Rainer Rilling
Vortrag auf dem Kongress "Demokratie an der Schnittstelle. Neue Medien und politische Perspektiven" der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie e.V. (HGDÖ) am 07.12.1996 in Frankfurt, geringfügig überarbeitete Fassung vom 17.01.1996. Einige Argumentationen des Vortrags wurden erstmals entwickelt in dem Beitrag Das unpolitische Netz an der DGB-Bundesschule Hattingen, 11.10.1996. Eine überarbeitete Fassung ist erschienen in: Telepolis

Auf dem Weg zur Cyberdemokratie?

1 Einleitung

"Im Internet ist man frei. Es gibt keine Zensur, keine Diktatur und keine Filter. Jeder kann tun und lassen was er will. Keine Kontrolle mehr, keine Hierarchie, kein Gesetz. Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Demokratie, der Hyperdemocracy, einem neuen athenischen Zeitalter der Demokratie."

Solche oder ähnliche Sätze haben wir alle schon gehört. Diesen speziellen Satz allerdings mit Sicherheit nicht. Er ist frei erfunden - komponiert aus Wörtern von Al Gore, Newt Gingrich, der Time, Hilmar Kopper und dem Sommerprospekt 1995 der Telekomwerbeagentur 1 & 1.1 Kein Problem, Wörter von Bill Gates oder Mark Andreessen oder John Barlow oder Bruce Sterling oder von Wired oder von .Net oder pl@anet darüberzulegen. Die 50 oder 100 oder 200 Jahre, die sie gehalten hat und die 400, die sie bedacht wurde, die Demokratie der bürgerlichen Moderne, diese Jahre gehen da zu Ende im Rauschen des hohen Datendurchsatzes der Propheten einer neuen Ära -
und es ist ja richtig: die oft hervorgehobenen exquisiten Eigenschaften der computervermittelten Netzkommunikation sind demokratiepolitisch relevant. Sie gelten auch für die politische Kommunikation:

  • Senkung der Zugangsschwellen für Informationen durch leichte Zugänglichkeit zu lokal verfügbarer Datenverarbeitung und dezentralisierten Datenbeständen, wodurch die verfügbare politische Information rapide zunimmt;
  • außerordentliche Beschleunigung der Bereitstellung, Verteilung und Aufnahme politischer Informationen;
  • Erhöhung der Selektivität bei der Nutzung und Verteilung politischer Informationen;
  • Digitalisierung und Virtualisierung ermöglichen, bislang aufwendig auf verschiedene Medien verteilte Kommunikationen effektiv in einem "Monomedium" (Recke) zusammenzufassen und erweitern so den individuellen Handlungsspielraum;
  • soziale und informationelle Dekontextualisierung - alle Menschen können im Cyberspace locker als Kanzler, Autonome oder Hunde auftreten;
  • Ausdünnung der Kommunikationshierarchien und Relativierung der bei klassischen politischen Medien (bzw. innerhalb von Institutionen und Organisationen) relevanten Filter und Gatekeeperrollen, so daß die Themendefinition ("Agenda-Setting") demokratisiert und die klassische "Abwärtskommunikation" durch Aufwärtskommunikation und horizontale Kommunikation ergänzt wird wird; und schließlich
  • interaktive und polydirektionale statt überwiegend distributive Formen politischer Kommunikation.

Das provoziert weitreichende Gleichheits- und darauf aufbauende Demokratievermutungen vor allem in Richtung einer Ausweitung direkter Demokratie. . Das Netz gilt dann als Dimension und Tool eines neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit, an das sich die Hoffnung einer Revitalisierung der modernen Demokratie heftet. Die neue Öffentlichkeit des Netzes sei global und universell, dezentriert, zwang- und zwangslos, diskursbewegt und anti-hierarchisch. An das Netz heftet sich die Idee eines neuen politischen Kommunikationsraumes, der sich zur wichtigen Bewegungsform einer informierten und beteiligungsintensiven Mitwirkungsdemokratie entwickeln könnte, sollte, müsste.

In den Worten von Microsoft:

"This is the new democracy.

And Microsoft Office is at the heart of it.

It is a tool of massive social change.

That`s because it`s empowering people to do all sorts of things they never dreamed were possible...

This is the ultimate democracy."

Doch halt:

- > da gibt es die kulturpessimistisch getragene Mutmaßung, die durch elektronische Demokratie das prekäre Arrangement indirekter, repräsentativer Elitendemokratie durch populistische Inszenierung eines schwankenden Mehrheitswillens bedroht sieht.
- > Da gibt es die triste Mutmaßung etwa von Claus Koch im "Kursbuch" zu "Medien" vor wenigen Wochen, dass die Technikrhetorik von der elektronischen Demokratie und digitalen Selbstbestimmung eben jene pubertären Allmachtsphantasien eines Milieus von Angestellten- und Kleinselbständigen artikuliere, "die nie in ihrem Leben dazu kommen werden, über etwas oder über sich zu entscheiden."2 und die ihnen die Phantasie einrede: "Ihr könnt alles werden, was ihr wollt" - zwar nicht in real life, aber in virtual life.
- > Da gibt es zum Beispiel die trockene Feststellung des Diplommathematikers Schäfer am 17. März 1995 vor der Baden-Würtemberger Multimedia-Enquete-Kommission: "Wenn das Netz weg wäre, gäbe es keine Steuerbescheide mehr, dann gäbe es keine Fahndung mehr, dann gäbe es keine gerichtlichen Mahnbescheide..."3
- > Und da gibt es mittlerweile ein halbes Dutzend offzieller Konzept- Strategie-, Programm- und Planungspapiere der Bundesregierung, in denen das Wort Demokratie, geschweige denn die Rede von der "elektronischen Demokratie" erst gar nicht vorkommen.

2 Befund

Nun mag sicherlich alles, was auf und mit dem Netz geschieht, politisch relevant sein und natürlich berühren zahlreiche Sites und Kommunikationspraxen auf dem Netz politische Probleme. Wenn wir jedoch zurückhaltend nur nach expliziter Politik auf dem Netz fragen und insofern einen in der Massenkommunikationsanalyse gängigen Ansatz benutzen, dann ergibt sich eine gegenüber den verbreiteten Demokratievermutungen ernüchternde Bilanz. Für die Wissenschaften - ob Medienwissenschaft, Soziologie oder politische Wissenschaften - ist der Konnex von Netz und Politik bislang kaum ein Problem. Sogar die mittlerweile fast im Tagesrhythmus die Folders unserer elektronischen Briefkästen traktierenden Umfragen, die Werbeagenturen, Marketingfirmen und zwischengeprüfte Drittsemester über uns bringen, ignorieren die Frage, die uns hier beschäftigt. 4

Kurz: wir haben es mit einem Massenmedium zu tun, das trotz seiner Herkunft aus der Politik, der militärischen Hochkultur des Pentagon und der amerikanischen alternativen Zivilkultur, offenbar kaum wissenschaftliche Selbstreflektion auf seinen politischen Struktur- und Entwicklungskontext hervorbringt.

Dies kann bereits als Eingangsindiz für eine erste, durchaus weitreichende, aber ganz undramatische These stehen: das Netz ist unpolitisch.

Quantitative Präsenz

Was steht in einer nüchternen Bilanz jeneseits von Hype und Horror noch dafür?

  • Das politische Pionierprojekt computervermittelter Kommunikation, die vergleichsweise politische Mailboxszene ist seit 1994 gegenüber dem Gesamtunternehmen Internet massiv entwertet worden: höchstens noch 2 - 3 % der NetznutzerInnen hängen an Mailboxen, das /CL-Netz z.B. wird 1996 von gerade mal rund 100 000 Menschen benutzt
  • Nach WWW.Liszt.com gibt es momentan ca. 70 000 Mailing-Listen und etwa 16 000 Newsgroups. Auf das Stichwort "politi*" gibt es am 30.11.1996 335 Nennungen [0,3 %], von denen dann noch etwa ein Drittel auf den akademischen Bereich entfällt.
  • Wer ganz eng das Thema "elektronische Demokratie" oder "Teledemocracy" recherchiert: da schlagen von über 300 000 WWW-Sites gerade mal ein knappes Dutzend [0,005 %] hematisch zu Buche, unter denen nur ein WWW-Site - TAN -Teledemocracy Action Network [Auburn] und eine Diskussionsliste (ISPO) als informativ, aktuell und ständig betreut zu vermerken sind.
  • Die Explosion der kommerz- und .com - Domänen [die mittlerweile weit mehr als die Hälfte der Netzanbieter ausmachen] und der privatistische Homepage-Tsunami mit Kopfbild, Hotlist (Spiegel, Focus, Microsoft) und Verweis auf die letzten Urlaubsvergnügungen nach dem Motto "Alle schreiben - keiner liest. Online allein." - diese Kombination von Kommerz und Kopfbildern, kommerziellen und privatistischen Unternehmen weist den politischen Netzprojekten einen vollständig marginalen Rang zu. Das US-Verzeichnis Yahoo.com rubrizierte am 28. November 1996 eben 7104 von wohl über 200 000 US-amerikanischen WWW-Sites unter die Kategorie "Government"; zum selben Zeitpunkt machten im deutschen Yahoo.de - Verzeichnis die 653 Angebote unter der Rubrik "Staat und Politik" bestenfalls ein halbes Prozent der dort erfassten weit über 100 000 Angebote aus. Unter den 14 Hauptkategorien des Yahoo-Katalogs firmiert "Staat und Politik" mit Abstand an letzter Stelle, darunter finden sich übrigens auch sechs politische Sites aus - Hessen. Der Marburger Katalog "Wissenschaft plus Politik", der zusammen mit dem anders gelagerten Verzeichnis der Friedrich-Ebert-Stiftung das größte einschlägige Verzeichnis hierzulande ist, listet ca. 1050 politische Sites auf - ca. 400 davon können als bundesdeutsche politische Web-Angebote gelten, hinzukommt eine nicht sonderlich dreistellige Anzahl von Mailing-Listen und Newsgroups. Zu diesen politischen Angeboten zählen etwa 160 bundesdeutsche gewerkschaftliche und linke WWW-Angebote, Listen und Newsgroups. Insgesamt dürfte der Anteil politischer Sites in der Bundesrepublik bei gut einem halben Prozent liegen, in den USA sind es höchstens 2 Prozent - das Netz ist unpolitisch.

Nutzung und Positionierung

Fragen wir nach der Nutzung und Positionierung, also Vernetzung der Sites.

Anfang 1995 stand für Newt Gingrich die Einrichtung des WWW-Servers "Thomas" des US-Kongresses für eine Machtverlagerung vom Washingtoner Machtgürtel zur Bürgerschaft. 5 Tatsächlich ist "Thomas" einer der wichtigsten politischen Web-Server. Die Home-Page des Servers vermeldet gegenwärtig über 200 000 Zugriffe im Monat und täglich werden fast 70 000 Dateien kopiert. Zwischen dem 7. März 1996 und dem 28. November 1996 wurden über 22 Millionen Files übertragen. Ein weiteres Beispiel ist der Web-Site während des Parteitages der Republikanischen Partei im August 1996: er soll - so AT&T - täglich von rund 700 000 Personen aufgerufen worden sein - eine beeindruckende und unglaubwürdige Größenordnung. Die bundesdeutschen politischen WWW-Sites haben vorsichtshalber bisher - in aller Regel - auf die üblichen Netzzählwerke verzichtet. Zu hören ist, dass Greenpeace Deutschland täglich 5000 Kontakte vermeldet - was etwa 400 Personen entspräche, Amnesty International spricht von 6000 Zugriffen. Die SPD vermeldet 120 000 Hits pro Monat, der FDP war das Einklicken von täglich so gerade Mal 50 Leuten in ihre Homepage eine Pressemitteilung wert, das Bundespresseamt notierte im Herbst 1996 5000 Abrufe pro Tag, das gut gefeaturete Berliner Projekt "Parlamentarier im Internet" gibt an, dass es binnen eines Jahres knapp 500 000 Aufrufe hatte.6 Ein vergleichsweise politischer akademischer Site wie "Wissenschaft plus Politik" zählt im Moment zwischen 30 und 150 Zugriffe am Tag. Würde der Site heißen "PolitikplusSex-XXX.com" wäre das die Zugriffshäufigkeit pro Sekunde. Hier soll der Aufmacher der Suchmaschine Infoseek am Morgen nach Bill Clinton`s Wiederwahl am 6.11.1996 nicht vorenthalten werden - zu lesen war da: "More people use infoseek finding Pamela Anderson than Bill Clinton. Sorry for that, Bill."

Vollends unbeantwortet schließlich bleibt die Frage, wer es denn nun ist, der sich da politisch einklickt, zugreift, kopiert, transferiert - und vielleicht sogar liest. Die Server-Statistik von "Thomas" vermerkt, dass mehr als die Hälfte des erfassten Datentransfers in 1996 aus den .com, .gov, mil. und .edu-Domänen kam - und gerade mal 2,56 % aus dem .org-Bereich, der, wenn wir Newt Gingrich glauben wollten, noch am ehesten als Organisationsfeld der "Bürgerschaft" gelten könnte. Exakt 0,1 % des Datentransfers von "Thomas" in 1996 erfolgte übrigens in die Bundesrepublik. Diese Angaben stehen somit eher für die Vermutung, dass politische Datenkommunikation selbstbezüglich innerhalb des Staatsapparats und zwischen Wirtschaft und Politik erfolgt, andere gesellschaftliche Teilsysteme daran demgegenüber nur äußerst gering partizipieren. Fraglich, ob dies Empowerment, Ermächtigung, Machtverlagerung anzeigt. Viel eher wird hier ein Umstieg auf ein anderes Kommunikationsmedium oder Kommunikationsverdichtung bzw. -steigerung zwischen den existierenden Zentren Business und Politik deutlich.

Emprisches Wissen über - auch politische - Netzöffentlichkeit liegt bisher kaum vor. Welche politischen WWW-Sites von wem, zu welchem Zweck, wie lange, unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen besucht werden, ist unbekannt, ebensowenig die jeweilige Verknüpfung mit der Hauptnutzungsart des Ntzes: der E-Mail. Individuelle Entscheidungspraxen bei der Navigation im Hyptertextsystem sind ebensowenig untersucht. Auch eine Analyse der Positionierung der politischen Sites im Informationsraum durch eine Rekonstruktion des Verweissystems ist m.W. bislang nicht vorgenommen worden. Eine Recherche mithilfe der Suchmaschine "Ultraseek" am 6.11.1996, welche die Anzahl der Verweise auf den jeweiligen Site aus dem Netzraum sowie innerhalb der Sites erfasst, zeigt

  • dass die politischen Netzprojekte gegenüber den ökonomischen und einen Teil der kulturellen Sites schwach verlinkt sind und damit im gesamten Verweisfeld keine zentrale Position innehaben
  • die Verweishäufigkeiten sehr stark variieren
  • symbolische Links eine große Rolle spielen (z.B. Partei-Sites gegenüber Fraktion-Sites)
  • gegenwärtig sich Sites mit ressourcenschwachen Hintergrund noch relativ stark positionieren können (Beispiele: GEW Baden-Württemberg, CSF oder IGC/APC)
  • die bundesdeutschen politischen Web-Sites gegenüber den amerikanischen politischen Sites erwartungsgemäß weitaus schwächer positioniert sind.

Cybercampaigning

Natürlich gab und gibt es politische Bewegung auf dem Netz. Doch Gary Chapman von der CPSR schrieb in der Los Angeles Times vom 16.9.1996: bis jetzt zumindest sei das Internet noch kein Zoon Politikon, das Web ist kein political animal. Das Netz war ruhig zwei Monate vor der nationalen Wahl und dabei blieb es auch, von den üblichen Verdächtigen - Netscape, Microsoft, Playboy - einmal abgesehen. Der Communications Decency Act und die Telekommunications Bill, die monatelang die politische Kommunikation im amerikanischen Netz thematisch dominierten, spielten im Wahljahr keine Rolle. Keine Rede davon, dass der Wahlkampf online tobe, das Netz das TV als politische Bühne ersetze: zwischen 85 und 88 % der US-Bevölkerung sind offline - ein TV-Werbespot bei NBC erreicht eine Zuschauermenge, die der weltweiten virtuellen Gemeinde entspricht.
Das Cybercampaigning, über das im Herbst 1996 erstmals auf einer Konferenz am Brookings-Institut in Washington beraten wurde, ist keine Erfolgsgeschichte: weder die Verabschiedung der genannten US-Gesetze noch die Durchführung des französischen Nukleartestprogramms wurden durch Netzkampagnen irgendwie merkbar tangiert. 1000 Protestmails, die 1996 durch eine Protestaktion von Greenpeace beim BMU eingingen, hatten nur ein Ergebnis: die Schließung des E-Mail-Accounts. Ohnehin gilt offenbar im Netz noch meist die Losung: "Bleib mir vom Leib und laß mich tun, was ich will." Bei den wenigen erfolgreichen Netzkampagnen - bei LOTUS oder in der Sache Clipper-Chip - ging es um die private Libertät, woran uns auch Microsofts Einführungswerbung für den Internet Explorer 3.0 erinnert - "Remember the freedom you felt the first time you got on the Internet?". " Interessanterweise", schreibt Stoll, "galt keine der Initiativen einer Frage von übergeordnetem öffentlichen Interesse. Technologen äußern sich offenbar nur zu ihren ureigensten Angelegenheiten. Das alles in den Schatten stellende Interesse der Netznutzer ist das Medium selbst."7 Die Netzideologie dieser Kulturen, für die Zeitschriften wie Wired stehen, hat der "Monat" im Juni 1996 so beschrieben: "Wired oder Mondo 2000 verkaufen einer Leserschaft aus Hackern, Netzsurfern und Angestellten der IuK-Industrie eine Neuauflage des Manchester-Kapitalismus samt Nachtwächterstaat als Einlösung des Versprechens freier und gleicher Partiziption der Individuen an einer demokratischen Öffentlichkeit."8
Wie begrenzt die Reichweite des Projekts einer computervermittelten Demokratisierung der Sphäre der Politik ist, zeigen zwei Beispiele. Die elektronische Demokratisierung des Parlamentarismus im Sinne einer liberalen Demokratietheorie, die auf eine wechselseitige Begrenzung und Kontrolle aus ist, steht auf keiner Agenda der offiziellen bundesdeutschen Netzpolitik: eine durch das Projekt PARLAKOM in den 80er Jahren u.a. angestrebte elektronische Kontrolle der Regierung durch das Parlament blieb in den ersten Ansätzen stecken. Und sieht man vom "virtuellen Ortsverein" der SPD ab, dann hat keines der zwischen 1994-1997 entstandenen Web-Sites der bundesdeutschen Parteien, großen politischen Verbände und der staatlichen Einrichtungen, seine Entstehung, Struktur und Funktionsweise auf dem Netz selbst durchsichtig gemacht - dem dort zumeist propagierten Selbstanspruch zuwider.

Qualitative Präsenz

Die Diagnose vom unpolitischen Netz ist erklärungsbedürftig. Doch schließen wir zunächst noch die Beschreibung mit der Frage ab, welche Art von Politik es ist, die hier kommuniziert wird und wie diese Kommunikation geschieht. Betrachtet man die Präsenz expliziter Politik im Informationsraum näher, dann lassen sich drei Gruppen unterscheiden:

  1. es dominieren Angebote / Projekte politischer Top-Down-Information und Propaganda bzw. des politischen Marketings - dafür steht das Gros parlamentarischer Web-Projekte; sodann gibt es
  2. Projekte zur Rationalisierung politischer Kommunikation ("bürgernahe Verwaltung") mit bestenfalls konsultativem und legitimationsbeschaffendem Charakter.
  3. Angebote / Projekte gesellschaftlicher Organisation von Politik (virtuelle Städte und Dörfer, Electronic Voting), die auf bottom-up-Meinungs- und Willensbildung zielen, sind demgegenüber mittlerweile zwar keineswegs irrelevant, aber deutlich minderrangiger und wohl auch mit weit geringerer Sichtbarkeit ausgestattet.

Drei Kategorien politischen Akteure prägen schon jetzt und vor allem zukünftig die Arena politischer Netzkommunikation:

  1. mit Abstand an erster Stelle große Content-Provider, die Politik als mitlaufendes aktuelles Infotainment verkaufen - Politics for fun: Frohsinnsprovider mit sozialverträglichen Bildern und Audiorauschen: die Kommerzialisierung der Politik als Nebeneffekt der Kommerzialisierung der öffentlichen Sphäre wird von ihnen getragen.
  2. in der Regel in real life stark situierte politische Unternehmer, die imstande sind, große zentralisierte Netzwerke mit schwachen Bindungen ("weak publics") zu organisieren. Nur sie sind imstande, die großen Mengen an Daten über Menschen, ihre Eigenschaften, Interessen und Interaktionen zu bearbeiten (und zu kontrollieren), die das Internet über die Elemente des politischen Systems bereitstellt. Und nur sie können die neue Eigenschaft des Internet - nämlich die der Interaktion - in massenpolitisch handhabbare zielgruppen- [oder besser: zielperson-] spezifische Feedbacks transformieren und im übrigen die Installierung solcher Feedbackmechanismen als politische Partizipation inszenieren. Mit weitem Abstand folgen schließlich
  3. Aktivbürger und marginalisierte politische Akteure, die sich die Kosten- und Verbreitungsvorteile des Netzes nischenpolitisch zunutze machen können.

Kein aufmunternder Befund.

3 Erklärungen

Fragen wir nach den Ursachen dafür, dass sich die Entgrenzung des militärischen [also politischen] Netzraums seit den späten 80ern als Entpolitisierung vollzog. Dies hat nicht nur damit zu tun, dass die augenblickliche Relevanz des Politikfeldes fast ausschließlich mit Standort, Markt und Profit zu tun hat, dass nicht elektronische Demokratie, sondern Bitbusiness angesagt ist, die Ära der neuen Unübersichtlichkeit gerade Mal ein Jahrzehnt gedauert hat und somit die Epoche der neuen Übersichtlichkeit des Marktes auch auf dem Felde der Kommunikation und Medien begonnen hat. Dies alles reflektiert zumindest hierzulande auch, was sich in einer zweiten, erklärenden These formulieren lässt: In der Agenda der neuen, offiziellen Netzpolitik verwandelt der Cyberspace alles - nur nicht die Politik. In der Utopie der neuen Informationsgesellschaft, von der uns die Politik in Gestalt der Regierung erzählt, ist der Politik die Rolle des Paria zugedacht.

Politik als Paria

Eine Analyse der zahlreichen Konzept-, Strategie-, Planungs- und Programmpapiere, die seit 1993/4 von der Bundesregierung oder verschiedenen EG-Einrichtungen publiziert wurden, lässt sich in drei Feststellungen zusammenfassen: mögliche Transformationen des politischen Systems durch die Entwicklung des neuen Massenmediums und Informationsraums Netz

  • werden nicht thematisiert
  • in ein unpolitisches Problem der Verwaltungsrationalisierung verwandelt
  • oder als Bedrohung des parlamentarischen Modus indirekter Demokratie perzipiert.

Das Problem wird vorweg mit allen Mitteln institutioneller Geschäftigkeit und multimedialer Lautgebung beschwiegen: parlamentarisch-mehrheitsfraktionell, ministeriell und kanzlerseitig. Die von der Enquetekommission des Bundestages behandelte "Zukunft der Medien" kommt offenbar ohne jede Auswirkungen auf die Verfassung des politischen Systems aus - vielleicht ist das der Grund, warum der Vorsitzende der Kommission Siegmar Mosdorf zur Eröffnungssitzung sagte, "daß wir es mit nichts weniger als einem ökonomischen, technologischen und kulturellen Quantensprung...zu tun haben". Von einem Quantensprung in der Politik war da nicht die Rede. Im September 1994 befasste sich erstmals der Gesprächskreis für wirtschaftlich-technologische Fragen der Informationstechnik (Petersberg-Kreis) unter Leitung des BMWi, BMBF und des BMPT mit dem Thema "Informationsgesellschaft" und beschloss zwei Arbeitsgruppen hierzu, die, dann weiter differenziert, einzelne Arbeitsfelder bearbeiteten. Das Thema "Demokratie" war nicht dabei. Es kam auch nicht vor in dem Diskussionspapier des BMBF zum Thema "Informationsgesellschaft -Chancen, Innovationen und Herausforderungen" vom 15.05.1995 und im zentralen Textband des BMWi zum Thema Informationsgesellschaft vom selben Jahr. Das dann auf zentraler Ebene inszenierte, legitimationspolitisch starke Papier des "Rates für Forschung, Technologie und Innovation" vom Dezember 1995 "INFORMATIONSGESELLSCHAFT Chancen, Innovationen und Herausforderungen" handelt die Demokratie- bzw. Politikfrage auf einer von 60 Seiten ab. Im zusammenfassenden Programmdokument "Info 2000: Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" der Bundesregierung endlich taucht auf S. 85 in einem älteren Schaubild das Wort von der "politische Partizpation" auf - und gleich wieder ab. Nicht einmal die Agenda der im Herbst 1996 in Bonn gestarteten großen Dialog- und Akzeptanzoffensive "Forum Info 2000" bearbeitet die Demokratiefrage und die zukünftige Rolle der Politik in der Informationsgesellschaft. Typisch ist vielmehr der Themenwechsel: es geht um "bürgernahe" Verwaltungen mit "dialogischen" Benutzerschnittstellen zum Bürger, vor allem aber um vernetzte, schlanke, effiziente und optimierte Verwaltungssysteme (z.B. realisiert über das Projektbündel Polikom), wobei zumeist die Telebrücke Bonn-Berlin als Pilotprojekt inszeniert wird und andere, demokratiepolitisch relevante Vorhaben wie Zeno eher ausgeklammert bleiben 9
Demgegenüber ist schließlich die Thematisierung der demokratiepolitischen Dimension, sieht man von der bemerkenswerten Ausnahme der BMBF-Tagung "Macht Information" im September 1996 einmal ab, äußerst karg, argumentativ bis in die Einzelformulierungen hinein standardisiert und verrät inhaltlich bestenfalls große Reserviertheit: zum Teil wortgleich Bundesminister Rüttgers vor der Alfred-Herrnhausen-Gesellschaft, der "Rat für Forschung, Technologie und Innovation" sowie "Info 2000"10

  1. es dürfe keine Infragestellung der repräsentativen Demokratie durch Ausbau der sog. direktdemokratischen Technik geben
  2. durch sachlich begrenzte Beteiligung auf ausschließlich kommunaler Ebene könne Politikverdrossenheit abgebaut und damit Legitimation gefördert werden. Elektronische Kommunikation gilt hier als neues Medium politischer Akzeptanzbildung.

Es geht offenbar nur um den Ausbau konsultativer oder vielleicht dialogischer Elemente, so wie es eine einschlägige Werbeschrift des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung aus dem Jahr 1996 formuliert: die Bundesregierung habe sich "seit Jahren mit der Frage (beschäftigt), wie die Bürgerinnen und Bürger online informiert werden können"11. Elektronische Kommunikation gilt hier als neues Medium politischer Akzeptanzbildung.

Während sich auf EG-Ebene in den ersten strategischen Programmpapieren und Dokumenten wie dem Bangemann-Report ein durchaus vergleichbares Politikverständnis gezeigt hat, erörtern die neueren Papiere auch demokratiepolitische Fragestellungen. Zu nennen sind insbesondere das Grünbuch: Leben und Arbeiten in der Informationsgesellschaft der Europäischen Kommission, der Bericht der Arbeitsgruppe 2 des Forums Informationsgesellschaft der Europäischen Kommission Basic Social and Democratic Values in the Virtual Community [Brüssel, Final report 1996] und vor allem der innovative Bericht der High Level Expert Group: Eine europäische Informationsgesellschaft für alle [Brüssel Januar 1996] 12. Von den politischen Positions- und Programmpapieren der Bundesregierung unterscheiden sich diese Berichte dadurch, dass politische Kommunikation nicht nur als Frage des Informationszugangs bzw. der Verteilung und Sicherung von Informationen und des konsultativen Feedbacks verstanden wird, sondern auch die komplizierte Frage nach der Veränderung von politischen Entscheidungsprozessen, der "unmittelbaren Referendumsdemokratie" aufgeworfen wird. Der Bericht der "Gruppe der hochrangingen Experten" entwickelt dabei als einziger seine skeptische Argumentation aus einer kritischen Sicht auf die Sozialstruktur und -verfassung der (neuen) Informationsgesellschaft um zu begründen, dass ohne eine aktive Gesellschaftspolitik das Demokratisierungspotential der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nicht wirksam werden könne.13 Für alle hier genannten Texte ist jedoch typisch, dass sie weder Visionen, Utopien oder Szenarien einer politischen Ordnung der zukünftigen Informationsgesellschaft entwickeln noch irgendwelche konkrete Vorschlägen und Handlungsorientierungen zur Gestaltung des zukünftigen politischen Systems vorlegen. In den konkreten politischen Planungen zur Informationsgesellschaft seitens der europäischen Gremien spielt die Frage nach der Demokratiepolitik und der Veränderungen der politischen Organisation Europas keine Rolle.

Der Umbau des Netzes zum Verteilmedium

Die gängige Netzpraxis tendiert immer stärker, wie Ralf Hecht14 gezeigt hat,

  1. auf private Kommunikation via E-Mail. Dazu gehören die Visitenkarte, die personal ID der Selbstinszenierung der Privatperson durch eine WWW-Homepage ebenso wie der weit überwiegende Teil des Chattens
  2. auf Nutzung eines öffentlichen Angebotsraums im WWW.

Demgegenüber nimmt die Nutzung der klassischen, vergleichsweise interaktiven Massenkommunikationsanwendungen Mailing-Listen und Newsgroups ab: "Diese Entwicklung deutet unverkennbar eine Annäherung des Internet an das digital verbreitete Vielkanalfernsehen an...Die Einbindung kommunikativer Elemente wird vernachlässigt, so daß die Tendenz zu einem Verteiler- und nicht zu einem Kommunikationsmedium geht."(Hecht) In der Art und Weise, wie Politik im Netz präsent ist und kommuniziert wird, reflektiert sich der mittlerweile dominierende Umbau des Netzes zu einem Verteilmedium. Nicht-interaktive Verteilmedien - wie das Fernsehen - können aber bestenfalls zur individuellen Meinungsbildung, nicht aber zur öffentlichen politischen Willensbildung beitragen. Ein wesentlicher Grund für diese Veränderung ist die Entwicklung des multimedialen WWW zur Plattform, zur allgemeinen Benutzerschnittstelle des Netzes: das WWW transformiert das Netz in ein Medium, das die Konsumtion oder Nutzung außerordentlich demokratisiert, die Produktion jedoch mittlerweile durch die Implementierung einer extrem differenzierten und hochprofessionalisierten technischen Kultur dramatisch rehierarchisiert, deren Aneignung immer mehr ökonomisches und soziales Kapital voraussetzt. Mit der Professionalisierung der Netzangebote wird die Etablierung von Angeboten in finanzielle Größenordnungen gehoben, die von Privatpersonen nicht mehr realisierbar sind. Die Firma Cadillac beispielsweise gab Mitte 1996 an, dass die Konzipierung und Einrichtung ihres Web-Servers eine Million $ Produktionskosten wert war. Damit wird das Zentrum des Interaktivitätsversprechens des neuen Mediums zerstört: der unschwere Rollenwechsel zwischen Produktion und Konsumtion. Spätestens hier nun kommen die realgesellschaftlichen Ungleichheiten ins Spiel, wenn es um die Verteilung politischer Angebotsmacht im neuen Informationsraum geht. Reale Ungleichheit verdoppelt sich, wenn auch gebrochen und modifiziert, in der Netzwelt.

Die netzweltliche Verdoppelung der realen Ungleichheit

"Und die Träume, Reportagen, Bilder, Editorials des Wohnzimmer-Publizisten aus Augsburg stehen im Netz gleichrangig neben FAZ, Welt, WDR oder SPIEGEL." (Spiegel 11/1996, S.88).

Die gängige Abstraktion von den realgesellschaftlichen, materiellen Voraussetzungen politischer Gleichheit, die ihrerseits erst politischer Partizipation verallgemeinerbar macht, ist fester Bestandteil der Illusionsrhetorik der schönen neuen Netzwelt. Demgegenüber muß auf grundlegende Ungleichheiten verwiesen werden, die den neuen Informationsraum signifikant auszeichnen und die nur in wenigen Fällen als Übergangsphänomen der Konstitutionsphase des Netzes als Massenmedium begriffen werden können. Es geht um Ungleichheit15

  • in der Verfügung über die der Netzkommunikation vorausgesetzten Basisressourcen (Energie, Telephon usw.) - die nur bei ca. einem Fünftel der Weltbevölkerung vorliegt
  • in der geographischen Verteilung der Standorte der Netzwerkcomputer weltweit und innergesellschaftlich - die Kontinente und geopolitische Großräume ausblendet und statt dessen im lokalen wie globalen Maßstab bereits vorhandene Knoten und Routen hoher Kommunikationsdichte untersetzt16
  • im Eigentum an Übertragungsnetzen, Servern, Operationssystemen, Routern usw. - das ganz analog zur historischen Entwicklung der politischen Ökonomie der Printmedien, des Radios und des Fernsehens den Weg von öffentlichen und privatem Kleineigentum zum monopolförmigen Großeigentum geht17
  • in der politische Herrschaft über die institutionellen Arragements der Netze - die, wie das Beispiel der Corporation- und Communitynetze zeigt, demokratisch kaum legitimiert sind18
  • in der Geschlechter-, Sozial- und Qualifikationsstruktur der NetznutzerInnen und individuellen Provider19
  • in den administrativen oder geldlichen Zugangskontrollen zu Netzen
  • in den Zugängen zu Bandbreiten bzw. Übertragungsgeschwindigkeiten und damit in den Möglichkeiten, an neuen hochschwelligen Netzkreisläufen teilhaben zu können
  • in der technischen, kulturellen, sozialen und kommunikativen Kompetenz und der Beherrschung der englischen Sprache
  • in der Zeichenausstattung, d.h. Namensgebung und ihrer Beziehung zu Realnamen bzw. am Eigentum (Copyright) am Content: Bilder, Texte, Zeichen sind bekanntlich nicht frei, sondern in Eigentumsverhältnisse verwickelt, die sich auch auf dem Netz reproduzieren.

Diese Ungleichheiten begründen natürlich, warum das gegenwärtig etwas mehr als 1 % der Weltbevölkerung ansprechende Netz - je weiter es sich entwickelt - vor allem jene repräsentiert, die realgesellschaftlich Ressourcen mobilisieren können und schon dort als starke Institutionen präsent sind.

Hypertext und Politik

Begeben wir uns in den Informationsraum hinein und fragen, ob er Eigenschaften hat, die dort - und nirgendwo sonst - existieren und ob diese eine politische Implikation haben. Als auszeichnende Eigenschaft des WWW - nicht des Usenet20 oder der E-Mail-Praxis - wird die Hypertext-, also Verweistruktur angesehen. Das Revolutionäre an Verweisen ist die Transzendierung der Fußnote. Mit dem WWW erhält die Fußnote mindestens eine weitere Fußnote und noch eine und noch eine - etwas, was kein Textverarbeitungsprogramm des Herrn Bill Gates jemals konnte. Was bedeutet diese Verweispraxis und welche politische Bedeutung hat sie? Hier führt die Rede vom "Information Highway" oder der "Informationsgesellschaft" in die Irre: die politische Rolle der Verweispraxis erklärt sich nicht aus der Existenz oder Überfülle von "Informationen", sondern aus der Knappheit an Aufmerksamkeit. Georg Franck hat jüngst in seinem Text - der allerdings den Kapitalbegriff sinnlos extensiv handhabt - über Economy of Aufmerksamkeit darauf verwiesen. Links strukturieren die Verteilung von Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und schließlich Anerkennung im Informationsraum. Das Web generiert den eigenartigen, systemspezifischen Zwang, Kenntnis vorhandener Präsenzen durch Links auszuweisen, somit das Bemühen, in einem Raum eigene Zentralität zu demonstrieren, dessen einfachste Grundstruktur eben durch das Verhältnis von Zentrum und Peripherie gebildet wird. Die grassierenden Hotlists, die es in anderen Medien so eben nicht gibt - dass es keine politischen Hotlists gibt, indiziert, dass dieser Bereich zu peripher ist; aber cool political sites of the day und ähnliches gibt es wohl - stehen für diesen Imperativ. Nur wer Verweiskompetenz demonstriert, verhält sich programmgerecht, systemspezifisch, informationsraumgerecht. Anerkennung durch andere vollzieht sich über einen zweistufigen Bildungsprozess von Zentralität: erstens Nachweis der Kenntnis des Informationsraumes durch Verweise auf andere/s, zweitens Aufbau eines exklusiven Angebots, auf das selbst verwiesen wird, das also ins Zentrum rückt - am Ende steht als Höhepunkt die Namensgebung: ein Angebot wird benannt nach dem Namen des Anbieters. Seit 1996 existieren Verzeichnisse, die täglich weltweit Web-Sites nach der Anzahl der Zugriffe auflisten.
Netzreputation - oder soziales Netzkapital - entsteht durch kompetente Verweise auf andere/s und Verweise anderer auf sich selbst. Reputation und Zentralität durch Hypertextverweise hängen auf durchaus vertraute wechselseitige Weise miteinander zusammen: Reputation schafft Zentralität, Zentralität generiert Reputation. Es gibt jedoch eine substantielle Differenz zwischen beiden Prozessen. Netzspezifische Reputation kann nur durch Zentralität im Verweissystem entstehen. Ein Prozess, der für die erste (Früh-)Phase der politischen Geschichte des WWW-Netzes bis etwa 1994 typisch ist, in der das Militär von seiner im Gesamtspektrum der modernen Medienpolitik einmaligen Position noch zehrte und folglich die verschiedenen - militärischen und privaten - Akteure des right side of the Web gegenüber einem kaum präsenten sonstigen politischen Spektrum harmonisch hegemonial zusammenspielten.
Netzunspezifische Reputation demgegenüber kann irgendwoher kommen und Zentralität herstellen; dafür stehen Organisationen, Institutionen, Parteien usw., die das Netz seitdem in der zweiten Phase seiner politischen Entwicklungsgeschichte kolonisieren und aus ihrer importierten Reputation äußerst schnell Zentralität begründen. Der 1995/6 entbrannte Kampf um Trademarks und Domänenkennzeichnungen widerspiegelt diesen Vorgang. Nun beginnt sich das realgesellschaftliche Spektrum auf dem Netz zunehmend spiegelbildlich zu reflektieren: legitime politische Organisationen und Positionen, zivile staatliche Einrichtungen und die politische Mitte werden seit 1994/5 in rasch wachsender Zahl und mit zunehmendem Ressourceneinsatz präsent auf dem Netz: Mainstream-Medien wie "Spiegel" und "Focus", Bundestagsparteien, Großverbände. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.
Zunehmend parallel geschaltet verläuft mittlerweile bereits eine dritte Phase: Demonstration von Verweiskompetenz seitens jener, die durch eine - aus der Perspektive des Netzes: geliehene - externe Reputation Zentralität (Fremdverweise auf sich selbst) generierten und diese Verweise nun nutzen, eine eigene Verweisstruktur aufzubauen und damit netzsystemspezifische Verweiskompetenz zu demonstrieren, also zusätzliche - doppelte - Zentralität zu generieren. Damit positionieren sie sich als starke Netzakteure, die Einfluß ausüben können: wer einmal auf den Sites des Weißen Hauses oder der CDU gelandet ist, soll - bis auf Stoffelche - dort alles bekommen können, was er oder sie so braucht. Denn Politiker reden nicht gerne in oder zu Räumen, die sie nicht kontrollieren können.
In einem Raum, in dem zählt, wer sich zentral positioniert, steht das Verhältnis von Zentrum (oder Zentren) und Peripherie(n) im Mittelpunkt der Operationslogik und damit des subjektiven Akteursinteresses. Diesem Verhältnis können sich jene, die sich auf dem Web zu positionieren suchen, nicht entziehen. Die Konsequenz ist sehr einfach: die Zehntausende von selbst bezahlten und -gemachten Web-Home-Pages, die Verweise auf den "Spiegel" oder das "White House" oder womöglich "CDU.org" setzen, konstituieren zentrale Knoten der Aufmerksamkeitsverteilung und sind zugleich ein - völlig vergeblicher - Versuch, den Zustand des Peripheren, des Außenseitertums zu verlasssen. Der Hyptertextmechanismus ist nichts anderes als ein äußerst zwingender Imperativ, Peripherie, Marginalität oder, politisch formuliert, potentiellen Dissens zugunsten von Zentralität oder, politisch formuliert, Mainstream zu verlassen. Die technische Logik der globalen Hyptertextmaschine WWW hat also womöglich politische Implikationen: sie orientiert auf das politische Zentrum. Am Rande sei vermerkt, daß die Generierung von Zentralität ökonomisch auch durch eine Strategie erreicht wurde, die "Netscape-Strategie" genannt werden könnte und die 1996 auch Microsoft imitierte: Schenkung, also die kostenlose Bereitstellung von Informationen - z.B. eines Browser-Pogramms - im Tausch gegen Verweise. Durch die Verteilung der Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit (Links, Zugriffe) wird die ökonomische Geographie des Netzes als Massenmarkt konstruiert, das Internet wird in eine "unermeßliche Immobilie" (Wesemann) verwandelt, auf dem Zonen hohen [netscape.com] wie niedrigen [www.blah.com] Wertes mit schlechten und bessere Adressen entstehen.

Navigatoren im politischen Raum

Die politisch bedeutungsvolle technische Logik des Hyptertextmechanismus wird durch die spezielle Funktionsweise der mittlerweile etablierten Orientierungsprozeduren massiv gestützt: Suchmaschinen unterstützen häufig die politische Logik des Hyptertextes.

Während bis 1994 Kataloge, virtuelle Bibliotheken, Verzeichnisse, Guides und den Browsern beigegebene Sammlungen zur Benutzerführungen das dominierende Orientierungsmittel auf dem Netz waren, haben ihnen seitdem die weit ausgreifenden Suchmaschinen offenbar den Rang abgelaufen, von denen "Internet Sleuth" Anfang 1996 über 900 zusammenstellte. Ihre Nutzung ist zur Standardprozedur geworden, die das sequentielle oder diffuse Abarbeiten von Verweisen weitgehend ersetzt. Die Kapazität dieser Programmkomplexe der Suchmaschinen ist mittlerweile beträchtlich: Alta Vista gab im November 1996 an, 30 Millionen Seiten von 275 000 WWW-Servern sowie 4 Mio. Artikeln von 14 000 Usenet-Gruppen vollindiziert zu haben. Die täglichen Zugriffe auf den Site liegen bei 23 Millionen. Lycos, welches das Netz täglich katalogisiert, hatte Anfang 1996 19 Millionen URL`s (einschließlich Bildern, FTP und Gopher) erfasst [Ende 1996: 70 Mio URL`s], darunter 11,5 Millionen WWW-Seiten, von denen weniger als die Hälfte voll indiziert waren; die Lycos-Datenbasis umfasste im Frühjahr 1996 ca. 2,3 Mrd Wörter. Die Suchmaschinen nutzen Softwareagenten (Spider) um eine URL nach der anderen aufzusuchen. Dort einmal angekommen, verhalten sich die einzelnen Maschinen jedoch unterschiedlich. Einige Maschinen senden ihren Agenten zu jeder Seite und nehmen den Volltext jeder Seite auf. "Andere", so schreibt ein Beitrag in Internet World vom Mai 1996, "analysieren zunächst die Adressen des Datensatzes um zu ermitteln, welche Sites am populärsten sind (typischerweise, indem sie die Anzahl der Links ermitteln, die auf die fraglichen Sites verweisen). Dann schicken sie Programme aus um Informationen nur über diese Sites zu erfassen". Ein Beispiel ist die Excite-Suchmaschine, die ca. 1,5 Millionen Seiten indiziert hat: "Die Maschine versucht nicht, alle Web-Seiten zu sammeln, sondern sie baut eine Schätzung der populärsten Seiten auf, indem sie die Links erfasst, die auf Seiten liegen, die bereits als bekannt seien. Um Seiten zu finden, die noch nicht populär sind, wird der Spider zu einer Anzahl "What`s New"-Sites geschickt." Zu Lycos vermerkt Internet World: "Lycos baut seine Datenbank kumulativ auf, statt sie periodisch von Neuem zu generieren. Indem Lycos Informationen über neue und bereits existierende URL`s regelmässig updated, stellt die Lycos-Software ein Maß der Popularität jedes Sites her, indem sie nach der Zahl anderer Links schaut, die auf diese Sites verweisen. Die Maschine nutzt dann diesen Popularitätsindex, um jede einzelne Suche durchzuführen.... " Auch der Web Crawler fungiert nach dem Popularitätsindex: seine ca. 500 000 Seiten umfassen - neben den selbst angemeldeten - nur solche Seiten, die "gut besucht erscheinen oder Lücken in der vorhandenen Datenbank füllen." Die Suchmaschine Infoseek, die ca. 1 Million Seiten indiziert hat, ordnet die gefundenen Seiten nach "Relevanz", d.h. der Übereinstimmung mit den abgefragten Parametern und ermöglicht eine Anschlussuche nach "ähnlichen Seiten". Open Text, WWW-Worm und Lycos vermerken, wie oft Suchbegriffe gefunden wurden und erstellen so einen zusätzlichen Filter. Die mittels Generierung und erweiterter Reproduktion von "Popularitätsindexen" funktionierenden Suchmaschinen verdoppeln so die technische und politische Logik des Hypertextmechanismus.

Die netzweltliche Verdopplung realer Ungleichheit, die zentrumsfavorisierende Programmlogik des Hypertextes und die Verstärkungseffekte der Suchmaschinen nach dem Motto "Wer hat, dem wird gegeben" - man könnte auch sagen: "Wer Links hat, dem werden Reputation, Raum und Recht gegeben" - dies alles sind dem Hürden, die in Rechnung gestellt und überwunden werden müssen, wenn das Netz als Medium und Ort von Demokratiepolitik gebraucht werden soll. Eine letzte, prinzipielle Problematik kommt hinzu.

Hier geht es nicht um den breit diskutierten Informationszugang oder die gesellschaftliche Informationsverteilung . Die Ungleichheit politischer Machtverteilung ist nicht das Ergebnis ungleicher Informationsverteilung, wie Bibliothekare und Intellektuelle gerne glauben. Wer herrscht, tut dies nicht, weil er mehr weiss. Die Konzentration der Diskussion auf zuwenig oder zuviel oder falsch verteilte Informationen geht am politischen Kern vorbei: es geht darum, wie welche Informationen entstehen, wozu sie genutzt werden, welche Bedeutung sie für die Bildung eigener Interessen haben, ob sie relevant sind für Entscheidungen, wie Politik im - sozialen - Informationsraum selbst entsteht.

Das Netz als Informationsraum: die Grenzen, nicht das Zentrum sind das politische Problem

In seinem Urteil zum Communications Decency Act zog der Federal Court im amerikanischen Philadelphia zur Beschreibung des Internets Vergleiche zur Zeitung, Bücherei oder Postamt, zum Theater, öffentlichen Forum und virtuellen Gemeinschaften. "The Internet may fairly be regarded as a never-ending worldwide conversation...the most participatory form of mass speech yet developed. "21 Cyerspace als The Great Conversation.
Diese neue kommunikative Vergesellschaftung im virtuellen Raum revitalisiert das Konzept des "öffentlichen Platzes" jenseits von Arbeit und Wohnung, aus den neuen öffentlichen Räumen erwächst eine neue kommunalförmige und zugleich globale Öffentlichkeit. Solche Rede nun ist, sobald wir sie als Element der bürgerlichen Öffentlichkeit begreifen, die eine Erfindung der politischen Gesellschaft des Kapitalismus war, kein Selbstzweck, sondern substantielle Begründung von Volkssouveränität; es geht darum, "daß die unbehinderte Rede der Bürger von sich aus zu einem Verfahren finde, zu einem Prozeß. Der Prozeß, in dem sich die Vernünftigkeit des Streites immer deutlicher offenbare, dränge am Ende zum Urteil, zur Entscheidung, in der sich die volonté générale herstellen müsse. Öffentlichkeit wird also dazu gebraucht, die vagen und vorurteilsvollen Meinungen der Privatleute zum Beschluß, zum Gesetz zu führen...Dieser Zweck der Öffentlichkeit und der unbeschränkten Meinungsbildung," kritisiert Claus Koch, "nämlich die Vernünftigkeit der Institutionen zur Selbstbeherrschung der Bürgerschaft zu ermitteln, steht gerade nicht dem Internet eingeschrieben."22 Wieso ist im Informationsraum die Bildung eines allgemeinen Willens, seine Äußerung in einer Entscheidung und deren Durchsetzung nicht möglich? Ist die Losung des Internet tatsächlich - mitmachen ist möglich, siegen nicht ? Bietet der neue Informationsraum also nur das, was Helmut Qualtinger in den prophetischen Satz "Ich weiß zwar nicht wo ich hinfahr, aber dafür bin ich schneller dort" fasste? Wie soll denn die politische Ordnung und die Ordnung der Politik im Cyberspace entstehen?

Auf der Tagung "Macht Information" im September 1996 - und später in einem FOCUS-Kommentar zum Thema "Wieviel Bytes verträgt die Demokratie?"23 - hat der Freiburger Ordinarius Ludger Kühnhardt behauptet, dass es im Netz kein Zentrum mit "zentralem Mandat" gibt, aus dem gleichsam die "Ordnungen der Politik" hervorkommen, weshalb im zentrumslosen Netz der "Ort der Politik verloren" gehe, demgegenüber "mehr und nicht weniger staatliche Autorität" angesagt sei. So kann nur der argumentieren, für den der politische Raum mit einem privilegierten Zentrum ausgestattet sein muß, um überhaupt als politischer Raum ausgezeichnet zu sein und für den die Dezentralitätsvorgabe aus einer Welt technisch gleichberechtigter Datenknoten ein Kontrollrisiko aufwirft.
Doch nicht das fehlende Zentrum, sondern der Fakt fehlender Grenzen ist das Problem des politischen Netzraums. Politik meint Entscheidungen über Machtverteilung zwischen großen gesellschaftlichen Gruppen oder Klassen. Sie setzt voraus, dass im politischen Raum Machtressourcen knapp sind. Funktioniert Politik noch so im Cyberspace, der endless frontier, wo, wer sich dort bewegt, ununterbrochen die widersprüchliche, eigentümliche Erfahrung der Grenzenlosigkeit und der ständigen Präsenz von Grenzziehungen macht, er in einem Informationsraum operiert, der praktisch keine Grenze hat und zugleich voller Grenzzäune und fragmentierten Öffentlichkeiten ist? Eine politische Theorie des Cyberspace muss auf diesem Grundparadoxon aufbauen.
Im Cyberspace gibt es Grenzziehungen, die sogar - im Vergleich zur realen Welt - ganz unschwer gezogen werden können: durch Namensgebung (Domain-System) und virtuelle Adressierungen, Clusterbildung von Adressen, spezielle Passwörter, Eintrittsgebühren oder, vor allem, Softwareprotokolle ("Das Internet ist Software" - Ethan Katsh). In real life werden diese Schließungstendenzen in "so einem wunderbaren Medium" (Middelhoff, Bertelsmann) vielfach unterfüttert: Arbeitsplatzrechner werden nur noch ohne Diskettenlaufwerk aufgestellt, die E-Mail-Nutzung im Betrieb wird veboten, Firewalls gegen Eindringlinge werden aufgestellt usw. Daraus ergibt sich, dass Inhalte oder Verhaltensweisen, die in einem Informationsraum akzeptiert und möglich sind, im nächsten nicht gelten und die Sicherung solcher Grenzen vergleichsweise weitaus weniger Aufwand erfordert als im Falle reale existierender Grenzen. Gemessen an der Realwelt des Immobilienmarktes ist die Eigentumskonstruktion in der virtuellen Welt, der Aufbau von Schranken, kommerziellen Zugangsschwellen, exklusiven Zonen und Räumen leicht. Doch diese Grenzen sind permeabel, umgehbar, zeitweilig - also relativ. Entscheidungen, die Machtverhältnisse in einem gegebenen Informationsraum generieren oder tangieren, politischen Entscheidungen also, kann sich der Netizen eben entziehen, indem

  • er schweigt,
  • eine neue Idendität annimmt,
  • sich anonymisiert
  • einen neuen Informationsraum nach seinem Gusto aufmacht
  • oder den virtuellen Raum verlässt.

Eintritttskosten und Austrittskosten sind gering. Während in der wirklichen Welt der wirklichen Staaten die Realisierung politischer Zielsetzungen wie auch die Rechtsdurchsetzung letztendlich auf die Fähigkeit zur Ausübung physischer Gewalt bauen können, ist im virtuellen Raum die Durchsetzungsfähigkeit, also Gültigkeit der Regeln und Normierungen dieses Raums auf Zustimmung angewiesen; sie kann nicht mit Zwang sanktioniert werden. Es ist also sehr zweifelhaft, dass der Netzraum ein Platz für zwingend folgenreiche Entscheidungen ist, denen sich die Betroffenen nicht enziehen können: "Abwanderung" (Hirschman) - Exit - ist möglich, das Netz hat - im Unterschied zum realen Staat - immer einen Ausgang. Wenn politische Entscheidung über Machtverteilung zwischen gesellschaftlichen Gruppen die Essenz politischen Handelns ist, dann ist das Netz insofern strukturell unpolitisch, weil es kein derart essentieller Entscheidungsort sein kann. Ungeachtet, ob das Internet als ein Medium der Kommunikation oder als Informationsraum ("Cyberspace") konzipiert wird: es ist insofern kein Mittel oder Ort der Entscheidung.24 Und insofern trifft auch die Beobachtung von Horst Bredekamp in der "FAZ" zu: das Reden und Schreiben auf dem Netz führt nicht zum Zustand "der Übereinstimmung oder des Bruches, sondern zur beständigen Erweiterung von Varianten."25 Eine konkrete Beobachtung hierzu: politische Positionen und Meinungen finden sich zuhauf auf den politischen WWW-Sites - Konflikte nicht. Die Sites beziehen sich nicht aufeinander: CDU ignoriert SPD, PDS ignoriert die Grünen, die Grünen ignorieren die CSU. Die Spezialkulturen, die ein Aussetzen dem Anderen gegenüber ersparen, vereinheitlichte Präferenz-Gemeinschaften und homogene Cyber-Gruppen also, dominieren, vom Zappen und Surfen der Voyeure und Netzflaneure in uns allen einmal abgesehen. Es entstehen fragmentierte Idenditäts- und "Informationsinseln" (Hecht) der Selbstbewerbung und des politischen Marketing, keine medialen Netze konfliktorischer Diskurse, die historische Rekonstruktionen auf verschiedenen kognitiven und Interesseniveaus erlauben. Natürlich finden sich Gegenbeispiele der direkten Thematisierung und des Austragens politischer Konflikte auf dem Netz. Nur: sie werden dort nicht gültig entschieden. Was auf den ersten Blick als ein Gegenbeispiel erscheint wie z.B. die jüngste Abstimmung über die Gründung einer offenbar rassistischen Newsgroup zu weißer Musik, die mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurde, ist nicht nur, nüchtern betrachtet, völlig peripher, sondern ein Beleg für die These: die Betreiber dieser Gruppe können einen eigenen Informationsraum für ihr rassistisches Projekt aufmachen oder das Netz verlassen, was sie auch getan haben, und in real Life Rassisten bleiben. Das Netz kann somit ein Medium für die "große Unterhaltung", also politische Meinungs- und Willensbildung sein. Es ist kein Raum für politische Entscheidungen.
Auf den ersten Blick realisiert das Internet den neuen, alten bürgerlichen Weltzugriff: von einem - seinem - Ort aus, dem Netz-PC, die Welt zu ergreifen, zu begreifen und über sie zu verfügen. Doch die Welt hat kein Ende und der Ort ist bodenlos. So spielen diffuse Fragmentierung in zahllose Netzräume und Grenzenlosigkeit des Cyberspace zusammen: beides beschränkt, untergräbt, zersetzt den Bildungsprozess einer über die technische Architektur hinausgehenden diskursiven Gemeinsamkeit. Deshalb ist die Idee eines demokratischen Weltstaates auf dem Netz ebenso lächerlich wie die von den wirklichen gesellschaftlichen Interessengegensätzen absehenden menschheitsharmonisierenden Weltbürgerideen der Vergangenheit und daher können die zumeist us-amerikanischen "Teledemocracy"-Hobbyprojekte26 vielleicht gerade mal noch als anrührend-aufmunternde Don Quittocherien durchgehen. Und das so interessant das Nachdenken darüber auch ist, ob elektronische Agents und Spider wählen können und dürfen, es ändert nichts daran, dass es nichts bedeutet, ob sie wählen dürfen oder nicht: ihre Stimme, einmal abgegeben, verliert sich folgenlos im Cyberspace.
Wo das "Ich-Fernsehen" und das "EgoNet" verschmelzen zu einer virtuellen Welt, die auf Verdoppelung individuellen Wohlbehagens aus ist, wird die Chance des Netzbürgers, sich dem Unterschied, der Differenz, dem Widerspruch, dem Fremden auszusetzen, radikal minimiert. An die Stelle der Massenmärkte für Massenmedien sind schon lange massenhaft Spezialmärkte für Individualkommunikation getreten. Die großindustrielle Fabrikation eines nach Millionen zählenden Heers von Netzmonaden ist durchaus im Gange - was da als Motivation bleibt, ist womöglich gerade mal teilzuhaben an der Chance des Aufbaus eines virtuellen Kapitalakkumulationsraums ohne Ende, der Weg ins unendliche Neuland des virtuell aufgestockten Kapitalismus. Politische Subjekte, die mehr sind als feedbackfähige Netzmonaden, kommen in diesem Szenario nicht vor.

Das Netz als Medium: die demokratiepolitische Falle

Obwohl das Netz im Ergebnis politischer, nämlich militär- und technikpolitischer Entscheidungen entstanden ist, bildet es also insofern einen unpolitischen Raum, als es kein Ort für Entscheidungen über Machtverhältnisse ist. Im Netz nun aber findet durchaus Politik statt. Politische Anbieter, Mailing-Listen, Sites, Chats, Zensur, Allianzen Aktionen, Unterschriftenlisten, Petitionen, Voting und Flaming - alles ist zu finden und noch viel mehr. Doch das alles hat mit Kampf um Sichtbarkeit und die Ermöglichung von Aufmerksamkeit, mit Meinungs- und Willensbildung, also auch mit Entscheidungsvorbereitung oder -konfiguration zu tun, nicht mit Wahl, Entscheidungsfällung und wenig mit ihrer Implementierung. Wer im politischen Informationsraum agiert, hat schließlich noch mit einem weiteren demokratiepolitisch relevanten Problem zu tun, das aus der technischen Konstruktion des Netzes resultiert.
Mit dem Internet wurde technisch ein Kommunikationsmedium geschaffen, dessen prozessierender Inhalt durchgängig als Privatkommunikation arrangiert werden kann: mit der Möglichkeit zur Verschlüsselung ist historisch erstmals eine Form politischer Kommunikation entstanden, die der Staat nicht kontrollieren kann. Damit werden demokratische Schutzmechanismen, die für den Modus öffentlichen Redens entwickelt wurden, außer Kraft gesetzt: das Recht auf Freiheit vor (z.B. anonymer) Kommunikation nazistischer, rassistischer oder sexistischer Inhalte, das Recht auf Gegendarstellung, das Recht auf Diskriminierungsfreiheit sozialer oder ethnischer Minderheiten, die Norm öffentlicher Kritik usw. - dies alles greift nicht mehr, wenn jede Kommunikation privatisiert werden kann. Der Preis für die Freiheit vor - im Falle des Internet dann eben notwendigerweise unbegrenzter - staatlicher Intrusion in die Privatkommunikation, die nur durch eine prinzipielle Aufhebung des Rechts auf private Kommunikation mithilfe unbegrenzter Verschlüsselung möglich ist, dieser Preis ist die massive Einschränkung historischer Errungenschaften demokratischer Öffentlichkeit.27

4 Die Informationsgesellschaft als Ende der neuzeitlichen Demokratie bürgerlicher Moderne?

Die Krise der Repräsentanz

Wenn - wie Wolfgang Coy es entwickelt hat - die Informationsgesellschaft der Name für das Ende der Neuzeit ist, bezeichnet sie dann nicht auch das Ende der neuzeitlichen Demokratie bürgerlicher Moderne? Infrage gestellt wäre dann die moderne Demokratie als Form politischer Herrschaft, deren Aufgabe es war, politisch zu integrieren, was gesellschaftlich gegeneinander stand, da es ökonomisch in unauflösbare Widersprüche gesetzt war. Für das Funktionieren einer Gesellschaftsordnung, in der die Politik der einzige Geltungsbereich des Mehrheitsprinzips ist, haben politische Organisationen und Institutionen wie auch die im letzten Jahrhundert erfundenen Massenmedien neben anderen zwingend die Funktion der Verabeitung der Konflikte aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Verarbeiten heisst Stillegen, Ignorieren, Verschieben, Austragen von Konflikten. Diese Aufgabe der Massenmedien, politische Integration zu reproduzieren - also das große Bilder- und Talkschaurauschen, den Frohsinn - realisieren sie, indem sie eine zentrale Errungenschaft der politischen Moderne sukzessiv vernichten, für die im politischen Alltagssprachgebrauch seit einigen Jahren der Begriff der Zivilgesellschaft verwandt wird. Massenmedien organisieren Zivilgesellschaft - viel mehr aber noch vernichten sie diese. Die zentrale politische Innovation des 19. und 20. Jahrhunderts war die Massenorganisationen der Arbeiterbewegung - Partei und Gewerkschaft - als Nomenklatur oder Repräsentanz der neuen Klasse, eine Erfindung, die im 20. Jahrhundert zum Beispiel in völkischen Massenbewegungen verallgemeinert wurde. Diese politische Repräsentanz basierte auf Gruppenidendität, auf deren Erfahrungshintergrund individuelle Entscheidungen getroffen wurden und Wahl, Mandat, Delegation Bedeutung hatten. Diese alte Kohärenz zerbricht. Das Resultat ist die Krise der politischen Repräsentanz, als deren Element Politikverdrossenheit, Gleichgültigkeit und Delegitimation einzelner politischer Mehrheitsentscheidungen oder dieses Verfahrens selbst gelten können - Stichwort "Demokrativersagen". Zu fragen wäre, ob für die Erklärung dieser Repräsentanzkrise - die über die Arbeiterbewegung ja weit hinausgeht - nicht Analysen hilfreich sein könnten, die am - sicherlich ziemlich anders gelagerten - US-amerikanischen Beispiel gewonnen wurden. Robert Putnam hat 1996 in der Zeitschrift "The American Prospect" 24 (1966) eine Analyse mit dem Titel "The Strange Disappearance of Civic America" veröffentlicht, die zeigt, dass es einen langandauernden Rückzug der Amerikaner aus dem gesellschaftlichen und öffentlichen Leben gibt.28 Die "public person", der "citizen", das "zoon politikon" verschwindet. Anhand umfangreichen empirischen Materials - Vereinsmitgliedschaften, Zeitungsabonnements, Wahlverhalten usw. usf. - diagnostiziert er einen Generationsbruch: Die engagierte Generation, die zwischen 1910 und 1940 geboren wurde, erreichte ihren Zenit 1960, als sie 62 % der Wählerschaft ausmachte. Seit dieser Zeit sind die Rückzüge evident. Wer also ist der Hauptverdächtige? Wie das Ozonloch entdecken wir ihn erst Jahrzehnte, nachdem er zu wirken begann: es ist, so Putnam, das Fernsehen. 1950 hatten 10 % der Amerikaner TV, 1959 90 %, 1995 lag der TV-Konsum per Haushalt doppelt so hoch wie in den 50ern, bei 3-4 Stunden, 3/4 der Haushalte hat mehr als einen TV und ermöglicht individualisierte TV-Nutzung. Betrachtet man das Zeitbudget, dann hat das Wachstum des TV-Konsums in den USA zu einem Viertel bis zur Hälfte beigetragen zum Rückgang gesellschaftlicher und öffentlicher Tätigkeiten und zur Privatisierung der individuellen Zeit. Was an Aufnahme politischer Informationen bleibt, kommt - wie gegenwärtig bereits für jeden zweiten Amerikaner unter 35 - aus dem Fernsehen. Hier geht es schon lange nicht mehr um die Passivität der bestenfalls symbolisches Feedback vortäuschenden "Zuschauerdemokratie" des TV-Systems, sondern um das Verschwinden demokratischer Kultur. Was übrigens das liberale Demokratiemodell als Toleranz der Nichtbeteiligung ausweist.

Elektronischer Leaderismo als Zukunft?

Noch einmal: wenn wir die Informationsgesellschaft als das Ende der Moderne ansehen und das Leitmedium der auslaufenden modernen Industriegesellschaft - das Fernsehen - mehr oder weniger entscheidend zur Zerstörung der zivilgesellschaftlichen Grundlagen, Gruppenidenditäten und Klassenrepräsentanzen der modernen Demokratie beigetragen hat, ist zu fragen, woher die Hoffnung kommen soll, dass das Netz als mediale Kernstruktur der neuen Informationsgesellschaft ausgerechnet eine Revitalisierung der Demokratie bzw. politischen Öffentlichkeit bewirken soll und nicht vielmehr eine Vollendung dieses Prozesses der Konstruktion privatistisch existierender Individuen durch virtualisierte und elektronisch mediatisierte politische Kommunikation, die das Beurteilen von Wirklichkeit weitaus schwieriger und riskanter macht als nicht-elektronische Kommunikationsformen. Von Individuen, die ja übrigens zukünftig keine Arbeitnehmer mehr sein werden, sondern millionenfach individualisiert als unselbständige Selbständige gleichsam als je einzelnes Profitcenter an ihrem Marktsegment des globalen Unternehmensnetzes hängen und sterben. Eine Netzes im übrigen, dessen Propagandisten ja heute schon mit entsprechender Demokratierethorik auf den Lippen und der Home-Page es feiern, dass der Kunde von selbst zum Konzern kommt, sich alles, was er braucht, mit Netz-Card herunterlädt und dazu weder Gewerkschaft, Verbraucherverein oder die SPD braucht. Der direkte Zugriff vom Netzkonzern zum Kunden - das ist der Markt ohne Friktionen, von denen Bill Gates in seinem Buch sprach und das ist die politische Netzstruktur des Leaderismo, den Berlusconi mit dem alten Medium vorgemacht hat und der als Empowerment des Individuums in der politischen Netzwelt von Netzgurus wie Esther Dayson gefeiert wird.29 Die kommunikationstheoretische Begründung der Demokratie ist ja entstanden im Widerspruch gegen jene Theorietraditionen, die den Zusammenhang von Arbeit und Demokratie in den Mittelpunkt stellten. Bis heute schneiden die kommunikationszentrierten politischen Theorien des Internet jene neuen, vorgelagerten Probleme ab, die aus der Virtualisierung der Arbeit und Produktion entstehen: Solidaritätsbewußtsein, Bildung gemeinsamer Interessen und kollektives Handeln setzen objektive und subjektive Gemeinsamkeitsdimensionen voraus, die sich in der neuen Netzwelt - wenn überhaupt - auf andere Art konstituieren als bisher. Mit Sicherheit ist der kurz- und mittelfristige demokratiepolitische Effekt der Virtualisierung der Arbeit negativ. Ein demokratisches, netzpolitisches Konzept, das diese neue politische Ökonomie der Netzarbeit und des Netzkapitals ignoriert, muss scheitern.

5 Demokratiepolitische Stichworte

Dabei geht es darum, ob die neuen Netzmedien und -räume dazu beitragen können, vorhandene Strukturen der Politik so zu ändern, dass neue Entscheidungsbedingungen und damit Korridore zur Ausarbeitung und Realisierung neuer politischer Optionen entstehen können Siehe die "demokratiepolitischen Stichworte". .

1. Der englische Soziologie Anthony Giddens hat von zwei Verständnissen der Demokratie gesprochen: Demokratie als Interessenrepräsentationen und Demokratie als Deliberation, als Ort der Kommunikation, des Arguments, der Diskussion. Interessenrepräsentation ohne Dialog oder Deliberation ist undemokratisch und zudem ineffektiv. Dialog ohne Interessenrepräsentation ist politisch halbiert, weil um die Entscheidungsdimension gekappt. Das Netz ist kein Ort demokratischer politischer Entscheidungen, aber ein Ort der Kommunikation, ohne die Entscheidungen undemokratisch und ineffektiv sind. Natürlich braucht die Öffentlichkeit Informationen, aber es geht um um Informationen, die durch Debatte geschaffen werden. Wir müssen das Netz als Raum der zweckgerichteten, nämlich entscheidungsvorbereitenden interaktiven Kommunikation zur Interessenrepräsentation nutzen.

2. Die Repräsentationskrise der Moderne begünstigt populistische Politik, den Leaderismo, wo das Netzindividuum scheinbar direktdemokratisch im Kontakt steht mit politischen Führungsintallationen und unter Umgehung der intermediären Organisationen, wie der Gewerkschaften. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: das politische Individuum steht - ohne kollektive Schutzrechte, Filter, Willensverstärker - dem Machtcluster des Leaders gegenüber. Notwendig ist, dass intermediäre Organisationen wie die Gewerkschaften, Initiativen usw. die Interessen ihrer Mitglieder im Netz repräsentieren und dabei eine Form der demokratischen - z.B. dezentralen - Organisation und Repräsentation der individuellen Interessen erarbeiten. Das Netz ist im Unterschied zu den anderen Medien, eine dezentrale Medientechnologie, eine Assoziationstechnologie. Kein Zweifel, dass sich diese Organisationen dabei selbst verändern müssen. Zu dieser netzpolitische Rolle von intermediären Organisationen kann auch gehören, auf den für Entscheidungen zugelassenen Politikfeldern im Sinne eines "third party models" (Bullinga) Mitgliedervoten treuhänderisch zu verwalten.

3. Die Netze der Zukunft werden weit differenzierter sein als heute und eines ist sicher: die Steuerung der Zugänge und Nutzung über das Medium Geld wird eine weit wichtigere Rolle spielen als heute. Gute und schnelle Bilder und Daten werden weitaus mehr kosten als heute.30 Was es umsonst gibt, soll wertlos werden oder sein. Es ist demgegenüber notwendig, öffentliche, kostenlose oder billige Räume mit hochwertigem Inhalt zu sichern. "Wenn Geldautomaten an jeder Straßenecke aufgestellt werden können", fragte jüngst Patricia Mazepa in einem Aufsatz, "warum dann nicht auch öffentliche Netzterminals?"31 Dazu müssen technische, rechtliche, finanzielle und bildungsseitige Zugangshürden zu den Netzen beseitigt werden.

4. Parteien, Gewerkschaften, Stiftungen, kleine Verbände oder Betriebsräte werden kein Eigentum an Maschinen, Netzen, Kanälen und Kabeln erwerben können. Wie können sie Aufmerksamkeit auf sich lenken, sichtbar werden? Kaum durch das strukturell schwache Votum als User der neuen Medien. Es gibt dafür nur einen erfolgversprechenden Weg: Content-Provider der Wünsche und Interessen ihrer Mitglieder zu werden, nicht durch "Benutzerführung", sondern durch Organisation der Selbstorganisation. Das ist die politische Hauptaufgabe solcher Organisationen und hier stehen sie noch am Anfang. Warum gehört nicht zum Erwerb der Partei- oder Gewerkschaftsmitgliedschaft das Angebot, auf einem Hausserver eine Home-Page einzurichten? Eine Zuverlässigkeitsbeglaubigung besonderer Art gibt es dann: die Information kommt direkt aus der Quelle und nicht von CNN oder dpa.

5. Das Netz ist in mehrfacher Hinsicht ein Universalmedium: es schließt mündliche face-to-face-Kommunikation ebenso ein wie audio-visuelle und gedruckte Medienpraxen, erhöht bei minimierten Kosten die Transaktionsdichte, ermöglicht Broadcasting und Narrowcasting. Großorganisationen wie die Gewerkschaften mit einer Tradition breiter Dienstleistungen für viele Lebens- und Arbeitsbereiche sind ebenso wie die Kulturen dezentraler Kooperation der alten neuen sozialen Bewegungen hervorragend disponiert, zielgruppenspezfisch auf dem Netz zu operieren und Spezialmärkte für Individualkommunikation abzudecken. Dazu müssen sie Information Broking entwickeln, Netzmarketing betreiben und komplexe Querschnittsmedienpolitiken zur politischen Mobilisierung entwickeln. Um welchen Inhalt geht es dabei? Vielleicht zunächst eine negative Umschreibung:

  • Die durch geschäftige Agenten, Spider und Filter zugeschneiderte neue Wirklichkeit des je individualisierten Informationsraums kann es nicht sein: die Nachricht über die Wirklichkeit durch zielgruppenspezifische Information zu substituieren - Wirklichkeit ist das, was gefällt - kann nicht gemeint sein.
  • Und nicht gemeint sein kann jene - Privatheit nur noch als Recht auf Selbstverwertung respektierende - Invasion in den privaten Raum des Individuums, die nicht für die Erweiterung individuelle Raeume und einen befreienden Strukturwandel der Oeffentlichkeit steht, sondern fuer die Zerstoerung jeder Differenz zwischen Oeffentlichkeit und Privatheit.

Gemeint ist, dass Erfahrungs- und Praxisraeume, die in unserer Gesellschaft mit kulturellen, rechtlichen oder oekonomischen Mitteln tabuisiert, unsichtbar gemacht oder zum Schweigen gebracht werden - dass diese Praxen sichtbar gemacht werden.

6. Demokratische Netzpolitik kann kein Interesse daran haben, geschlossene Netzräume zu konfigurieren, sondern muß - der Logik des Netzes folgend - offene Angebote bauen, sichtbare Allianzen schließen, Positionen aufbauen: durch transparente Zitierkartelle, Arbeitsteilung, Verweispolitiken usw. Es geht also um den Aufbau von fluid networks (Hage/Powers). Offene Netze und offene Politik bedingen sich. Die demokratiepolitische Qualität der Netze und des neuen Informationsraums entsteht aus der demokratischen Konfiguration der technischen Architektur des Netzes und setzt eine demokratische Kultur des politischen Realraumes voraus. Das Netz ist eine überlebensnotwendige Modernisierungschance: die suprastaatlichen, deterritorrialisierten Unternehmensnetzwerke der Zukunft sind die neuen idenditätsbildenden Arbeits- und Berufsorte, in denen Allianzen gerade mithilfe elektronischer Kommunikation und Organisierung gebildet werden müssen. Das heißt natürlich nicht, dass die Inhalte beliebig werden. Der amerikanische Stadtsoziologe Manuel Castells hat im März 1996 auf einer Diskussion am MIT bemerkt: "Ein Drittel oder ein Viertel der US-Bevölkerung ist nicht nur arm, ausgebeutet oder depressiv, sondern einfach irrelevant. Wer ausgebeutet ist, "sagt Castells, "hat eine soziale Beziehung und Bedeutung. Du weißt, mit wem Du es zu tun hast. Wenn Dich ein anonymes Netzwerk marginalisiert - wo ist dann der Sinn?" So denke ich, dass die grenzenlose - "anonyme" -Netzförmigkeit der zukünftigen Arbeits- und Kommunikationsweisen es mehr denn je erfordern, solidarische Diskussion, Beratung, Bildung, sinnhafte Orientierung über die wirkliche Gesellschaft, in der wir leben und die Interessen, mit denen wir es zu tun haben.

Quellenverzeichnis | Tabelle 1: Positionierung politischer Web-Sites im Verweisraum | Tabelle 2: "Demokratiepolitische Stichworte" .

 

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