Class in the 21st. Century

Gesellschaftist der Titel eines bemerkenswerten Aufsatzes von Göran Therborn in der Nummer 78 der New Left Review (Nov./Dez. 2012, S.5-29). In der Linken der BRD wurde Therborn in der zweiten Hälfte der 1970er durch seine drei Bücher Science, Class and Society (1976), das herausragende What Does the Ruling Class Do When It Rules? (1978) und The Ideology of Power and the Power of Ideology (1980) präsent. In der Folgezeit bearbeitete er eine Fülle von Themen, zunehmend mit Schwerpunkt Europa bzw. europäische Gesellschaften, Sozialpolitik und – vor allem – Ungleichheit. Der Text in der NLR knüpft stark an die letzte Thematik an und gibt zu einem guten Teil einen schon 2009 im Newsletter der International Sociological Association publizierten Beitrag wider. Was an Therborns Aufsatz (und nicht nur diesem) auffällt, ist die durchaus angenehme Einfachheit seiner starken Behauptungen. Das 20.Jahrhundert war für ihn klar das Zeitalter der Arbeiterklasse und er bilanziert: „While the working-class century no doubt ended in defeat, disillusion and disenchantment, it also left behind enduring achievements.„(7) Doch die Marxsche „Große Dialektik“ zwischen den Vergesellschaftungspotentialen der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen“ brachte nicht die erwarteten Resultate, wurde suspendiert, ja: revidiert. Sogar die „Kleine Dialektik“ zerbrach: in den reichen Nordländern setzte eine epochale Bedeutungsminderung des industriellen Kapitalismus ein. Therborns Wendungspunkt ist nun, dass spätestens seit den 90ern der Satz gelte: „nations are converging while classes are diverging….What this amounts to is the return of class as an ever-more powerful determinant of inequality.“ (12f.)

„Class in the 21st. Century“ weiterlesen

Print Friendly, PDF & Email

Monti, die neue Allegorie

Der Saal der guten und schlechten RegierungDie FAZ vom letzten Tag des Jahres 2012 beschreibt das Kräftefeld der kommenden Wahlen in Italien. Den zum zweiten Mal ohne Wahl anstehenden zentralen „Kandidaten“ der neoliberalen Austerität charakterisiert sie mit dem Satz:

„Monti steht für die Herrschaft der Noblen und Weisen, die einst Leitbild in den italienischen Stadtrepubliken war und die sinnbildlich auf den Fresken im „Saal des Friedens“ im Rathaus von Siena dargestellt wird, mit Allegorien von der guten und der schlechten Regierung. Die gute verkörpert Gerechtigkeit, Mäßigung, Klugheit und Frieden.“ (S.3)

Nun, es handelte sich um eine Oligarchie der neuen Machteliten, die vor allem auch den Begriff des Gemeinwohls in den Vordergrund rückten im Kampfe der Städte untereinander und gegen die kaiserlichen Mächte. Ihre „Pace“-Figur lagert auf einer Ritterrüstung. Von Monti ist allerdings nicht bekannt, dass er für eine weltgeschichtliche Umwälzung stünde, wie sie in der Nach-Zeit Sienas dann 1789 zusammenkam. Da geht es bloß um ein stilgerechtes Rearrangement des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus und seines politischen Überbaus.

Print Friendly, PDF & Email

Geopolitik in der Backstube

Neue Geopolitik? Der weltweite Kampf um Märkte und Ressourcen“ ist der Titel einer Matinee-Veranstaltung von KunstGesellschaft e.V. und Business Crime Control im Café Alte Backstube, Dominikanergasse 7 in Frankfurt am  Sonntag, 30. September, 11–13 Uhr. Hans See moderiert die Diskussion mit dem Publikum und mir. Dabei wird natürlich auch auf die Beiträge aus dem Geopolitik-Seminar der Stiftung GegenStand (Villa Rossa 10) zurückgegriffen.

 

Print Friendly, PDF & Email

Geopolitik

2012 findet die zehnte Villa Rossa vom 25.8. zum 1.9. zum Thema Geopolitik statt. Sie wird veranstaltet vom Ver.di Bildungswerk Hessen und der Stiftung GegenStand

Die Geschichte der „Geopolitik“ reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück, ihren politischen und theoretischen Höhepunkt erreichte sie jedoch erst in den Kriegen der kolonialen und imperialistischen Zeit nach der Jahrhundertwende und in den 30er/40er Jahren, in deren Zentrum die Konkurrenz dreier großer imperialer Weltordnungsprojekte standen. Die Verwendung des Begriffs für die faschistische Großraumpolitik hat hierzulande ein Verständnis von Politik, das den „Raum“ mitdenkt, jahrzehntelang diskreditiert – ganz im Unterschied zu den USA oder Rußland. Ein weiterer Grund war aber auch die fehlende Nutzanwendung solcher wissenschaftlicher Diskurse für einen Staat, der noch weit entfernt von einer Hegemonialrolle war. Lange Zeit waren Fragen des Raumes nur im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aspekten (Standortpolitik) Thema. Das ändert sich jetzt. „Geopolitik“ weiterlesen

Print Friendly, PDF & Email

Publikationen 2011

Sozialistische Transformationsforschung“ hat sich nach langer Debatte als die Selbstbeschreibung der Arbeit des Instituts für Gesellschaftsanalyse in der RLS herausgebildet. Im folgenden ein kurzer Überblick zu meinen Veröffentlichungen in 2011, die in der Regel damit zusammenhängen und bis auf zwei Ausnahmen auch bereits zugänglich sind. Sie bearbeiten Aspekte der aktuellen tiefen Krise des neoliberalen Kapitalismus (Eigentumsfrage, Veränderungen der Kräftekonstellationen in den herrschenden Klassen und der Linken) und der Transformations- und Transitionsforschung. Mit Rückgriff auf die RLS-Tagung „Auto.Mobil.Krise“ behandelt der Beitrag „Das Auto: keine Zukunft nirgends? (In: Globale Ökonomie des Autos. Mobilität | Arbeit | Konversion, Hrsg. Mario Candeias, Rainer Rilling, Bernd Röttger, Stefan Thmmel (Hrsg.), Hamburg 2011, S.220-227) am Beispiel der machtvollen Politischen Ökonomie der Automobilgesellschaft die Versuche der Eliten der bundesdeutschen Leitindustrie, die Krise konzeptionell und zukunftsorientiert zu bearbeiten; die dort üblichen Methodologien des Foresight, der Zukunftsforschung und der Szenarienarbeit werden diskutiert und danach befragt, wie leistungsfähig sind – und was eine Linke von ihnen lernen kann.

Wie sich das Akteursfeld dabei verändert, diskutieren mit Blick auf die politischen Hauptströmungen in der BRD der im World Review of Political Economy 2.1. (2011) erschienene Text „The Turmoil within the Elite, the Course of the Crisis and the Left“ (abstract),  eine knappe Übersichtsbilanz “ Eleven-Nine und US-Declineaus Anlaß des 10. Jahrestags von 9/11 und Aufsatz Wenn die Hütte brennt…, in: LuXemburg 3/2011 S.134-139, dessen Langfassung „Wenn die Hütte brennt… ‚Energiewende‘, green new deal und grüner Sozialismus“ mittlerweile in der Zeitschrift Forum Wissenschaft 4/2011 S.14-18 und auch auf der Site des Forum Demokratischer Sozialismus erschienen ist, auf dessen Akademie er im Herbst 2011 gehalten wurde. Wie zuvor Mobilität wird hier Energie unter dem Aspekt der miteinander konkurrierenden und umkämpfte strategischen Transformationpfade und -politiken behandelt und wie Transformations- bzw. Transitionsmanagement im bemerkenswerten Energiewendepapier des Rates für Nachhaltige Entwicklung  und im Gutachten „Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation” des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Berlin 2011 420 S. [Zusammenfassung, Vollversion) konzipiert werden. Vorschlagen wird hier auch, neben der mittlerweile auch einigermaßen untersetzten Formel vom „Demokratischen Sozialismus“ auch den in der Linken völlig unüblichen Begriff des „grünen Sozialismus“ zu verwenden – eben die große grüne Frage und nicht die im üblichen grünen Milieu gängige kapitalistisch halbierte grüne Frage zu stellen. Der Beitrag „Linke & Commons & Öffentliches“ auf der Com’on-Tagung am 10.12. 2011 in der RLS (aktualisierte Fassung von The Commons the Public and the Left , Oktober 2011) versucht, hier Brücken zwischen roten und grünen Paradigmen zu schlagen. Wie tief hier freilich die Differenzen sind, zeigen die langen Wege der Eigentumsdebatte im Umfeld der Auseinandersetzung um das Program der LINKEN, die ein Beitrag „Neues zur Eigentumsfrage?“ in: Wolfgang Gehrcke (Hg.): “Alle Verhältnisse umzuwerfen…”. Eine Streitschrift zum Programm der LINKEN (Köln 2011 S.83-98) nachzeichnet. In gewisser Weise auch eine Reaktion auf die Situation der LINKEN in 2010/11 (Stichwort „Führung“) ist der gemeinsam mit Christina Kaindl verfasste Aufsatz „Eine neue “gesellschaftliche Partei”? Linke Organisation und Organisierung“ in: LuXemburg 4/2011 S.16-27 (noch nicht online).

Ein erster Versuch, das Feld einer sozialistischen Transformationsforschung zu skizzieren, ist der Eröffnungsvortrag auf der 1. Internationalen Transformationskonferenz des IfG der RLS am 13.10.2011 („Warum sozialistische Transformationsforschung?„), von dem auch eine Videodokumentation vorliegt. Detaillierter vor allem zur Methodik der Zukunftserfassung der Einleitungsbeitrag „Etwas, was nicht geschehen ist oder womöglich nie geschehen wird“ auf der Villa Rossa 9 am 22.8.2011, publiziert auf mehring1 am 1.9.2011. Auf dem Blog des IfG sind noch rund zwei Dutzend Reihe kurzer Annotationen und Einträge veröffentlicht worden.

 

Print Friendly, PDF & Email

Clooneys „The Ides of March“

Sicher gehört es zum Kalkül, dass der Titel des anlaufenden Clooney Films – „The Ides of March“ – wahrlich diesen Film überleben wird. Aber es ist schon ziemlich peinlich, so spekulativ Wilder oder Shakespeare mitsamt der notorischen Washingtoner U-Bahn-Station anzurufen, nur weil Verrat, Verschwörung, Deals im Politikbusiness sich unschwer als dramatische Normalerscheinungen inszenieren lassen. Der politische Neuigkeitswert ist gleich Null und mit der aktuellen politischen Krisenkonstellation in den USA hat der Film nichts zu tun. Sicher, das liberale Ganze ist solide gespielt und gedreht  – doch halt: in der 73 Minute wankt Ryan Gosling, der wirkliche Hauptdarsteller, gezeichnet vom Tod der Praktikantin im strömenden Regen auf sein Auto zu und bleibt strohtrocken. Vermutlich werde ich mich an nichts anderes mehr erinnern.

Print Friendly, PDF & Email

Simmons out

Flashback ist das letzte Buch von Dan Simmons, durch das ich mich gequält habe – so ein reaktionärer Mist. An seine Stelle in meiner kleinen Blogroll habe ich nun Iain Banks aufgenommen, dessen Entwurf  – oder besser: Utopie – einer reichen Gesellschaft (der Kultur) seinesgleichen sucht und auch sein ganzer Space Opera – Kram mitsamt dem running gag der irren Raumschiffnamensgebungen ist nicht übel.  Es lohnt sich, nicht nur den neuesten in deutscher Sprache erschienen Band „Krieg der Seelen“ zu lesen. Hier ein Einstieg in die Welten des Iain Banks.

Print Friendly, PDF & Email

Merkur & Krise

Im „Merkur“ (der als  „Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken“ mich immer rätseln lies, was das eine oder andere Beiwort mitsam ihrer Kombination bedeuten mag) haben Kurt Scheel und Karl Heinz Bohrer ihre Herausgeberschaft abgegeben, die sie seit 1991 bzw. 1984 innegehabt hatten. Im Heft 12/2011 schreibt Bohrer über Ästhetik und Politik, während Scheel eine sentimentale Reise zur Merkur-Geschichte tut. Beide  geben eine Ahnung von einer intellektuellen Geschichte, die linke Medienintellektuelle, wie sie etwa bei LinksNet versammelt ist, erstaunlich sporadisch zur Kenntnis nehmen. So bleibt es der helfenden Hand von Claudius Seidl im FAS-Feuilleton vom 1.1.2012 S.27 überlassen, auf das vielleicht massivste Defizit in der Merkur-Geschichte aufmerksam zu machen: der Merkur, von seinen Fans und Freunden als Flaggschiff der rechten Intelligenz gehandelt, hat die Krise verschlafen, die in letzter Zeit bekanntlich sogar die FAZ etwas verstört zur Kenntnis nimmt. Seidl: eine Krise, in der „die ganze Zukunft kollabierte.“ Tatsächlich: im Merkur findet sie kaum statt, ein strategisches Versäumnis, das sicher mit der konstitutionellen Borniertheit der Zeitschrift zu tun hat, die zwar auch ihre Stärke ist, aber…

Print Friendly, PDF & Email

Fantasie

Fantasie in Südeuropa

Zu den schneeregengeprägten Vorhaben 2012 gehört: mich dort spätestens in die Herbstabende zu verlaufen.

Print Friendly, PDF & Email

Frank Deppe

wird heute 70 Jahre alt und es war ein Vergnügen, ein paar Jahrzehnte von ihm zu lernen – vor allem, wenn er sich geärgert hat, und das geschah und geschieht wirklich ziemlich oft! Ingar Solty hat eine Gratulation geschrieben, die das Wesentliche zusammenträgt!

Print Friendly, PDF & Email

Villa Rossa

Praktisch wäre es, wenn die Linke mehr über die Zukunft wissen würde“ lautete der diesjährige Artikel der – neunten! – Villa Rossa in Bildungszentrum Villa Palagione, rund 20 Minuten Fahrtzeit von Volterra entfernt. Bekanntlich beansprucht die Linke eine Menge Zukunftskompetenz – ihr gesamter politischer Ansatz beruht darauf. Beim näheren Hinsehen erwies sich das erwartungsgemäß als reichlich kompliziert. Ob es um die Auseinandersetzung mit hegemonialen Zukunftskonzeptionen, Utopien oder „Voraussichten“ , um die in der Regel (und gerade bei der Linken) stabil gestrickten Meinungen in Sachen Produktivkraft- oder Kapitalismusentwicklung („Varieties“), um die Reichweiten des Wohlfahrtsstaats und die Krisen der Gesundheitspolitik, die tiefgreifenden ökologische Transformationen, den aktuellen Wandel des Staates, um Planung oder die Zukünfte Chinas, um philosophische Zukunftsreflektion oder die gegenwärtigen Umbauten des Parteiensystems ging – die früher so fest gegründete Zukunftsgewißheit ist dahin. Das war nichts neues, aber die systematische Unsicherheit bei der Bearbeitung von Entwicklungen, Trends, Szenarien, Abschätzungen, „Road Maps“ oder Visionen und den dazu gehörenden Politiken war doch frappierend. Ein Zugriff, der über die Traditionsrede vom „Sozialismus“ hinausgeht und sie durch ein breites Feld von Zukunftsoptionen und -zusammenhängen ersetzt, ist notwendig. Einige Beiträge der Tagung finden sich auf der Website der veranstaltenden Stiftung GegenStand bzw. dem mehring1-Blog der RLS.

Print Friendly, PDF & Email

Musil & Waltz

„Wenn es Wirklichkeitssinn gibt“, überlegt Musils „Mann ohne Eigenschaften“, dann „muss es auch Möglichkeitssinn geben“. Bemerkenswert, dass Christoph Waltz in einem SZ – Interview vom 31.8. 11, das sich u.a. mit den USA befasst, diese Formel aufgreift: „Sehr oft, wirklich täglich, fällt mir jetzt diese Sache mit dem Wirklichkeitsmenschen und dem Möglichkeitsmenschen ein. Da drüben sind das zum Großteil Möglichkeitsmenschen.“ Allerdings spielt der Mann ohne Eigenschaften in einem Land, in dem die Auflösung der Wirklichkeit besonders weit vorangeschritten ist.  Möglicherweise macht der US-Kapitalismus uns das eben vor.

Print Friendly, PDF & Email