Rainer 
Rilling

Beitrag zur Verabschiedung von Reinhard Kühnl
22.6.2001 Marburg 

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Gut gelaufen!

Wissenschaft, wie sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft erfunden und etabliert hat, dann auch rasch sei`s mit oder ohne moralischem Raissonement sehr mächtig und milliardenschwer wurde, hat sich ebenso erfindungs- und erfolgreich durch eine Fülle von Organisationen und Institutionen eingerichtet und auf Dauer gestellt. Diese sind das zähe Skelett einer Unternehmung, deren Wirkungen, Leistungsfähigkeit und Versprechungen geradezu ungebrochene Expansion garantieren, übrigens ständig neu munitioniert aus dem Argumentationsreservoir einer äußerst geschichtsbewußten Kultur, zu der ja auch erfolgreiches Beschweigen der eigenen Geschichte und einschlägiger Taten gehört. Neuerdings ist das Schweigen durch lebhafte Entschuldigungs- und Verzeihungsrethoriken abgelöst worden, deren letztes Beispiel der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Markl vor wenigen Tagen gab (und er ist einer der zehn mächtigsten Wissenschaftsfunktionäre der Republik), als er sich in der FAZ vom 18. Juni 2000 ganz besonders entschuldigte dafür, dass die deutsche Spitzenforschung, die er repräsentiert, es ein halbes Jahrhundert versäumt habe, ihre verbrecherische Rolle im faschistischen Wissenschaftssystem  aufzuarbeiten, was, wie er diagnostiziert, seinen Grund „gewiß auch im mangelnden Willen mancher Mitwisser oder gar Mittäter innerhalb und außerhalb der Max-Planck-Gesellschaft (hatte), sich ihrer historischen Verantwortung zu stellen.“ Und er fragt mit keinem Satz, welches Interesse derlei Willensarmut begründete. Und dass er dabei leichthin nicht wenige kritische, linke, marxistische – und, horribile dictu! – zuweilen auch in der DDR entstandene Texte in seinem ausführlichem Stellvertretungs-Mea Culpa verschwieg, wundert niemand - weil es fast niemand mehr bemerkt.

Dumm gelaufen, schade eigentlich, tut uns leid, soll nicht wieder vorkommen, bitte um Verzeihung.

Die Macht, welche sich in den dominanten Akteuren der Wissenschaft konzentriert, war fast immer Garant dafür, dass sie bekamen, was sie wollten, sie tun und lassen und sagen konnten, woran sie interessiert waren, und die eigenen Reihen einigermaßen in Ordnung hielten. Und bis heute ist die Inszenierung des Politikfreien, Politikfernen, eines vorgeblichen Desinteresses an Macht also und der eigentlich unpolitischen Hingabe an den Prozess der Wahrheitsfindung und –vermittlung das selbstverständlichste und effizienteste Mittel, die eigenen Angelegenheiten erfolgreich zu plazieren. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum uns ein Blick auf die Organisations- und Institutionengeschichte der Wissenschaft der vergangenen zwei Jahrhunderte so wenige, und erst recht so wenig überlebensfähige Organisationen zeigt, die an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik operieren und die notwendig waren, um die Politik der Wissenschaft umzusetzen. Sie wurden eigentlich nur gebraucht, wenn es um Opposition der eher Ohnmächtigen ging.

Reinhard Kühnl hat vor so gut 33 Jahren eine solche Organisation ohne Macht mitgegründet. Eine Politik der Ohnmächtigen und, zuweilen auch, eine Politik der  Ohnmacht, inmitten eines Feldes, dessen allein relevanter Code eben Macht ist! Wie diese sich von der Politik der Macht unterscheidet, ist ein ungeheuer spannendes Problem für den demokratischen Politikwissenschaftler. Sie organisiert sich anders, operiert symbolisch, mit eigener Rhetorik und eigenen Normen, ist auf Teilhabe angewiesen und geht ganz anders mit dem um, was im politischen Normalgeschäft als Niederlagen gehandelt wird. Reinhard Kühnl hat im BdWi an herausragender Stelle so gut die Hälfte seines Lebens politisch-wissenschaftlich gearbeitet und mit diesem auch für diesen Verband einmaligen Engagement ihn stark geprägt, also geholfen, dass er auch sich bis heute, zum Entsetzen von Herrn Keuner, kein bißchen verändert hat: immer noch ist er ein zwar kleiner, aber gleichwohl der größte linke unabhängige politische WissenschaftlerInnenverband der Bundesrepublik.

Dem Gründungsvorstand dieses 68`er Bundes demokratischer Wissenschafter gehörten Düker und Jens, Klafki, Habermas, Sandkühler, de la Vega und Abendroth an. Nicht geschafft hatten es Oskar Negt mit drei und Frank Deppe mit immerhin 5 von 18 möglichen Stimmen. Reinhard Kühnl war nicht dabei, in einem öffentlichen Dokument des BdWi findet sich sein Name laut Archiv jedoch schon früh in einem Aufruf in Sachen hessischer Hochschulgesetzgebung, dessen Fortsetzungen dann übrigens einen Dissens mit Jürgen Habermas bewirkten und die innere Ungleichzeitigkeit eines demokratischen Ordinarienverbandes dokumentierte. Solche Unterschriften erfolgten damals übrigens in aller datenschützlerischen Unbefangenheit mit Name und Adresse, Reinhard Kühnl hat damals im Sohlgraben 18, 3554 Cappel gewohnt. Als dann die auslaufende Hochschulkulturrevolte mit ihrem zuweilen relativ radikalreformistischen Kern, der Assistentenbewegung, eine Neugründung des BdWi im Februar 1972 mit sich brachte, wohnte Reinhard offenbar nun in 3551 Wehrda, Unter den Eichen 33 und erhielt auf dem Gründungskongress von 352 Stimmen mit 284 die Meisten, 4 mehr als Walter Jens und 43 mehr als Georg Fülberth. Das BdWi-Archiv dokumentiert dann nur noch zweimal einen Ortswechsel – Erfurter Str.20 und Sonnhalde 6 – und mit gleichmütiger Monotonie Deine Mitgliedschaft im engeren, also tatsächlich arbeitenden Bundesvorstand des BdWi (bis 1975 und dann wieder ununterbrochen ab 1982 bis hinein ins nächste Jahrtausend). Die Themen der Zeit damals waren Notstandsgesetze und Wissenschaftskritik und Hochschulveränderung, dann Berufsverbote und immer wieder: kein Beschweigen und keine Übungen in Verzeihungselbstexkulpationen, sondern Ursachen- und Verlaufsanalyse und Kritik des Faschismus und Faschistischen und der politischen Rechten. Die erste umfassende wissenschaftliche Analyse der Partei, die nun, nach einem Dritteljahrhundert, einem Verbotsverfahren unterliegt, der NPD, ist auf deine Initiative entstanden. „Wissenschaftler analysieren Konzeption und Funktion von Franz Josef Strauß“ war der Titel eines von Dir stark geprägten Kongresses des BdWi im Juni 1980, um die „Neue Rechte“ ging es in den 80ern wie 90ern, um Nationalismus in der letzten Herbstakademie des BdWi. Die Artikel von Dir in der Verbandszeitschrift „Forum Wissenschaft“ verhandelten die „Ideologische Motive präfaschistischer Geschichtswissenschaft“ ebenso wie „Nationalismus der Wissenschaft“ oder, vor kurzem, „Judenhass und Judenmord“, daneben immer wieder Texte zum Thema Militär, Kriegsursachen, über die Ermöglichungen von friedlichen Verhältnissen,  dabei immer mit dem Plädoyer für interdisziplinären Zugriff auf das Ganze der Strukturen und Prozesse von Gesellschaft und Politik. Im BdWi war Dein Medium eher das Sprechen als das Schreiben, die Bearbeitung der Spannungen zwischen Wissenschaft und Politik, es zählte auch politische Erfahrung, historisches Wissen in der sehr geschichtsfeindlichen Welt des Politischen und die reflexive Konfrontation mit den krassen Brüchen zwischen den Generationen in den Zugängen zur Politik und ihrer wissenschaftlichen Analyse.

Das ist schon Geschichte in der Bewegung eines Verbandes, der sich immer wieder aufmachte, einen Begriff und eine Politik für das „Demokratische“ zu finden, das er in seinem Namen trägt. Denn es sind, so denke ich, immer wieder zwei Punkte gewesen, um die es in den Auseinandersetzungen der Zeit ging und geht: der Wissenschaft ihre Freiheit zum Politischen zu sichern (auch als Voraussetzung ihrer Autonomie – was für einen WissenschaftlerInnenverband auch meint: seine politische Autonomie zu sichern) und daran zu arbeiten, wie denn „Demokratie“ und „Wissenschaft“ zusammengedacht und –gebracht werden können. Wie anachronistisch! – Demokratie wird heutzutage nicht an der Börse gehandelt, aus der democracy lässt sich kein wagnisfinanziertes Start-Up machen! ... Oder vielleicht doch? Als erlebnisgesellschaftliches Event? Why not? Allerdings: wo ist heute die linke Wissenschaftsdebatte? Wo die linke Demokratiedebatte? Und wie grundsicher wird sich das Machtunternehmen Wissenschaft dann bewegen, wenn es auch noch gereinigt ist von dem Widerspruch, den jene setzten, die Wissenschaft und Demokratie im Medium der Öffentlichkeit verknüpften, wie Reinhard Kühnl, in dessen Wissenschaftsverständnis diese Anstrengung und Verpflichtung zum Öffentlichen immer selbstverständlich präsent war, Öffentlichkeit statt Privatheit, Teilen und Commons statt Privacy and Property.

Für Deine Arbeit im BdWi danke ich dir, stellvertretend. Nun sollte ich sicherlich noch etwas auswiegend ausgewogen kritisches sagen. Ich sage nichts.

Ich zitiere statt dessen aus einem BdWi-Forumstext von Dir, aus dem Jahr 1995. „Wenn wir WissenschaftlerInnen heute dem Zeitgeist widerstehen, riskieren wir allenfalls akademische Karriere, Forschungsgelder, öffentliche Anerkennung und die Teilnahme an Talkshows. Und dieses Risiko ist unsere Sache schon wert. Denn für die Sicherung einer menschenwürdigen Zukunft brauchen wir die Wahrheit über die Vergangenheit. In unserem Lande gerade die Wahrheit über Faschismus und Widerstand.“