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Rainer Rilling

Internet & Politik: eine vertrackte Angelegenheit mit Fragezeichen

Rezension zu: Claus Leggewie, Christa Maar (Hg.): Internet & Politik. Von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie. Bollmann: Köln 1998 570 Seiten

Das Internet, so ist auf dem Buchumschlag zu lesen, liefert uns den Übergang zur Beteiligungsdemokratie. Auf Seite 3 wird der Titel mitsamt Unterzeile wiederholt – diese allerdings durch ein Fragezeichen ergänzt. Wir haben es also mit einem ziemlich raffiniertem Placement einer Buchmessage zu tun. Sie will uns wohl sagen: Übergang ja, aber doch bedingt, offen, fraglich. Das Vorwort der Mitherausgeberin Christa Maar, Präsidentin der Burda Akademie zum Dritten Jahrtausend (München) und Arrangeurin des gleichnamigen Kongresses Anfang 1997, notiert einen „durch die neuen Medien erzwungenen Paradigmenwechsel", welcher „den Kern des neuzeitlichen Demokratieverständnisses" tangiere (10). Es gebe die Gelegenheit, so Leggewie, „so gut wie alle Fragen des Politischen neu zu überdenken" (19). Das Konvolut versammelt über 40 Beiträge des Kongresses und ergänzende Texte. Schwerpunkte sind: zur Einleitung Überblicke zu Technikgeschichte (Kubicek, Cailliau) und Demokratie (Leggewie), dann die Themen Demokratische Informationsgesellschaft (Zusammenhang von Demokratie, Gleichheit, Netze), Netzpolitik (Regulierung), vernetzter Staat (Verhältnis Staat und Verwaltung zum Bürger), Netzvolk (Selbstorganisation), Netzkompetenzen (Wissensmanagement), Netzmanager (Ökonomie) und Netzpraxis (Beispiele zum Thema).

Internet & Politik wird zweifellos einige Zeit das Standardwerk zum Thema im deutschsprachigen Raum bleiben. Es organisiert die unübersichtliche Themenfülle in einer handhabbaren Gliederung, bringt zahlreiche praxisfundierte Aspekte und verknüpft sie häufig mit theoretischen Erwägungen, die nachvollziehbar vorgestellt werden. Sicher: wer an der Tagung teilgenommen hat, wird etwa den feurigen Beitrag des bayrischen Ministerpräsidenten und sein frühes Lob der Internetpolizei vermissen. Wer das mögliche Themenfeld betrachtet, dem werden zum Beispiel zentrale Stichworte wie „Arbeit" oder "politische Ökonomie des Internet" fehlen. Und wer nach dem politischen Spektrum fragt, dem werden bundesdeutsche (nicht nur netzkritische) Analysen zu kurz kommen – was auch den Zustand der hiesigen Diskussion anzeigt. Hier wird man auf andere Texte zurückgreifen müssen. Aber dennoch: ein unverzichtbarer Einstiegsband, zudem im Design der Bollmann-Texte zum Internet sorgfältig gestaltet, gut lesbar, man kann unterstreichen, Verweise an den Rand schreiben und weiss dank informativer Unterzeilen immer, wer denn da gerade gelesen wird. Und auch nach zwei Wochen Herumschlagen und –schleppen ist das kiloschwere Paperback noch ungebrochen. Ein Buch also, bei dem man spürt, dass Herausgeber und Verlag ihren Adressaten guten Gebrauchswert in die Hand geben wollten.

Aus der Vertracktheit der Sache selbst kommen die Autoren und Autorinnen freilich nicht heraus – wie auch. Sicherlich gibt es Konsens. Der US-Politologe Benjamin Barber formuliert: „Wir müssen also nicht bei der Technologie anfangen, sondern bei der Politik" (S. 131). Kommunikationsverhältnisse sind auch technikabhängig, Technik ist auch politikabhängig – die Autoren ignorieren diese Zusammenhänge nicht, wie es mit dem Hinweis auf die triviale Natur dieses Sachverhalts üblich ist. Die Politik beim Reden vom Netz zu ignorieren, wie es Lobpreiser der fabelhaften Gestaltungskraft des Marktes oder der selbstbewegten Technik tun (die völlig menschenlos alles umwirft), ist nicht ihre Sache. Klar ist: Politik wird vernetzt, Netze sind nicht politikfrei. Wie diese wechselseitige Abhängigkeit in ihrer geschichtlichen Veränderung und in ihren wandelnden Ursachen zu fassen und zu begreifen, wie also der Zusammenhang von Technik (Internet) und Politik theoretisch zu begreifen ist, darüber gibt der Band allerdings eher wenig Auskunft und Konsens kann da schon gar nicht erwartet werden.

Konsens ist, dass das Internet kein Medium einer radikalen Demokratisierung der Demokratie ist, also kaum den Parlamentarismus aushebeln wird. Es ist aber auch mehr als ein Vehikel des bloßen elektronischen Populismus, denn es öffnet Chancen zur politischen Erwägung, Deliberation und Entscheidungsvorbereitung. „Citizen empowerment" ist angesagt: es geht um Macht – und durch das Netz können und müssten sich seine Nutzer selbst ermächtigen. Den Beiträgen des Bandes geht es freilich fast immer nur um kommunikative Macht als Moment der Politik. Das ist eine Form der Macht, die vor der eigentlichen Entscheidung halt macht. Hier spricht, genaugenommen, die bekannte neue politische Mitte: maßvolle politische Teilhabe als realistische Utopie – das ist der nüchterne Tenor des Gros der Beiträge. Cyberspace als politisches Megaphon jener, deren Stimmen sich bislang nicht zu Gehör bringen konnten, das Internet als Medium langsamer Unterhaltung - ohne Entertainment, das demokratische Deliberation zerstört. Dass die Beteiligung an Entscheidungen jenseits der politischen Erwägung (Diskussion, Deliberation) ausgeklammert wird, gilt hier als Gewinn an Komplexität, denn politisches Denken sei nicht auf die einfachen Gegenüberstellungen einer elektronischen Knopfdruckdemokratie zu reduzieren. Freilich: der Springpunkt der Politik ist praktische machtvolle Entscheidung, nicht wundervoll komplexes Denken.

Der Band setzt einen deutlichen Punkt zur Kritik der massiven Kommerzialisierung, ökonomischen Konzentration und Privatisierung, die das Internet durchläuft (Barber, Schiller, Leggewie, Simitis) – ein Aspekt der Kontextbestimmtheit von Politik, der beim üblichen Reden über politische Fragen des Internets (Datenschutz, Zensur etc.) fast immer ausgespart wird. Diese Skepsis kommt von einer kritischen Sicht auf die demokratiepolitischen Wirkungen ökonomischer Konzentration. Während ausgerechnet der Politiker behauptet, Gesellschaftsevolution sei von Kommunikationsverhältnissen abhängig (Jörg Tauss), wird hier klargestellt: „Demokratie hat immer mit dem öffentlichen Wollen und dem öffentlichen Nutzen sowie dem Gemeinwohl zu tun. Dezentralisierung kann die Demokratie stärken, Privatisierung untergräbt sie nur." (Barber, S. 129). Aus privatisierter Kommunikation kann kein allgemeiner politischer Wille entstehen - zweifellos eine Position, deren demokratiepolitischer Wahrheitsgehalt recht krass mit ihrer aktuellen Politikfähigkeit kontrastiert.

Internet & Politik offeriert also Argumente gegen Positionen, die in der politischen Öffentlichkeit und unter politischen Entscheidungsträgern weit verbreitet sind. Auch die politische und politikwissenschaftliche Diskussion des Internets muss den ambivalenten Charakter der Entwicklung anerkennen: das Internet bricht mit der Tradition der alten Medien – und setzt solche Traditionen zugleich fort. Das Internet steht für die altbekannte Medienkonzentration, Vermachtung, Angleichung der Inhalte und Formate – aber es ist zugleich Dezkonzentration, Entmachtung und Dissens. Das Internet verlängert die Kultur der alten Massenmedien fort - und es bricht mit ihr. Das Internet befestigt die alte Politik – und es untergräbt sie. Internet & Politik ist ein praktischer Einstieg zur Auseinandersetzung mit dieser vertrackten Dialektik.

Leicht gekürzt erschienen in: c't magazin für computertechnik 19 /1998 S. 274

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