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Rainer Rilling

Rüstung und Wissenschaftsfreiheit in den USA (2)

Am Jahrestag des Mauerbaus – dem 13. August 1984 forderte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in ihrem Wirtschaftskommentar nicht etwa dazu auf, den „sowjetischen Expansionismus“ abzuwehren. Die Polemik ging just in die Gegenrichtung: „Den Technologie-Protektionismus abwehren“ und die USA dazu bewegen, „Maß zu halten in den extraterritorialen Ansprüchen“. Jene „neue Form von Protektionismus“ der USA gelte es zu verhindern, die den Import von amerikanischer Spitzentechnologie in die BRD zunehmend erschwere und bereits dazu geführt habe, daß bei Fachkongressen in Europa „amerikanische Wissenschaftler nicht mehr so bereitwillig wie früher als Referenten mitwirken.“1

Damit gab die „FAZ“ dem Bundesministerium für Forschung und Technologie Schützenhilfe, das mit Hilfe einer Auftragsstudie über die „Beschränkung des internationalen Technologietransfers durch die USA“ die amerikanische Exportkontrollpolitik scharf kritisiert hatte. 1983 hatte die Geheimhaltungshysterie der USA erstmals auch auf die bundesdeutsche Wissenschaft übergegriffen, als BMFT und Berliner Senat zusagen mußten, einen aus den USA importierten Großrechner zu überwachen, der in einem staatlichen Institut der Grundlagenforschung in Westberlin aufgestellt werden sollte. Damit wurden erstmals auch Wissenschaftler der BRD mit dem Versuch vor allem des amerikanischen Verteidigungsministeriums konfrontiert, mit Hilfe der Instrumentarien der Exportkontrollpolitik den Wissenschaftsprozeß in seinem Sinn zu beeinflussen. Neben den Bestimmungen zur Geheimhaltung von Patenten, mehreren Regierungsverordnungen zur Klassifikation von Informationen und dem „born classified“ Konzept der Atombehörden, die im ersten Teil dieses Aufsatzes behandelt wurden und eher traditionelle, schon in den 50er Jahren entstandene (unter Reagan allerdings stark ausgeweitete) Instrumente zur Sekretierung und Wissenschaftskontrolle darstellen, setzten schon seit Mitte der 70er Jahre vielfältige Versuche ein, weitere eingreifende Instrumente zu entwickeln. Die „Kontrolle des Exports wissenschaftlicher Informationen“ gehört dazu.

Exportkontrollen - Instrumente und Grundlagen

Zwanzig Jahre lang war der Export Control Act von 1949, geschaffen als Instrument des kalten Wirtschaftskrieges gegen die Sowjetunion, die legale Grundlage der Exportkontrollpolitik der USA. Er wurde 1969 bzw. 1979 durch den Export Administration Act (EEA) abgelöst, der gegenwärtig noch in Kraft ist; realisiert wird er durch die Export Administration Regulations (EAR). Das zweite wichtige Kontrollinstrument wurde 1954 in Form der International Traffic in Arms Regulations (ITAR) geschaffen, deren augenblickliche Grundlage der Arms Export Control Act (AEA) von 1976 ist und die den Export militärischer Produkte regeln (die gegenwärtig gültige Fassung wurde im Federal Register vom 19.12.1980 publiziert). Beide Gesetze verbieten jeglichen Export von Produkten bzw. auch Informationen aus den USA, es sei denn, es liegt eine entsprechende Genehmigung (Lizenz) vor. Die EAR betreffen den Export von „dual-use“ Gütern, also von Waren und Informationen mit ziviler wie militärischer Bedeutung; zuständig ist das Handelsministerium, das für die Bewertung der Anträge von Unternehmen auf Erteilung einer Exportlizenz die sog. Government´s Commodity Conrol List zugrundelegt. Die Verantwortung für ITAR liegt dagegen beim Außenministerium. Auf internationaler Ebene agiert das COCOM (Koordinationskommittee für nationale Exportkontrollen). DOD und Geheimdienste spielen auf jeder Ebene eine wesentliche Rolle: Anträge an das Handelsministerium für Exporte in sozialistische Länder werden von diesem automatisch an das DOD, manchmal auch das Außenministerium oder die Geheimdienste weitergereicht. Deren Evaluierung liegt die MCTL-Liste zugrunde, eventuell noch eine Expertise der Rand-Coporation; dann kommt der entsprechende Antrag vor COCOM. Zum Komplex der Exportkontrollbestimmungen gehört nicht zuletzt auch der „Trading with the Enemy Act“ von 1917 (!), der seit 1963 etwa gegen das sozialistische Cuba angewandt wird und auch wissenschaftliches Material einschließt. Unter Bezug auf dieses Gesetz blockierte zum Beispiel im Juli 1981 das amerikanische Schatzamt die Lieferung von 30000 Exemplaren kubanischer Zeitschriften, die an Bürger der USA adressiert waren, eine später wohl aufgehobene Maßnahme 2. Später erlassene Verordnungen haben bekanntlich den Besuch Cubas durch amerikanische Wissenschaftler nahezu unmöglich gemacht.

Die Anwendung der EAR

Noch 1970 hatte eine Beraterguppe des DOD-Defense Science Board, welcher der frühere Präsident der National Academy of Science F. Seitz vorsaß und der u. a. auch E. Teller angehörte, erklärt, rund 90 % aller klassifizierten Informationen sollten deklassifiziert werden, Zwischen 1972 und 1974 wurden allein 11 bilaterale Abkommen der Wissenschafts- und Technikkooperation zwischen den USA und der UdSSR geschlossen; Vereinbarungen zwischen den Akademien wurden erneuert. Auch auf Drängen von Unternehmen wie Sperry Univac oder Controldata waren die Exportkontrollbestimmungen gegenüber den sozialistischen Ländern gelockert worden. 1975/76 jedoch setzte nicht nur eine sich schnell beschleunigende Steigerung der Rüstungsausgaben ein, sondern auch ein langwirkender Vorstoß „aus verteidigungs- und energietechnischen Kreisen 3 für eine Neuregelung des Technologieexports. Ein stark von der Rüstungsindustrie beeinflußter – z.B. kam der Vorsitzende F. Bucy von Texas Instruments 4 –Bericht des Defense Science Board des DOD (Bucy Report) leitete 1976 die Revision ein. Bislang hatten die Exportkontrollbestimmungen keine Rolle im internationalen Wissenschaftsaustausch gespielt. Es ging um materielle Produkte. Der Bucy Report nun schlug vor, im System der Exportkontrolle künftig das Augenmerk nicht mehr nur auf die Kontrolle von Waren, sondern auch von Technologien („technical data“) zu richten. Diese Position wurde vom DOD 1977 akzeptiert. Der Kongreß übernahm sie und machte sie 1979 zum Bestandteil des EAA. Er verpflichtete zugleich das DOD, eine Liste militärisch kritischer Technologien („militarily critical technologies list“ MCTL) zu erstellen, anhand derer dann technische Daten von Exportgütern kontrolliert werden könnten. Der EAA berechtigt das Handelsministerium, nicht nur materielle Produkte zu kontrollieren, sondern jede Information, „that can be used, or adapted for use, in the design, production, manufacture, utilization or reconstruction of articles and materials“, die auf der Commodity Control List stehen. Was daraus für das wissenschaftliche Leben folgte, formulierte eine Untersuchung des Bulletin of the Atomic Scientists 1982 so: „In other words, the government apparently is proposing to create an illdefined vast new category of unclassified yet restricted information, open to all American citizens but closed to foreigners without federal authorization. Forbidden exports would include oral as well as written communications to foreign nationals; a conversation with a foreign student about unpublished results could be a forbidden export.“ 5

Das eigentlich Neue an dieser Politik war, mittels „Export“kontrolle nicht geheime und nicht einmal staatlich geförderte bzw. vertraglich gebundene Forschung staatlicher Kontrolle zu unterwerfen. Die im Folgenden skizzierten, mit dem Hinweis auf EAR oder ITAR hantierenden Aktivitäten der amerikanischen Regierung haben es also nicht mit geheimen, sondern mit explizit nicht klassifizierten wissenschaftlichen Informationen zu tun!

Ein erster spektakulärer Vorfall geschah im Februar 1980. Eine Woche vor dem Beginn der „International Conference on Bubble Memory (Magnetblasenspeicher) Materials and Process Technology“ der American Vacuum Society in Santa Barbara erhielt der Präsident der AVS John Vossen ein Schreiben des Handelsministeriums, in dem es heißt: „It has come to my attention that representations to be made at the conference may fall within the scope of Part 379 (Technical Data) of the U.S. Export Regulations (copy enclosed). Under Section 379.1 (b) oral exchanges of information in the U.S. with foreign nationals constitute the export of technical data. Under Section 379.4 (f), a validated license from the Office of Export Administration would be required prior to export of such technical data of Eastern Europe destinations, among others (...) You are invited to submit to the Office of Export Administration a request for an advisory letter so that we may make a definitive determination as to what restrictions govern the subject matter of the Conference. The request should include submission of copies of the presentation to be made, sources of the information contained in the presentations, and whether the information is proprietary in nature or in the public domain.“ 6 Vossen – der im übrigen die Konferenzpapers und damit die gesamten verlangten Informationen überhaupt nicht kannte wurde mitgeteilt, daß die Konferenz ohne eine entsprechende Exportlizenz nicht stattfinden könne, wenn die Teilnehmer aus den sozialistischen Ländern nicht ausgeladen würden; andernfalls habe der Präsident der AVS mit bis zu 250000 Dollar Strafe und/oder bis zu zehn Jahren Gefängnis zu rechnen. Aufgrund dieser Drohung wurden die Teilnehmer aus den sozialistischen Ländern tatsächlich ausgeladen; die Konferenzteilnehmer mußten einen Brief unterschreiben, in dem sie versicherten, die auf der Konferenz anfallenden Informationen an diese nicht weiterzugeben. Damit wurde eine wissenschaftliche Gesellschaft gehalten, in der Rolle von „cops and censors“ (Vossen) zu agieren. Dies blieb jedoch nicht der einzige Fall. Im Herbst desselben Jahres wurde die Cornell University vom Handelsministerium aufgefordert, einem avisierten Wissenschaftler aus Ungarn keinerlei Informationen verfügbar zu machen, die nicht ohnehin öffentlich waren; private Seminare oder Diskussionen seien dem Gastwissenschaftler nicht erlaubt. Zur Einsichtnahme an jeglicher staats- oder industriegeförderter Forschung bedürfe die Cornell-University eine Lizenz. Die Universität zog daraufhin die Einladung zurück 7. Im August 1982 veranstaltete die Society of Photo-Optical Instrumentation Engineers in San Diego eine Konferenz über Laserkommunikation und Infrarotoptik. In der Nacht vor Konferenzbeginn erhielten die Organisatoren ein Telegramm des Handelsministeriums, das sie vor Verletzungen der Exportkontrollbestimmungen warnte. Nachdem am nächsten Morgen Vertreter des DOD zahlreiche Konferenzteilnehmer in ihren Hotelräumen einer Befragung unterzogen, wurden über 150 Konferenzpapiere „freiwillig“ zurückgezogen. 8 1981 versuchte das Außenministerium, einige Universitäten zu zwingen, Wissenschaftler aus der VR China – die im Rahmen eines Austauschprogramms in den USA die im Rahmen eines Austauschprogramms in den USA waren – von Forschungen im Computerbereich fernzuhalten 9. Mehrere Firmen wurden im September 1982 schärferen Exportkontrollen unterworfen, die computerlesbare Magnetbänder vertrieben; so wurde die Lizenz der Firma, die seit 1974 die Chemical Abstracts u. a. an die Universität Warschau auf entsprechenden Bändern liefert, nicht mehr erneuert. Ähnlich lag der Fall des weltbekannten Institute for Scientific Information in Philadelphia, dessen Bänder mit bibliographischen Angaben für Ungarn und andere sozialistische Länder im Frühjahr 1982 beschlagnahmt wurden, weil die Bänder (nicht die darauf gespeicherten Informationen!) angeblich gegen die Exportkontrollbestimmungen verstoßen haben sollten. Das ISI hatte solche Bänder seit Jahren verschickt. Ein weiteres Beispiel kam aus Stanford: ein graduierter Student der Computerwissenschaften wollte unklassifizierte Informationen aus einem Forschungsindex des DOD abfragen, der über eilte Leitung mit der Stanforder ingenieurwissenschaftlichen Bibliothek zugänglich war. Das DOD jedoch gestattete keinen Zugang und klassifizierte prompt das Material. Die Stanford Bibliothek stornierte daraufhin ihren Vertrag mit dem Defense Technical Information Center 10. 1983 setzte das DOD durch, daß bestimmte Konferenzpapiere einen Vermerk erhalten sollten, der auf die Restriktionen der Exportkontrollbestimmungen hinweist. Eine Zusammenfassung der „Conference on Rapid Solidification Processing“, gefördert vom National Bureau of Standards Center for Material Science, erhielt die Vorbemerkung: „This document contains information which is subject to special export controls. It should not be transferred to foreign nationals in the US or abroad without a validated export license.“ 11 1983 hätte der EAA auslaufen sollen. Er wurde jedoch verlängert, da man sich zwischen Kongress und Senat nicht über die Neufassung einigen konnte. Das Handelsministerium machte sich für eine weitere Verschärfung stark. Ein Vertreter des Ministeriums erklärte, daß die Veranstalter von „closed conferences at which proprietary, technical data are discussed in the presence of communist country attendees“ eine Exportlizenz benötigten. „A university professor will need an export license if he is doing research on robotics, and robotics is a controlled commodity, and he has a graduate student from the Soviet Union working on the project, and he wishes to publish-proprietary information that is not in the public domain.“ 12 Nachdem es 1983 wohl auch aufgrund der parlamentarisch ungeklärten Situation keine spektakulären Fälle der Anwendung der EAR mehr gegeben hatte, deuten sich mit dem gegenwärtig vorliegenden, noch geheimen Gesetzesentwurf weitreichende Veränderungen an, in deren Ergebnis die EAR eine weit durchgreifendere Regulierung des „freien“ Flusses wissenschaftlicher Informationen ermöglichen würde. Nachdem der Kongress schon 1983 das DOD ermächtigt hatte, solche Einsprüche gegen die Exportkontrollpraxis abzulehnen, die sich auf das Grundrecht der Informationsfreiheit beriefen, beseitigt jetzt der Entwurf die bisherige Ausnahmeregelung im EAA, wonach für den Export von „scientific and education data“ keine Lizenz notwendig sei. Damit ist klar, daß „Export“ sowohl die Beschäftigung ausländischer Wissenschaftler als auch die Präsentation von Papieren auf Symposien einschließt, auf denen Ausländer anwesend sind. Hochschulen müßten Dutzende von Lizenzen für die Veranstaltung wissenschaftlicher Tagungen beantragen, an denen Ausländer – z.B. Studenten auch niedriger Semester teilnehmen und auf denen „critical technical data“ zur Sprache kommen. 12

MCTL und METAL

Dieser Begriff bezieht sich auf die interne MCTL, die auszuarbeiten der EAA von 1979 das DOD aufgefordert hatte und die Bestandteil der Commodity Control List des Handelsministeriums werden sollte. Das DOD hatte freilich bereits 1977 in Reaktion auf den Bucy Report mit der Ausarbeitung einer geheimen „Liste militärisch kritischer Technologien“ begonnen, „whose acquisition by a potential adversary would make a significant contribution to its military potential und thus prove deterimental to the national security of the United States.“ 18 zentrale Technologien wurden als MCT's definiert: „Computer network technology, Larger computer system technology, Software technology, Automated real-time technology, Composite and materials processing and manufacturing technology, Directed energy technology, LSI-VLSI (large scale integration, and very-large-scale integration in micro-electronics) technology, Instrumentation technology, Telecommunications technology, Guidance and control technology, Microware componentry technology, Vehicular engine technology, Advanced opties technology, Sensor technology, Undersea systems technology, Cryptography, Chemical technology, Nuclear specific technology.“ 13 In 17 Bänden und auf über 700 Seiten enthält die Liste insgesamt über 629 weiter spezifizierte Gebiete, die ihrerseits wiederum in buchstäblich Tausende von weiteren „kritischen“, militärisch relevanten und daher zu kontrollierenden Elementen ausdifferenziert sind. 14 Ergänzend wird eine neue, nicht geheime „Militarily Significant Emerging Technologies Awareness List“ (METAL) entwickelt, die militärische Fronttechnologien abdecken soll. Offensichtlich enthalten diese Listen zahllose Technologien, die substantiell oder sogar primär zivile Anwendungen haben.

Die Praxis der ITAR

Die MCTL bzw. METAL sind ebenfalls von Bedeutung für das zweite Hauptinstrument der Exportkontrolle, die International Traffic in Arms Regulations (ITAR), die vom Außenministerium verwaltet werden. Über ITAR wird der Export von „defense articles and defense services“ durch „oral, visual, or documentary“ Mittel an ausländische Bürger kontrolliert, die in 22 Punkten der siebenseitigen „United States Munitions List“ aufgeführt sind. „Technical data“ sind einer dieser Punkte. Betroffen sind alle Daten, die gebraucht werden bei „design, production, manufacture, repair, overhaul, processing, engineering, development, operation, maintenance or reconstruction“ irgendeiner militärischen Hardware, ebenso „any technology that advances the state of the art or establishes a new art in the area of significant military applicability.“ 15 Diese Definition ist so breit, daß auch die Präsentation unklassifizierten Materials auf einem wissenschaftlichen Kongress als Export interpretiert werden kann. Allerdings sollen sich diese Informationen unmittelbar auf die Hardware der Munitions List beziehen; und solange die Regierung nicht nachweisen könne, daß die Publikation von Forschungsergebnissen (=„Export“) in Kenntnis der militärischen Anwendungsmöglichkeiten geschah, könne ein Wissenschaftler nicht belangt werden. Wie wenig das in der Praxis freilich heißt, zeigt beispielsweise die Erklärung des Außenministeriums, daß mathematische Konzepte nicht kontrolliert wurden, bestimmte Algorithmen mit Anwendungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Kryptographie jedoch sehr wohl –eine Unterscheidung, die nach Ansicht eines MIT-Reports wenig Sinn macht. 16 Generell aber gilt, daß der Export solcher technischer Daten der Lizenz des Department of State bedarf. Verletzungen werden mit bis zu 2 Jahren Gefängnis oder 25 000 Dollar Strafe geahndet. Auch die Regelungen des Arms Control Act waren jahrelang auf wissenschaftliche bzw. technische Informationen nicht angewandt worden. Im Februar 1980 erteilte jedoch das State Department unter Berufung auf ITAR acht sowjetischen Wissenschaftlern keine Visa, die eine „Conference on Lasers and Electro-Optical Systems and the Topical Meeting on Inertial Confinement Fusion“ der Optical Society of America und des Institute for Electrical and Electronic Engineers besuchen wollten. Einem sowjetischen Wissenschaftler, der sich an der University of Texas aufhielt, wurde der Besuch der Konferenz untersagt. Eine, auch vom betroffenen Forschungsbereich her gesehen weit schwerwiegendere Attacke unternahm das DOD im Dezember 1980 mit einem Memorandum an alle Auftragnehmer im Very High Speed Integrated Circuits (VHISC) Forschungsprogramm, das die Notwendigkeit begründete, sämtliche technischen Papiere im Rahmen des VHISC-Programms vor der Publikation einer Begutachtung zu unterwerfen. Zur Grundlagenforschung hieß es: „although such research and its results are not generally controlled, it is the preference of the Program Office that only US citizens participate.“ 17 Damit zog das DOD die Konsequenz aus einer von ihm durchgesetzten Festlegung des Kongresses von 1979/80 (also noch unter der Carter-Administration), wonach das VHISC-Programm genügend „sensitiv“ sei, um unter die ITAR-Restriktionen zu fallen. Darüberhinaus forderte das DOD die am VHISC-Programm beteiligten Universitäten auf, ausländische Forscher fernzuhalten. Darauf kam es zu einem außerordentlich heftigen Protest der Präsidenten der Universitäten von Stanford, MIT, Cornell und California. In ihrem Schreiben vom 27.2.1981 heißt es: „We are deeply concerned about recent attempts to apply to universities the International Traffic in Arms Regulations (ITAR) and the Export Administration Regulations (EAR) ... In the broad scientific and technical areas defined in the regulations, faculty could not conduct classroom lectures when foreign students were present, engage in the exchange of information with foreign visitors, present papers or participate in discussions at symposia and conferences where foreign nationals were present, employ foreign nationale to work in their laboratories, or publish research findings in the open literature. Nor could universities, in effect, admit foreign nationale to graduate studies in those areas,“ 18 Im Gegenzug schlug eine Arbeitsgruppe des DSB eine Vier-Stufen-Regelung vor: a) die Grundlagenforschung solle nicht kontrolliert werden b) kommerziell anwendbare Forschung unterliege dem EAR c) dualuse Forschung solle durch ITAR reguliert werden und d) ausschließlich militärisch nutzbare VHISC-Projekte sollten klassifiziert werden. 19 Im Mai 1982 wurden 2 Papiere aus dem VHISC-Programm von einem Meeting der Electrochemical Society in Toronto zurückgezogen. Ein Ausschluß ausländischer Wissenschaftler von der universitären VHISC-Forschung konnte nicht durchgesetzt werden. Im April 1981 forderte das State Department die Physik-Fakultät des MIT auf, die ITAR-Regeln bei einem Besuch eines chinesischen Wissenschaftlers zu beachten. 20 Mit ähnlichen Ansinnen des Außenministeriums „als ,Polizisten zu handeln, sobald sowjetische oder chinesische Gelehrte ihren Campus besuchten“ 21 wurden die Universitäten von Wisconsin, Minnesota, Stanford und Iowa konfrontiert. 22 Im März 1982 ereignete sich an der Universität von Illinois eine weitere Episode, die zwei Aufträge der Air Force für psychologische Forschungen betraf. Als der Projektleiter E. Donchin, Dekan des Psychologie-Departments der Hochschule, den Vertrag unterschreiben wollte, bemerkte er eine ITAR-Klausel, die u. a. besagte, daß die Forschungsergebnisse Ausländern nicht mitgeteilt werden dürften. Donchin wies darauf hin, daß er israelischer Staatsbürger, ein weiterer Direktor des Projekts Engländer und zwei beteiligte Studenten aus Italien und Kanada kämen. Es dauerte 6 Wochen, bis die Air Force auf den universitären Protest hin die Klausel zurücknahm. 23 Bereits 1978 hatte eine Stellungnahme des amerikanischen Justizministeriums festgestellt, daß „the existing provision of ITAR are unconstitutional insofar as they establish a prior restraint in disclosure of cryptographic ideas and information developed by scientists and mathematicians in the private sector.“ 24 Gleichwohl wurde 1981 in das Repräsentantenhaus ein außerordentlich weitreichender Gesetzentwurf eingebracht (H. R. 109), der durch Änderung des Arms Export Control Act nicht etwa nur ein „Export“-, sondern nun sogar ein Publikationsverbot sämtlicher Informationen zu normieren versuchte, die sich auf die U.S. Munitions Liste bezogen. Der Entwurf formulierte: „Notwithstanding in such regulations, or materials revealing such information, shall not be published, or disclosed unless the secretary of defense, in consultation with the secretary of state and the secretary of energy, determines that withholding thereof is contrary to the national interest.“ 25 H. R. 109 überließ die Beweislast den Wissenschaftlern: sie mußten nicht nur zeigen, daß eine Publikation keinen Schaden hervorrufen würde, sondern auch den Nachweis führen, daß ein Unterlassen der Publikation dem nationalen Interesse widersprechen würde! Nach der Einschätzung des Abgeordneten Brown, Mitglied des Committee on Science and Technology, verleihe eine solche Regelung „the secretary of defense unlimited powers to control, restrict or forbid communications of any kind, technical or otherwise.“ 26 Der H. R. 109 blieb Entwurf, doch die Idee avancierte. Die Air Force setzte bereits 1981 Restriktionen durch, die nicht geheimen, aber unter die Bestimmungen der ITAR fallenden technischen Informationen galten. Alle derartigen Forschungsdokumente, die im Auftrag der Air Force erarbeitet wurden, tragen seitdem folgende Warnung: „This document contains information for manufacturing or using munitions of war. Export of the information contained herin or release to foreign nationale within the United States, without first obtaining an export license, is in violation of the ITAR. Such violation is subject to a penalty of up to 2 years imprisonment an a fine of 100000 Dollar under 22 U.S. CC. 2778.“ 27 Aufgrund der äußerst heftigen Reaktionen einer großen Zahl wissenschaftlicher Organisationen und beträchtlicher Teile des liberalen Wissenschaftsestablishments auf diese Politik 28 wurden ähnlich wie im Falle der EAR in den letzten 1 1/2 Jahren die Interventionen des State Department in die wissenschaftliche Kommunikation mittels der ITAR-Bestimmungen abgeschwächt; eine Neufassung der Regelungen ist in Arbeit. Die Marschroute ist klar. Eine neue Bestimmung im Haushaltsgesetz 1984 des DOD ermächtigt das Pentagon „to protect certain kinds of unclassified technical data in the possession or under the control of the DOD that otherwise would be subject to release to foreign nationale under the terms of the Freedom of Information Act. Additional proposals have been circulated within the DOD to seek broader authority to protect sensitive technical data produced by other federal agencies (for example, NASA or the Department of Energy) by facultating their transfer to DOD control.“ 29

Andere Methoden der Exportkontrolle gewinnen an Gewicht oder sollten immerhin nicht unerwähnt bleiben: etwa die rabiate „Operation Exodus“ der US-Zollbehörde seit Ende 1981, die zur Beschlagnahme von bisher 2300 Exporten im Werte von 149 Mio. Dollar führte 30. Oder – bereits 1981 – die (später vermutlich wieder revidierte) Anordnung des Energieministeriums an die Direktoren von zahlreichen (vielleicht allen) Laboratorien des Ministeriums, allen Beschäftigten Kontakte zu den sozialistischen Ländern zu untersagen, es sei denn, eine besondere Erlaubnis werde gegeben. Darin eingeschlossen waren auch informelle Kontakte wie private Treffen oder persönliche Korrespondenz. 31

Die Folgen

Insgesamt hatte die Interventionspolitik in den Wissenschaftsprozeß mit den Instrumenten der Exportkontrolle – auf den ersten Blick ein durchaus abseitiges Unterfangen – bleibende Folgen:

  • Auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen gelang es, den Wissenschaftsaustausch immer stärker in ein Instrument des Wirtschaftskrieges gegen die sozialistischen Staaten und – zunehmend – des Kampfes um die Wiedergewinnung der verlorenen Weltmarkthegemonie gegenüber den kapitalistischen Hauptkonkurrenten Japan und Europa zu machen.
  • Der Kampf um die Ausweitung des Technologieprotektionismus ist ein Hauptkonflikt innerhalb der Administration geworden; Ende Dezember 1982 wurde über das National Security Council eine Überprüfung des Technologietransfers begonnen, die – bei einer wechselvollen Geschichte –bis heute andauert. Die entsprechende Stellungnahme wurde offenbar 1984 fertiggestellt, aber für geheim erklärt…
  • „The tendency in this Administration toward restricting the flow of scientific and technological information“, erklärte 1982 der Abgeordnete G. E. Brown, „is merely part of a larger world view with which I fundamentally disagree –the inevitability of a conflict between the good guys (us) and the bad guys (the Soviets)“ 32. Die Durchsetzung der Exportkontrollpolitik steht nicht für sich; sie transportiert das rechtsradikale Feindbild der Reagan-Administration mit sich und trägt damit zugleich zur Veränderung des weltanschaulichen Gefüges innerhalb der amerikanischen scientific community bei.
  • Die grundsätzliche Einschränkung der Freiheit zur wissenschaftlichen Kommunikation ist mittlerweile nachgerade alltägliche Praxis. Das betrifft drei Sachverhalte: 1) den Ausschluß ausländischer Wissenschaftler von Konferenzen in den USA selbst. So waren jüngst Konferenzen über Materialwissenschaffen, die an den Universitäten von Dayton (Ohio) und Kalifornien (L. A.) abgehalten wurden, für Ausländer gesperrt. Dazu gehörten auch Wissenschaftler auf NATO-Ländern! Im Januar 1984 wurde ein Meeting der American Ceramics Society in Cocoa Beach, Florida buchstäblich in zwei separate Hälften aufgeteilt, deren eine vom DOD und der NASA gefördert und für Ausländer gesperrt wurde. (Angesichts dieser „Ausländer raus! –Politik“ des DOD sollte erwähnt werden, daß über ein Drittel der amerikanischen Nobelpreisträger naturalisierte Ausländer sind; das DOD andererseits läßt kaum eine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, daß 20 Nobelpreisträger der USA vom DOD gefördert wurden.) 2) An Konferenzen im Ausland nehmen bestimmte amerikanische Wissenschaftler seltener oder überhaupt nicht mehr teil; das diskutierbare Themenspektrum ist durch die Restriktionen stark verengt worden. Diese Entwicklung ist bisher kaum untersucht worden. 3) Endlich unterliegen immer mehr wissenschaftliche Konferenzen und Kongresse in den USA selbst einer inhaltlichen Zensur, die – wie das folgende lakonische Beispiel aus „Nature“ zeigt – mittlerweile geradezu groteske Züge angenommen hat: „At a 1985 conference on metal matrix composites to be held by the American Society for Testing and Materials, notierte „Nature“ im Juli 1984, „delegates will have to exercise their ingenuity to avoid talking about design, manufacturing, fabrication methods production technology or end use of the materials.“ 33 Eine solche Veränderung greift aber tief in das Wertsystem der Wissenschaft ein.
  • Endlich erprobte diese Politik für den Militär-Industrie-Komplex andere Methoden zugreifender Kontrolle des Wissenschaftssystems, die zum Ted schon eine unrühmliche „Tradition“ hatten, wie etwa Visakontrollen. Der Internal Security Act von 1950 (McCarran Act) und der Immigration and Naturalization Act von 1952 (McCarran-Walter Act) hatten im Zeichen des Kalten Krieges rigide und diskriminierende Einreiserestriktionen normiert. Die allgemeine Kommunistenangst und -verfolgung, die Jagd auf Spione (Rosenberg-Fall) und die weitverbreitete Einschüchterung liberaler oder linker Wissenschaftler 34 bildeten das Milieu in dem Visakontrollen zum Mittel der Unterbindung freier wissenschaftlicher Kommunikation wurden. Ein Bericht der National Academy of Science, der National Academy of Engineering bzw. des Institute of Medicine („Corson-Report“) von 1982 vermerkt zu der damaligen Situation: „One result of these two laws was that large numbers of distinguished European scientists found it much more difficult to visit the United States to attend meetings or to assume appointments at American Universities. In some cases visas were refused outright; in others visa were approved only after such long delays that the scientific meeting had already taken place or the offer of a teaching appointment had been withdrawn.“ 35 Eine Ankündigung, Visakontrollen erneut als Instrument der Wissenschaftskontrolle zu verwenden, kam im Mai 1983 vom Außenministerium. Bei der Durchsetzung anderer Methoden war das DOD in den letzten Jahren jedoch weit erfolgreicher. (Letzter Teil in info 5/84)

Rainer Rilling ist Privatdozent für Sozoiologie an der Universität Marburg und Geschäftsführer des BdWi