Trauerrede zu Reinhard Kühnl

Reinhard KühnlAm Freitag den 14. 02.2014 fand in Marburg die Trauerfeier zu Reinhard Kühnl statt, auf der Manfred Weissbecker, Gudrun Hentges und Frank Deppe sprachen. In der Zeitschrift Sozialismus wurde mittlerweile die Rede von Frank Deppe publiziert. Ergänzend sei verwiesen auf die Nachrufe von Kurt Pätzold in der Jungen Welt und von Richard Gebhardt im Theorieblog. Auch in den Blättern, zu deren Herausgebern Reinhard Kühnl gehörte, wird nächste Woche ein Nachruf erscheinen. Ein, wie zu hören war, recht befremdlicher Beitrag seitens des Marburger Instituts für Politikwissenschaft wurde offenbar zeitweilig vom Netz genommen, in der Aufzählung der Emeriti des Instituts ist der Todesfall noch nicht angekommen. Am 19.02. erschien in der Frankfurter Rundschau, der Jungen Welt, der TAZ und im Neuen Deutschland eine von über 250 Personen unterzeichnete Traueranzeige.

Postscriptum 26.2.14: Mittelweile findet sich auch ein Nachruf seitens des Marburger Instituts für Politikwissenschaft mitsamt einer „Erinnerung“ von Dr.Wolfgang Hecker, der er für den Alumni-Newsletter des Instituts verfasste.

Reinhard Kühnl

{2001 meine Danksagung an Reinhard für seine Arbeit im Bund Demokratischer WissenschaftlerInnen unter der fröhlichen Überschrift „Gut gelaufen!“. Die Bilder stammen aus einer frühen BdWi-Tagung, der Ferienakademie in der Villa Palagione und dem ersten Mai  auf dem Marburger Marktplatz.}

Gut Gelaufen!

Wissenschaft, wie sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft erfunden und etabliert hat, dann auch rasch  sei`s mit oder ohne moralischem Raissonement sehr mächtig und milliardenschwer wurde, hat sich ebenso erfindungs- und erfolgreich durch eine Fülle von Organisationen und Institutionen eingerichtet und auf Dauer gestellt. Diese sind das zähe Skelett dieser Unternehmung, deren Wirkungen, Leistungsfähigkeit und Versprechungen geradezu ungebrochene Expansion garantieren, übrigens ständig neu munitioniert aus dem Argumentationsreservoir einer äußerst geschichtsbewußten Kultur, zu der ja auch erfolgreiches Beschweigen der eigenen Geschichte und einschlägiger Taten gehört. Neuerdings ist das Schweigen durch lebhafte Entschuldigungs- und Verzeihungsrethoriken abgelöst worden, deren letztes Beispiel der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Markl vor wenigen Tagen gab, als er sich in der FAZ vom 18. Juni 2001 auf einer ganzen Seite ganz besonders entschuldigte dafür, dass die deutsche Spitzenforschung, die er repräsentiert, es ein halbes Jahrhundert versäumt habe, ihre verbrecherische Rolle im faschistischen Wissenschaftssystem  aufzuarbeiten.

Dumm gelaufen, schade eigentlich, tut uns leid, soll nicht wieder vorkommen, bitte um Verzeihung.

Die Macht, welche sich in den dominanten Akteuren der Wissenschaft konzentriert, war fast immer Garant dafür, dass sie bekamen, was sie wollten, sie tun und lassen und sagen konnten, woran sie interessiert waren, und die eigenen Reihen einigermaßen in Ordnung hielten. Und bis heute ist die Inszenierung des Politikfreien, Politikfernen, eines vorgeblichen Desinteresses an Macht also und der eigentlich unpolitischen Hingabe an den Prozess der Wahrheitsfindung und –vermittlung das selbstverständlichste und effizienteste Mittel, die eigenen Angelegenheiten erfolgreich zu plazieren. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum uns ein Blick auf die Organisations- und Institutionengeschichte der Wissenschaft der vergangenen zwei Jahrhunderte so wenige, und erst recht so wenig überlebensfähige Organisationen zeigt, die an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik operieren und die notwendig waren, um die Politik der Wissenschaft umzusetzen. Sie wurden eigentlich nur gebraucht, wenn es um Opposition der eher Ohnmächtigen ging.

Reinhard Kühnl hat vor so gut 33 Jahren eine solche Organisation ohne Macht mitgegründet, in ihr an herausragender Stelle so gut die Hälfte seines Lebens politisch-wissenschaftlich gearbeitet und mit diesem auch für diesen Verband einmaligen Engagement ihn stark geprägt, also geholfen, dass er auch heute noch dasselbe wie damals ist: ein zwar kleiner, aber gleichwohl der größte linke unabhängige politische WissenschaftlerInnenverband der Bundesrepublik.

Reinhardvimg2038 - KopieDem Gründungsvorstand dieses 68`er Bundes demokratischer Wissenschafter gehörten Düker und Jens, Klafki, Habermas, Sandkühler, de la Vega und Abendroth an. Nicht geschafft hatten es Oskar Negt mit drei und Frank Deppe mit immerhin 5 von 18 möglichen Stimmen. Reinhard Kühnl war damals nicht dabei, in einem öffentlichen Dokument des BdWi findet sich sein Name laut Archiv jedoch schon früh in einem Aufruf in Sachen hessischer Hochschulgesetzgebung, dessen Fortsetzungen dann übrigens einen Dissens mit Jürgen Habermas bewirkten und die innere Ungleichzeitigkeit eines demokratischen Ordinarienverbandes dokumentierte.

Solche Unterschriften erfolgten damals übrigens in aller datenschützlerischen Unbefangenheit mit Name und Adresse, Reinhard Kühnl hat damals im Sohlgraben 18, 3554 Cappel gewohnt. Als dann die auslaufende Hochschulkulturrevolte mit ihrem zuweilen relativ radikalreformistischen Kern, der Assistentenbewegung, eine Neugründung des BdWi im Februar 1972 mit sich brachte, wohnte Reinhard offenbar nun in 3551 Wehrda, Unter den Eichen 33 und erhielt auf dem Gründungskongress von 352 Stimmen mit 284 die Meisten, 4 mehr als Walter Jens und 43 mehr als Georg Fülberth. Das BdWi-Archiv dokumentiert dann nur noch zweimal einen Ortswechsel – Erfurter Str.20 und Sonnhalde 6 – und mit gleichmütiger Monotonie Deine Mitgliedschaft im engeren, also tatsächlich arbeitenden Bundesvorstand des BdWi (bis 1975 und dann wieder ununterbrochen ab 1982 bis hinein ins nächste Jahrtausend).Reinhard und Elke Die lange Zeit spricht dafür, dass der Verband Dich gut brauchen und sich auf Dich verlassen konnte. Die Themen der Zeit damals waren Notstandsgesetze und Wissenschaftskritik und Hochschulveränderung, dann Berufsverbote und immer wieder: kein Beschweigen und keine Übungen in Verzeihungselbstexkulpationen, sondern Ursachen- und Verlaufsanalyse und Kritik des Faschismus und Faschistischen und der politischen Rechten. Die erste umfassende wissenschaftliche Analyse der Partei, die nun, nach einem Dritteljahrhundert, einem Verbotsverfahren unterliegt, der NPD, ist auf deine Initiative entstanden. „Wissenschaftler analysieren Konzeption und Funktion von Franz Josef Strauß“ war der Titel eines von Dir stark geprägten Kongresses des BdWi im Juni 1980, um die „Neue Rechte“ ging es in den 80ern wie den 90ern, wieder einmal um Nationalismus in der letzten Herbstakademie des BdWi. Die Artikel von Dir in der Verbandszeitschrift „Forum Wissenschaft“ verhandelten die „Ideologische Motive präfaschistischer Geschichtswissenschaft“ ebenso wie „Nationalismus der Wissenschaft“ oder, vor kurzem, „Judenhass und Judenmord“, daneben immer wieder Texte zum Thema Militär, Kriegsursachen, über die Ermöglichungen von friedlichen Verhältnissen,  dabei immer mit dem Plädoyer für interdisziplinären Zugriff auf das Ganze der Strukturen und Prozesse von Gesellschaft und Politik. Im BdWi war Dein Medium eher das Sprechen als das Schreiben, die Bearbeitung der Spannungen zwischen Wissenschaft und Politik, es zählte auch politische Erfahrung, historisches Wissen in der sehr geschichtsfeindlichen Welt des Politischen und die reflexive Konfrontation mit den krassen Brüchen zwischen den Generationen in den Zugängen zur Politik und ihrer wissenschaftlichen Analyse.

Für Deine Arbeit im BdWi danke ich dir, stellvertretend. Nun sollte ich sicherlich noch etwas auswiegend kritisches sagen. Ich sage  aber nichts.
Ich zitiere statt dessen aus einem BdWi-Forumstext von Dir, aus dem Jahr 1995.

„Wenn wir WissenschaftlerInnen heute dem Zeitgeist widerstehen, riskieren wir allenfalls akademische Karriere, Forschungsgelder, öffentliche Anerkennung und die Teilnahme an Talkshows. Und dieses Risiko ist unsere Sache schon wert. Denn für die Sicherung einer menschenwürdigen Zukunft brauchen wir die Wahrheit über die Vergangenheit. In unserem Lande gerade die Wahrheit über Faschismus und Widerstand.“

Jutta Held ist gestorben

Jutta.jpgEine besonders angenehme, zurückhaltende und glaubwürdige Menschin“ formulierte eine Mail dieser Tage zu Jutta Held, die am 27. Januar gestorben ist. Ja wirklich. Ihre freundliche, bedachte Bestimmtheit und eine dem Gegenüber schon fast verstörend Raum gebende bescheidene Aufmerksamkeit passte ja auch gar nicht zu der Kultur der Organisationshektik und so extrem wichtigen Entscheidungsorientiertheit, die sie jahrelang in den 90ern über sich im Vorstand des BdWi ergehen liess. Damals lernte ich sie kennen und schleppte sie sogar 1996 mit ihrem Mann Norbert Schneider in unsere Herbstakademie nach Volterra, wo sie über „Kunst und Politik im 20. Jahrhundert“ referierte.
Sie hat sicher ganz wesentlich die Kunstgeschichte an der Universität in Osnabrück etabliert, dort sind auch einige Nachrufworte erschienen, auch in der FAZ und vor allem in SZ. Aus dem Online-Archiv der Osnabrücker Zeitung ist die Meldung schon wieder verschwunden. Vor allem aber: sie hat eine große Fülle von Publikationen erarbeitet, die in kleinen linken und großen rechten Verlagen erschienen. „Kunst und Sozialgeschichte“ war der Titel einer Festschrift 1995 für sie. „Picassos Koreabild und die avantgardistische Historienmalerei“ war das Thema ihrer Abschiedsvorlesung. Ihr letztes Buch, das sie zusammen mit ihrem Mann verfasst hat, trägt den Titel „Grundzüge der Kunstwissenschaft“ (Böhlau Verlag) und ist erst kurz vor ihrem Tode erschienen.
Ihr politisches Herz aber galt einer Kunst, die sich politisch zum Faschismus verhält und ihn bekämpft, kurzweg, immer. Und sie haßte Krieg, der Kapitalismus war ihr zuwider – was sie nicht daran hinderte, mit über die „Kunst der Banken. Gemeinsinn durch Privatisierung“ zu verhandeln und vor Jahren in der FAZ über die Inwertsetzung von Kunst einen gewitzten Beitrag zu schreiben.

Sie hat die Guernica-Gesellschaft ausschlaggebend mitgegründet, deren Tagungen und klugen Veröffentlichungen immer wieder vorangetrieben. In vielen Projekten der Wissenschaftslinken hat sie mitgearbeitet: dem BdWi oder dem HKWM oder im Beirat von „W&F“. Im „Forum Wissenschaft“ und in „W&F“ hat sie geschrieben und als Vertrauensdozentin der Rosa Luxemburg Stiftung vertrat sie dort ein Feld, mit dem die Stiftung erst langsam etwas anfangen kann. Greifen wir zu ihren Worten, wenn wir uns Zeit nehmen.