In den Postwahl-Aktivitäten hat es ziemlich lange gedauert, bis aus der Linkspartei auch politische Akzente in Richtung Grün formuliert wurden (z.B. Katja Kipping, Tom Strohschneider). Aus diesem Anlaß ein Auszug aus einem im Juni im Kursbuch 174 publizierten Text von mir („Die Linke wählen?“, S.113-123, hier: aus S.118-122), der zum strategischen Sinn dieser Option argumentiert:
Neue grüne Wendungen finden sich weithin, ob in der CDU, der SPD oder der Linkspartei. „Grüner Sozialismus“ war 2012 der Schwerpunkttitel einer Ausgabe der Zeitschrift „LuXemburg“ der Rosa Luxemburg Stiftung und brachte damit fröhlich einen Begriff auf, der in einer Partei, deren Gründungspart als „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) auftrat, völlig unüblich war. Spätestens seit den Blockadeaktionen um den G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 ist die Rolle der Ungehorsamen auch weit sichtbar von den Grünen auf die verschiedenen Richtungen der Linken übergegangen, wie die Castor-Kämpfe und Blockupy-Aktivitäten zeigten – die Grünen stehen mittlerweile vor allem für das breit legitimierte Feld der Anti-Atomkraft-Bewegung. Aus der linken Parteistiftung kommen radikale Kritiken von Wachstum und „grünem Kapitalismus“. Ungefähr zeitgleich publizierte die linke Bundestagsfraktion eine dickes Papier („Plan B – Das rote Projekt für den sozialökologischen Umbau“). Die Texte machten verblüffend Karriere, zu einer Konferenz Ende 2012 kamen 400 Teilnehmer. Plötzlich war von einer neuen Hinwendung sozial-ökologischer Linker zu der Linkspartei die Rede – ein Novum in der Geschichte der Nicht-Beziehung zwischen grüner und linker Partei. Tatsächlich gibt es, entgegen der allseits geläufigen Wahrnehmung der Betroffenen und großer Teile der Partei selbst ein der LINKEN offenstehendes gesellschaftliches Potenzial, das sich selbst aus der Distanz durch die Grünen vertreten sieht, faktisch aber zugleich Kernpunkte der Linkspartei-Programmatik teilt. Dieses gesellschaftliche Potenzial inkorporiert die post-68er Begehren und Errungenschaften (in nuce: Subjektautonomie, Feminismus, Ökologie, Bürgerrechtsradikalismus, erweiterter Demokratiebegriff) und ist gleichzeitig offen für die „soziale Frage“. Faktisch steht es zwischen den Grünen und der Linkspartei. In der Linken gibt es zugleich deutliche Ansätze einer strategischen Transformationsperspektive im Kapitalismus und über ihn hinaus, die in the long run auf den „Sinngenerator“ (Georg Bollenbeck) eines grün-sozialistischen Kontrapunkts zu dem (schwarz-)„grünen Kapitalismus“ setzten. Realpolitisch setzen sie nicht auf grüne Eigentümer, sondern auf die Produzenten einer grünen Produktions- und Lebensweise. Organisationspolitisch geht diese Verschiebung zusammen mit Entwürfen einer „gesellschaftlichen“ und „konnektiven“ Partei – hinterfragt also die lang andauernde Stagnation der Partei(re)form in der Linkspartei.
Bei dieser Wendung geht es also um eine linke grün-rote Option, was meint: die Linkspartei ist noch in Gründung. „Richtig Wählen“ heißt hier: eine neue Richtungsmöglichkeit in der aktuellen Umgruppierung des parteipolitischen Spektrums öffnen, ein Momentum, das auf einer Verstärkung der politischen Kommunikation zwischen der Linken und den Grünen baut und zum strategischen Ereignis wird. Hat diese Option Grund und Bestand, dann wird nicht nur die linke Partei sich verändern.
(…) Allerdings sind die kulturellen und semantischen Unterschiede zwischen den weiten und neu wachsenden grünen wie roten Feldern außerordentlich, und sie vertiefen sich. Sie repräsentieren sehr eigene politisch-kulturelle Generationen und wiegen vermutlich schwerer als die Abstände in den Berufsmustern, Kirchenbindungen oder Steuererklärungen. Rechnet man noch den Faktor Geschlecht hinzu, werden habituellen Überschneidungen und politischen Möglichkeitsfeldern enge Grenzen gezogen. Was tun, wenn die einen individualistisch-libertär und die anderen solidarisch-autoritär sind – jeweils aus guten Gründen? Immerhin: Beide Parteien haben eine mobilisierungsfähige Bewegungsbasis und eine soziale oder bürgerliche – also durchaus differente – Kultur des Öffentlichen und Protests. Programmatisch sind sie in der Sozial-, Armuts- und Ökologiepolitik, aber auch der Bürgerrechts-, Verkehrs- und Wachstumspolitik beide links von der SPD, deren gefühlt letzte Idee die Agenda 2010 war und deren strategisches Versagen beim Verteilungsthema geradezu selbstmörderisch anmutet. Die Wendung der Grünen in diese Richtung ist tentativ, labil und sozial wenig abgesichert. Dahinter stehen auch Kalküle auf unterschiedliche Wahloptionen: als Positionierung gegen SPD und DIE Linke zum eigenen Positionsgewinn vor der Wahl, als Interessenkalkül in einem rot-grünen Regierungsbündnis danach oder als Vorarbeit für eine breitere Oppositionsverankerung unter einer Großen Koalition. Andere Konflikte verlaufen quer oder sind stark. Der Grundkonflikt um die „Wachstumspolitik“ wird in beiden Parteien mit wachsender Schärfe ausgetragen. Die Antworten auf die Eigentumsfrage sind unübersichtlich. Grüne und Linke treffen sich realpolitisch – unter Einschluss der SPD und vorsichtiger Gewerkschaftstraditionen – beim Genossenschaftsthema, der Rekommunalisierung, dem solidarischen Wirtschaften und deren Mobilisierung von Lokalismus und Demokratie sowie, wenn es gut geht, erfreulicher Gleichheitseffizienz. Machtloser, aber entwicklungsstärker ist die Kompatibilität der Ansätze der linken Politik des Öffentlichen und der grünen Politik der Commons. Beide thematisieren die Dimensionen der Nutzung und Verfügung, also der Aneignung, und beschränken sich nicht auf die Öffnung von Zugängen. In der politischen Ökonomie des Eigentums freilich gehen die Wege auseinander, ebenso in der Europa- und schwerwiegend in der Gewalt- und Friedensfrage.
Linke und Grüne sind in der herrschenden Postpolitik die politischsten Formationen, denen die strategische Idee eines politischen, sozialen und letztlich auch kulturellen Blocks nicht fremd wäre. Er ist unerlässlich für eine sozialökologisch-radikaldemokratische Transformation. Mittelfristig sind Neuaufbrüche in den Gewerkschaften und eine politisch-kulturelle Stabilisierung der Bürgerproteste gegen große unnütze Projekte und die neuen Ungleichheitsdynamiken der Städte Entstehungsbedingungen einer solchen Konstellation.