern erinnert es an das Feudalrecht), es ist ein politikfernes Recht ohne Verfassung, Demokratie, Hierarchie von unten, eine Herrschaft ohne Herrscher und Gesetz. Es ist "unkoordiniert, selbstbezogen, chaotisch, expansiv und imperialistisch" (Teubner). Dazu gehört die Zersetzung der nationalen oder kulturellen Souveränität über Publizität. Die Entstehung globaler politischer Öffentlichkeit hängt ab von Massenmedien mit globaler Reichweite, der Entstehung einer Vielfalt von Öffentlichkeiten und ihren Entstehungsbedingungen. Zum Öffentlichkeitsbegriff gehört die Unbestimmtheit des Publikums und Kommunikation in einem Kontext, der das Publikum einschließt, die Rede ist dann von einem im kommunikativen Handeln erzeugten sozialen Raum, der sich im Falle der Moderne in den Raum zwischen Staat und Gesellschaft schiebt. Hinzu kommt, dass die Kommunizierenden sich selbst wichtig sind. Was nun globale Medien erzeugen, ist kein Raum, sondern eine Vernetzung, Publizität ohne Öffentlichkeit, Kommunikation ohne Kritik.
Die Schwächung traditioneller Grenzen betrifft weiter die Begrenzungen der Sinne, deren Funktion als Medium der Unterscheidung und Beurteilung mit ihrer technologisch gestützten Relativierung schwindet. Das betrifft die Zeit, die Unterscheidungen zwischen Vergangenheit und Zukunft liefert und damit zwischen dem Bekannten und Unbekannten; die Explosion der Dokumentation der Gegenwart weitet den Zugang zur bekannten Vergangenheit ebenso fast unermeßlich aus wie sie die Differenz, den Zeitpuffer zwischen Geschehen und Ereigniskommunikation auf Sekunden reduziert39. Das betrifft endlich die Grenzen des Körpers und des Selbst: Schattenbilder der Individuen kompilieren sich zur Dossiergesellschaft.40 Im Bereich der Medien geht die Rede von den Grenzauflösungen zugleich einher mit der Konstruktion funktionaler Komplementaritäten im Mix neuer und alter Medien: Broad- versus Narrowcasting, Push- versus Pull, Homogenität versus Heterogenität, Territorialität versus Nonterritorialität, Mono- versus Bidirektionalität, Professionalität und Expertentum versus Laientum, Aktualität versus Gedächtnis, Kommerzialität versus Nonkommerzialität, Individualisierung versus Depersonalisierung.41

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Grenzenlosigkeit ist allerdings Illusion, die mit der fehlgehenden Erfahrung zu tun hat, Cyberspace sei ein "unentdecktes Land", das es zu "erobern" gelte. Cyberspace ist ein geschlossenes System, in dem nur entdeckt werden kann, was schon gefunden wurde. Das Netz "präsentiert eine Totalität ohne auch nur die Möglichkeit eines Jenseits, einen immanenten Raum, in dem der Akteur nur mit bekannten Elementen interagieren kann"42, denn jede Verbindung und Adressierung, die im Netz existiert, wurde sozial konstruiert. Was aber, wenn in diesem geschlossenen System selbst die Bewegung haltmacht, Paßwörter verlangt und Grenzen errichtet werden, die Internet Zone sich in unendlich viele Intranet Zones verwandelt? Wenn die Rede vom Informationsraum auf Bewegungs- und Raumfunktionalität abstellt, dann geht es bei der Thematisierung virtueller Macht um die Beeinflussung oder Gestaltung dieser Funktionalitäten.43

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Die Ziehung von Grenzen ist ein grundlegender politischer Vorgang - für Danilon Zolo ist sie der ""politische Urmechanismus, der Sicherheit produziert, indem er die Komplexität der Umwelt reduziert", was geschieht durch die "Festlegung einer internen / externen Trennungslinie."44 Im Cyberspace nun gibt es Grenzziehungen, die im Vergleich zur realen Welt ganz unschwer gezogen werden können: durch Namensgebung (Domain-System) und Clusterbildung von Adressen, Labeling, spezielle Paßwörter, Eintrittsgebühren oder, vor allem, Softwareprotokolle ("Das Internet ist Software" - Ethan Katsh). Insbesondere die rasche Ausbreitung von Filtersoftware hat hier zu einer dramatischen Ausweitung von Selektion und einer Dezentralisierung von Kontrolle - also Grenzziehung - geführt45.

Inhalte oder Verhaltensweisen, die in einem Informationsraum akzeptiert und möglich sind, können im nächsten nicht gelten. Nun sind solche Grenzziehungen bislang noch durchlässig, umgehbar, zeitweilig - also relativ.46 Entscheidungen, die Machtverhältnisse in einem gegebenen Informationsraum regulieren, kann sich der Netizen mehr oder weniger entziehen, indem
* er schweigt,
* eine neue Identität annimmt,
* sich anonymisiert
* einen neuen Informationsraum nach seinem Gusto aufmacht
* oder den virtuellen Raum verläßt.
Eintritttskosten und Austrittskosten sind also noch relativ gering. Während in der wirklichen Staatenwelt die Realisierung politischer Zielsetzungen wie auch die Rechtsdurchsetzung letztendlich auf die Fähigkeit zur Ausübung physischer Gewalt bauen können, ist im Informationsraum die Durchsetzungsfähigkeit, also Gültigkeit der Regeln und Normierungen auf Zustimmung angewiesen; sie kann nicht mit Zwang sanktioniert werden. Sanktionen verbleiben symbolisch. Es ist also sehr zweifelhaft, daß der Netzraum ein Platz für zwingend folgenreiche Entscheidungen ist, denen sich die Betroffenen nicht entziehen können: "Abwanderung" (Hirschman), Exit, also Rückzug aus einer Beziehung mit einer Person oder Organisation (also einfaches Fortgehen), ist möglich, das Netz hat - im Unterschied zum realen Staat - noch immer einen vergleichsweise leicht zu erreichenden Ausgang47. Exit "ist eine wesenhaft private und typischerweise stumme Handlungsweise. Man kann sie allein vollführen, es ist nicht nötig, sie mit irgend jemand zu besprechen. Abwanderung ist daher eine minimalistische Art, Opposition auszudrücken - man geht fort, ohne sich mit anderen abzustimmen, ohne Geräusch, "im Schutze der Nacht."48 Abwanderung ist eine private Entscheidung und ein privates Gut. Doch freilich wird die Umsetzung dieser Entscheidung zunehmend schwieriger, den die Grenzen des Cyberspace werden rapide massiv, sozial und technisch. So dass zugleich und offenbar zunehmend notwendig wird eine aufwendige, womöglich politische Aktion, Professionalität, technisches Wissen, einen Kampf um Bewegung, um die Chance, Reisender und Spaziergänger, Flaneur und Vagabund, Surfer, Spieler, Browser, Lurker und Experimentator sein zu können. Hier ergibt sich eine eigentümliche Verschränkung: die Analyse Hirschmans nennt neben dem "Exit" noch die Handlungtypen "Voice", also Protest, Opposition und "Loyalty", also Arbeit am Konsens. Eine Netz, das im Zeichen elaborierter Massivgrenzen Netzaktivismus - "Voice" - nachgerade zur Bedingung des Rechts auf "Exit" macht, muss mit einem bewegungsgesellschaftlichen Personal rechnen, das den Maximen postmoderner Lebensstrategien nur noch schwer folgen vermag, in womöglich also ein anderer virtueller Vergesellschaftstypus aufscheint.
Welche Struktur nun nimmt im Cyberspace der dritte Handlungstypus - Loyalty - an unter der Bedingung einer politischen Ordnung, welcher die Implementationsmacht realstaatlicher Mächte fehlt? Johnson sieht sie in einem "Regime von Privatverträgen"49, das den Netzraum strukturiere. Gegenwärtig können Netzidentitäten überall hergestellt werden; im Prinzip können "Netzregister" überall auf der Welt geschaffen werden und Registrierungen können mit einer Verpflichtung auf die Gesetzeslage am Ort der Registratur verbunden sein - oder auch nicht. Gegenwärtig sind die Bedingungen der Identitätsbildung sehr unterschiedlich; die meisten Personen erhalten diese Identität (in Form einer E-Mailadresse oder Web Space) durch einen Provider, mit dem sie einen Vertrag abschließen, der sehr detaillierte Regelungen enthält wie etwa AOL oder faktisch überhaupt keine Informationen über die Realpersonen verlangen. Es müsse aber ein international verbindlicher und vergleichbarer Set von Verpflichtungen geschaffen werden, eine Art Grundgesetz, das Selbstregulierung ermöglicht: Kontrakte über die Abgrenzung des Netzraums zwischen Providern, Gebührenregelungen, Sicherheit, Konfliktaustragsregelungen, Regelungen zur Verhinderungen von kriminellen Handlungen50, Öffentlichkeit der Regelungen. Johnson sieht in der Bildung von Onlineidentität (Adressen) den Kern für Mitwirkung - und: "For starters, the power of the registries to banish users provides a much more effective enforcement tool than might otherweise be available to any particular government. Moreover, the contractual regime decentralizes (and largely privatizes) all the costs of enforcement and dispute resolution."51 Hier revitalisiert sich die alte liberale Konzeption, allgemeingesellschaftliche Angelegenheiten durch Vertragsregelungen zwischen Privaten politikfrei arrangieren und halten zu können.

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Doch daneben gibt es eben nun und krass aufwachsend einen anderen Vergesellschaftungstypus, ein Netz der Netze mit massiven, für das weit überwiegende Gros der User und Userinnen unüberwindbaren Grenzziehungen: zwischen Domänen und Sites und Pages und Groups und Listen, ohne Voice und Exit, aber mit Loyalty. Auch zwischen Sichtbarem und Unsichtbaren, Gesehenem und Ignoriertem. Dieses Netz der Netze ist ein Ortsnetz. Das Netz der 57 % Onliners, die nach einer Umfrage von Business Week immer dieselben Sites aufsuchen, statt herumzuwandern52. Das Netz, dessen Territorium eine Handvoll Metropolen planiert53. Das Netz, das Bewegung überraschungsfrei in der Abteilung "What`s New on this Site?" stillegt. Das Netz, aus dem unser Zählwerk Alta Vista 21 millionenfach "Homepage", 241 000fach "Firewall" und 7 millionenfach "Office" liest - und gemeint ist nicht nur das bekannte Softwarepaket. Das Netz der Konstruktion, nicht der Option der Identität. Das Netz des under construction und nicht des Multitasking. Das bewegungsarme, grenzbewußte, stationäre Arbeit-und-Leben-Netz. Das Netz der institutionellen Realkulturen, der Gebührenregelungen, des Sicherheitsmanagements, der Konfliktaustragsregelungen und der elaborierten Anticrimesoftware. Das Vorstadtnetz, sicher für Familien und Kinder und natürlich auch sicher für Beamte. Das Netz ungleicher und differenter Identitäten der Personen und Gruppen, Institutionen und Organisationen. Das Community-Netz54. Das sichere Netz.55 Das Stadtnetz.56 Das Staatsnetz.57 Das Netz ohne Bilder- und Textkritik. Das Netz, das Machtverteilung auch über stabile Sichtbarkeit und ein Ineinanderfliessen netzvermittelter wie importierter Reputation regelt.58 Das Netz, mit Registratur und ID: ob dies Warenzeichen, digitale Unterschriften oder fälschungssichere E-Mailadressen sind. Wer sich diese Konventionen und Regimes legitimer Identitätsbildung nicht zu eigen macht, wird exkludiert und der Konsens über die Adressierung wird hier zu einer zentralen Differenzierungslinie in der Gesellschaftsstruktur des Netzes zwischen der legitimen und illegitimen, offiziellen und inoffizielle Gesellschaft. Eine inoffizielle Netzgesellschaft, in hastiger, auch flüchtiger Bewegung, eine Flucht- und Exklusions- und Exitgesellschaft, die sich mischt mit der eingangs skizzierten Bewegungsgesellschaft des Nicht-Orts Cyberspace.

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Mit diesem starken, realitätsfesten, anschlußfähigen Netz aber sind wir nun in ein globales Ortsnetz mitsamt einer ganz anderen Netzgesellschaft geraten - wenig flüchtig, dafür ungeheuer vervielfältigt, natürlich virtuell, ganz hübsch.

Allerdings vermutlich ohne wirklich guten Jazz und keinem Jobangebot an Benjamin Franklin, die alt.dump-king-George-newsgroup zu moderieren.

 

1 "Cyberspace ist ein alter Hut", so Elisabeth Holzleithner, Viktor Mayer-Schönberger: DECONSTRUCTING CYBERLAW. URL: http://dpub36.pub.sbg.ac.at/kwt/HOSCH_P.HTM
2 Edward J. Valauskas: Lex Networkia: Understanding the Internet Community, in: First Monday 4/1996, http://www.firstmonday.dk/issues/issue4/valauskas/index.html
3 Elissa D. Smilowitz: Do Metaphors Make Web Browsers Easier to Use? URL: http://www.baddesigns.com/mswebcnf.htm. Die ausgezeichnete Schrift von Steven Johnson: Interface Culture, New York 1997, S.6 charakterisiert das Interface-Design als Fusion von Kunst und Technologie. Die Visualisierung des Computerinterface war Doug Engelbarts Frage 1968.
4 Für die nicht zu überschätzende Bedeutung der Interfacekontrolle steht der Kampf zwischen Microsoft und dem Justizministerium der USA (bzw. zahlreicher US-Bundesstaaten) um den MSN-Icon im Windows-Menue oder um das "erste Bild" nach dem Einschalten des Computers, siehe Netly News v. 26.5.1998 http://cgi.pathfinder.com/netly/editorial/0,1012,2013,00.html. Der Kampf um Selektion (Filterung ->"Individualisierung" der Angebote) setzt dies auf einer anderen Ebene fort: hier geht es um Datenorganisation nach Bedeutung.
5 Überhaupt werden Machtvorstellungen evoziert wie etwa jene, dass sich Dinge der Welt quantifizieren lassen: Faßler zum Beispiel teilt uns mit, dass "zur Zeit bereits 1015 Bit des Weltwissens elektronisch gespeichert sind", Manfred Faßler, Sphinx `Netz` (I), in: Medienpädagogik online 2/1997, S.4-9, URL: http://www.gep.de/medienpraktisch/amedienp/mp2-97/2-97fass.htm
6 Vgl. Jörg Müller: Virtuelle Körper. Aspekte sozialer Körperlichkeit im Cyberspace, FS II 96-105 Berlin 1996
7 Tim Berners-Lee und Robert Cailliau benutzten den Begriff im November 1990 um die globale Konnektivität und insbesondere eine spezifische Form der Arbeitsteilung und Wissensdistribution zu beschreiben: die Wahl des Begriffs "Web" sollte die Art der Wissensorganisation charakterisieren: "This forming of a web of information nodes rather than a hierarchical tree or an ordered list is the basic concept behind hypertext. The network of links is called a web." Zur Netzassoziation gehört die "Spinne" - im Spinnennetz sind die Opfer gefangen, eine negativ besetzte Konnotation, die sich in der Rede von der Netzdroge fortsetzt. Viren sind mittlerweile nur noch negativ besetzt - von der durch sie bewirkten Erkrankung der Technik ist nicht die Rede, zuweilen aber von Seuchen.
8 Vgl. Bernhard Debatin: Metaphern und Mythen des Internet (1997). URL: http://www.uni-leipzig.de/ebatin/German/NetMet.htm. Metaphern sind mächtig, weil sie auch eine Differenz thematisieren; es geht nicht um Gleichsetzung.
9 Der Begriff "Surfing the Internet" tauchte nach Angaben von Ute Hoffmann erstmals bei Jean Armour Polly in einem Artikel der Wilson Library Bulletin im Juni 1992 auf, siehe http://www.promo.net/gut/bm_gut08.htm#4 (Ask Dr. Internet). Johnsohn weist zu Recht auf die Differenz zwischen Zapping und Surfing hin: "A channel surfer hops back and forth between different channels because she`s bored. A Web surfer clicks on a link because she`s interested." (Interface Culture, S.109). Das Interesse muss freilich spezifiziert werden: geht es um zufällig-zielloses Browsen oder um Suchstrategien, die durchaus Elemente der Offenheit und Ziellosigkeit einschliessen können? S. Lara D. Catledge, James E. Pitkow: Characterizing Browsing Strategies in the World-Wide Web, in: Computer Networks  and ISDN Systems 27(6): 1065-1073 (1995)
10 Da die "Infobahn" als Bewegungsmetapher nicht den Inhalt und die Formbestimmung des Prozesses, sondern bloß diesen selbst thematisiert, somit den Besitz oder die Verteilung der Information, auch ihre Transaktion, Kommunikation, das interpretierende Austauschhandeln also, ignoriert, ist sie blind gegenüber Zerstörung und der durch sie provozierten Restrukturierung von Räumen. Dem Netsurfer oder Webcrawler auf der Datenautobahn ist die Bewegung nicht nur die Hauptsache - sie ist alles. Das ist das Magische des Mausklicks auf den Hyptertextlink. Indem er verbindet, synthetisiert und fragmentiert er - dies gegen Johnsons Gegenüberstellung von Fragmentierung und Synthese (Interface Culture, S.111). Aber zunächst geht es nicht um Adressierung (z.B. eine Bookmarkliste) sondern um Verbindung.
11 Tim Rohrer: Conceptual Blending on the Information Highway: How Metaphorical Inferences Work, Amsterdam 1997 URL: http://metaphor.uoregon.edu/iclacnf4.htm. Da das, was auf der Infobahn transportiert wird, als Informationsgut bestimmt wird (genauer: als Ware, die in ein Eigentumsverhältnis verwickelt ist), ist ihr Diebstahl natürlich ein Akt der Piraterie und es bedarf der Polizei. Neben dem Verkehrssystem ist das Elektrizitätsnetz eine weitere, aber weniger verbreitete Referenz im Metaphernspektrum des Internets, wo der Zugang zum Strom der Elektrizität als Zugang zum Fluß der Informationen evoziert wird.
12 "Cyberspace is a completely spatialized visualization of all information in global information processing systems, along pathways provided by present and future communication networks, enabling full copresence and interaction of multiple users, allowing input and output from and to the full human sensorium, permitting simulations of real and virtual realities, remote data collection and control through telepresence, and total integration and intercommunication with a full range of intelligent products and environments in real space" - Benedikt, Michael, ed. Cyberspace: First Steps. Cambridge, MA: MIT Press, 1991.
13 Die virtuelle Gemeinschaft oder die digitale Stadt: beides sind prothetische Metaphern, die Defizite der Realwelten kompensieren. Es geht daher nicht nur darum, dass nach den Städten der Stahl- und Schwerindustrie nun die urbanen Konstrukte des neuen Bitbusiness entstehen und die alten Informationsräume entwertet, ja vernichtet werden. Vielmehr revitalisiert die neue kommunikative Vergesellschaftung im virtuellen Raum das Konzept des "öffentlichen Platzes" jenseits von Arbeit und Wohnung, aus den neuen öffentlichen Räumen erwächst eine neue kommunalförmige Oeffentlichkeit. Freilich: es sind flüchtige Konstrukte, Städte der Dekonstruktion, schwacher Grenzziehungen, zerbrochener Linearität - vielleicht ein Dementi einer um den Zwang, sich Widersprüchen aussetzen zu müssen, gereinigten Stadtkonzeption der Moderne.
14 Das Globale Village war als Metapher zunächst gängig, bevor es durch die Urbanitätsmetapher abgelöst wurde.
15 Siehe die Ergebnisse einer Kurzrecherche bei Hot Bot und Alta Vista im Anhang.
16 Fenster, die einander überlappen und daher Tiefe imaginieren - dies die weittragende Innovation Alan Kay`s (Xerox, 1972), welche in fundamentaler Weise die Vorstellung vom Informationsraum generierte. Frames sind die Fortentwicklung
17 und - häufig - durch ein Logo konzentriert zu verdeutlichen und veralllgemeinerbar zu machen. Überwiegend sind Bilder zentriert oder links plaziert, Texte rechts; Links sind seltener rechts plaziert. Vgl. Eleanor Wynn, James E. Katz: Hyperbole over Cyberspace: Self-presentation & Social Boundaries in Internet Home Pages and Discourse, http://www.slis.indiana.edu/TIS/hyperbole.html. An die "Page" schliessen dann im übrigen andere Begriffe an, die aus dem Druckbereich stammen.
18 Fast nur im Zusammenhang mit der Identitätsfrage taucht die Frage nach der Geschlechtsspezifik der Mythen auf.
19 S. Das Zentrum als Einheit, URL: http://duplox.wz.berlin.de/texte/ding/zentrumeinheit.html.
20 Lassen sich diese Mythen zu einem virtuellen Gesamtmythos zusammenfassen? Debatin sieht ihn im Mythos der zeit- und grenzenlosen Kommunikation. Die ideologiepolitische Relevanz der Metaphernbündel liegt nicht nur darin, dass sie anschlussfähig sind an eine Fülle von Legitimationsmustern in unterschiedlichsten Politikfeldern, sondern dass sie auch den überzeugungskräftigen Kontext für eine mächtige wirtschafts- und industriepolitische Kernargumentation bereitstellen, wonach der zukünftige Reichtum der Nationen von einer hochentwickelten Informationsinfrastruktur abhänge: amerikanische hard und soft power, überwabert von Zeitgeistgerede à la "globaler Geist" (Kelly) und "Sturz der Materie" (Dyson u.a., Magna Charta), das Gerhard Henschel jüngst äußerst amüsant verspottet - leichthin freilich, weil er die Wirklichkeit der Veränderungen konsequent ignoriert, s. Gerhard Henschel, Cyberspacelyrik, in: Merkur 8/1998 S. 538ff.
21 Einen Realkontext eines solchen Widerspruchs - beschrieben mit dem Wort "Informationsexil" - schildet William Wresch am Beispiel des Besitzers einer Compzterfirma in Namibia: "He may put a movie into his VCR, but it won`t be a Namibian movie - there is no such thing. He might curl up with a Namibian book, but he won`t do it very often - only about half a dozen are published each year. He could turn on the tube, but all he will see on it is American reruns and government propaganda. He might pick up the phone and direct dial dozens of friends in the United States or Germany, but he couldn`t call more than a handful of people outside the capital city in his own country. In other words, Schoeman has amazing access to some kinds of information, no access at all to thers - eithwer the information doesn`t exist or he can`t get to it." William Wresch: Disconnected. Haves and Have-nots in the Information Age: Rutgers University Press, New Brunswick 1996, S. 2. Olu Oguibe spricht von den Forsaken Geographies, den verlassenen Geographien, siehe Olu Oguibe: Forsaken geographies. Cyberspace and the New Wolrd "Other", South Florida 1996, URL: http://english-www.hss.cmu.edu/internet/oguibe/
22 Allgemeiner noch die Charakteristik bei Christine Weiske, Ute Hoffmann: Die Erlebniswelt als Stadt, http://duplox.wz-berlin.de/texte/stadt/): "Orte sind Fixierungen im Raum, die bestimt sind. Über seine Bestimmungen wird ein Ort "fest" über die Dauer hinweg, mit der die Bestimmungen ihre Geltung behalten." Dass - wie dort vorsichtig formuliert - die Ausbildung der Eigenschaft des Immobilismus dann recht zwingend dazu führe, dass sich Orte in Immobilien verwandeln, ist wenig nachvollziehbar. Immobilien sind Gebrauchswerte, die sich verwerten.
23 Die Zeit 12/1998
24 Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Fischer: Frankfurt 1994. Anders als Manfred Faßler, Sphinx `Netz` (I), in: Medienpädagogik online 2/1997, S.4-9, URL:http://www.gep.de/medienpraktisch/amedienp/mp2-97/2-97fass.htm:"Das Netz hat keine eigene Sprache, keine eigenen Orte. Für jeden und jede, die es nutzt, sieht es anders aus...Es gilt grundsätzlich, dass "das Netz", also das Gefüge elektronischer, computerbasierter Datenvermittlung, mit dem Beginn jeder Nutzung ein "besonderes Gesicht" zeigt:" Das Netz ist das individuelle "Draußen" auf dem eigenen Schreibtisch. Augé`s und Faßlers Rede ist wieder zu unterscheiden vom Konzept der Atopien - der Unorte, die als Abklatsch des Ortes existieren.
25 Orte gewinnen auch überfallartig als Eingriff Kontur: Etwa die Zerstörung der Zugangoberfläche Bildschirm, die noch Individualität (Kontrolle) vorgibt, in Form der die Ordnung der Fläche brutal zerfetzenden Fehlermeldung: Javascript als Eindringling. Oder die kaum merkliche Vervielfältigung der Bildschirme. Die unmerkliche Mutation der Fläche in ein Relevanzmodell durch Dreidimensionalisierung.
26 Augé, S.130. Nicht-Orte sind kein Medium für "Tätigkeiten...die sich auf eine allen gemeinsame Welt richten" (Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1994 S. 31, zitiert nach Christine Weiske, Ute Hoffmann: Die Erlebniswelt als Stadt, http://duplox.wz-berlin.de/texte/stadt/). Zwei postmoderne Utopien existieren: die unendliche technologische Selbstreperaturfähigkeit der Welt und ihre Selbstregulierung durch den neoliberal gefeierten Markt. Die christlich-jüdische Kultur hatte immer mit den Erfahrungen der Ortlosigkeit zu tun. Zur religiösen Verwurzelung und Praxis des Netzes s. Michael Bauwens, Spirituality and Technology: Exploring the Relationship, First Monday 1996 und David F. Noble: The Religion of Technology: The Divinity of Man and the Spirit of Invention, New York 1997.
27 S. Das Zentrum als Einheit, URL: http://duplox.wz.berlin.de/texte/ding/zentrumeinheit.html.
28 Bauman, Zygmunt: Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg: 1997, S.77
29 Baumann, S.153
30 Bauman, S. 154
31 Diese schöne Formulierung verwendet Barbara Becker: Die Inszenierung von Identität: Körper, Texte, Imaginäres, 1997. Sie kritisiert die üblichen scharfen Trennungen zwischen virtuellen / realen Subjekten, Ich und Maske und denunziert dies zu Recht als traditionelle Idee eines mit sich selbst identischen Subjekts, besser: eines autonomen Individuums, mit dem im übrigen auch die klassischen Entfremdungskonzepte unterlaufen werden: in der virtuellen Welt fragmentierter Subjekte "bricht das Konzept der Entfremdung zusammen" (Turkle). Tatsächlich sind, so Becker, Subjekte symbolisch-mediale Konstrukte, deren Selbstinszenierung von realhistorischen Inszenierungspraktiken und den über sie vermittelten Medien abhängt, verdanken sich also "Imagination, Narration und Inszenierung" (Becker) - alles historisch höchst variable und sich entwickelnde Elemente. Ihre Kritik der verbreiteten Schärfe der Unterscheidung lässt freilich keinen Raum mehr zur Erkenntnis historischer Entwicklungsbrüche. Vgl. auch Christoph Brönnimann: Interaktion im Cyberspace - Eine neue Form des öffentlich-privaten Austauschs, Zürich Oktober 1997, URL: http://www.unizh.ch/(cbro/goffm_v1.html
32 Wem dieses Bild der Netzagierenden befremdlich passiv erscheint, der sei auf einen Versuch des DIFF-Tübingen verwiesen, von dem Faßler berichtet: 90 % der Nutzer lesen nur -> das ist Radiohören, es sind ROMS`s, Read Only Members. 10,5 % beteiligen sich unregelmässig, 5 % bestreiten die Fülle der Informations- und Kommunikationsleistungen -> das sind RAM`s, Radical Active Members; s. Manfred Faßler, Sphinx `Netz` (I), in: Medienpädagogik online 2/1997, S.4-9, URL: http://www.gep.de/medienpraktisch/amedienp/mp2-97/2-97fass.htm. Andere Schätzungen gehen demgegenüber von10-15 Millionen Medienaktiven aus (ca. 200 Mio Webpages und ca. 1 Mio tägliche USENET-Botschaften), s. Hans Geser: Die Neuerfindung der politischen Öffentlichkeit, Zürich 1998, URL: http://socio.ch/intcom/t_hgeser06.htm. Vor allem wer mit hohen Geld- und Zeitkosten kommuniziert, kalkuliert, fragt also nach den Effekten - und lässt dann offenbar ziemlich oft das Ganze sein, erst recht, wenn er den Eindruck hat, von Überlegenen beobachtet zu werden [Einerseits: 11 % der deutschen Nutzer der Onlinedienste haben einen Hauptschulabschluss aber 41 % ein Studium, s. Media-Perspektiven 11/1997 S.604ff.; andererseits ändert sich das Nutzungs- und Navigationsverhalten drastisch, wenn ein Monitoring bekannt wird, siehe Graham-Cumming, Hits and Miss-es.]
33 Baumann, Flaneure, S.146. Mit der Frage "Kann man denken, wenn man es eilig hat?" deutet Pierre Bourdieu (Über das Fernsehen, Frankfurt 1998, S. 38) die Weiterungen des Problems an, die sich zum Beispiel in der Entstehung neuer Subtypen von Medienintellektuellen ("Fast-Thinkers") andeutet.
34 Bauman, Zygmunt: Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg: 1997, S. 44f.
35 Getrud Koch: Die neue Drahtlosigkeit, in: Dtsch.Z.Philos. 6/1997 S.922f.
36 Vgl. John B. Thompson: Die Globalisierung der Kommunikation, in: Dtsch.Z.Philos. 6 (1996) S.882. Die Realisierung der imperialistisch ausgreifenden Kommunikationsbedürfnisse wurde durch neue Technologien ermöglicht, welche die Entkoppelung von Kommunikation und physischen Nachrichtentransport bewerkstelligten. Thompson skizziert als die drei Schlüsselentwicklungen der formativen Periode der Medienglobalisierung die Entwicklung von Unterseekabeln, die Entstehung internationaler Nachrichtenagenturen und die Bildung internationaler Organisationen zur Aufteilung des elektromagnetischen Spektrums. Aber erst 1960 mit dem ersten gestationären Kommunikationssatellit wurde die Radiowellenkommunikation endgültig global. Obwohl daher die Formierung der globalen Kommunikationsordnung im letzten Jahrhundert begann, ist erst in diesem Jahrhundert die Vervielfachung der Kanäle und Medien der Globalisierungsdurchbruch: transnationale Kommunikationskonzerne, die sich aus den Presseunternehmen des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatten, sind Hauptakteure des neuen, assymetrischen Systems, die im Weltmarkt operieren, ihre Zentralen in der Triade (und Australien) haben in binnen kurzer Zeit ausgedehnte privat kontrollierte Kommunikationsnetze gebildet haben. Forciert wurde dieser Prozess durch den Einsatz hochentwickelter und leistungsfähiger Kabelsysteme, die zunehmende Nutzung von Satelliten, die eine erneute Emanzipation von einem Vorläufermedium, nämlich den terestrischen Rundfunknetzen erlaubten, und die Verwendung digitaler Verfahren, die Informationen intermedial konvertieren können. Mit den Direct Broadcasting Satellites (DBS) haben sich endgültig transnationale Verteilsysteme etabliert und die Zirkulationssphäre der Medienprodukte und symbolischen Güter wird internationalisiert. Zugangsmuster und offenbar erst recht Rezeptionsmuster sind dagegen weiterhin stark differenziert nach Regionen und Schichten, wie etwa die Unterschiede im Zugang zu TV und Radio belegen; es entsteht die Achse globalisierte Verbreitung versus lokalisierter Aneignung.
37 Hauke Brunkhorst: Die Weltgesellschaft als Krise der Demokratie, in: Dtsch.Z.Philos. 6 (1997) S.899
38 Hauke Brunkhorst: Die Weltgesellschaft als Krise der Demokratie, in: Dtsch.Z.Philos. 6 (1997) S.899. Da heisst es weiter: Das Wirtschaftssystem "kann die Gesellschaft nicht steuern, aber es kann sie zerstören. Wenn es zusammenbricht, bricht fast alles andere auch zusammen." Luhmann verweist darauf, dass es im Exklusionsbereich auf die Körper der Menschen ankommt. Sie zählen nicht mehr als Personen.
39 Wie sollen wir herausfinden, was wir sind, wenn wir fragen nach dem, was wir nicht mehr sind - unter der Unterschied zwischen beidem ist lichtgeschwind gesetzt? Wenn die Geschichte sich beschleunigt, die Anzahl der nicht vorhergesehenen Ereignisse sich rapide vermehrt...
40 Vgl. Gary T. Marx: The Declining Significance of Traditional Borders (and the Apearance of New Borders) in an Age of High Technology, in: P. Drogue, Intelligent Environments, Elsevier Science 1997, S. 484-494, URL:http://socsci.colorado.edu/arx/ascbord.html
41 Klassisch die Versammlung solcher Antipoden bei Hans Geser: The System of Public Media in Transition, Rel.1.1. Zürich 10.12.1997, URL: http://socio.ch/intcom/t_hgeser05.htm
42 Mark Nunes: What Space is Cyberspace? The Internet and Virtuality, in: David Holmes (ed.): Virtual Politics. London 1997, S. 168. Das "Internet is ultimately a tracing of a map of connectivity; one cannot 'create' new contacts on the Internet." (S.173)
43 Vergleichbar Jörg Müller: Virtuelle Körper. Aspekte sozialer Körperlichkeit im Cyberspace, FS II 96-105 Berlin 1996: "Macht im Netz definiert sich über Zugriffsrechte auf Daten bzw. Steuerung von Kommunikationsprozessen. In MUDs besitzen normalsterbliche BenutzerInnen nur in begrenztem Maße das Recht, die virtuelle Welt zu verändern. Im Regelfall ist dies auf die Beschreibung des eigenen Charakters bzw. eigener Objekte beschränkt. Ausgeschlossen sind z.B. die description-files anderer Benutzer bzw. deren Objekte. Die Systemoperatoren der Host-Rechner hingegen haben zu allen der individuellen Daten Zugang. In MUDs werden diese Zugriffsrechte auf die Datenwelt übersetzt in das Ausmaß der Kontrolle über den virtuellen Körper. Der Verlust der Zugriffsrechte markiert den Verlust der Freiheit und Kontrolle über den virtuellen Körper, auf dessen Beschreibungs- und Handlungsmöglichkeiten." Die Konzeption von Macht wird verschiedene Formen und Reichweiten einbeziehen müssen: Entscheidungen zur Durchsetzung eines politischen Willens, Situations- und Akteurskontrolle (auch durch non-decisions), Kontextkontrolle durch Öffnung oder Schließung von Handlungsmöglichkeiten, vgl. Peter Imbusch (Hg.): Macht und Herrschaft, Opladen 1988
44 Zolo, 1997, S.66
45 Vgl. S. Jonathan Weinberg: Rating the Net, 19 Hastings Comm/Ent L.J. 453 (1997). http://www.msen.com/~weinberg/rating.htm. Die Entstehung der Filtersoftware wird fast ausschließlich mit dem Verweis auf Kinder- und Jugendschutz begründet. Während die Blockade des Zugangs zu Newsgroups leicht durch die Namenskontrolle bewerkstelligt werden kann, ist die WWW-Blockade komplizierter; dabei wird geschätzt, dass 5-8000 URL`s Sex-Sites sind von ca. 37 Millionen URL`s. Am relevantesten ist das vom WWWC des MIT entwickelte Projekt technischer Standards (Platform for Internet Content Selection), bei dem es nicht um Interaktion, sondern um ihre Verhinderung ging: Informationsanbieter sollten einen inhaltsbezogenen Informationsstandard nutzen, um eine Möglichkeit zu schaffen, dass seitens der User Interaktion verhindert würde (Elternkontrolle). Dabei geht es um Gewalt, Nacktheit, Sex, Sprache. Der Gedanke ist die Pluralisierung der Kontrolle. Blockiert werden auch mal Sites für Tierrechte und freies Programmieren, Schwule und Lesben, feministische Diskussionsgruppen, Militärforschung, Lexika oder Time Warner`s Pathfinder.com.
46 S. Brian Kahin, Charles Nesson (Hg.): Borders in Cyberspace, Cambridge-London 1997
47 Albert O. Hirschman: Exit, Voice and Loaylty, 1970: (dt. Übersetzt mit Abwanderung und Widerspruch); ders: Exit and Voice: An Expanding Sphere of Influence, in: ders., Rival Views of Market Society and Other Recent Essays, Cambridge Mass. 1992; ders., Selbstbefragung und Erkenntnis, Wien 1996.
48 Hirschmann, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik, in: ders., Selbstbefragung, S. 45
49 "If we do not establish a private, contractually based self-governance regime, using the allocation of net identifiers as the fundamental legitimating and enforcment mechanism, we will face the growth of concflicting, gegraphically-based regulatory regimes", David R. Johnson, The Price of Netizenship (12.11.1996), http://www.cli.org/pon.htm
50 Bemerkenswert, dass Johnson das Vorkommen von Kriminalität auf die Beziehungen zwischen Providern und Usern beschränkt.
51 Johnson, Netizenship
52 "According to a new Business Week /Harris Poll, 57% of those on the Net go to the same sites repeatedly instead of wandering from one to the next. And of the 89% who use E-mail, nearly one-third consider themselves part of an online community. 42% of those involved in an online community say it is related to their profession, while 35% say their community is a social group, and 18% say it revolves around a hobby. Just as in the physical world, Net newbies are gravitating to Web sites where they can find friends and feel comfortable. Adding a way for web surfers to chat can consistently boosts traffic on any Web site by as much as 50%." Nua Internet Surveys v. Apr 28 1997.
53 Vgl. John Graham-Cumming: Hits and Miss-es: A Year Watching the Web, http://proceedings.www6conf.org/HyperNews/get/Paper131.html, der für den Zeitraum April und September/Novermber 1996 die Navigationsstrategien von 4000 WebnutzerInnen verfolgte, die 95 000 unterschiedliche URL`s besuchten: die Hälfte des Verkehrs konsumierten 35 Sites, bei denen es um Navigation (Suchmaschinen), Neuigkeiten, Sport und Geld ging. Vergleichbar Thomas Berker: WWW-Nutzung an einer deutschen Hochschule - Computer, Sex und eingeführte Namen, http://www.informatik.uni-frankfurt.de/erker/proto.html, wonach Anfang 1998 3 % der von einem Teil der NetznutzerInnen der Frankfirter Universität fast 30 000 frequentierten Server 50 Prozent der Anfragen auf sich zogen und jede zehnte Anfrage einem der ersten 12 Server galten. Dabei geht es um Nachktheit, Computerbezogenes und um bereits aus anderen Medien Bekanntes.
54 Eine Metapher - die Internetgemeinschaft - wird üblicherweise definiert durch Hinweis auf gemeinsame räumliche Beziehungen (Ko-Lokalität), soziale Konventionen, ein Gefühl für Mitgliedschaft und Grenzen und durch Interaktion, auch gewisse Formen der zeitlichen Kopräsenz - Merkmale also, die Dauerhaftigkeit begründen. Netzwerkgemeinschaften setzen voraus, dass ein dauerhafter Sinn für einen geteilten Raum / Ort artikuliert wird. Dieser Sinn für Nähe wird in der Regel durch sprichwörtliche Raummetaphern vermittelt, die räumliche Nähe vermitteln. Da Nutzer reale und virtuelle Räume bewohnen, ist ein Zeichenmanagement notwendig, das die Elemente (Personen, Praxen, Plätze) beider Räume miteinander verknüpft, also Kohärenz herstellt. Geteilte dauerhafte Räume erfordern räumliche Grenzen, sie strukturieren eine virtuelle Geographie, in der distinkte Orte den Raum aufteilen. Der Raum bietet auch eine Grenze für die geteilten Objekte. MUD`s bauen auf der Raumstruktur auf, erschöpfen sich aber nicht darin (sieh Kanalstruktur). Die Metaphern schließen an die Realwelt an, zum Beispiel ein MUD, das sich als Büro arrangiert und diesen Bezug recht spiegelbildlich wiedergeben sollte, also also Extension fungiert; ErholungsMUD`s dagegen bauen auf der Differenz zum RL auf. Es wird also nicht davon ausgegangen, dass technische und soziale Netzwerke deckungsgleich sein müssen, wie dies im Forschungsverbund "Individualisierung und Integration" formuliert wird. URL: http://soziserv.unibe.ch/ii/virt_d.htm.
55 Hier geht es um Chaos: ein Zustand, in dem alles möglich ist - wogegen im Zustand der Ordnung bestimmte Möglichkeiten ausgeschlossen, andere wahrscheinlich sind. Chaos als Zustand der Strukturlosigkeit - und die Gesellschaft als Versuch, ihr zu entrinnen. Ordnungen, die im Netz durch Ortsbesetzung und -Idenditätsbildung entstehen, sind extrem fragil: ihr sekundenschneller Zerfall durch technische Mißoperation ist ständig präsente Möglichkeit - Gesellschaftstod.
56 Die geschäftige Elaborierung virtueller Städte läuft auf Zerstörung der Metapher, also auf Imitation hinaus, s. Andy Smith, Martin Dodge, Simon Doyle: Virtual Cities on the World-Wide Web, http://www.plannet.co.uk/olp/vcity.htm
57 Das die Entfremdung vom politischen Raum reproduziert, wie das Beispiel der gov.news zeigt, die bislang weitgehend als Medium staatlicher Information praktiziert wird - durchaus entgegen der Absichten ihrer Gründer.
58 Entwickelt im Einzelnen als Zentrum-Peripherie-Verhältnis anhand der Vernetzung durch Links (als strategische Wahlen und Setzung von Kommunikationsagends) bzw. Zugriffsquoten bei Rainer Rilling: Internet und Demokratie, WSI-Miteilungen 3/1997, was im übrigen bei den Beteiligten zur ständigen Erneuerung der Einschaltquotenmentalität aus der TV-Welt führt. Dieser Frage des Mehr- oder Weniger geht voraus die Frage des drinnen oder draußen, vgl. Niklas Luhmann. Inklusion und Exklusion, in: Helmut Berding (Hg.): Nationales Bewußtsein und kollektive Idendität: Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins, Frankfurt Suhrkamp 1994, S. 15-45 sowie Clemens Knobloch: Kalt ausgesperrt. Neues über Inklusion und Exklusion, in: BdiP 4/1998, S. 473ff.


 

Begriff

hotbot

alta vista

Raummetaphern / Begriffe

   

space

5 012 946

4 835 621

cyberspace

472 091

303 968

page

29 117 952

25 940 256

home page

11 624 840

15 124 490

homepage

4 808 311

6 179 304

Bewegungsmetaphern / Begriffe

   

navigating navigate

529 046

449 536

surfing surf

774 933

713 381

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Lurking

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password

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1 208 211

Passwort

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Sozialmetaphern / Begriffe

   

information society

51 507

1 327 127

informationsgesellschaft

14 153

12 202

wissensgesellschaft

406

503

virtuelle gesellschaft

87

782

*

   

global village

50 656

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digital city

16 480

13 890

virtual community

26 140

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electronic community

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18 219

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digital community

1 359

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internet community

203 974

62 665

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182

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Internetgemeinde

312

313

virtuelle gemeinschaft

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257

digitale stadt

657

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electronic marketplace

30 600

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*

   

cyberpunk

33 539

24 022

digerati

7 378

3 642

user

6 710 453

4 393 223

Nutzer

27 574

32 577

netizen

18 711

20 287

*

   

Netiquette

58 712

24 012

Netikette

422

368

     

Politische Begriffe

   

electronic democracy

5 709

3 126

elektronische demokratie

108

80

freedom

1 186 078

869 596

democracy

398 376

281 277

Demokratie

21 721

20 402

Freiheit

42 249

39 683

Gleichheit

8 600

4 775

equality

242 948

161 578

     
   

Rilling 14.3.1998

 

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