Rainer Beitrag zur
Verabschiedung von Reinhard Kühnl home texte
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Gut gelaufen! Wissenschaft,
wie sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft erfunden und etabliert
hat, dann auch rasch sei`s mit oder ohne moralischem Raissonement sehr mächtig
und milliardenschwer wurde, hat sich ebenso erfindungs- und erfolgreich
durch eine Fülle von Organisationen und Institutionen eingerichtet und
auf Dauer gestellt. Diese sind das zähe Skelett einer Unternehmung,
deren Wirkungen, Leistungsfähigkeit und Versprechungen geradezu
ungebrochene Expansion garantieren, übrigens ständig neu munitioniert
aus dem Argumentationsreservoir einer äußerst geschichtsbewußten
Kultur, zu der ja auch erfolgreiches Beschweigen der eigenen Geschichte
und einschlägiger Taten gehört. Neuerdings ist das Schweigen durch
lebhafte Entschuldigungs- und Verzeihungsrethoriken abgelöst worden,
deren letztes Beispiel der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Markl
vor wenigen Tagen gab (und er ist einer der zehn mächtigsten
Wissenschaftsfunktionäre der Republik), als er sich in der FAZ vom 18.
Juni 2000 ganz besonders entschuldigte dafür, dass die deutsche
Spitzenforschung, die er repräsentiert, es ein halbes Jahrhundert versäumt
habe, ihre verbrecherische Rolle im faschistischen Wissenschaftssystem
aufzuarbeiten, was, wie er diagnostiziert, seinen Grund „gewiß
auch im mangelnden Willen mancher Mitwisser oder gar Mittäter innerhalb
und außerhalb der Max-Planck-Gesellschaft (hatte), sich ihrer
historischen Verantwortung zu stellen.“ Und er fragt mit keinem Satz,
welches Interesse derlei Willensarmut begründete. Und dass er dabei
leichthin nicht wenige kritische, linke, marxistische – und, horribile
dictu! – zuweilen auch in der DDR entstandene Texte in seinem ausführlichem
Stellvertretungs-Mea Culpa verschwieg, wundert niemand - weil es fast
niemand mehr bemerkt. Dumm
gelaufen, schade eigentlich, tut uns leid, soll nicht wieder vorkommen,
bitte um Verzeihung. Die
Macht, welche sich in den dominanten Akteuren der Wissenschaft
konzentriert, war fast immer Garant dafür, dass sie bekamen, was sie
wollten, sie tun und lassen und sagen konnten, woran sie interessiert
waren, und die eigenen Reihen einigermaßen in Ordnung hielten. Und bis
heute ist die Inszenierung des Politikfreien, Politikfernen, eines
vorgeblichen Desinteresses an Macht also und der eigentlich
unpolitischen Hingabe an den Prozess der Wahrheitsfindung und –vermittlung
das selbstverständlichste und effizienteste Mittel, die eigenen
Angelegenheiten erfolgreich zu plazieren. Das mag einer der Gründe dafür
sein, warum uns ein Blick auf die Organisations- und
Institutionengeschichte der Wissenschaft der vergangenen zwei
Jahrhunderte so wenige, und erst recht so wenig überlebensfähige
Organisationen zeigt, die an der Schnittstelle von Wissenschaft und
Politik operieren und die notwendig waren, um die Politik der
Wissenschaft umzusetzen. Sie wurden eigentlich nur gebraucht, wenn es um
Opposition der eher Ohnmächtigen ging. Reinhard
Kühnl hat vor so gut 33 Jahren eine solche Organisation ohne Macht
mitgegründet. Eine Politik der Ohnmächtigen und, zuweilen auch, eine
Politik der
Ohnmacht, inmitten eines Feldes, dessen allein relevanter Code
eben Macht ist! Wie diese sich von der Politik der Macht unterscheidet,
ist ein ungeheuer spannendes Problem für den demokratischen
Politikwissenschaftler. Sie organisiert sich anders, operiert
symbolisch, mit eigener Rhetorik und eigenen Normen, ist auf Teilhabe
angewiesen und geht ganz anders mit dem um, was im politischen
Normalgeschäft als Niederlagen gehandelt wird. Reinhard Kühnl hat im
BdWi an herausragender Stelle so gut die Hälfte seines Lebens
politisch-wissenschaftlich gearbeitet und mit diesem auch für diesen
Verband einmaligen Engagement ihn stark geprägt, also geholfen, dass er
auch sich bis heute, zum Entsetzen von Herrn Keuner, kein bißchen verändert
hat: immer noch ist er ein zwar kleiner, aber gleichwohl der größte
linke unabhängige politische WissenschaftlerInnenverband der
Bundesrepublik. Dem
Gründungsvorstand dieses 68`er Bundes demokratischer Wissenschafter gehörten
Düker und Jens, Klafki, Habermas, Sandkühler, de la Vega und Abendroth
an. Nicht geschafft hatten es Oskar Negt mit drei und Frank Deppe mit
immerhin 5 von 18 möglichen Stimmen. Reinhard Kühnl war nicht dabei,
in einem öffentlichen Dokument des BdWi findet sich sein Name laut
Archiv jedoch schon früh in einem Aufruf in Sachen hessischer
Hochschulgesetzgebung, dessen Fortsetzungen dann übrigens einen Dissens
mit Jürgen Habermas bewirkten und die innere Ungleichzeitigkeit eines
demokratischen Ordinarienverbandes dokumentierte. Solche Unterschriften
erfolgten damals übrigens in aller datenschützlerischen Unbefangenheit
mit Name und Adresse, Reinhard Kühnl hat damals im Sohlgraben 18, 3554
Cappel gewohnt. Als dann die auslaufende Hochschulkulturrevolte mit
ihrem zuweilen relativ radikalreformistischen Kern, der
Assistentenbewegung, eine Neugründung des BdWi im Februar 1972 mit sich
brachte, wohnte Reinhard offenbar nun in 3551 Wehrda, Unter den Eichen
33 und erhielt auf dem Gründungskongress von 352 Stimmen mit 284 die
Meisten, 4 mehr als Walter Jens und 43 mehr als Georg Fülberth. Das
BdWi-Archiv dokumentiert dann nur noch zweimal einen Ortswechsel –
Erfurter Str.20 und Sonnhalde 6 – und mit gleichmütiger Monotonie
Deine Mitgliedschaft im engeren, also tatsächlich arbeitenden
Bundesvorstand des BdWi (bis 1975 und dann wieder ununterbrochen ab 1982
bis hinein ins nächste Jahrtausend). Die Themen der Zeit damals waren
Notstandsgesetze und Wissenschaftskritik und Hochschulveränderung, dann
Berufsverbote und immer wieder: kein Beschweigen und keine Übungen in
Verzeihungselbstexkulpationen, sondern Ursachen- und Verlaufsanalyse und
Kritik des Faschismus und Faschistischen und der politischen Rechten.
Die erste umfassende wissenschaftliche Analyse der Partei, die nun, nach
einem Dritteljahrhundert, einem Verbotsverfahren unterliegt, der NPD,
ist auf deine Initiative entstanden. „Wissenschaftler analysieren
Konzeption und Funktion von Franz Josef Strauß“ war der Titel eines
von Dir stark geprägten Kongresses des BdWi im Juni 1980, um die
„Neue Rechte“ ging es in den 80ern wie 90ern, um Nationalismus in
der letzten Herbstakademie des BdWi. Die Artikel von Dir in der
Verbandszeitschrift „Forum Wissenschaft“ verhandelten die
„Ideologische Motive präfaschistischer Geschichtswissenschaft“
ebenso wie „Nationalismus der Wissenschaft“ oder, vor kurzem,
„Judenhass und Judenmord“, daneben immer wieder Texte zum Thema
Militär, Kriegsursachen, über die Ermöglichungen von friedlichen Verhältnissen,
dabei immer mit dem Plädoyer für interdisziplinären Zugriff
auf das Ganze der Strukturen und Prozesse von Gesellschaft und Politik.
Im BdWi war Dein Medium eher das Sprechen als das Schreiben, die
Bearbeitung der Spannungen zwischen Wissenschaft und Politik, es zählte
auch politische Erfahrung, historisches Wissen in der sehr
geschichtsfeindlichen Welt des Politischen und die reflexive
Konfrontation mit den krassen Brüchen zwischen den Generationen in den
Zugängen zur Politik und ihrer wissenschaftlichen Analyse. Das
ist schon Geschichte in der Bewegung eines Verbandes, der sich immer
wieder aufmachte, einen Begriff und eine Politik für das
„Demokratische“ zu finden, das er in seinem Namen trägt. Denn es
sind, so denke ich, immer wieder zwei Punkte gewesen, um die es in den
Auseinandersetzungen der Zeit ging und geht: der Wissenschaft ihre Freiheit
zum Politischen zu sichern (auch als Voraussetzung ihrer Autonomie
– was für einen WissenschaftlerInnenverband auch meint: seine
politische Autonomie zu sichern) und daran zu arbeiten, wie denn „Demokratie“
und „Wissenschaft“ zusammengedacht und –gebracht werden können.
Wie anachronistisch! – Demokratie wird heutzutage nicht an der Börse
gehandelt, aus der democracy lässt sich kein wagnisfinanziertes
Start-Up machen! ... Oder vielleicht doch? Als
erlebnisgesellschaftliches Event? Why not? Allerdings: wo ist heute die linke
Wissenschaftsdebatte? Wo die linke Demokratiedebatte? Und wie
grundsicher wird sich das Machtunternehmen Wissenschaft dann bewegen,
wenn es auch noch gereinigt ist von dem Widerspruch, den jene setzten,
die Wissenschaft und Demokratie im Medium der Öffentlichkeit
verknüpften, wie Reinhard Kühnl, in dessen Wissenschaftsverständnis
diese Anstrengung und Verpflichtung zum Öffentlichen immer selbstverständlich
präsent war, Öffentlichkeit statt Privatheit, Teilen und Commons
statt Privacy and Property. Für
Deine Arbeit im BdWi danke ich dir, stellvertretend. Nun sollte ich
sicherlich noch etwas auswiegend ausgewogen kritisches sagen. Ich sage
nichts. Ich
zitiere statt dessen aus einem BdWi-Forumstext von Dir, aus dem Jahr
1995. „Wenn wir WissenschaftlerInnen heute dem Zeitgeist widerstehen,
riskieren wir allenfalls akademische Karriere, Forschungsgelder, öffentliche
Anerkennung und die Teilnahme an Talkshows. Und dieses Risiko ist unsere
Sache schon wert. Denn für die Sicherung einer menschenwürdigen
Zukunft brauchen wir die Wahrheit über die Vergangenheit. In unserem
Lande gerade die Wahrheit über Faschismus und Widerstand.“
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