Ende des Neoliberalismus? Und die Linke?

so overViele linke Organisationen, Einrichtungen, politische Annahmen und (Re-)Aktionsmuster entstanden im der Zeit, sagen wir, der Blüte des Neoliberalismus. Die hier Agierenden oder gar Beschäftigten haben einen Großteil ihre politischen Lebenszeit unter der Hegemonie seiner Praxis, Kultur und Problemstellungen für die Linke gelebt und gearbeitet.

Geht nun diese Zeit zuende? Ja, sie geht zu Ende. Was bleibt, ist offen.

Jedes Ende dauert. Die aktuelle Krise baute sich in anderthalb Jahren sukzessiv auf. Die Macht und ihr Unterbau sind drei, vier Jahrzehnte alt. Sie schwindet nicht so einfach – aber die gewisse Leichtigkeit einer Hegemonie: sie ist definitiv dahin. Welchen Charakter hat dieses außerordentliche Ereignis, das bislang als Finanzmarktkrise bezeichnet wird? Ist dies eine „finale“ Krise des Neoliberalismus? Was bleibt von ihm? Was wird kommen? Reicht die Vermutung einer neuen Hochzeit autoritärer Staatlichkeit aus? Frau Merkel, schreibt der FTD vom 10.10., „hat in all der Hektik“ um das Hypo Real Estate – Rettungspaket „etwas vergessen: das Parlament.“ Wie soll man sich einen autoritären Kapitalismus auf den massiven Trümmern des Neoliberalismus vorstellen? Zerbricht die Finanzmarktkrise die noch vorhandenen großen Stücke des Vorsorge-, Wohlfahrts-und Sozialstaats? Wie wird das soziale Kapital und wie das Kapital fürs Soziale aus dieser ungeheuren Kapitalvernichtung herauskommen? Wird die „Rekapitalisierung“ des Finanzkapitals den Staat auf seine Gewaltstruktur skelettieren? Ist nicht bailout sondern sellout des Staates das Wort der Stunde? Die neuartigen Befestigungen privater Macht, Ressourcenungleichheit und privater Gewaltpotentiale des neoliberalen Geldadels haben, wie Krysmanski en Detail elaboriert hat, ihre eigenen Ressourcen und werden durch die Lehmann-Pleiten nicht grundsätzlich tangiert. Welche neuen Konfliktlinien entstehen also? Oder ist dies etwa eine große Krise, deren Folgen klein gehalten werden können? Plötzlich tauchen grundlegende Fragen auf.

Und: das Wissen um die Wirkungen solcher Krisen existiert in der Bevölkerung. Da das „Verhetzungungspotential“ (FAZ 10.10.) ununterbrochen steigt, fordert die Macht auf, buchstäblich stillzuhalten. Präventiv operiert sie mit Angst-Mache und droht mit der Perspektive der Verelendung – die ja für Millionen bereits beginnt realistisch zu werden. Dazu kommt die eigene Angst: sie versucht verzweifelt, das Kapital zusammenzuhalten, wieder die Kontrolle über den Prozess zu erlangen und die Desintegration der Gesellschaft zu verhindern. Hat die „politics of fear“ erst angefangen? Im Moment dominiert das Feuerwehrpersonal: saubere Bankers (Ackermann, Buffet, Strauss-Kahn), Kontrollmaschinisten (Sakorzy, Steinbrück) und Beruhigungsexperten (Merkel, Berlusconi). Diese Aufgabe okkupiert fast alles. Sie wird aber die Kräfteverhältnisse national wie international neu austarieren und in diese Kämpfe werden sukzessiv die Einschätzungen strategischer Einrichtungen und Intellektueller eingehen, die im Moment nur an ihrem eigenen Opportunismus kauen, über das Verlorene jammern und über die schlimme Zukunft dräuen (Schirrmacher usw.). Auch da werden viele Karrieren zu Ende gehen.

Ob die Banker die Republik „nach links“ (FAZ 9.10.) verschoben haben, ist offen.

Aber seit den frühen 70ern hat sich die politische Rechte und hat sich die liberale oder rechte Sozialdemokratie nicht mehr so vor einer potentiellen Linken gefürchtet wie heute, wie seit drei, vier Wochen. Sie interpretiert diese Entwicklung als eine große, historische Chance für die Linke.

Die FAZ, das Auge der deutschen herrschenden Klasse, leitartikelt am 10 Oktober:

Langsam dringt die historische Dimension dieser Krise in das Bewusstsein von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch wenn ein Ende noch nicht absehbar ist, so beginnen alle zu ahnen: Die gesellschaftspolitischen Folgen dieser Krise werden langfristig und einschneidend sein. … Wenn alle anderen Akteure ausfallen, kann zum Schluss nur noch der Staat Vertrauen stiften. In einem Meer der Unsicherheit ist der Staat der letzte Rettungsanker. Die Garantie von Bundeskanzlerin Merkel für das Geld deutscher Sparer hat geholfen, einen Sturm der Anleger auf die Banken zu verhindern. Wenn in Deutschland das Geld der Sparer nicht mehr sicher wäre, dann bräche das Fundament des Staates. Die Garantie der Bundesregierung gilt für die Ersparnisse von Privatleuten, die etwa 1000 Milliarden Euro auf Bankkonten liegen haben. Es handelt sich um Guthaben, nicht um Kredite, Wert- oder Schrottpapiere. Ein funktionierender Zahlungsverkehr ist ein öffentliches Gut; das Einstehen des Staates für das von ihm ausgegebene Geld ist im Zweifel selbstverständlich. Außerdem würfe es den Bund nicht um, wenn der Garantiefall einträte.…aber er sollte sich hüten, jedes Risiko zu übernehmen…Diese Finanzmarktkrise wird die weltpolitische Landkarte verändern. Dies jedoch nicht im Sinne deutscher Kapitalismuskritiker, die schon den Abgesang auf die marktwirtschaftliche Ordnung anstimmen. Marktwirtschaft und Demokratie sind krisenerprobt, sie werden auch durch dieses Finanzbeben nicht untergehen. Für die nahende Bundestagswahl steigt allerdings mit jedem Nachbeben das Verhetzungspotential. … Das Epizentrum der Krise liegt in der Wall Street; dort könnte das Ende der finanziellen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten eingeläutet werden. Amerika ist militärisch geschwächt und geopolitisch ermüdet. Die Welt befindet sich im Übergang vom amerikanischen Hegemon zu einer multipolaren Ordnung. Die Rechnung für diese Krise wird nicht an einem Tag, sondern über Jahre beglichen. …Es wird eine globale Lastenverteilung geben. Amerikas Gläubiger haften mit. Das kommunistische China hat geschätzt 500 bis 600 Milliarden Dollar in der Krise verloren. Die Devisenreserven der Volksrepublik schrumpfen täglich. Kaum besser ergeht es Russland und den Golfstaaten, die ihre Erlöse aus Öl- und Gasgeschäften künftig nicht nur in Dollar anlegen wollen. Diese und viele andere Länder sind der Wall Street gefolgt und enttäuscht worden….Das Beben an den Finanzmärkten führt zu einer tektonischen Verschiebung der politischen Machtverhältnisse der Welt.

Die Macht (star trek) versucht, die Krise zu lösen und zu verhindern, dass sich der ungeheure Legitimationsverlust (Rolle des Staates) ausweitet in a new long left era. Sie stemmt sich gleichsam gegen das „politische Pendel“ (Rick Wolff). Ihre Verteidigungslinien werden gezogen, Zwischenlösungen probiert. Es ist die Zeit der Hybride. Ihre Hauptinstrumente sind positive Krisenlösung durch Korrektur und Staatseinsatz, Rettung ihrer sozialen Basis, Verelendungs- und Angstpolitik. Ihre Bailouts und Rekapitalisierungen schaffen keine Arbeitsplätze. Ihre Politik ist getragen vom alten, eben neoliberalen spirit des Finanzialismus, der in den letzten Jahrzehnten die Kultur des kapitalistischen Staates geprägt hat: die Realwirtschaft kümmert sie (noch) nicht sonderlich, Jobs erst recht nicht, was ist schon Hartz IV gegen Hypo Real? Das ist wahrlich kein financial socialism, von dem Richard Sennett in der FT jetzt schreibt. Das ist capitalist state at its best.

In der Linken befestigt sich aber die Annahme, dass die Dynamik in Richtung auf eine Ausweitung der Finanzmarktkrise in eine Weltwirtschaftskrise ungebrochen ist. Das aber würde bedeuten, dass wir auf die erste große soziale Krise des 21. Jahrhunderts zusteuern und es nicht „nur“ um die Explosion der Arbeitslosigkeit in den Finanzabteilungen der global cities geht, die beispielsweise der britische Think-Tank CEBR für London prognostiziert

Der Macht geht es auch und klar um die Bekämpfung der zentralen linken Option: wo der Staat kurzerhand Billionen mobilisieren kann, um das private Finanzsystem zu reparieren, kann er ebenso kurzerhand diese Ressourcen für zukunftsfähige Lösungen gesellschaftlicher Probleme einsetzen – Billionen Gesellschaftskapital also.

Stimmen diese Gedanken? Was kann die Linke von der aktuellen Mobilisierung des Finanzstaates lernen? Wie muss der finanzialisierte kapitalistische Staat verändert werden?  Wie verhindert sie einen selbstmörderischen Linksetatismus? Wie setzt sie praktikable Differenzen in der Staatlichkeit und zu ihr? Bislang plädiert sie für einen stärkeren Interventionismus in den Finanzmarkt, massive Umverteilung nach unten (also „Gleichheit“). Radikale Realpolitik aber geht, in der Situation des neoliberalen Bruchs, auf mehr: „Garantie“ (Merkel) der sozialen Infrastruktur und der globalen sozialen Rechte. Wenn mit Billionen der Finanzmarkt garantiert werden kann, dann kann auch soziale Gleichheit garantiert werden.

Die Linke beginnt nur sehr langsam, sich aus ihrer Schockstarre zu lösen. Sie versucht sich zu verständigen, was sie wissen muss, um handeln zu können.  Was ist? Wohin geht es? Was tun? Wenn diese Erwägungen also zutreffen – hat die Linke eine qualitativ neue Chance? Wohin soll sie sich verändern? Was soll sie tun? Wie kommt sie zusammen? Wie organisiert sie ihr Wissen? Wie operiert sie international? Schluss mit dem Trott.

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Malmö ESF – Ergänzung

Natürlich hat eine Veranstaltung mit gut 10.000 TeilnehmerInnen und einem hohen Einsatz an Engagement, politischem Kapital und materieller Unterstützung auch wichtige und gute Ergebnisse erbracht. Vier würde ich nennen:

  • das Forum ist breit genutzt worden, um Vernetzungen weiterzutreiben oder auch zu begründen;
  • die politische Sprache der Kultur wurde in vielen gesonderten Veranstaltungen gesprochen;
  • es hat eine höchst wichtige Ausweitung der Teilnahme aus Osteuropa gegeben;
  • und – als wichtigster Punkt aus meiner Sicht – es hat noch nie ein „großes“ Forum gegegeben, in dem eine derartig starke gewerkschaftliche Präsenz vorhanden war  – in meinen Augen ist das sogar wichtigste organisationspolitische Ergebnis des Forums gewesen.

Aber es müssen auch die schwierigen Punkte genannt werden:

  • Der Vorbereitungsprozess der Veranstaltung war extrem kompliziert und die schwedische Seite hat auf der Grundlage eines politischen Bündnisses (Linkspartei, Autonome Linke, attac, Teile der Gewerkschaften und Bewegungen usw.) gearbeitet, das nicht  wirklich  hielt – auch was attac betrifft.  Die internationale Unterstützung auch des Forums hielt sich sehr in Grenzen.
  • Die Resonanz im Feld der früher für die Forumsbewegung Gewonnenen war gering – die Zahl von 12.000 spricht Bände. Die Beteiligung aus Deutschland war definitiv sehr gering. Die Resonanz in der schwedischen Öffentlichkeit – und auch in der Stadt Malmö – tendierte gegen Null (nur als ein paar Scheiben  ums Hilton zu Bruch gingen, war die Weltpresse wieder da). Dasselbe gilt für die Medien in der BRD, eine derartig krasse Ignoranz eines Forums hat es zuvor nie gegeben. Die Organisation des Forums hatte große Defizite, am, deutlichsten erkennbar am Zusammenbruch der Übersetzungen und dem damit verbundenen technischen Desaster. Der falschverstandene Demokratismus eines Teils der Träger führte dazu, das einige Veranstaltungen mit großer Resonanz reihenweise kleinere Veranstaltungen schlichtweg killten. Dem fiel zum Beispiel auch eine Veranstaltung der RLS mit Gayatri Chakravorty Spivak zum Opfer, die nicht nur im Programm falsch angekündigt war und in einem Raum mit doppelter Belegung stattfand, sondern auch mit der größten Veranstaltung des Forums konkurrieren musste – erfolglos, es kam niemand.
  • Es gab kein eigentliches geografisches oder politisches Zentrum des Forums, was dazu führte, dass sich die Gesamtheit der Teilnehmer erst am Ende des Forums (bei der Demonstration und der von vielen nicht mehr besuchten Sonntagsabschlußveranstaltungen) wirklich erkennen konnte – ein identitätspolitischer Veranstaltungsfehlgriff erster Güte.
  • Inhaltlich hatte ich schon das Problem, dass die aktuelle tiefe Krise des Finanzmarktkapitalismus gerade mal in einer Veranstaltung ausschließlich Thema wohl war (und in vielen in letzter Minute aufgegriffen wurde), es aber nicht versucht wurde in den letzten zwei Wochen, dazu eine massive  innen- wie außenwirksame – und auch linke – Positionierung vorzunehmen.  Nix. Einen größeren politishen Fehlgriff kann man sich kaum vorstellen.

Die Debatte um den Zustand der Sozialforumsbewegung muss natürlich weitergeführt werden. Es hat eine globalisierungskritische Bewegung gegeben von Seattle bis Genua, die global agierte, Diversität und Pluralität als politische Medium der Kooperation, Strategie, Subjektivität machtvoll entwickelte und politischem Aktivismus ein neues Gesicht gab, und – auch wenn sie nord- und männerlastig war – die Möglichkeit der Veränderung wieder aufriss; dann gab es einen zweiten Zyklus, der von 2003 bis 2006 dauerte und sich auf den Kampf gegen den Krieg fokussierte, oft zentralisiert agierte, eine Ein-Punkt-Orientierung nach vorne schob oder schieben musste – in mancherlei Hinsicht ein durch die Größe des Problems erzwungenes Revival des früheren Bewegungstypus also. Diese Phase ist zu Ende seit Rostock – und ob hier ein neuer, dritter Zyklus der sozialen Bewegung entsteht, ist noch offen – wer davon spricht, dass Malmö „ein weiterer folgerichtiger Schritt einer Bewegung“ gewesen sei, unterschlägt, dass die Sozialforumsbewegung in einer tiefen Krise steckt, wofür Malmö ein massiver Beleg war. Welchen Charakter diese Krise aber hat und welche Möglichkeiten sie öffnet, ist noch offen und bedarf der intensiven Debatte, Kooperation und der Experimente.

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malmö esf

noch kein europäisches sozialforum ist von den bürgerlichen, aber auch den linken medien so ignoriert worden wie das 5. sozialforum in malmö, das am sonntag zu ende geht. sicherlich wird man klarer als bislang über den weiteren sinn insbesondere europäischer sozialforen sprechen müssen, da der teilnehmerzuspruch zu wünschen übrig lässt. doch kein sozialforum bisher hat auch nur ansatzweise eine solche gewerkschaftliche präsenz und inhaltliche beteiligung gezeigt wie dieses – vielleicht der zentrale erfolg der veranstaltung, der in der dürftigen öffentlichen reaktion durchweg nicht vorkommt. beispielsweise nahm an einem theoretischen seminar der rls zu „Varieties of European Capitalism“ mit fast 100 teilnehmerInnen auch ein gutes dutzend gewerkschaftskollegen aus deutschland teil.

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Left Bank

Ja, einige sehr lesenswerte Nischenreminiszenzen werden immer neu aufgelegt. Doch ansonsten vermarkten die rive gauche der Pariser Vorkriegszeit und danach heutzutage bloß noch ausgerechnet die Best Western Hotelkette oder diverse „unabhängige“ Kommerzprojekte (z.B. in Portland), Restaurants, Gallerien usw.usf. Aber auch sie spiegeln das besondere wieder, das die Left Bank auszeichnete: sie war ein eigener sozialkultureller Ort in einer bestimmten Zeit. Demgegenüber Los Angeles in der ersten Hälfte der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts: dort waren die Manns, Brecht, Renoir, Lang, Stravinsky, Schönberg, Feuchtwanger, Werfel, Simmel, Döblin, Adorno, Horkheimer, Dali, Bunuel, Ophüls, Fitzgerald, Parker oder Faulkner – nie aber bildeten sie eine LA-intellectual community. Wie anders die Left Bank. Es gibt also ganz besondere Bedingungen für die Vergesellschaftung linker Intellektualität. Warum es überhaupt Sinn macht, im Zeitalter von Bachelor und Masters, McCain und Merkel sich damit zu beschäftigen, ob die angeblich „neue“ Linke sich auch neue linke Intellektuelle zulegen sollte, debattiert ein Beitrag „Eine neue left bank der Intellektuellen?„, vorgetragen auf der SDS-Tagung an der Humboldt-Uni im Frühjahr 2008.

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We don`t do empire

Mit Dieter Boris ist nunmehr der letzte „68er“ aus dem alten Kreis des SDS aus dem Fachbereich 03 der Universität Marburg emeritiert und zugleich expediert worden. Die emsige Endmoräne der ersten Generation der Marburger „Marburger Schule“ ist – was die Institution angeht – nunmehr erfolgreich vaporisiert worden. Aber naja, noch ist nicht aller Tage Abend!

Anne Tittor und Stefan Schmalz haben dankenswerterweise einen Dieter gewidmeten  Sammelband initiiert, der ihm letzte Woche zu seiner Abschiedsvorlesung überreicht wurde. Er heisst „Jenseits von Subcommandante und Hugo Chavez. Soziale Bewegungen zwischen Autonomie und Staat“ und ist erschienen im VSA-Verlag (Hamburg 2008, 254 Seiten), in dem Dieter viel publiziert hat.

Darin findet sich auch ein Text von mir: „We don`t do empire“ (S.232-243), der sich mit der Frage des Empire, in Sonderheit des US-Empire befasst.

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Eine Frage der Gewalt

Die Frage der Gewalt zerreißt die Linke wie kaum etwas anderes. Zuletzt hat es Heiligendamm gezeigt. Die Linke kämpft für eine Gesellschaft ohne Gewalt und Krieg und sie trägt zugleich eine Tradition schrecklichster Formen der Gewalttätigkeit mit sich. Ihre Verweise auf die Macht der Gewalt und die Gewalt der Macht sind stichhaltig. Doch wie darauf reagieren? Mit der strategischen Position der Militanz? Radikaler Gewaltfreiheit? Einem linken radikalen Pazifismus? Einer Gewaltpraxis revolutionären Widerstands? Die eine Frage der Gewalt zerfällt rasch in viele Fragen und in noch mehr Antworten der Linken – und, nicht selten, in politische Spaltungen und tiefe Unversöhnlichkeit. Viele halten die Mühen der Gewaltfrage nicht mehr aus und verlassen das linke Lager. Andere nehmen eher leichte Wege: tabuisieren die Widersprüche, flüchten in politische Phraseologie oder den bequemen Opportunismus eines wohlfeilen liberalen Verbalpazifismus. Doch vor den ungezählten Schwierigkeiten der Frage der Gewalt darf nicht kapituliert werden, es müssen politisch bestandsfähige Antworten gefunden werden. Benötigt werden Kulturen und Vorschläge, die radikal sind und nicht so einfach zusammenkommen.
Eine Frage der Gewalt. Antworten von links.  Von Rainer Rilling (Hrsg.). Reihe: Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 49 140 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-320-02157-3. Mit Beiträgen vonRainer Rilling,  Wolf-Dieter Narr, Christine Buchholz,  Katja Kipping, Christoph Kleine, Bernd Hüttner, Einige autonome (ex-)StipendiatInnen, Peter Wahl, Conny Hildebrandt, Patrick Bond, Ruth Frey, Manfred Lauermann, Thomas Seibert, Michael Brie. Im „Neuen Deutschland“ vom 11.Juli ist eine Besprechung von Gerhard Hanloser erschienen, auf die auch Mitautor Bernd Hüttner dankenswerterweise im Linkslog aufmerksam gemacht hat. Der Band ist für 9.90 € käuflich und als PDF im Volltext zugänglich.


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Kleine Bilanzen der Demokratie: Herbstakademie 2008 bei Volterra

demoschneckeVom 9.-16.8.2008 findet die 6. Herbstakademie der Stiftung GegenStand in der Villa Rossa alias Villa Palagione statt: Kleine Bilanzen der Demokratie

 

 

Am Montag, den 11.8.2008, bewegen wir uns am Vormittag in der ZEIT: Luciano Canfora, Professor für griechische und lateinische Philologie in Bari und Autor des Buches „Kurze Geschichte der Demokratie“ wird einen Blick in die GESCHICHTE DER DEMOKRATIE werfen. Am Nachmittag wird Peter Hauck-Scholz, RA in Marburg und bewandert in Staats- und Verfassungsrecht sprechen über „Das demokratische Prinzip in der deutschen Staatslehre und Staatsrechtslehre“.

Am Dienstag, den 12.8.2008 wird zunächst Tom Karasek, Germanist und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen, einen Ausflug in Diskurse über Demokratie unternehmen, wobei es vor allem darum geht, wie „Einigkeit“ hergestellt wird. Bettina Lösch, Universität Köln, die sich mit kritischer Demokratietheorie und politischer Bildung befasst und eine Reihe größerer grundlegender Publikationen in Sachen Neoliberalismus mit erarbeitet hat, wird dann dem aktuellen Zusammenhang von Neoliberalismus und Demokratie nachgehen. Am Nachmittag sind zwei Themenbereiche vorgesehen. Zum Thema DEMOKRATIE, MARKT UND GESCHLECHT wird Eva Kreisky sprechen, sie ist Hochschullehrerin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Als zweites Thema interessiert uns ALIENS!!: BETRIEB TRIFFT DEMOKRATIE! – dazu werden Hans-Jürgen Urban von der IG Metall und Godela Linde von der DGB Rechtsschutz GmbH aufklären.

siena Am Mittwoch, den 13.08.2008 ist in unserer Ferienakademie traditionell Zeit für Erholung, Exkursionen etcetera. Ins Auge gefasst ist eine Betrachtung des allegorischen Freskenzyklus über Die Gute und die Schlechte Regierung, den Ambrogio Lorenzetti 1338/1339 für die Sala della Pace (Friedenssaal) des Palazzo Pubblico in Siena geschaffen hat. Hierzu wird am Morgen Margot Michaelis (Braunschweig) sprechen.

Am Donnerstag, den 14.08.2008 wenden wir uns einer zentralen Institution zu, dieparliament Demokratie „repräsentiert“: dem Parlament. Zur Einführung wird der Soziologe Manfred Lauermann einen Bogen von der klassischen marxistischen Parlamentarismuskritik (Marx/Engels, Lenin) über Carl Schmitt und Johannes Agnoli bis zu Hardt/Negri schlagen und über Die Frage der Repräsentanz sprechen. Im Folgen geht es um kritische Innensichten aus dem wirklichen Leben des Parlaments: Jan Korte (MdB Die Linke) mit Schwerpunkt Bürger- und Grundrechte und Gerd Wiegel (Mitarbeiter der Fraktion Die Linke im Bundestag und u.a. bei der Zeitschrift „Z“ engagiert) werden hier einen Abriss geben. Am Nachmittag geht es um Verschränkungen: Uli Müller von LobbyControl gibt hier einen Abriss en detail und Hans See, Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender von Business Crime Control wird die „Dialektik zwischen krimineller Ökonomie und Wirtschaftsdemokratie“ erörtern.

superAm Freitag, den 15.06.2008 diskutieren wir am Vormittag zum Abschluss des Seminars die ambivalente demokratiepolitische Rolle der Gewerkschaftsbewegung und politisch-sozialer Bewegungen in der Bundesrepublik (dazu spricht Horst Schmitthenner von der IG Metall) und fragen dann wieder nach der ZEIT: wie es denn um das „Demokratische“ am „demokratischen Sozialismus“ und um das „Soziale“ an der „sozialen Demokratie“bestellt sein könnte, und wie eine zukunftsbeständige Demokratiepolitik aussehen müsste. Alex Demirovic (Philosoph und Politikwissenschaftler mit zahlreichen Publikationen zu Demokratiefragen) wird dazu in demokratiekritischer und -theoretischer Sicht vortragen.

Die Herbstakademie ist Bildungsveranstaltung, wissenschaftlicher Workshop, politisches Diskussionsseminar und Raum der Erholung gleichermaßen. Sie ist gegenwärtig das zentrale Projekt der Stiftung GegenStand. 2003 führte sie ihre ersten Herbstakademie in der Villa Palagione bei Volterra durch und knüpfte so an ein vergangenes Projekt des BdWi an. Es ging um Krieg und das Empire, um Die gute und die schlechte Regierung, die Frage: Was ist links? und zuletzt um das Thema Raum. Die Zugangsschwelle für das Wochenereignis der 6.Villa Rossa besteht im großen und ganzen nur aus dem üblichen Selbstkostenbetrag (schwankend zwischen 450 und 500 €, je nach Lokalität). Wegen Preisnachlässen kann nachgefragt werden. Und zuletzt ein wichtiger Hinweis: falls das Haus zurückgegebene Zimmer nicht neu vermieten kann, fallen die entsprechenden Zimmerkosten (nicht: die Mahlzeiten) dennoch an – das gilt ab Anfang Juli.

viall Die Villa Rossa hat einen recht bewährten Zeitzuschnitt: Samstags Anfahrt, Sonntags Ausruhen und Vorstellung des Hauses, Montag / Dienstag sowie Donnerstag/Freitag Seminar, Mittwoch Exkursion / Konsum, Samstag Abfahrt. Das Projekt arbeitet non-profit. Die Veranstaltung wird gefördert durch die Rosa Luxemburg Stiftung

Anmeldungen & Nachfragen bei Rainer Rilling: rillingr@mailer.uni-marburg.de.

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