I
Als vor gut zwanzig Jahren Ralph Dahrendorf
in seinem Band über "Die angewandte Aufklärung" einen kurzen
Abriß über die Bemühungen der amerikanischen Soziologie gab, die
Eliten, Oberschschichten oder -klassen ihrer Gesellschaft zu begreifen,
folgte er einem bis heute eingefahrenen Darstellungsmuster.
Er schilderte den Weg von Thorstein
Veblen's 1899 publizierter "Theory of the Leisure Class" über
die "Middletown"-Bände der Lynds und Lundbergs "America's
Sixty Families" aus den 30er Jahren bis hin endlich zu C.W.Mills
"Power Elite" von 1956 als "Verschiebung von der Klassen-
zur Elite-, ja zur Verschwörertheorie". Ein Irrweg also, den es
zugunsten eines empirischen Nachweises der Pluralität der Eliten zu
verlassen gelte.
Diese Rezeption war selektiv und parteilich
bereits bei der Schilderung der klassischen Kontroverse zwischen
elitistischen und pluralistischen Positionen in den 50er Jahren - mit
der wir heute kaum noch vertraut sind, während wir mit der Fortsetzung
dieser Kontroverse in den 70er und 80er Jahren meist noch nicht bekannt
sind. Hier zeigt sich womöglich ein soziologiehistorisch
überraschendes Faktum, will es doch scheinen, als ob die allseits
konstatierte, umfassend scheinende Beeinflussung der bundesdeutschen
Nachkriegssoziologie durch die Soziologie in den USA so total gar nicht
ist, vielmehr auf dem Feld der Elitenforschung es einiges an Rezeption
nachzuholen gilt. Wie sich dieses Feld entfaltet hat, soll im Folgenden
in einigen Umrissen skizziert werden - wobei es hier um einen ersten
Versuch geht.
II
Innerhalb der amerikanischen Soziologie der
Nachkriegszeit ist die kritische Elitenforschung oder - wie sie sich
später selbst nannte - die Machtstruktforschung fanfarenartig
und plötzlich zwischen den Jahren 1953 und 1956 erschienen in den
Büchnern von Floyd Hunter (Community Power Structure, 1953) und von
C.W.Mills (Power Elite, 1956). Sie tritt auf zu einem Zeitpunkt, wo, um
einer Skizze Blumbergs zu folgen, die amerikanische
Sozialstrukturforschung in zwei Lager gespalten war.
Auf der einen Seite stehen jene, die, so
die Terminologie Blumbergs, einer Theorie der Klassenkonvergenz
anhängen. Sie zelebrieren den materiellen Fortschritt, feiern die
Klassenstruktur des Nachkriegsamerika, deren Zukunft sie in der
Gleichheitsutopie einer Mittelklassengesellschaft der Konsumenten des
american way of life sehen. Überfluss und schwindende Armut, wachsender
Lebensstandard und der Wandel der Gesellschaftsstruktur zur
Dienstklassengesellschaft, in dem das Proletariat in der
White-Collar-Revolution verschwindet, kultureller Aufstieg und
Homogenisierung, Verbürgerlichung der Arbeiter, Zerfall der Klassen und
des Bewußtseins hierüber, endlich die Ausbreitung der politischen
Bürgerrechte - dies sind alles Momente jener soziologischen Ideologie
der Klassenkonvergenz, die in der Vorstellung kulminiert, dass sich alle
Gruppen und Schichten der amerikanischen Gesellschaft "nach
oben" bewegen, wobei die unteren Schichten schneller aufsteigen als
die höheren, so dass die Lücke zwischen ihnen sukzessiv geschlossen
wird. David Riesman' s The Lonely Crowd, William H.Whytes The
Organization Man, J.K.Galbraith' s Affluent Society und - etwas später
- D. Bells The End of Ideology sowie sein The Coming of Post-Industrial
Society, aber auch die Robert Nisbet, Peter Drucker, Irving Kristol,
Kurt Mayer, Raymond Aron und Harold Wilensky formen dieses Bild der
wachsenden Gleichheit, konzipieren ein Paradigma der Klassenkonvergenz.
Sie repräsentieren den Sozialoptimismus innerhalb der amerikanischen
Soziologie.
Jene, die dieser These mißtrauten und sie
ablehnten, behaupten, dass sich die Klassenunterschiede im
Nachkriegsamerika nicht verringerten. Ihnen gehören an etwa Suzanne
Miller, Frank Riesman, Herbert Gans, Richard Hamilton, Maurice Zeitlin,
Floyd Hunter. Ihr Credo könnte man das Paradigma der Klassenstabilität
nennen. Hiernach gilt für die amerikanische Nachkriegsgesellschaft,
daß alle Gruppen nach oben steigen - aber ungefähr mit derselben
Geschwindigkeit, so daß die höheren Schichten imstande waren, zwischen
sich und den unteren Klassen diesselbe Distanz zu wahren. Hunter und
auch Mills gehören zu dieser Gruppierung. Hunter gibt dem Feld der Power
Structure Research den Namen sowie eine neue Methode, wie man
Netzwerke der Macht entdeckt. Seine These, dass die kommunale Macht in
Atlanta in den Händen einer Gruppe von Unternehmern lag, verwirrte
zahlreiche Soziologen. Sie kritisierten die soziometrische
Reputationsmethode und konterkarierten sie - z.B. in R.Dahls Who Governs
- mit der sogenannten positionalen bzw. Entscheidungsmethode -
Verfahren, die wir heute aus nahezu allen Textbüchern der politischen
Soziologie kennen.
Während Hunters Buch Wellen schlug, teilte
Mills' Power Elite gleichsam das Meer. Allerdings stand auf der einen
Seite nahezu die gesamte akademische soziologische community, auf der
anderen Seite dagegen kaum jemand außer Mills selbst. Die Reaktion auf
seine Arbeit war scharf. Isoliert nicht nur in der Fakultät, sondern
auch in der Soziologie insgesamt, forderte Mills Theorie Liberale wie
Marxisten zugleich heraus. Die Methode des Identifizierens von
Positionen und der Konnexe zwischen ihnen galt ihm als Schlüssel zur
Erkenntnis des sozialen Inhalts von Macht.
Mills attackierte das Konzept der Ruling
Class, eine, wie es in einer Fußnote hieß, "ziemlich einfache
Theorie", die begrifflich vorwegnähme, was erst empirisch zu
erweisen sei, nämlich die politische Herrschaft einer sozialen bzw.
ökonomischen Klasse. Mills glaubte auch, dass dieses Konzept
außerstande sei, die "Autonomie der politischen Ordnung und ihrer
Vertreter" zu erfassen, insbesondere hinsichtlich der Rolle des
Militärs. Trotzdem hat Mills der Marxismus tief beeinflusst. Er war ein
sozialistischer Intellektueller, gleichwohl kein Marxist. Der Marxismus
leitete viele seine Fragen an - als Theorie, Methode, auch als
Herausforderung.
Das für die weitere Entwicklung zentrale
Problem, das Mills ' Arbeit aufwarf, war nicht der Nachweis der Existenz
institutioneller Eliten (denn das akzeptierten auch seine Kritiker),
sondern es war das, was man die doppelte Kohäsionsthese nennen könnte,
nämlich die Behauptung, dass Eliten in einzelnen Institutionen
miteinander eng verknüpft sind und diese institutionellen Eliten
zugleich zunehmend untereinander vernetzt sind. Diese Kohäsionsthese
wird zum Ärgernis der konkurrierenden pluralismustheoretischen
Positionen, die sich zeigten in den Kritiken von Dahl oder Truman, auch
Banfield. Freilich wurde erst 1967 mit dem Band von A.Rose, The Power
Structure. Political Process in American Society ein Versuch gemacht,
die nationale Machtstruktur der USA auf pluralismustheoretischer
Grundlage zu analysieren. Doch auch diese Arbeit vermeidet eine
Auseinandersetzung mit der Kohäsionsthese. Rose sieht auch davon ab,
einen Begriff von ökonomischer Elite zu entwickeln und behauptet
vorweg, die Elite sei plural strukturiert. In dieser Auseinandersetzung
exemplifiziert sich das Aneinander-Vorbeireden konkurrierender
Paradigmen, die sich auf je unterschiedliche Realitätsbereiche beziehen
und sich daher einander in der Argumentation verfehlen.
Weitaus beeindruckender ist die zweite
große Kritiklinie, die - von eher konservativem Zuschnitt - seit den
60er Jahren mit wachsender Materialfülle ausgestattet versucht
nachzuweisen, dass die amerikanische Gesellschaft zwar elitär
strukturiert sei, aber keineswegs eine elitäre, kohärente Power Elite
oder Ruling Class hervorgebracht habe. In den Arbeiten von Dye hat diese
Kritiklinie seinen prominentesten Repräsentanten gefunden. Allerdings
stützt sich sein Who's Running America? (1982) ebenfalls auf einen
methodischen Kniff: indem er die von Mills herangezogene Verflechtung
von Institutionen ignoriert zugunsten der natürlich weit niedrigeren
Verflechtung von personengebundenen Positionen, vermag er Mills Thesen
zurückzuweisen. Seine Arbeit liefert freilich eine exzellente
Datenfülle, die entsprechend der Kohäsionsthesen organisierbar ist. Am
Rande sei bemerkt, dass sich jene, die als Schüler Mills' gelten,
durchaus solcher Verschiebungen der Betrachtungsebenen entschlagen
haben; ein Beispiel dafür ist die Analyse New Havens durch Domhoff
(1978).
Auch wenn diese Auseinandersetzung sich nie
im Zentrum der amerikanischen Sozialstrukturforschung abgespielt hat, so
spiegelte sie gleichwohl zentrale Herangehensweisen innerhalb der
Strukturanalyse von Gesellschaft wider. Der klassische, in Textbuchform
dann oftmals kodifizierte Konflikt zwischen pyramidalen, elitistischen
und pluralistischen Gesellschaftskonzeptionen ist im Laufe der 60er
Jahre dann zunehmend irrelevant geworden. Die dann entstehenden
Kontroversen entstanden wiederum eher am Rande des soziologischen
Diskurses und waren erneut Diskussionen im außeramerikanischen Bereich
- nämlich der staatstheoretischen und politiksoziologischen Kontroverse
in verschiedenen europäischen Ländern - verpflichtet bzw. gingen von
diesen Kontroversen im wesentlichen aus.
Ein wesentlicher Anlaß der Diskussion war
Ralph Milibands "The State in Capialist Society" l969 .
MilIiband, ein enger Freund von Mills, lehnte die These von der
Machtelite ab und setzte ihr das Konzept einer herrschenden Klasse
entgegen, was ja dann 1969 und 1970 unter anderem von Balbus und
Poulantzas scharf kritisiert wurde.
Die Elaborierung des Gedankens von
Poulantzas, wonach eine direkte Teilhabe von Angehörigen der
bürgerlichen Klasse an der Politik nicht nur nicht nötig sei, sondern
auch die Konstitution eines allgemeinen Klasseninteresses und seine
politische Realisierung geradezu verhindere, die Ausarbeitung dieses
Gedankens also bei O'Connor und Claus Offe ist für die weitere
Entwicklung der Machtstrukturforschung und Klassenanalyse in den USA von
großer Bedeutung gewesen. Die Gruppen um die internationale Zeitschrift
Kapitalistate -insbesondere diejenige in San Francisco - entwickelte
eine Klassifizierung der marxistischen Staatsanalysen in
"instrumentalistische" und "strukturalistische", (so
vor allem der Aufsatz von Gold, E.O.Wright und anderen im "Monthly
Review" 1975/76), wobei die erstere als ökonomistisch und
soziologistisch gleichermassen charakterisiert wurde - eine
Unterscheidung und Bezeichnung nebenbei, die Poulantzas wenig später
kritisierte.
Die instrumentalistische Variante wurde als
besonders krude, verschwörungstheoretische Variante eines dogmatischen
Marxismus gekennzeichnet - was etwas überraschend war, wurde dieses
Feld doch von einem radikalen Strukturfunktionalisten, nämlich Hunter,
und einem radikalen Weberianer, nämlich Mills begründet, der das
Konzept der herrschenden Klasse mit dem Hinweis zurückgewiesen hatte,
dass es die Autonomie von Politik nicht zureichend fassen könne.
Die Machtstrukturforschung setzte die
Abarbeitung am Kohäsionsproblem, die Mills begonnen hatte, seit Anfang
der 60er Jahre, vor allem aber dann in der zweiten Hälfte der 70er
Jahre mit gewachsener Intensität fort, als neben die Auseinandersetzung
mit der liberalen Elitensoziologie auch der Wettbewerb mit der
strukturalistischen Staatsanalyse trat. Es waren hier vor allem die
Arbeiten von William Domhoff und Maurice Zeitlin und ihren Schülern,
etwa Michael Useem (Boston), Beth Mintz, Micheal Schwartz, Michael Soref,
Ratcliff, Whitt, u.a. Sicherlich ist es problematisch, diese Richtung
sei es als instrumentalistisch, sei es als marxistisch zu bezeichnen.
Sie teilt sicherlich zunächst mit C.Wright Mills die Ambiguität des
Schwankens zwischen liberalen, gruppensoziologisch geleiteten
Eliteanalysen und klassentheoretisch fundierten Konzeptionen und ist
insofern trotz des auch theoretischen Weitertreiben dieses Ansatzes vor
allem durch Domhoff eher in einen Zwischenbereich einzuordnen, wobei
natürlich aufgrund einer solchen Situation in einem Spannungsfeld
zwischen zwei übergreifenden Paradigmen einzelne Vertreter dieses
Ansatzes sich auf unterschiedliche Traditionen stärker berufen, so z.B.
Maurice Zeitlin der vielleicht am deutlichsten seit 1974 mit seinen im
American Journal of Sociology publizierten Arbeiten über die
Klassenfraktionierung in Chile einen klassentheoretischen Ansatz
verpflichtet ist. Generell zeichnet sich dieses spezielle
Forschungsprogramm dadurch aus, dass es sich um eine, zum Teil auch
politökonomisch fundierte, soziologische Identifizierung des Subjekts
sozialer und politischer Herrschaft bemüht und insofern ökonomistische
bzw. politizistische Problemreduktionen vermeidet.
Auch deren Art und Weise der soziologischen
Analyse als instrumentalistisch zu charakterisieren ist sicherlich
übertrieben, wenn auch nicht vollständig unzutreffend. Dieser Anwurf
trifft insofern, als die Machtstrukturforschung die empirisch
nachweisbare Involvierung von Angehörigen der kapitalistischen Klasse
oder der upper class in die Entstehung und/oder Durchsetzung von
Politiken als zwingende Voraussetzung dafür ansieht, daß diese Politik
einen spezifischen sozialen - z.B. kapitalistischen - Inhalt erhält.
Sie teilt daher nicht den Gedanken, daß ein solcher Politikinhalt in
einer Weise auf eine objektive Interessengrundlage bezogen sein kann,
die ein unmittelbares Eingreifen von Angehörigen der kapitalistischen
Klasse erübrigt.
Die zweite, strukturalistische Tradition
der Untersuchung von sozialer Klasse und Herrschaft ist in ihrer
Entwicklung und Problemformulierung stark von europäischen,
insbesondere auch deutschen Diskussionen beeinflusst gewesen. Sie hat
bisher kaum Versuche einer sozial- oder klassenstrukturanalytischen
empirischen Identifizierung politischer Prozesse und Strukturen
hervorgebracht. Eine, allerdings ausserordentlich bemerkenswerte
Ausnahme sind die Arbeiten von Erik Olin Wright, dessen Arbeiten zur
amerikanischen Klassenstruktur im letzten Jahrfünft beispiellos sind,
dessen Augenmerk aber - wiederum typischerweise - nicht auf einer
Strukturanalyse der amerikanischen Bourgeoisie liegt, der er für
statistisch insignifikant und daher nicht analysierbar hält.
III
Beide Ansätze stehen in der Tradition der
kritischen Theorie der amerikanischen Gesellschaft. Das disziplinäre
und allgemein-weltanschauliche Milieu, in dem sie sich in den 70er
Jahren entwickelten, ist durchaus verschieden von dem der 50er Jahre.
Die damals, wie skizziert, herrschenden Theorien der Klassenkonvergenz
und Klassenstabilität teilten, so verschieden sie auch sonst waren,
eine Prämisse: nämlich die Annahme, dass der absolute Lebensstandard
in den USA gestiegen sei und ein Ende dieser Tendenz nicht abzusehen
sei. Diese, die gesamte Nachkriegsepoche des Nachdenkens über die
Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft dominierenden zwei Theorien
mussten spätestens Anfang der 70er Jahre zwei neuen Theorien Platz
machen , die ich hier Theorien der Klassenstagnation bzw. der Klassendivergenz
nennen will.
Sie reflektieren den sehr einfachen und
grundlegenden Tatbestand, daß seit nunmehr 13 Jahren der Lebensstandard
der amerikanischen Bevölkerung stagniert. In diesen Konzeptionen
spiegelt sich der Zusammenbruch des Sozialoptimismus in Sachen
Gleichheit wider, es gibt keinen Glauben mehr daran, dass der Aufstieg
der amerikanischen Bevölkerung auf der ökonomisch-sozialen Leiter
endlos sei. Und immer deutlicher gewinnen sogar Annahmen innerhalb der
Sozialstrukturforschung Raum, die davon ausgehen, daß innerhalb der
stagnativen Tendenz sich eine wachsende Lücke zwischen den Schichten
und Klassen herausbildet, so daß die soziale Ungleichheit ausgerechnet
in dem Lande wächst, von dem einst Heine sagte, daß es von
"Gleichheitsflegeln" bevölkert sei. Eine zentrale Komponente
dieser Entwicklung ist das immer deutlicher werdende Hervortreten und
Sichtbarwerden der oberen Gruppen der Gesellschaft. Sie beginnen
zumindest für einen Teil der amerikanischen Soziologie in einer bislang
noch nicht da gewesenen Weise zum Thema zu werden.
Damit aber werden Voraussetzungen dafür
geschaffen, daß auch innerhalb der Mainstreamsoziologie der USA
zunehmend Abschied genommen wird von dem, was Robert K. Merton einmal
die "sozial akzeptablen Pseudo-Tatsachen" der Soziologie
genannt hat. Ich denke dabei zunächst einmal an jene allen vertrauten
zwei Pseudotatsachen, die in der unmittelbaren Nachkriegsperiode eine
große Rolle spielten. Daniel Bell hat 1961 in seinem "The End of
Ideology" vermerkt, dass "in den letzten 75 Jahren die
etablierte Beziehung zwischen dem Eigentum- und dem Familiensystem
zusammengebrochen ist". Der Familienkapitalismus, der, so Bell,
"der soziale Zement des bürgerlichen Klassensystems gewesen ist,
sei zusammengebrochen". Und er erklärte an anderer Stelle fast zur
selben Zeit: "...es gibt die "Sixty families
ofAmerica"(Lundberg) nicht mehr. Die politische Hauptkonsequenz ist
der Zusammenbruch der herrschenden Klasse" in den USA. Der zweite
Pseudofakt war, in der Formulierung von Pitirim Sorokin l953, die These,
daß "die kapitalistische Klasse...in die Managerklasse verwandelt
worden (ist)", oder, in den Worten von Talcott Parsons zur selben
Zeit: "Wir können eindeutig nicht mehr länger von einer
kapitalistischen Eigentumsklasse reden, eine "ruling class"
hat innerhalb der amerikanischen Gesellschaft keine hervorgehobene
Position mehr". Der Soziologe Parsons diagnostizierte hier dasselbe
Verschwinden der Klassenunterschiede, das auch - mit modernisiertem,
aber nachdrücklichem Engagement - Susa Ostrander bei ihrer Befragung
amerikanischer Upper-Class-Women von einer ihrer Gesprächspartnerinnen
zu hören bekam: "I hate the term upper class. It`s so non-upper
class to use it. I just call it "all of us", those of us, who
are well-born. I wouldn`t classify anyone as upper class, just as
productive, worth-while people...I hate to use the word "class".
We`re responsible, fortunate people, old families, the people, who have
something."
Beide, ja so plausible und ehrwürdige
Thesen vom Zusammenbruch des Familienkapitalismus und der Transformation
der kapitalistischen Klasse in eine Regime der Manager sind im Licht der
empirischen Forschungsergebnisse der Machtstrukturforschung im Verlauf
der letzten 15 Jahre zumindest in einem hohen Maße zu relativieren und
können auf keinen Fall jene gesellschaftstheoretische Reichweite mehr
beanspruchen, die man ihnen in den 30er bis 60er Jahren zugedacht hat.
Die Ausdifferenzierung der Power Structure Research geschah über die
kritische Abarbeitung an diesen zwei Pseudofacts zwischen Anfang der
60er und Anfang der 70er Jahre.
Bekanntlich hatten Berle und Means in ihrem
1932 erschienenen " Modern Corporation and Private Property"
die These aufgestellt, dass 65 % der 200 grössten amerikanischen Firmen
mittlerweile vom Management kontrolliert seien. Sie hatten daran eine
Reihe weitreichender Schlußfolgerungen geknüpft, daß etwa
Familienbesitz irrelevant werde, daß Eigentum und Kontrolle getrennt
würden, daß die Selbstfinanzierungsquote der Unternehmen nicht zuletzt
auch aufgrund einer neuen Situation und Motivation der Manager steigen
werde und damit die Unternehmen der Bankkontrolle entzogen würden, so
daß es sukzessiv zu einer Auflösung der Interessengruppenstruktur und
letztlich auch der Klassenstruktur komme. Diese Analyse und
Schlußfolgerung ist von der Soziologie sehr lebhaft als Belegstück
für die Annahme des Verschwindens der bürgerlichen Klasse aufgenommen
worden und spielte innerhalb der Sozialstrukturforschung eine weit
größere und dauerhaftere Rolle als etwa in der Bundesrepublik die
vergleichsweise Diskussion, die im wesentlichen auf die frühen 50er
Jahre beschränkt war. Was uns gleichsam als betagte Reminiszenz
bundesdeutscher Soziologiefrühgeschichte erscheint, ist innerhalb der
amerikanischen Soziologie erst seit Mitte der 60er Jahre schrittweise
kontrovers geworden.
Im Gesamtzeitraum der letzten 40 Jahre sind
mindestens 12 großangelegte, allerdings nur begrenzt vergleichbare
Studien über die Kontrolle von amerikanischen Großunternehrnen
durchgeführt worden - mit sehr unterschiedlichen Resultaten. In der
Hälfte der Studien werden 1/5 bis 2/5 der Unternehmen als
managementkontrolliert charakterisiert, 3 Studien geben an, daß 1/5 bis
1/2 dieser Firmen als familienbeherrscht anzusehen seien (bzw. als
eigentümerkontrolliert). Larners Nachfolgestudie der Arbeit von Berle -
Means von 1972 gibt an, daß sogar mehr als 2/3 der amerikanischen
Großunternehmen managementkontrolliert seien. Eine letzte Studie von
1961 dagegen gibt an, daß 3/5 keine derartige Kontrolle durch das
Management aufweisen. Zeitlin hat im übrigen in den 70er Jahren
gezeigt, wie oberflächlich Berle - Means 1932 vorgegangen waren: nur
für 22 % der damals untersuchten 200 Firmen und sogar nur für 3.8 %
der analysierten Industrieunternehmen bringen sie nachgewiesene Daten
bei, der Rest ist Schätzung.
Rund ein Dutzend Studien sind dem
Zusammenhang von Reproduktion und Eigentumsform bzw. Kontrolltypus
nachgegangen. 4 Studien haben leicht höhere Profitraten für Firmen,
die unter Kontrolle der Eigentümer standen gezeigt, 9 andere Studien
haben keinen Zusammenhang zwischen Kontrolltypus und Profitraten
nachgewiesen. Motivationsstudien, Bewußtseinsanalysen, Untersuchungen
der Einkommensverhältnisse etc. haben ausreichend Zweifel an der These
der Distinktheit dieser Gruppe gegenüber dem, was als kapitalistische
Klasse bestimmt werden könnte, geweckt. Dennoch muss darauf hingewiesen
werden, daß die Entstehung der These von der Managerrevolution eben
auch Anhaltspunkte in der ökonomischen Realität der 30er Jahre hat,
ist doch mittlerweile aus Analysen der Verflechtungen zwischen
Vorstände bzw. Direktionen der größten amerikanischen Unternehmen
bekannt, daß auch im Zusammenhang mit dem Formwandel des amerikanischen
Kapitalismus zwischen 1895 und l910 und der bis 1925/30 dauernden
sukzessiven Abdankung der Gründergeneration des Industriekapitalismus
genau in den 30er Jahren die Bedeutung des Managements erstmals in der
Geschichte des amerikanischen Kapitalismus schlagartig wuchs, was sich
u.a. am schnellen Absinken der positionellen Verflechtung zwischen
einzelnen Unternehmen (interlocking directorates) ausdrückte. Nicht zur
Kenntnis genommen worden ist allerdings, daß seit 1935 die Zahl dieser
Verflechtungen wieder größer wird, was als Zuwachs von
Außenseiterkontrolle über Familien, insbesondere aber auch Banken -
interpretiert
werden muss. Im übrigen zeigen die Ergebnisse verschiedener
soziologischer Studien aus den 80er Jahren z.B. zum
Organisationsverhalten von Managern, ihrer Qualifikationsstruktur,
Heiratsverhalten, Freizeitverhalten, usw. daß diese Gruppe keine
distinkte Klassenkategorie ist.
IV
Zu einem zweiten Problem. Einer der
führenden sozialwissenschaftlich gebildeten Journalisten der USA,
Andrew Hacker, hat vor einiger Zeit in dem Magazin "New York Review
of Books" die Frage gestellt "Who rules America?" und
stellte dabei u.a. fest: "Und wenn sich auch ihre Pfade zweifellos
im Laufe der Zeit kreuzen werden, so sind unsere Top-Manager doch nicht
in einer Weise aneinander gebunden, daß sie eine kohäsive Kultur
herausbilden." Es geht also um soziale, ökonomische, politische,
ideologische und kulturelle Kohäsion.
Hat ein Poulantzas 1973, vor zehn Jahren,
Recht gehabt, als er formuierte "Die Bourgeoisie sei unfähig,
über ihre eigenen organisatorischen Mittel ihre besonderen Interessen
in allgemeine, d.h. politische Interessen zu transformieren'? Trifft zu,
was Offe in zahlreichen Aufsätzen formulierte, daß es des
Tätigwerdens des Staates bedürfe, um die allgemeinen Klasseninteressen
des Kapitals von den fragmentierten, kurzfristigen Sonderinteressen der
einzelnen Kapitale zu befreien, oder noch zugespitzer formuliert: gibt
es überhaupt Anlaß, von einer Klasse zu sprechen? Von einer in sich
kohärenten bürgerlichen bzw. kapitalistischen Klasse? Welche innere
Struktur weist dann diese Klasse auf und welcher Mechanismus stellt
Kohäsion her oder ist diese von vorneherein gegeben? Und generiert
schließlich ökonomische und soziale Kohäsion auch - etwa
organisatorisch vermittelt - ideologische und politische Einheitlichkeit
in der Vielfalt der Einzelinteressen?
Das Neue scheint mir zu sein, daß im
Verlauf des letzten Jahrzehnts der Versuch unternommen wird innerhalb
der amerikanischen Machtstrukturforschung, politischen Soziologie und
Sozialstrukturanalyse, mit den Methoden der Positionsanalyse, teilweise
auch der Erforschung von Reputations- und Entscheidungsmustern, sowie
der Netzwerkanalyse (kurz: mit einigen Mitteln der empirischen
Sozialforschung) erste Umrisse einer solchen Gruppe zu zeichnen.
Diese Forschung war und ist neu. Zuvor
waren wohl auch in den USA, wie Nicolaus 1968 auf einer Plenarsitzung
der ASA sagte, "the eyes of Sociologists (have been) turned
downwards, and their palms upward." Diese Hinwendung reflektiert
unterschiedliche Verarbeitungsweisen wachsender - und vor allem:
offenbar weithin sichtbarer! - sozialer Ungleichheit. Dabei ist die
Verkehrung der Positionen offenbar, verdiente aber eine detaillierte
Analyse, die hier nicht gegeben werden kann: sahen die einstigen
Theoretiker der Klassenkonvergenz die Oberschichten als verschwindendes
Material zukünftiger Gesellschaftsgleichheit, so plädieren diesselben,
heute neokonservativ geheißenen Sozialwissenschaftler für den
vielfältigen Sinn sozialer Ungleichheit und der darin eingeschlosenen
Elitenstruktur. Hier könnte es sich um eine der interessantesten
Trendwenden in der Sozialstrukturanalyse der Nachkriegszeit handeln. Auf
der anderen Seite ist innerhalb des liberalen, radikalen oder
marxistischen Spektrums der Gesellschaftsstrukturanalyse dem Trend zur
Entökonomisierung und sogar Entsoziologisierung, wie er für Teile
zumindest der westdeutschen Analyse des gesellschaftlichen Subjekts
typisch gewesen ist, kaum zum Durchbruch gekommen. Erste Ansätze auch
begrifflich differenzierter Herangehensweisen sind ausgearbeitet worden.
Im einflussreichsten Konzept - jenem Domhoffs - wird versucht, dass was
man bürgerliche Klasse nennen könnte (Domhoff verwendet diese
Kategorie freilich praktisch überhaupt nicht), als "upper class"
zu fassen und über die Ermittlung einer Reihe sozialer Merkmale
empirisch zu erfassen. Die Kapitalistenklasse (corporate elite) ist ihr
ökonomischer Bestandteil mit einer "inner group" als
dominanter Schicht, aus der sich die entscheidenden Mitglieder der
"power elite" rekrutieren, die als "leadership group"
oder "operating arm of the ruling class" charakterisiert wird.
Im Ergebnis wissen wir heute über die
amerikanische upper class, die power elite, vielleicht sogar über das
amerikanische Bürgertum weit mehr als über entsprechende soziale
Gruppen in den europäischen kapitalistischen Gesellschaften. Dabei muss
allerdings nochmals daran erinnert werden, wie atypisch die
Vernachlässigung dieses Sujets in der soziologischen Analyse des
politischen Systems und in der Klassen- bzw. Sozialstrukturanalyse der
BRD ist. In England, in Frankreich, in Italien und auch in den
nordeuropäischen Ländern (nicht zu vergessen ist auch Kanada!) sind
vor allem seit Mitte der 70er Jahre eine ganz bemerkenswerte Vielzahl
von Analysen der Oberschichten und -klassen erschienen, denen in der BRD
fast nur die Studien im Umfeld der Mannheimer Schule gegenüberstehen,
die - ungeachtet ihrer bemerkenswerten, freilich auch nicht
unproblematischen empirischen Resultate - aufgrund ihrer Verhaftung in
einer speziellen Theorie kaum ausreichen.
Daher scheint es mir an der Zeit, dass die
Sozialstrukturforschung, Elitensoziologie und Herrschaftssoziologie etwa
in der BRD, nachdem wir durchaus von einer Befruchtung von Teilen der
amerikanischen politiktheoretischen Diskussion in den 70er Jahren durch
die westdeutschen Arbeiten sprechen können, sich nunmehr stärker als
bisher bemüht, die Ergebnisse, Verfahren und Interpretationen
kennenzulernen, die jenseits des Atlantik erarbeitet worden sind.
Eine der verfeinertsten, zugleich wohl auch
gängigsten Methoden zur Bestimmung des Umfangs und der inneren sozialen
Kohärenz der upper class bzw. der corporate elite ist mittlerweile die
Untersuchung der "interlocking directorates" zwischen
Wirtschaftsunternehmen geworden. Die Vorstände der Firmen umfassen
durchschnittlich 12-13 Positionen, man trifft sich rund 10mal im Jahr
jeweils 2-3 Tage - eine relativ hohe Interaktionsdichte also. Die bisher
vorliegenden Ergebnisse von ungefähr zwei Dutzend Studien der 500-1000
grössten Firmen der USA seit Ende der 60er Jahre zeigen, daß über
diese Positionen alle großen Unternehmen in direktem oder indirektem
Kontakt verknüpft sind. So waren zum Beispiel Ende der 60er Jahre von
den 797 größten US - Firmen, die in der bekannten Liste des
Wirtschaftsmagazins "Fortune" aufgeführt wurden, mehr als 90
% der 8 600 Direktorpositionen miteinander verknüpft und wir können
aufgrund der Resultate der neuen Untersuchung von Mizruchi, welche die
Entwicklung der "interlocking directorates" der 167 größten
amerikanischen Unternehmen zwischen 1904 und 1974 analysierte, davon
ausgehen, daß rund 80 % dieser Firmen kontinuierlich verknüpft sind,
keine Auflösungs- oder Abschwächungstendenz dieser Verknüpfungen
festgestellt werden kann und sich insgesamt die Anzahl der miteinander
vernetzten Positionen nicht verändert hat. Offenbar also existiert hier
für ein entscheidendes Segment der kapitalistischen Klasse ein
zumindest nationaler (wenn nicht internationaler), stabiler, und im
Umfang begrenzter organisatorischer Unterbau von
Klassenvergesellschaftung vor. Hierzu liegen m. W. für die BRD weit
weniger zuverlässige, insbesondere auch kaum historische Studien vor.
Kohäsion entsteht auch auf der Ebene
formeller Assoziation und informeller Interaktion insbesondere in
Vereinen und Clubs. Hier sind die Arbeiten von William Domhoff und - als
Pionier - Baltzell von unschätzbarem Wert. Hier ist ein ganz
beträchtliches Maß an Phantasie entwickelt worden bei dem Versuch, die
in Organisationen kristallisierten Unterschiede ausfindig zu machen, in
denen das Bürgertum sein distanziertes und selbstsicheres, auf der
Freiheit von ökonomischem Zwang beruhendes Verhalten verwirklicht.
Phantasie nebenbei bei dem Aufspüren sozialer Unterschiede, die mir
abging, als ich in Vorbereitung auf einen Amerikaaufenthalt vor einiger
Zeit in einem amerikanischen Dissertationskalalog mit Befremden las,
daß eine amerikanische Dissertation von Adrian, 1971 verfasst, sich mit
der sozialen Zusammensetzung des Philadelphia Orchestra befasste. Dies
lies mich mit typischer linker Voreiligkeit mal wieder zweifeln an
der gesellschaftlichen Relevanz und Nützlichkeit der amerikanischen
Sozialwissenschaft. Wenige Monate später, als ich diese Dissertation in
der Kongressbibliothek in der Hand hatte, musste ich feststellen, dass
das Board of Directors dieses Orchesters gleichsam ein Index für
upper-class-Mitgliedschaft, der sozialen Prestigestruktur und
Exklusivität in Philadelphia, bekanntlich einer der ältesten
amerikanischen Städte, war. In diesem Sinne sind mittlerweile eine
ganze Reihe von geradezu detektivischer Fallstudien erarbeitet worden,
die allerdings keineswegs entlarvend voyeuristisch einher kommen,
sozusagen Dächer abdecken und dem staunenden Leser das Geheimnis der
häuslichen Initimitäten der Rockefellers, Fords und Denver-Clans
vorführen. Eine besondere Rolle spielen hierbei die Analysen von
Domhoff, Mills, Baltzell, die als Ausgangspunkt ihrer Analyse auf den ''Social
Register" zurückgriffen, eine Art "Guide Michelin" der
amerikanischen upper class - ein Verzeichnis also, das die Prominenz 12
amerikanischer Großstädte verzeichnet und Anfang der 70er Jahre rund
38 000 Familien mit über 108 000 Personen umfasste. Man kann davon
ausgehen, daß zwischen 2/3 und 4/5 der amerikanischen kapitalistischen
Klasse und ihrer am engsten aggregierten Gruppen in diesem
unschätzbaren Register aufgeführt werden, was viele Soziologen
veranlasste, den Begriff der "upper class" an die Stelle des
akademisch anstössigeren Terminus "capitalist class" zu
setzen. Das "social register" (das nebenbei gegenwärtig
erstmals auf nationaler Ebene aufgebaut wird) umfasst rund 0,5 % der
amerikanischen Bevölkerung und ist ein Schlüssel für die Ermittlung
zahlloser Verflechtungsmuster geworden.
Studien über soziale Clubs - regionale und
überregionale zeigen ein ganz erstaunlich hohes Maß an sozialer
Kohäsion und Interaktion der upper class; auf der einen Seite zwischen
der der Wirtschafts- und politischen Elite (was hier nicht interessieren
soll), auf der anderen Seite zeigen sie die Herausbildung einer Struktur
sozialer Kontakte auf nationaler Ebene über das Clubwesen. (Am Rande
sei bemerkt, daß wir überhaupt nichts wissen in welchen Clubs -
Sommerclubs, Winterclubs und Ferienresidenzen unser deutsches Bürgertum
sich zusammenfindet). William Domhoff hat herausgefunden etwa, dass 673
der 797 bereits erwähnten grössten US-Formen des Jahres l969 in einem
der 15 bedeutendsten amerikanischen Clubs vertreten waren, daß, um es
zuzuspitzen, gemeinsam Mitglieder in diesen 15 Clubs waren 25 der 25
größten Industrieunternehmen, 25 der 25 größten Banken der USA, 23
der 25 größten Versicherungskonzerne, 24 der 25 größten
Transportunternehmen, 24 der 25 größten Dienstleistungsunternehmen
sowie 18 von 25 der größten amerikanischen Konglomeratsfirmen. Ein
Beispiel für die Bedeutung dieser Clubs ist der Bohemian Grove Club am
Russian River bei San Francisco, ein Feriendomizil, in dem ein Drittel
der 800 größten Unternehmen der USA durch mindestens ein führendes
Mitglied vertreten ist. Es sind dies Konsensfindungseinrichtungen und
Einrichtungen der Vergemeinschaftung, keineswegs Entscheidungsgremien
oder eine unabhängige Machtbasis. Wie diese Clubs funktionieren, wissen
wir freilich kaum. Sie sind der Analyse nicht zugänglich. Nicht umsonst
steht am Eingang des Bohemian Grove eine überlebensgroße Holzfigur des
Heiligen Sankt Nepomuk - und er hat den Finger vor den Lippen und
gebietet Schweigen.
Hier sei am Rande vermerkt, daß derartige
Formen der Geselligkeit durchaus ihre spezialisierte öffentlichkeit
haben - zum Beispiel schlicht und einfach auf den Frauenseiten der
Presse. Sie gehören zu den wichtigsten Seiten, wenn es darum geht, die
soziale Macht im Lande zu verstehen und sie sind die einzigen Seiten in
der Zeitung, die uns vermelden, wie oft und intensiv sich jene treffen,
trinken, Kulturgenüssen nachgehen, modische Distinktionen schaffen,
ostentativen, Distanz und Unterschied betonenden, also Klasse
verleihenden Akten der Vergeudung oder Askese (wohl aber doch meist des
zweckfreien, formbetonenden Luxus) nachgehen und dabei ständig ihre
gesellschaftlichen Verhältnisse reproduzieren. Die Frauenseite hat
Domhoff zu Recht ein Fenster zur herrschenden Klasse genannt - nur
schauen die Soziologen recht selten durch. Überhaupt will es scheinen,
als ob der Zugang über öffentliche, freilich auf sehr kleine
Öffentlichkeiten spezialisierte Medien durchaus gegeben ist. Weithin
unterschätzt und soziologisch kaum erfasst ist andererseits das Maß
exklusiver Privatheit bürgerlicher Lebensführung: von der Geburt in
Privatkliniken, dem Aufwachsen im Hause oder privaten Kindergärten bzw.
Vorschuleinrichtungen, dem Besuch privater Schulen etc. bis hin zum
privat inszenierten Tod und Begräbnisritual liegt hier ein Modus der
Vergesellschaftung vor, der - so scheint es mir - in unterschiedlichen
Gesellschaften (mit vergleichbarer ökonomischer Austattung, Struktur
und Funktionsweise) des Gegenwartskapitalismus äußerst verschieden
ist. Hier ist von dem französischen Soziologen Bourdieu seit Jahren
ganz wesentliche Vorarbeit geleistet worden, die darauf abzielt, über
die - auch von amerikanischen Soziologen analysierte - Statuszuweisung
durch Ausbildung und die familiale Einübung der feinen Unterschiede -
hinaus solche Formen der Generierung sozialer Distinktion in zentralen
Sphären der Lebensweise (Sport, Kleidung, Ernährung, Kunstgenuss) zu
ermitteln, die Exclusivität, Seltenheit begründen. Grund hat dieser
Vorgang im Einsatz wirtschaftlicher Macht als Methode, sich der Not und
dem Zwang des Ökonomischen gegenüber Distanz zu schaffen, sich vom
rohen und brutalen Zwang der Verhältnisse frei zu machen, dem der
"kleine Mann" unterliegt, eine Distanzierungsfähigkeit von
der Welt des Notwendigen zu schaffen, die sich im demonstrativen
bürgerlichen Luxus ebenso ausdrückt wie in der Askese als bewußt
auferlegter Selbstbeschränkung, letztlich sich zusammenfasst im
zwanglos-selbstsicheren Lebenshabitus.
Diese, durch Verfügung über Reichtum bzw. Kapital abgesicherte Distanz
zur Not(-wendigkeit) befähigt zur privaten Aneignung exklusiver,
seltener Güter, Räume, Symbole und Werte. Konkurrenz und Konflikt
innerhalb dieser Elitengruppen und gegen jene, die in der
Gesellschaftshierarchie untere Plätze einnehmen, gehen heute mehr denn
je um die exklusive Kontrolle des Seltenen, Erlesenen, dadurch den
Unterschied begründenden und betonenden, somit buchstäblich Klasse
verleihenden - seien es ein Millionenappartement, ein Weinjahrgang, ein
Monopol auf Hartfaserplatten oder die exzellenteste Form von Macht: die
Beherrschung der Zeit vermittels der Dinge, die nur im Laufe der Zeit,
mit ihr, erworben werden können. Soziale Ungleichheit meint also, das
eine soziale Klasse oder Gruppe aufgrund ihrer Stellung im System der
Produktion und Aneignung es vermag, Güter, Räume, Symbole, Werte,
Zeit, gesellschaftliche Praxen sich exklusiv anzueignen und ihnen erst
dadurch die Eigenschaft sozialer Seltenheit oder Singularität zu
verleihen, vermittels derer wiederum gesellschaftliche Macht begründet
und ausgeübt zu werden vermag. Soziale Gleichheit dagegen meint
Aufhebung nötigender Verhältnisse und Sicherung allgemeiner
Zugänglichkeit und Aneignung von Gütern, Raum, Zeit,
gesellschaftlicher Praxisweisen. Die Analyse der sozialen Ungleichheit,
wie sie in der Existenz von gesellschaftlichen Oberklassen und Eliten
sich ausdrückt, geht also weit über die reduzierten Dimensionen von
Class, Stattus und Power hinaus, die in den gängigen Strukturanalysen
erfasst werden.
V
Eine abschließende Frage soll dem
klassischen Problem der inneren Struktur der upper class gelten.
Die Etikettierungen sind hier ebenso
zahlreich wie vertraut. Danach zerfalle die upper class in Blaublütige
und Neureiche, in "neues" Öl und "alten" Stahl, in
die WASP und die Juden, den Nordosten und den Sunbelt, Yankee vrs.
Cowboy, Zivilindustrie vrs. Military Industrial Complex usw. - doch all
dies hat wenig Fundierung und es ist, vor allem was die letztgenannte
Theorie betrifft, doch weithin oberflächlich, weil es an vergleichbaren
Abgrenzungen von anderen Komplexen fehlt. Soziologische Strukturanalysen
des Militär-Industrie-Komplexes sind ohnehin die Ausnahme und fehlen
vollständig für den Zeitraum seit Anfang der 70er.
Die Untersuchungen der inneren Differenzierungsprozesse der
amerikanischen upper class laufen immer deutlicher auf die Kernfrage
hinaus, inwieweit diese in ihrem Zentrum durch Kerngruppen beherrscht
wird, die strukturell eng integriert sind; distinkte soziale Merkmale
tragen; vereint im Verfolg ihrer politischen bzw. ökonomischen Ziele
sind und insbesondere vermögen, über die genannten Mechanismen der
Vereinheitlichung hinaus als Faktor herrschaftlicher Integration zu
fungieren. Anhaltspunkte für die Existenz einer solchen dominierenden
Schicht oder Kerngruppe, also einer Achsendifferenzierung entsprechend
der Integration von Klasseninteressen werden seit Mitte der 70er Jahre
in der Machtstrukturforschung und Elitensoziologie zusammengetragen.
Dabei geht es um die "inner group research" und den "interest
group approach", die sich beide als spezifische
Forschungstraditionen und -programme ausdifferenziert haben.
Das Hauptergebnis dieser zahlreichen
Untersuchungen lässt sich in der Feststellung zusammenfassen, daß
jene, die überdurchschnittlich Direktionspositionen in
unterschiedlichen Firmen (3-4 oder mehr) tragen (im Masstab der 500
größten Firmen rund 800-2000 Personen der - nach Useem - rund 200-300
000 Mitgliedern der nationalen Wirtschaftselite)
+ überdurchschnittlich aus Business-Familien kommen
+ selbst reich sind oder aus vermögenden Familien kommen
+ sich kennen
+ Mitglieder exklusiver Clubs und Residenzen sind
+ weit überdurchschnittlich sichtbar sind
+ nahezu ausschließend die Positionen in den Verbandsführungen und
auch politischen Organisationen einnehmen
+ weit überdurchschnittlich aus dem Finanzbereich kommen.
Diese Identifizierung einer derartig
eigenartig klassenzentralen Gruppe auf dem Wege der Untersuchung von
Familienbeziehungen, Vergesellschaftungsweisen, Organisationsverhalten
und ökonomischen Verflechtungen bedarf sicherlich dringend der
Ergänzung.
1. Mit Ausnahme einer Analyse von Useem ist
bislang kaum Material zur Entwicklung des gesellschaftlichen,
insbesondere politischen Bewußtseins dieser klassenzentralen Gruppe
vorgelegt worden. Bislang konnte der Nachweis distinkter Wert- und
Normorientierungen für diese Gruppe nicht geführt werden.
2. Dieser Ansatz bedarf der Ergänzung durch historische Analysen, die
nur in wenigen Pionierarbeiten etwa zur Geschichte des amerikanischen
Finanzkapitals (Mizruchi) und der staatlichen politischen Elite
vorliegen. Entsprechende Netzwerkanalyse zeigen die Kontinuität
einzelner Segmente dieser inner group für einen Zeitraum von
mittlerweile rund 70 Jahren, sie zeigen auch die überragende Rolle von
Finanzinstituten und die Zunahme der Integration des nationalen
Netzwerks.
3. Es fehlt in fast allen Analysen der Versuch, Interaktionszentralität
und an diese gekoppelte Kumulativität sozial distinkter Elitenmerkmale
zu verknüpfen mit dem ökonomischen Status der so umrissenen Gruppe.
Prononciert formuliert: zwischen einer durch Zentralitätsanalysen
ermittelten "inner group" einer "upper class" und
einer durch die Analyse der Besitz- und Eigentumsverhältnisse
identifizierten monopol- oder finanzkapitalistischen Gruppe muss
keineswegs ein Gleichheitszeichen gesetzt werden. In der Verbindung
dieser Herangehensweisen liegt eine der wichtigsten nächsten
Forschungsschritte.
4. Analysen, die zeigen könnten, daß diese Gruppen zugleich
ökonomische Interessengruppen sind, die zugleich unterschiedliche
Politikkonzeptionen in einzelnen issues generieren, fehlen bislang. (Ich
nehme auch keineswegs an, dass eine solche dauerhafte Differenzierung
nachgewiesen werden kann, denn es gibt keinen Primärmechanismus der
Klassenvereinheitlichung - doch das Problem gilt es zu untersuchen).
5. Auch wenn daher vor allem die Machtstrukturforschung imstande gewesen
ist, gewisse Umrisse und innere Differenzierungen der upper class zu
zeigen, so hat sie es doch verabsäumt, einen Begriff von Interesse und
- damit verknüpft - von Bewußtsein zu entwickeln, ohne die
Konsensbildungsprozesse nicht ausreichend erfasst werden können.
6. Der bisher vorliegende Versuch, über eine sozialstrukturanalytische
Identifizierung des sozialen Subjekts des amerikanischen
Gesellschaftssystems zugleich nachzuweisen mehr als Politikfähigkeit
dieses Subjekts kann nicht überzeugen. Während die Power Structure
Research darzulegen versucht, dass die besonderen wie allgemeinen
Klasseninteressen privat generiert und partiell auch realisiert werden,
sieht die strukturalistische, innermarxistische Analysetradition die
Konstitution der besonderen Interessen als privaten, die Konstitution
der allgemeinen Klasseninteressen jedoch als öffentlichen, staatlich
organisierten Vorgang an-(oder sie trennt klasseninnere und
klassenäussere Vorgänge vollständig, Beide Ansätze vereinfachen das
Problem; sie stellen besondere und allgemeine Interessen apart,
"unversöhnlich", unvermittelt einander gegenüber und sie
übersehen, dass eine Ausbildung allgemeiner Klasseninteressen durch
klasseninnere Konsensbildungsprozesse auf der Grundlage sozialer
Kohäsion nicht gleichzusetzen ist mit ihrer - politischen -
Verallgemeinerung.
7. Endlich ist fraglich, ob die in der Power Structure Resarch immer
wieder betriebene Gleichsetzung von Bankkapital und Finanzkapital nicht
auf problematische Wege der empirischen Forschung führt und zwingend in
einer Überbetonung der Rolle der Banken enden muss. Dies freilich
scheint mir nur ein Indiz zu sein für ein allgemeineres, gleichsam
subkutanes Streben (das auf den Boden einer liberalen Elitensoziologie
ebenso wächst wie auf dem eines instrumentalistischen
Marxismusverständnisses) gleichsam ohne vermittelnde Zwischenglieder
und mehr oder weniger nahtlos politische Prozesse und Ereignisse
rückzuführen auf das Agieren von Wirtschaftseliten.
Derlei immer wieder spürbare
Vereinfachungen ändern aber nichts daran, dass nicht nur in dieser
Richtung der amerikanischen Elitenforschung Ergebnisse erbracht worden
sind, die unser Bild über die Gesellschaft der Vereinigten Staaten
erweitert haben und uns Hinweise für Forschungsaufgaben im eigenen
Lande geben.
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