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Kongress Das Internet ist das
einzige Massenmedium, das in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts neu
entstanden ist. Anders als beiden klassischen Großtechnologien (Atom,
Weltraum, Militär) ist seine kurze Geschichte vor allem in den
Vereinigten Staaten von zahlreichen Prophezeihungen einer neuen,
direkten Demokratie begleitet. An diese besondere politische Kultur
versuchte der Kongreß "Internet und Politik. Die Modernisierung der
Demokratie durch die elektronischen Medien" anzuknüpfen, der
vom19. bis 21.2.1997 von der Akademie zum dritten Jahrtausend der
Hubert-Burda-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Bayerischen
Staatskanzlei und der Europäischen Kommission im Europäischen
Patentamt in München durchgeführt wurde. Das dreitägige Programm
bearbeitete die Themenblöcke "Elektronische Demokratie",
"Das Netzvolk zwischen Öffentlichkeit und Privatheit",
"Regional-Transnational-Global", "Die Neuerfindung von
Politik und Verwaltung", "Perspektiven für die vernetzte
Demokratie". Die Vorbereitung der Veranstaltung schloß ein
Internet-Site mit gelungen knappem Design auf dem World Wide Web ein. Die
dort und im Konferenzfoyer präsentierten Materialien
("Online-Ausstellung Internet & Politik") zur Politik auf
den Netzen und einschlägiger Literatur verrieten allerdings eine (ebenso
mediengerecht?) eher flüchtige Kenntnis des Sujets, die merkwürdig
kontrastierte zur Beratungskompetenz, derer sich die Burda-Akademie
versichert hatte (u.a. Christaller, Helmers,Kubicek, Leggewie, Lovink,
Mambrey, Streibl usw.). Der erfreuliche Versuch, zu den auf dem WWW präsentierten
knappen Statements eine E-Mail-Diskussion zu arrangieren, wurde jedoch
kaum angenommen. Das Publikum - rund 400 Teilnehmer und einige
Teilnehmerinnen - akzeptierte denn auch eine dreitätige Veranstaltung,
die weniger an das (interaktive) Internet als an das (distributive)
Fernsehen erinnerte: einige Dutzend Referenten, keine Arbeitsgruppen,
Plenumsdiskussionen, die den Teilnehmern gerade Zeit für zwei
Statements ließen und eine gemeinsame Bearbeitung eines Themas
ausschlossen, zahlreiche Vortragspräsentationen und kaum Chancen für
das Publikum zur gründlicheren Intervention und öffentlichen
Auseinandersetzung mit dem Gebotenen. Eine
one-to-many-Tagung. Der Kongress war
politisch interessant, wissenschaftlich weniger. Meinungen, nicht die Präsentation
von Forschungsergebnissen waren angesagt. Was war das politisch
Interessante an der Veranstaltung? Zunächst das Thema
"Internet und Politik". Nach dem Hamburger Kongreß
"Informationsgesellschaft * Medien * Demokratie" vom Januar
1995 war dies der zweite große Kongreß in der Bundesrepublik, bei dem
es nicht um Multimedia, Netz- und Medientechnik oder kommerzielle
Fragen, sondern um Politik ging. Im Unterschied zu der Hamburger
Veranstaltung zielte die Münchner Konferenz auf den etablierten
mittleren und unteren Verwaltungs-, Politik-, Organisations- (bzw. NGO)
und Medienbereich (und das Bitbusiness, das nicht kam). Der Kongreß
wendete sich weder an die Entwickler und Ingenieure der neuen Technik
noch an die selbstorganisierte Grassroots-Bewegung und
Internet-Aktivistenszene. In diesen Sektor sickert seit etwa zwei Jahren
das Netz als politisches Medium sukzessiv ein. Die hauptsächliche
Intention der Tagung war wohl, hier das Netzmedium kulturell weiter zu
verankern. Als Vehikel dafür dienten die rund 60 % Redner aus dem
anglo- bzw. vor allem US-amerikanischen Raum, die realistisch oder
enthusiastisch, kritisch oder libertär, sozialreaktionär oder utopisch
Erfahrungen und Meinungen präsentierten. Offen ist, ob dieser Versuch
gelang - die Resonanz in der Öffentlichkeit war angesichts der
mittlerweile deutlich verflogenen naiven Internetbegeisterung nicht groß,
aber vorhanden (s. Anm. 1). So bemerkenswert daher die für die BRD in
dieser Zahl und Dichte erstmalige Präsenz prominenter und häufig
qualifizierter US-Vertreter war, sowenig verständlich ist, warum
offenbar kaum versucht wurde, die Initiatoren und Macher politischer
Netzmedien, -projekte und -kommunikation aus der Bundesrepublik in
relevanter Weise in die Tagung einzubeziehen. Jene, die da waren, wie
(natürlich!) etwa SPD-MdB Jörg Tauss (Karlsruhe) als der ideelle
Gesamtnetzpolitiker, oder Ulrich Tichy (Tübingen), der den bislang
besten bundesdeutschen gewerkschaftlichen WWW-Site im Alleingang
aufgebaut hat, kamen nur peripher zu Wort. Vollends fragwürdig war der
fast vollständige Verzicht auf jene, die hierzulande wissenschaftlich
zum Thema arbeiten bzw. deren Profession es ist, sich
politikwissenschaftlich und -theoretisch mit dem Demokratieproblem zu
befassen oder die mit den Mitteln der Wissenschafts- bzw.
Technikforschung sich dem Sujet der Tagung hätten nähern können. So lief der
Grundansatz der Tagung auf eine Verallgemeinerung des US-amerikanischen
Modells der Internetkultur und auf ein Demokratieverständnis hinaus,
das - gemessen am US-Mainstream - zwar sicherlich linksliberal und
libertär akzentuiert war, aber z.B. kommunitaristische Ansätze
ignorierte und die aktuelle europäische wie bundesrepublikanische
Demokratiediskussion kaum berücksichtigte. Wenn es stimmt, daß der
"europäische Weg in die Informationsgesellschaft" ein
Top-Down-Approach, der US-amerikanische dagegen ein Bottom-Up-Approach
ist, dann müßten auf einer solchen Veranstaltung nicht bloß der
amerikanische Weg, sondern auch jene wenigen, aber beispielhaften und
durchaus existierendeneuropäischen "Bottom-Up-Projekte"
vorgeführt werden, die demokratiepolitisch weitere Perspektiven eröffnen.
Nicht zuletzt weil in den USA, wie in München einzig von Andreas Gross
aus der Schweiz en passant erwähnt wurde, kein Mechanismus zur
Entscheidungsintervention auf nationaler Ebene (Volksabstimmungen,
Referenden) existiert (eben durchaus im Unterschied zu wichtigen
Demokratietraditionen in Europa) und die mit zum Teil überschießender
Naivität präsentierten Teledemocracy-Beispiele lokal oder regional
begrenzt sind. Zu dieser Problematik gehört auch, daß nur in drei
US-Beiträgen das Verhältnis von politischer Demokratie und Sozialstaat
(nicht: sozialer Demokratie!) aufgeworfen wurde und, diesem
Tagungsansatz folgend, auch die anderen Redner diese Frage fast durchgängig
ignorierten. Die in den traditionellen libertären Ansätzen gefeierte
und auf der Tagung von Esther Dyson (New York) präsentierte These von
der politischen Ermächtigung (Empowerment) des Individuums durch das
Netz impliziert ja die Behauptung, daß die elektronischen Medien zu
einer Entwertung der intermediären Organisationen wie etwa den
Gewerkschaften führten, die allerdings eine zentrale Rolle für die
Etablierung eines europäischen Sozialstaats gespielt haben. In einem
wie auch immer zu denkenden europäischen Netzprojekt müßten diese
Organisationen und ihr sozialstaatlicher Kontext eine Schlüsselrolle
spielen - auf der Konferenz dagegen spielte ein solcher Ansatz keine
Rolle. Soweit spiegelte sie die soziale Natur des Internet getreulich
wider: eine Veranstaltung des, zumeist staatlich alimentierten, männlichen
Teils der weißen Mittel- und Oberklasse des industriellen Nordens zu
sein, für den die Sozialstaatsfrage (noch) keine primäre Frage ist. In der Politik geht
es um Macht, die durch Entscheidungen um- und neuverteilt wird. Wohin
wird sie verteilt? Wer verteilt? Welche Rolle spielen die Netze dabei?
Sind sie ein Medium oder Ort politischer Entscheidungen und/oder des
Diskurses, der Deliberation? Welche Ergebnisse empirischer Forschungen
liegen dazu vor? Wie wird Politik in der sozialwissenschaftlichen
Analyse elektronischer Medien konzipiert und gedeutet? Nur wenige
Referenten rissen diese Fragen an - etwa Caus Leggewie( Gießen/New
York), Douglas Schuler (Seattle), Benjamin Barber (New Brunswick) oder
Stefan Müller-Dohm (Oldenburg). Wo -wie von Grossman, Gross oder
Christa Slaton (Auburn) - das Internet als Instrument demokratischer
Wahlen diskutiert wurde, gab es meist ein undifferenziertes Lob der
Beschleunigung: "To vote online means to vote more often" (Grossman).Nur
Barber setzte sich von dieser Tempofreude ab: "Computers are fast
as light and work in a binary code. There
are only two possibilities: yes or no. Democracy on the other side is
very slow and works in a dialectical way." Ob die Wahl auch
die Bildung und Durchsetzung individueller und gemeinschaftlicher
Interessen fördert, wurde nicht erörtert. Schließlich waren auch die
politischen Implikationen der organisations- und institutionsinternen
elektronischen Vernetzung (Intranets) an keiner Stelle der Tagung
Diskussionsgegenstand. Daß derlei Fragen
niemand systematisch behandelte, ist sicherlich ein Indiz für den
bisherigen Stand der sozial- und politikwissenschaftlichen Erforschung
des Internets. Die Einschätzungsunsicherheiten waren groß. Während
etwa Daniel J.Weitzner vom Washingtoner Center for Democracy and
Technology die Entwertung der "Gatekeeper" als
substantielldemokratisierenden Effekt der Netzkommunikation wertete, plädierte
Barber entschieden für die Etablierung neue rAutoritätsinstanzen auf
dem Netz, die moderieren, editieren und erziehen sollten, um dem
Netzvolk die Orientierung zu ermöglichen. Zwar waren einigen Referenten
weitreichende Mutmaßungen über Teilhabe (Empowerment) nicht fremd
(beachtlich Lawrence Grossman's (New York) Gruselbeispiel: "Press
One for "war", press Two for "no war", press Three
for "targets"), doch das Gros der Beiträge folgte der
Annahme, daß das Internet nur einen moderaten Veränderungseffekt auf
das politische System haben werde. Von wenig Kenntnis zeugende
Behauptungen wie die des ARD-Moderators Martin Schulze (Bonn), die
Geiselnahme in Lima und die Demonstrationen in Belgrad hätte es ohne
Internet nicht gegeben, waren die Ausnahme. Abgesehen von Joachim Jens
Hesse (Berlin/Oxford), der Politikmüdigkeit auf zuviel
Partizipationsangebote zurückführte und daher einem
partizipativ-interaktiven Medium nichts abgewinnen konnte, wurde diese
Veränderung positiv als potentiell demokratisierender Effekt angesehen.
Dementsprechend die moderaten, immer wiederkehrenden Forderungen (Leggewie:
"etwas mehr direkte Beteiligung"). Die hochrangigen deutschen Wirtschaftsvertreter Horst Teltschik (BMW, München), Klaus Mangold (debis AG, Berlin) oder Friedrich Fröschl (Siemens, München) verfehlten das Thema: sie sprachen über Wirtschaft. Eine beeindruckende Gegenrede auch hierzu bot demgegenüber der betagte Herbert Schiller (San Diego), der mit historischer Referenz auf die Entwicklungsgeschichte des Radios und Fernsehens prognostizierte, daß nicht die partizipative Informationsgesellschaft, sondern die von raffinierter Feedback-Kultur geprägte Marketinggesellschaft eine Zukunft sei, deren Eintrittswahrscheinlichkeit durch das Internet außerordentlich gesteigert werde. Auch Barber war dieses Entwicklungsszenario nicht fremd: "There will only be a virtual one way communication: we sell, and you buy." Wie Andrew Graham (Oxford) plädierte Schiller für die entgegengesetzten öffentlichen Kommunikationsräume und staatliche Intervention, um ihren Aufbau und ihre Weiterexistenz zu sichern. Unverschämte Interventionen ("Das Publikum liebt sie, egal was sie sagen") des Moderators Josef Joffe (Süddeutsche Zeitung) brachten die Zuhörerschaft von ihrer überraschend positiven Resonanz auf Schillers Vortrag nicht ab. Sie war nochmals Indiz für das politische Projekt, das der Tagung zugrunde lag: einen sich neu abzeichnenden Modustechnischer Gesellschaftsintegration durch die Netze für politische Integration zu instrumentalisieren. Ein Kongreß, der mit einem Grußwort des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (München) begann, welcher "den sekundenschnellen Austausch kriminaltechnischer Daten", die "Online-Übertragung von Bildern, Fingerabdrücken oder Fahndungsgegenständen"und die Etablierung seines Internetkommissariats feierte, das "anlaßunabhängig im Netz patrouilliert und dort schwerpunktmäßig nach jugendgefährdenden Angeboten fahndet" und der zugleich Schillers Angriff auf die Industriemacht über die alten und neuen Medien Raum bot, war sicherlich gelungen. Er könnte die Abschlußveranstaltung der politischen Normalisierung einer Technikkonfiguration sein, die in ihrer kurzen Geschichte erstaunlich viele Transformationen durchlaufen hat. Anmerkung
24.12.04 |