Rainer Rilling

Vortrag an der HWP 
April 1982 (unveröff.
)

Auf der Suche nach der verlorenen Bourgeoisie. 

Aspekte der US-amerikanischen Elitenforschung

Texte

Als vor gut zwanzig Jahren Ralph Dahrendorf in seinem Band über "Die angewandte Aufklärung" einen kurzen Abriß über die Bemühungen der amerikanischen Soziologie gab, die Eliten, Oberschschichten oder -klassen ihrer Gesellschaft zu begreifen, folgte er einem bis heute eingefahrenen Darstellungsmuster.

Er schilderte den Weg von Thorstein Veblen's 1899 publizierter "Theory of the Leisure Class" über die "Middletown"-Bände der Lynds und Lundbergs "America's Sixty Families" aus den 30er Jahren bis hin endlich zu C.W.Mills "Power Elite" von 1956 als "Verschiebung von der Klassen- zur Elite-, ja zur Verschwörertheorie". Ein Irrweg also, den es zugunsten eines empirischen Nachweises der Pluralität der Eliten zu verlassen gelte.

Diese Rezeption war selektiv und parteilich bereits bei der Schilderung der klassischen Kontroverse zwischen elitistischen und pluralistischen Positionen in den 50er Jahren - mit der wir heute kaum noch vertraut sind, während wir mit der Fortsetzung dieser Kontroverse in den 70er und 80er Jahren meist noch nicht bekannt sind. Hier zeigt sich womöglich ein soziologiehistorisch überraschendes Faktum, will es doch scheinen, als ob die allseits konstatierte, umfassend scheinende Beeinflussung der bundesdeutschen Nachkriegssoziologie durch die Soziologie in den USA so total gar nicht ist, vielmehr auf dem Feld der Elitenforschung es einiges an Rezeption nachzuholen gilt. Wie sich dieses Feld entfaltet hat, soll im Folgenden in einigen Umrissen skizziert werden - wobei es hier um einen ersten Versuch geht.

II

Innerhalb der amerikanischen Soziologie der Nachkriegszeit ist die kritische Elitenforschung oder - wie sie sich später selbst nannte - die Machtstruktforschung fanfarenartig und plötzlich zwischen den Jahren 1953 und 1956 erschienen in den Büchnern von Floyd Hunter (Community Power Structure, 1953) und von C.W.Mills (Power Elite, 1956). Sie tritt auf zu einem Zeitpunkt, wo, um einer Skizze Blumbergs zu folgen, die amerikanische Sozialstrukturforschung in zwei Lager gespalten war.

Auf der einen Seite stehen jene, die, so die Terminologie Blumbergs, einer Theorie der Klassenkonvergenz anhängen. Sie zelebrieren den materiellen Fortschritt, feiern die Klassenstruktur des Nachkriegsamerika, deren Zukunft sie in der Gleichheitsutopie einer Mittelklassengesellschaft der Konsumenten des american way of life sehen. Überfluss und schwindende Armut, wachsender Lebensstandard und der Wandel der Gesellschaftsstruktur zur Dienstklassengesellschaft, in dem das Proletariat in der White-Collar-Revolution verschwindet, kultureller Aufstieg und Homogenisierung, Verbürgerlichung der Arbeiter, Zerfall der Klassen und des Bewußtseins hierüber, endlich die Ausbreitung der politischen Bürgerrechte - dies sind alles Momente jener soziologischen Ideologie der Klassenkonvergenz, die in der Vorstellung kulminiert, dass sich alle Gruppen und Schichten der amerikanischen Gesellschaft "nach oben" bewegen, wobei die unteren Schichten schneller aufsteigen als die höheren, so dass die Lücke zwischen ihnen sukzessiv geschlossen wird. David Riesman' s The Lonely Crowd, William H.Whytes The Organization Man, J.K.Galbraith' s Affluent Society und - etwas später - D. Bells The End of Ideology sowie sein The Coming of Post-Industrial Society, aber auch die Robert Nisbet, Peter Drucker, Irving Kristol, Kurt Mayer, Raymond Aron und Harold Wilensky formen dieses Bild der wachsenden Gleichheit, konzipieren ein Paradigma der Klassenkonvergenz. Sie repräsentieren den Sozialoptimismus innerhalb der amerikanischen Soziologie.

Jene, die dieser These mißtrauten und sie ablehnten, behaupten, dass sich die Klassenunterschiede im Nachkriegsamerika nicht verringerten. Ihnen gehören an etwa Suzanne Miller, Frank Riesman, Herbert Gans, Richard Hamilton, Maurice Zeitlin, Floyd Hunter. Ihr Credo könnte man das Paradigma der Klassenstabilität nennen. Hiernach gilt für die amerikanische Nachkriegsgesellschaft, daß alle Gruppen nach oben steigen - aber ungefähr mit derselben Geschwindigkeit, so daß die höheren Schichten imstande waren, zwischen sich und den unteren Klassen diesselbe Distanz zu wahren. Hunter und auch Mills gehören zu dieser Gruppierung. Hunter gibt dem Feld der Power Structure Research den Namen sowie eine neue Methode, wie man Netzwerke der Macht entdeckt. Seine These, dass die kommunale Macht in Atlanta in den Händen einer Gruppe von Unternehmern lag, verwirrte zahlreiche Soziologen. Sie kritisierten die soziometrische Reputationsmethode und konterkarierten sie - z.B. in R.Dahls Who Governs - mit der sogenannten positionalen bzw. Entscheidungsmethode - Verfahren, die wir heute aus nahezu allen Textbüchern der politischen Soziologie kennen.

Während Hunters Buch Wellen schlug, teilte Mills' Power Elite gleichsam das Meer. Allerdings stand auf der einen Seite nahezu die gesamte akademische soziologische community, auf der anderen Seite dagegen kaum jemand außer Mills selbst. Die Reaktion auf seine Arbeit war scharf. Isoliert nicht nur in der Fakultät, sondern auch in der Soziologie insgesamt, forderte Mills Theorie Liberale wie Marxisten zugleich heraus. Die Methode des Identifizierens von Positionen und der Konnexe zwischen ihnen galt ihm als Schlüssel zur Erkenntnis des sozialen Inhalts von Macht.

Mills attackierte das Konzept der Ruling Class, eine, wie es in einer Fußnote hieß, "ziemlich einfache Theorie", die begrifflich vorwegnähme, was erst empirisch zu erweisen sei, nämlich die politische Herrschaft einer sozialen bzw. ökonomischen Klasse. Mills glaubte auch, dass dieses Konzept außerstande sei, die "Autonomie der politischen Ordnung und ihrer Vertreter" zu erfassen, insbesondere hinsichtlich der Rolle des Militärs. Trotzdem hat Mills der Marxismus tief beeinflusst. Er war ein sozialistischer Intellektueller, gleichwohl kein Marxist. Der Marxismus leitete viele seine Fragen an - als Theorie, Methode, auch als Herausforderung.

Das für die weitere Entwicklung zentrale Problem, das Mills ' Arbeit aufwarf, war nicht der Nachweis der Existenz institutioneller Eliten (denn das akzeptierten auch seine Kritiker), sondern es war das, was man die doppelte Kohäsionsthese nennen könnte, nämlich die Behauptung, dass Eliten in einzelnen Institutionen miteinander eng verknüpft sind und diese institutionellen Eliten zugleich zunehmend untereinander vernetzt sind. Diese Kohäsionsthese wird zum Ärgernis der konkurrierenden pluralismustheoretischen Positionen, die sich zeigten in den Kritiken von Dahl oder Truman, auch Banfield. Freilich wurde erst 1967 mit dem Band von A.Rose, The Power Structure. Political Process in American Society ein Versuch gemacht, die nationale Machtstruktur der USA auf pluralismustheoretischer Grundlage zu analysieren. Doch auch diese Arbeit vermeidet eine Auseinandersetzung mit der Kohäsionsthese. Rose sieht auch davon ab, einen Begriff von ökonomischer Elite zu entwickeln und behauptet vorweg, die Elite sei plural strukturiert. In dieser Auseinandersetzung exemplifiziert sich das Aneinander-Vorbeireden konkurrierender Paradigmen, die sich auf je unterschiedliche Realitätsbereiche beziehen und sich daher einander in der Argumentation verfehlen.

Weitaus beeindruckender ist die zweite große Kritiklinie, die - von eher konservativem Zuschnitt - seit den 60er Jahren mit wachsender Materialfülle ausgestattet versucht nachzuweisen, dass die amerikanische Gesellschaft zwar elitär strukturiert sei, aber keineswegs eine elitäre, kohärente Power Elite oder Ruling Class hervorgebracht habe. In den Arbeiten von Dye hat diese Kritiklinie seinen prominentesten Repräsentanten gefunden. Allerdings stützt sich sein Who's Running America? (1982) ebenfalls auf einen methodischen Kniff: indem er die von Mills herangezogene Verflechtung von Institutionen ignoriert zugunsten der natürlich weit niedrigeren Verflechtung von personengebundenen Positionen, vermag er Mills Thesen zurückzuweisen. Seine Arbeit liefert freilich eine exzellente Datenfülle, die entsprechend der Kohäsionsthesen organisierbar ist. Am Rande sei bemerkt, dass sich jene, die als Schüler Mills' gelten, durchaus solcher Verschiebungen der Betrachtungsebenen entschlagen haben; ein Beispiel dafür ist die Analyse New Havens durch Domhoff (1978).

Auch wenn diese Auseinandersetzung sich nie im Zentrum der amerikanischen Sozialstrukturforschung abgespielt hat, so spiegelte sie gleichwohl zentrale Herangehensweisen innerhalb der Strukturanalyse von Gesellschaft wider. Der klassische, in Textbuchform dann oftmals kodifizierte Konflikt zwischen pyramidalen, elitistischen und pluralistischen Gesellschaftskonzeptionen ist im Laufe der 60er Jahre dann zunehmend irrelevant geworden. Die dann entstehenden Kontroversen entstanden wiederum eher am Rande des soziologischen Diskurses und waren erneut Diskussionen im außeramerikanischen Bereich - nämlich der staatstheoretischen und politiksoziologischen Kontroverse in verschiedenen europäischen Ländern - verpflichtet bzw. gingen von diesen Kontroversen im wesentlichen aus.

Ein wesentlicher Anlaß der Diskussion war Ralph Milibands "The State in Capialist Society" l969 . MilIiband, ein enger Freund von Mills, lehnte die These von der Machtelite ab und setzte ihr das Konzept einer herrschenden Klasse entgegen, was ja dann 1969 und 1970 unter anderem von Balbus und Poulantzas scharf kritisiert wurde.

Die Elaborierung des Gedankens von Poulantzas, wonach eine direkte Teilhabe von Angehörigen der bürgerlichen Klasse an der Politik nicht nur nicht nötig sei, sondern auch die Konstitution eines allgemeinen Klasseninteresses und seine politische Realisierung geradezu verhindere, die Ausarbeitung dieses Gedankens also bei O'Connor und Claus Offe ist für die weitere Entwicklung der Machtstrukturforschung und Klassenanalyse in den USA von großer Bedeutung gewesen. Die Gruppen um die internationale Zeitschrift Kapitalistate -insbesondere diejenige in San Francisco - entwickelte eine Klassifizierung der marxistischen Staatsanalysen in "instrumentalistische" und "strukturalistische", (so vor allem der Aufsatz von Gold, E.O.Wright und anderen im "Monthly Review" 1975/76), wobei die erstere als ökonomistisch und soziologistisch gleichermassen charakterisiert wurde - eine Unterscheidung und Bezeichnung nebenbei, die Poulantzas wenig später kritisierte.

Die instrumentalistische Variante wurde als besonders krude, verschwörungstheoretische Variante eines dogmatischen Marxismus gekennzeichnet - was etwas überraschend war, wurde dieses Feld doch von einem radikalen Strukturfunktionalisten, nämlich Hunter, und einem radikalen Weberianer, nämlich Mills begründet, der das Konzept der herrschenden Klasse mit dem Hinweis zurückgewiesen hatte, dass es die Autonomie von Politik nicht zureichend fassen könne.

Die Machtstrukturforschung setzte die Abarbeitung am Kohäsionsproblem, die Mills begonnen hatte, seit Anfang der 60er Jahre, vor allem aber dann in der zweiten Hälfte der 70er Jahre mit gewachsener Intensität fort, als neben die Auseinandersetzung mit der liberalen Elitensoziologie auch der Wettbewerb mit der strukturalistischen Staatsanalyse trat. Es waren hier vor allem die Arbeiten von William Domhoff und Maurice Zeitlin und ihren Schülern, etwa Michael Useem (Boston), Beth Mintz, Micheal Schwartz, Michael Soref, Ratcliff, Whitt, u.a. Sicherlich ist es problematisch, diese Richtung sei es als instrumentalistisch, sei es als marxistisch zu bezeichnen. Sie teilt sicherlich zunächst mit C.Wright Mills die Ambiguität des Schwankens zwischen liberalen, gruppensoziologisch geleiteten Eliteanalysen und klassentheoretisch fundierten Konzeptionen und ist insofern trotz des auch theoretischen Weitertreiben dieses Ansatzes vor allem durch Domhoff eher in einen Zwischenbereich einzuordnen, wobei natürlich aufgrund einer solchen Situation in einem Spannungsfeld zwischen zwei übergreifenden Paradigmen einzelne Vertreter dieses Ansatzes sich auf unterschiedliche Traditionen stärker berufen, so z.B. Maurice Zeitlin der vielleicht am deutlichsten seit 1974 mit seinen im American Journal of Sociology publizierten Arbeiten über die Klassenfraktionierung in Chile einen klassentheoretischen Ansatz verpflichtet ist. Generell zeichnet sich dieses spezielle Forschungsprogramm dadurch aus, dass es sich um eine, zum Teil auch politökonomisch fundierte, soziologische Identifizierung des Subjekts sozialer und politischer Herrschaft bemüht und insofern ökonomistische bzw. politizistische Problemreduktionen vermeidet.

Auch deren Art und Weise der soziologischen Analyse als instrumentalistisch zu charakterisieren ist sicherlich übertrieben, wenn auch nicht vollständig unzutreffend. Dieser Anwurf trifft insofern, als die Machtstrukturforschung die empirisch nachweisbare Involvierung von Angehörigen der kapitalistischen Klasse oder der upper class in die Entstehung und/oder Durchsetzung von Politiken als zwingende Voraussetzung dafür ansieht, daß diese Politik einen spezifischen sozialen - z.B. kapitalistischen - Inhalt erhält. Sie teilt daher nicht den Gedanken, daß ein solcher Politikinhalt in einer Weise auf eine objektive Interessengrundlage bezogen sein kann, die ein unmittelbares Eingreifen von Angehörigen der kapitalistischen Klasse erübrigt.

Die zweite, strukturalistische Tradition der Untersuchung von sozialer Klasse und Herrschaft ist in ihrer Entwicklung und Problemformulierung stark von europäischen, insbesondere auch deutschen Diskussionen beeinflusst gewesen. Sie hat bisher kaum Versuche einer sozial- oder klassenstrukturanalytischen empirischen Identifizierung politischer Prozesse und Strukturen hervorgebracht. Eine, allerdings ausserordentlich bemerkenswerte Ausnahme sind die Arbeiten von Erik Olin Wright, dessen Arbeiten zur amerikanischen Klassenstruktur im letzten Jahrfünft beispiellos sind, dessen Augenmerk aber - wiederum typischerweise - nicht auf einer Strukturanalyse der amerikanischen Bourgeoisie liegt, der er für statistisch insignifikant und daher nicht analysierbar hält.

III

Beide Ansätze stehen in der Tradition der kritischen Theorie der amerikanischen Gesellschaft. Das disziplinäre und allgemein-weltanschauliche Milieu, in dem sie sich in den 70er Jahren entwickelten, ist durchaus verschieden von dem der 50er Jahre. Die damals, wie skizziert, herrschenden Theorien der Klassenkonvergenz und Klassenstabilität teilten, so verschieden sie auch sonst waren, eine Prämisse: nämlich die Annahme, dass der absolute Lebensstandard in den USA gestiegen sei und ein Ende dieser Tendenz nicht abzusehen sei. Diese, die gesamte Nachkriegsepoche des Nachdenkens über die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft dominierenden zwei Theorien mussten spätestens Anfang der 70er Jahre zwei neuen Theorien Platz
machen , die ich hier Theorien der Klassenstagnation bzw. der Klassendivergenz nennen will.

Sie reflektieren den sehr einfachen und grundlegenden Tatbestand, daß seit nunmehr 13 Jahren der Lebensstandard der amerikanischen Bevölkerung stagniert. In diesen Konzeptionen spiegelt sich der Zusammenbruch des Sozialoptimismus in Sachen Gleichheit wider, es gibt keinen Glauben mehr daran, dass der Aufstieg der amerikanischen Bevölkerung auf der ökonomisch-sozialen Leiter endlos sei. Und immer deutlicher gewinnen sogar Annahmen innerhalb der Sozialstrukturforschung Raum, die davon ausgehen, daß innerhalb der stagnativen Tendenz sich eine wachsende Lücke zwischen den Schichten und Klassen herausbildet, so daß die soziale Ungleichheit ausgerechnet in dem Lande wächst, von dem einst Heine sagte, daß es von "Gleichheitsflegeln" bevölkert sei. Eine zentrale Komponente dieser Entwicklung ist das immer deutlicher werdende Hervortreten und Sichtbarwerden der oberen Gruppen der Gesellschaft. Sie beginnen zumindest für einen Teil der amerikanischen Soziologie in einer bislang noch nicht da gewesenen Weise zum Thema zu werden.

Damit aber werden Voraussetzungen dafür geschaffen, daß auch innerhalb der Mainstreamsoziologie der USA zunehmend Abschied genommen wird von dem, was Robert K. Merton einmal die "sozial akzeptablen Pseudo-Tatsachen" der Soziologie genannt hat. Ich denke dabei zunächst einmal an jene allen vertrauten zwei Pseudotatsachen, die in der unmittelbaren Nachkriegsperiode eine große Rolle spielten. Daniel Bell hat 1961 in seinem "The End of Ideology" vermerkt, dass "in den letzten 75 Jahren die etablierte Beziehung zwischen dem Eigentum- und dem Familiensystem zusammengebrochen ist". Der Familienkapitalismus, der, so Bell, "der soziale Zement des bürgerlichen Klassensystems gewesen ist, sei zusammengebrochen". Und er erklärte an anderer Stelle fast zur selben Zeit: "...es gibt die "Sixty families ofAmerica"(Lundberg) nicht mehr. Die politische Hauptkonsequenz ist der Zusammenbruch der herrschenden Klasse" in den USA. Der zweite Pseudofakt war, in der Formulierung von Pitirim Sorokin l953, die These, daß "die kapitalistische Klasse...in die Managerklasse verwandelt worden (ist)", oder, in den Worten von Talcott Parsons zur selben Zeit: "Wir können eindeutig nicht mehr länger von einer kapitalistischen Eigentumsklasse reden, eine "ruling class" hat innerhalb der amerikanischen Gesellschaft keine hervorgehobene Position mehr". Der Soziologe Parsons diagnostizierte hier dasselbe Verschwinden der Klassenunterschiede, das auch - mit modernisiertem, aber nachdrücklichem Engagement - Susa Ostrander bei ihrer Befragung amerikanischer Upper-Class-Women von einer ihrer Gesprächspartnerinnen zu hören bekam: "I hate the term upper class. It`s so non-upper class to use it. I just call it "all of us", those of us, who are well-born. I wouldn`t classify anyone as upper class, just as productive, worth-while people...I hate to use the word "class". We`re responsible, fortunate people, old families, the people, who have something."

Beide, ja so plausible und ehrwürdige Thesen vom Zusammenbruch des Familienkapitalismus und der Transformation der kapitalistischen Klasse in eine Regime der Manager sind im Licht der empirischen Forschungsergebnisse der Machtstrukturforschung im Verlauf der letzten 15 Jahre zumindest in einem hohen Maße zu relativieren und können auf keinen Fall jene gesellschaftstheoretische Reichweite mehr beanspruchen, die man ihnen in den 30er bis 60er Jahren zugedacht hat. Die Ausdifferenzierung der Power Structure Research geschah über die kritische Abarbeitung an diesen zwei Pseudofacts zwischen Anfang der 60er und Anfang der 70er Jahre.

Bekanntlich hatten Berle und Means in ihrem 1932 erschienenen " Modern Corporation and Private Property" die These aufgestellt, dass 65 % der 200 grössten amerikanischen Firmen mittlerweile vom Management kontrolliert seien. Sie hatten daran eine Reihe weitreichender Schlußfolgerungen geknüpft, daß etwa Familienbesitz irrelevant werde, daß Eigentum und Kontrolle getrennt würden, daß die Selbstfinanzierungsquote der Unternehmen nicht zuletzt auch aufgrund einer neuen Situation und Motivation der Manager steigen werde und damit die Unternehmen der Bankkontrolle entzogen würden, so daß es sukzessiv zu einer Auflösung der Interessengruppenstruktur und letztlich auch der Klassenstruktur komme. Diese Analyse und Schlußfolgerung ist von der Soziologie sehr lebhaft als Belegstück für die Annahme des Verschwindens der bürgerlichen Klasse aufgenommen worden und spielte innerhalb der Sozialstrukturforschung eine weit größere und dauerhaftere Rolle als etwa in der Bundesrepublik die vergleichsweise Diskussion, die im wesentlichen auf die frühen 50er Jahre beschränkt war. Was uns gleichsam als betagte Reminiszenz bundesdeutscher Soziologiefrühgeschichte erscheint, ist innerhalb der amerikanischen Soziologie erst seit Mitte der 60er Jahre schrittweise kontrovers geworden.

Im Gesamtzeitraum der letzten 40 Jahre sind mindestens 12 großangelegte, allerdings nur begrenzt vergleichbare Studien über die Kontrolle von amerikanischen Großunternehrnen durchgeführt worden - mit sehr unterschiedlichen Resultaten. In der Hälfte der Studien werden 1/5 bis 2/5 der Unternehmen als managementkontrolliert charakterisiert, 3 Studien geben an, daß 1/5 bis 1/2 dieser Firmen als familienbeherrscht anzusehen seien (bzw. als eigentümerkontrolliert). Larners Nachfolgestudie der Arbeit von Berle - Means von 1972 gibt an, daß sogar mehr als 2/3 der amerikanischen Großunternehmen managementkontrolliert seien. Eine letzte Studie von 1961 dagegen gibt an, daß 3/5 keine derartige Kontrolle durch das Management aufweisen. Zeitlin hat im übrigen in den 70er Jahren gezeigt, wie oberflächlich Berle - Means 1932 vorgegangen waren: nur für 22 % der damals untersuchten 200 Firmen und sogar nur für 3.8 % der analysierten Industrieunternehmen bringen sie nachgewiesene Daten bei, der Rest ist Schätzung.

Rund ein Dutzend Studien sind dem Zusammenhang von Reproduktion und Eigentumsform bzw. Kontrolltypus nachgegangen. 4 Studien haben leicht höhere Profitraten für Firmen, die unter Kontrolle der Eigentümer standen gezeigt, 9 andere Studien haben keinen Zusammenhang zwischen Kontrolltypus und Profitraten nachgewiesen. Motivationsstudien, Bewußtseinsanalysen, Untersuchungen der Einkommensverhältnisse etc. haben ausreichend Zweifel an der These der Distinktheit dieser Gruppe gegenüber dem, was als kapitalistische Klasse bestimmt werden könnte, geweckt. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, daß die Entstehung der These von der Managerrevolution eben auch Anhaltspunkte in der ökonomischen Realität der 30er Jahre hat, ist doch mittlerweile aus Analysen der Verflechtungen zwischen Vorstände bzw. Direktionen der größten amerikanischen Unternehmen bekannt, daß auch im Zusammenhang mit dem Formwandel des amerikanischen Kapitalismus zwischen 1895 und l910 und der bis 1925/30 dauernden sukzessiven Abdankung der Gründergeneration des Industriekapitalismus genau in den 30er Jahren die Bedeutung des Managements erstmals in der Geschichte des amerikanischen Kapitalismus schlagartig wuchs, was sich u.a. am schnellen Absinken der positionellen Verflechtung zwischen einzelnen Unternehmen (interlocking directorates) ausdrückte. Nicht zur Kenntnis genommen worden ist allerdings, daß seit 1935 die Zahl dieser Verflechtungen wieder größer wird, was als Zuwachs von Außenseiterkontrolle über Familien, insbesondere aber auch Banken - interpretiert
werden muss. Im übrigen zeigen die Ergebnisse verschiedener soziologischer Studien aus den 80er Jahren z.B. zum Organisationsverhalten von Managern, ihrer Qualifikationsstruktur, Heiratsverhalten, Freizeitverhalten, usw. daß diese Gruppe keine distinkte Klassenkategorie ist.

IV

Zu einem zweiten Problem. Einer der führenden sozialwissenschaftlich gebildeten Journalisten der USA, Andrew Hacker, hat vor einiger Zeit in dem Magazin "New York Review of Books" die Frage gestellt "Who rules America?" und stellte dabei u.a. fest: "Und wenn sich auch ihre Pfade zweifellos im Laufe der Zeit kreuzen werden, so sind unsere Top-Manager doch nicht in einer Weise aneinander gebunden, daß sie eine kohäsive Kultur herausbilden." Es geht also um soziale, ökonomische, politische, ideologische und kulturelle Kohäsion.

Hat ein Poulantzas 1973, vor zehn Jahren, Recht gehabt, als er formuierte "Die Bourgeoisie sei unfähig, über ihre eigenen organisatorischen Mittel ihre besonderen Interessen in allgemeine, d.h. politische Interessen zu transformieren'? Trifft zu, was Offe in zahlreichen Aufsätzen formulierte, daß es des Tätigwerdens des Staates bedürfe, um die allgemeinen Klasseninteressen des Kapitals von den fragmentierten, kurzfristigen Sonderinteressen der einzelnen Kapitale zu befreien, oder noch zugespitzer formuliert: gibt es überhaupt Anlaß, von einer Klasse zu sprechen? Von einer in sich kohärenten bürgerlichen bzw. kapitalistischen Klasse? Welche innere Struktur weist dann diese Klasse auf und welcher Mechanismus stellt Kohäsion her oder ist diese von vorneherein gegeben? Und generiert schließlich ökonomische und soziale Kohäsion auch - etwa organisatorisch vermittelt - ideologische und politische Einheitlichkeit in der Vielfalt der Einzelinteressen?

Das Neue scheint mir zu sein, daß im Verlauf des letzten Jahrzehnts der Versuch unternommen wird innerhalb der amerikanischen Machtstrukturforschung, politischen Soziologie und Sozialstrukturanalyse, mit den Methoden der Positionsanalyse, teilweise auch der Erforschung von Reputations- und Entscheidungsmustern, sowie der Netzwerkanalyse (kurz: mit einigen Mitteln der empirischen Sozialforschung) erste Umrisse einer solchen Gruppe zu zeichnen.

Diese Forschung war und ist neu. Zuvor waren wohl auch in den USA, wie Nicolaus 1968 auf einer Plenarsitzung der ASA sagte, "the eyes of Sociologists (have been) turned downwards, and their palms upward." Diese Hinwendung reflektiert unterschiedliche Verarbeitungsweisen wachsender - und vor allem: offenbar weithin sichtbarer! - sozialer Ungleichheit. Dabei ist die Verkehrung der Positionen offenbar, verdiente aber eine detaillierte Analyse, die hier nicht gegeben werden kann: sahen die einstigen Theoretiker der Klassenkonvergenz die Oberschichten als verschwindendes Material zukünftiger Gesellschaftsgleichheit, so plädieren diesselben, heute neokonservativ geheißenen Sozialwissenschaftler für den vielfältigen Sinn sozialer Ungleichheit und der darin eingeschlosenen Elitenstruktur. Hier könnte es sich um eine der interessantesten Trendwenden in der Sozialstrukturanalyse der Nachkriegszeit handeln. Auf der anderen Seite ist innerhalb des liberalen, radikalen oder marxistischen Spektrums der Gesellschaftsstrukturanalyse dem Trend zur Entökonomisierung und sogar Entsoziologisierung, wie er für Teile zumindest der westdeutschen Analyse des gesellschaftlichen Subjekts typisch gewesen ist, kaum zum Durchbruch gekommen. Erste Ansätze auch begrifflich differenzierter Herangehensweisen sind ausgearbeitet worden. Im einflussreichsten Konzept - jenem Domhoffs - wird versucht, dass was man bürgerliche Klasse nennen könnte (Domhoff verwendet diese Kategorie freilich praktisch überhaupt nicht), als "upper class" zu fassen und über die Ermittlung einer Reihe sozialer Merkmale empirisch zu erfassen. Die Kapitalistenklasse (corporate elite) ist ihr ökonomischer Bestandteil mit einer "inner group" als dominanter Schicht, aus der sich die entscheidenden Mitglieder der "power elite" rekrutieren, die als "leadership group" oder "operating arm of the ruling class" charakterisiert wird.

Im Ergebnis wissen wir heute über die amerikanische upper class, die power elite, vielleicht sogar über das amerikanische Bürgertum weit mehr als über entsprechende soziale Gruppen in den europäischen kapitalistischen Gesellschaften. Dabei muss allerdings nochmals daran erinnert werden, wie atypisch die Vernachlässigung dieses Sujets in der soziologischen Analyse des politischen Systems und in der Klassen- bzw. Sozialstrukturanalyse der BRD ist. In England, in Frankreich, in Italien und auch in den nordeuropäischen Ländern (nicht zu vergessen ist auch Kanada!) sind vor allem seit Mitte der 70er Jahre eine ganz bemerkenswerte Vielzahl von Analysen der Oberschichten und -klassen erschienen, denen in der BRD fast nur die Studien im Umfeld der Mannheimer Schule gegenüberstehen, die - ungeachtet ihrer bemerkenswerten, freilich auch nicht unproblematischen empirischen Resultate - aufgrund ihrer Verhaftung in einer speziellen Theorie kaum ausreichen.

Daher scheint es mir an der Zeit, dass die Sozialstrukturforschung, Elitensoziologie und Herrschaftssoziologie etwa in der BRD, nachdem wir durchaus von einer Befruchtung von Teilen der amerikanischen politiktheoretischen Diskussion in den 70er Jahren durch die westdeutschen Arbeiten sprechen können, sich nunmehr stärker als bisher bemüht, die Ergebnisse, Verfahren und Interpretationen kennenzulernen, die jenseits des Atlantik erarbeitet worden sind.

Eine der verfeinertsten, zugleich wohl auch gängigsten Methoden zur Bestimmung des Umfangs und der inneren sozialen Kohärenz der upper class bzw. der corporate elite ist mittlerweile die Untersuchung der "interlocking directorates" zwischen Wirtschaftsunternehmen geworden. Die Vorstände der Firmen umfassen durchschnittlich 12-13 Positionen, man trifft sich rund 10mal im Jahr jeweils 2-3 Tage - eine relativ hohe Interaktionsdichte also. Die bisher vorliegenden Ergebnisse von ungefähr zwei Dutzend Studien der 500-1000 grössten Firmen der USA seit Ende der 60er Jahre zeigen, daß über diese Positionen alle großen Unternehmen in direktem oder indirektem Kontakt verknüpft sind. So waren zum Beispiel Ende der 60er Jahre von den 797 größten US - Firmen, die in der bekannten Liste des Wirtschaftsmagazins "Fortune" aufgeführt wurden, mehr als 90 % der 8 600 Direktorpositionen miteinander verknüpft und wir können aufgrund der Resultate der neuen Untersuchung von Mizruchi, welche die Entwicklung der "interlocking directorates" der 167 größten amerikanischen Unternehmen zwischen 1904 und 1974 analysierte, davon ausgehen, daß rund 80 % dieser Firmen kontinuierlich verknüpft sind, keine Auflösungs- oder Abschwächungstendenz dieser Verknüpfungen festgestellt werden kann und sich insgesamt die Anzahl der miteinander vernetzten Positionen nicht verändert hat. Offenbar also existiert hier für ein entscheidendes Segment der kapitalistischen Klasse ein zumindest nationaler (wenn nicht internationaler), stabiler, und im Umfang begrenzter organisatorischer Unterbau von Klassenvergesellschaftung vor. Hierzu liegen m. W. für die BRD weit weniger zuverlässige, insbesondere auch kaum historische Studien vor.

Kohäsion entsteht auch auf der Ebene formeller Assoziation und informeller Interaktion insbesondere in Vereinen und Clubs. Hier sind die Arbeiten von William Domhoff und - als Pionier - Baltzell von unschätzbarem Wert. Hier ist ein ganz beträchtliches Maß an Phantasie entwickelt worden bei dem Versuch, die in Organisationen kristallisierten Unterschiede ausfindig zu machen, in denen das Bürgertum sein distanziertes und selbstsicheres, auf der Freiheit von ökonomischem Zwang beruhendes Verhalten verwirklicht. Phantasie nebenbei bei dem Aufspüren sozialer Unterschiede, die mir abging, als ich in Vorbereitung auf einen Amerikaaufenthalt vor einiger Zeit in einem amerikanischen Dissertationskalalog mit Befremden las, daß eine amerikanische Dissertation von Adrian, 1971 verfasst, sich mit der sozialen Zusammensetzung des Philadelphia Orchestra befasste. Dies lies mich mit typischer linker Voreiligkeit mal wieder zweifeln an
der gesellschaftlichen Relevanz und Nützlichkeit der amerikanischen Sozialwissenschaft. Wenige Monate später, als ich diese Dissertation in der Kongressbibliothek in der Hand hatte, musste ich feststellen, dass das Board of Directors dieses Orchesters gleichsam ein Index für upper-class-Mitgliedschaft, der sozialen Prestigestruktur und Exklusivität in Philadelphia, bekanntlich einer der ältesten amerikanischen Städte, war. In diesem Sinne sind mittlerweile eine ganze Reihe von geradezu detektivischer Fallstudien erarbeitet worden, die allerdings keineswegs entlarvend voyeuristisch einher kommen, sozusagen Dächer abdecken und dem staunenden Leser das Geheimnis der häuslichen Initimitäten der Rockefellers, Fords und Denver-Clans vorführen. Eine besondere Rolle spielen hierbei die Analysen von Domhoff, Mills, Baltzell, die als Ausgangspunkt ihrer Analyse auf den ''Social Register" zurückgriffen, eine Art "Guide Michelin" der amerikanischen upper class - ein Verzeichnis also, das die Prominenz 12 amerikanischer Großstädte verzeichnet und Anfang der 70er Jahre rund 38 000 Familien mit über 108 000 Personen umfasste. Man kann davon ausgehen, daß zwischen 2/3 und 4/5 der amerikanischen kapitalistischen Klasse und ihrer am engsten aggregierten Gruppen in diesem unschätzbaren Register aufgeführt werden, was viele Soziologen veranlasste, den Begriff der "upper class" an die Stelle des akademisch anstössigeren Terminus "capitalist class" zu setzen. Das "social register" (das nebenbei gegenwärtig erstmals auf nationaler Ebene aufgebaut wird) umfasst rund 0,5 % der amerikanischen Bevölkerung und ist ein Schlüssel für die Ermittlung zahlloser Verflechtungsmuster geworden.

Studien über soziale Clubs - regionale und überregionale zeigen ein ganz erstaunlich hohes Maß an sozialer Kohäsion und Interaktion der upper class; auf der einen Seite zwischen der der Wirtschafts- und politischen Elite (was hier nicht interessieren soll), auf der anderen Seite zeigen sie die Herausbildung einer Struktur sozialer Kontakte auf nationaler Ebene über das Clubwesen. (Am Rande sei bemerkt, daß wir überhaupt nichts wissen in welchen Clubs - Sommerclubs, Winterclubs und Ferienresidenzen unser deutsches Bürgertum sich zusammenfindet). William Domhoff hat herausgefunden etwa, dass 673 der 797 bereits erwähnten grössten US-Formen des Jahres l969 in einem der 15 bedeutendsten amerikanischen Clubs vertreten waren, daß, um es zuzuspitzen, gemeinsam Mitglieder in diesen 15 Clubs waren 25 der 25 größten Industrieunternehmen, 25 der 25 größten Banken der USA, 23 der 25 größten Versicherungskonzerne, 24 der 25 größten Transportunternehmen, 24 der 25 größten Dienstleistungsunternehmen sowie 18 von 25 der größten amerikanischen Konglomeratsfirmen. Ein Beispiel für die Bedeutung dieser Clubs ist der Bohemian Grove Club am Russian River bei San Francisco, ein Feriendomizil, in dem ein Drittel der 800 größten Unternehmen der USA durch mindestens ein führendes Mitglied vertreten ist. Es sind dies Konsensfindungseinrichtungen und Einrichtungen der Vergemeinschaftung, keineswegs Entscheidungsgremien oder eine unabhängige Machtbasis. Wie diese Clubs funktionieren, wissen wir freilich kaum. Sie sind der Analyse nicht zugänglich. Nicht umsonst steht am Eingang des Bohemian Grove eine überlebensgroße Holzfigur des Heiligen Sankt Nepomuk - und er hat den Finger vor den Lippen und gebietet Schweigen.

Hier sei am Rande vermerkt, daß derartige Formen der Geselligkeit durchaus ihre spezialisierte öffentlichkeit haben - zum Beispiel schlicht und einfach auf den Frauenseiten der Presse. Sie gehören zu den wichtigsten Seiten, wenn es darum geht, die soziale Macht im Lande zu verstehen und sie sind die einzigen Seiten in der Zeitung, die uns vermelden, wie oft und intensiv sich jene treffen, trinken, Kulturgenüssen nachgehen, modische Distinktionen schaffen, ostentativen, Distanz und Unterschied betonenden, also Klasse verleihenden Akten der Vergeudung oder Askese (wohl aber doch meist des zweckfreien, formbetonenden Luxus) nachgehen und dabei ständig ihre gesellschaftlichen Verhältnisse reproduzieren. Die Frauenseite hat Domhoff zu Recht ein Fenster zur herrschenden Klasse genannt - nur schauen die Soziologen recht selten durch. Überhaupt will es scheinen, als ob der Zugang über öffentliche, freilich auf sehr kleine Öffentlichkeiten spezialisierte Medien durchaus gegeben ist. Weithin unterschätzt und soziologisch kaum erfasst ist andererseits das Maß exklusiver Privatheit bürgerlicher Lebensführung: von der Geburt in Privatkliniken, dem Aufwachsen im Hause oder privaten Kindergärten bzw. Vorschuleinrichtungen, dem Besuch privater Schulen etc. bis hin zum privat inszenierten Tod und Begräbnisritual liegt hier ein Modus der Vergesellschaftung vor, der - so scheint es mir - in unterschiedlichen Gesellschaften (mit vergleichbarer ökonomischer Austattung, Struktur und Funktionsweise) des Gegenwartskapitalismus äußerst verschieden ist. Hier ist von dem französischen Soziologen Bourdieu seit Jahren ganz wesentliche Vorarbeit geleistet worden, die darauf abzielt, über die - auch von amerikanischen Soziologen analysierte - Statuszuweisung durch Ausbildung und die familiale Einübung der feinen Unterschiede - hinaus solche Formen der Generierung sozialer Distinktion in zentralen Sphären der Lebensweise (Sport, Kleidung, Ernährung, Kunstgenuss) zu ermitteln, die Exclusivität, Seltenheit begründen. Grund hat dieser Vorgang im Einsatz wirtschaftlicher Macht als Methode, sich der Not und dem Zwang des Ökonomischen gegenüber Distanz zu schaffen, sich vom rohen und brutalen Zwang der Verhältnisse frei zu machen, dem der "kleine Mann" unterliegt, eine Distanzierungsfähigkeit von der Welt des Notwendigen zu schaffen, die sich im demonstrativen bürgerlichen Luxus ebenso ausdrückt wie in der Askese als bewußt auferlegter Selbstbeschränkung, letztlich sich zusammenfasst im zwanglos-selbstsicheren Lebenshabitus.
Diese, durch Verfügung über Reichtum bzw. Kapital abgesicherte Distanz zur Not(-wendigkeit) befähigt zur privaten Aneignung exklusiver, seltener Güter, Räume, Symbole und Werte. Konkurrenz und Konflikt innerhalb dieser Elitengruppen und gegen jene, die in der Gesellschaftshierarchie untere Plätze einnehmen, gehen heute mehr denn je um die exklusive Kontrolle des Seltenen, Erlesenen, dadurch den Unterschied begründenden und betonenden, somit buchstäblich Klasse verleihenden - seien es ein Millionenappartement, ein Weinjahrgang, ein Monopol auf Hartfaserplatten oder die exzellenteste Form von Macht: die Beherrschung der Zeit vermittels der Dinge, die nur im Laufe der Zeit, mit ihr, erworben werden können. Soziale Ungleichheit meint also, das eine soziale Klasse oder Gruppe aufgrund ihrer Stellung im System der Produktion und Aneignung es vermag, Güter, Räume, Symbole, Werte, Zeit, gesellschaftliche Praxen sich exklusiv anzueignen und ihnen erst dadurch die Eigenschaft sozialer Seltenheit oder Singularität zu verleihen, vermittels derer wiederum gesellschaftliche Macht begründet und ausgeübt zu werden vermag. Soziale Gleichheit dagegen meint Aufhebung nötigender Verhältnisse und Sicherung allgemeiner Zugänglichkeit und Aneignung von Gütern, Raum, Zeit, gesellschaftlicher Praxisweisen. Die Analyse der sozialen Ungleichheit, wie sie in der Existenz von gesellschaftlichen Oberklassen und Eliten sich ausdrückt, geht also weit über die reduzierten Dimensionen von Class, Stattus und Power hinaus, die in den gängigen Strukturanalysen erfasst werden.

V

Eine abschließende Frage soll dem klassischen Problem der inneren Struktur der upper class gelten.

Die Etikettierungen sind hier ebenso zahlreich wie vertraut. Danach zerfalle die upper class in Blaublütige und Neureiche, in "neues" Öl und "alten" Stahl, in die WASP und die Juden, den Nordosten und den Sunbelt, Yankee vrs. Cowboy, Zivilindustrie vrs. Military Industrial Complex usw. - doch all dies hat wenig Fundierung und es ist, vor allem was die letztgenannte Theorie betrifft, doch weithin oberflächlich, weil es an vergleichbaren Abgrenzungen von anderen Komplexen fehlt. Soziologische Strukturanalysen des Militär-Industrie-Komplexes sind ohnehin die Ausnahme und fehlen vollständig für den Zeitraum seit Anfang der 70er.
Die Untersuchungen der inneren Differenzierungsprozesse der amerikanischen upper class laufen immer deutlicher auf die Kernfrage hinaus, inwieweit diese in ihrem Zentrum durch Kerngruppen beherrscht wird, die strukturell eng integriert sind; distinkte soziale Merkmale tragen; vereint im Verfolg ihrer politischen bzw. ökonomischen Ziele sind und insbesondere vermögen, über die genannten Mechanismen der Vereinheitlichung hinaus als Faktor herrschaftlicher Integration zu fungieren. Anhaltspunkte für die Existenz einer solchen dominierenden Schicht oder Kerngruppe, also einer Achsendifferenzierung entsprechend der Integration von Klasseninteressen werden seit Mitte der 70er Jahre in der Machtstrukturforschung und Elitensoziologie zusammengetragen. Dabei geht es um die "inner group research" und den "interest group approach", die sich beide als spezifische Forschungstraditionen und -programme ausdifferenziert haben.

Das Hauptergebnis dieser zahlreichen Untersuchungen lässt sich in der Feststellung zusammenfassen, daß jene, die überdurchschnittlich Direktionspositionen in unterschiedlichen Firmen (3-4 oder mehr) tragen (im Masstab der 500 größten Firmen rund 800-2000 Personen der - nach Useem - rund 200-300 000 Mitgliedern der nationalen Wirtschaftselite)
+ überdurchschnittlich aus Business-Familien kommen
+ selbst reich sind oder aus vermögenden Familien kommen
+ sich kennen
+ Mitglieder exklusiver Clubs und Residenzen sind
+ weit überdurchschnittlich sichtbar sind
+ nahezu ausschließend die Positionen in den Verbandsführungen und auch politischen Organisationen einnehmen
+ weit überdurchschnittlich aus dem Finanzbereich kommen.

Diese Identifizierung einer derartig eigenartig klassenzentralen Gruppe auf dem Wege der Untersuchung von Familienbeziehungen, Vergesellschaftungsweisen, Organisationsverhalten und ökonomischen Verflechtungen bedarf sicherlich dringend der Ergänzung.

1. Mit Ausnahme einer Analyse von Useem ist bislang kaum Material zur Entwicklung des gesellschaftlichen, insbesondere politischen Bewußtseins dieser klassenzentralen Gruppe vorgelegt worden. Bislang konnte der Nachweis distinkter Wert- und Normorientierungen für diese Gruppe nicht geführt werden.
2. Dieser Ansatz bedarf der Ergänzung durch historische Analysen, die nur in wenigen Pionierarbeiten etwa zur Geschichte des amerikanischen Finanzkapitals (Mizruchi) und der staatlichen politischen Elite vorliegen. Entsprechende Netzwerkanalyse zeigen die Kontinuität einzelner Segmente dieser inner group für einen Zeitraum von mittlerweile rund 70 Jahren, sie zeigen auch die überragende Rolle von Finanzinstituten und die Zunahme der Integration des nationalen Netzwerks.
3. Es fehlt in fast allen Analysen der Versuch, Interaktionszentralität und an diese gekoppelte Kumulativität sozial distinkter Elitenmerkmale zu verknüpfen mit dem ökonomischen Status der so umrissenen Gruppe. Prononciert formuliert: zwischen einer durch Zentralitätsanalysen ermittelten "inner group" einer "upper class" und einer durch die Analyse der Besitz- und Eigentumsverhältnisse identifizierten monopol- oder finanzkapitalistischen Gruppe muss keineswegs ein Gleichheitszeichen gesetzt werden. In der Verbindung dieser Herangehensweisen liegt eine der wichtigsten nächsten Forschungsschritte.
4. Analysen, die zeigen könnten, daß diese Gruppen zugleich ökonomische Interessengruppen sind, die zugleich unterschiedliche Politikkonzeptionen in einzelnen issues generieren, fehlen bislang. (Ich nehme auch keineswegs an, dass eine solche dauerhafte Differenzierung nachgewiesen werden kann, denn es gibt keinen Primärmechanismus der Klassenvereinheitlichung - doch das Problem gilt es zu untersuchen).
5. Auch wenn daher vor allem die Machtstrukturforschung imstande gewesen ist, gewisse Umrisse und innere Differenzierungen der upper class zu zeigen, so hat sie es doch verabsäumt, einen Begriff von Interesse und - damit verknüpft - von Bewußtsein zu entwickeln, ohne die Konsensbildungsprozesse nicht ausreichend erfasst werden können.
6. Der bisher vorliegende Versuch, über eine sozialstrukturanalytische Identifizierung des sozialen Subjekts des amerikanischen Gesellschaftssystems zugleich nachzuweisen mehr als Politikfähigkeit dieses Subjekts kann nicht überzeugen. Während die Power Structure Research darzulegen versucht, dass die besonderen wie allgemeinen Klasseninteressen privat generiert und partiell auch realisiert werden, sieht die strukturalistische, innermarxistische Analysetradition die Konstitution der besonderen Interessen als privaten, die Konstitution der allgemeinen Klasseninteressen jedoch als öffentlichen, staatlich organisierten Vorgang an-(oder sie trennt klasseninnere und klassenäussere Vorgänge vollständig, Beide Ansätze vereinfachen das Problem; sie stellen besondere und allgemeine Interessen apart, "unversöhnlich", unvermittelt einander gegenüber und sie übersehen, dass eine Ausbildung allgemeiner Klasseninteressen durch klasseninnere Konsensbildungsprozesse auf der Grundlage sozialer Kohäsion nicht gleichzusetzen ist mit ihrer - politischen - Verallgemeinerung.
7. Endlich ist fraglich, ob die in der Power Structure Resarch immer wieder betriebene Gleichsetzung von Bankkapital und Finanzkapital nicht auf problematische Wege der empirischen Forschung führt und zwingend in einer Überbetonung der Rolle der Banken enden muss. Dies freilich scheint mir nur ein Indiz zu sein für ein allgemeineres, gleichsam subkutanes Streben (das auf den Boden einer liberalen Elitensoziologie ebenso wächst wie auf dem eines instrumentalistischen Marxismusverständnisses) gleichsam ohne vermittelnde Zwischenglieder und mehr oder weniger nahtlos politische Prozesse und Ereignisse rückzuführen auf das Agieren von Wirtschaftseliten.

Derlei immer wieder spürbare Vereinfachungen ändern aber nichts daran, dass nicht nur in dieser Richtung der amerikanischen Elitenforschung Ergebnisse erbracht worden sind, die unser Bild über die Gesellschaft der Vereinigten Staaten erweitert haben und uns Hinweise für Forschungsaufgaben im eigenen Lande geben.

 
Texte Home 24.12.04