Ausflug

In Z 118 vom Juni 2019 ist ein Beitrag von mir erschienen: Enrichissment – Ökonomie der Bereicherung (S.91-98). Er diskutiert Aspekte des 2017 publizierten Buches von Luc Boltanski und Arnaud Esquerre („Enrichissment“) über „Bereicherung“ und „Anreicherung“. Thema ist der deutliche Wandel in der Ausbeutung heterogener und scheinbar alleinstehender Ressourcen wie Künste, Kultur, Luxusindustriue, Patrimonialisierung, Vergangenheitreferenz oder Tourismus und fokussiert u.a. auf das expansive Massiv einer damit verknüpften retronationalistischen Vergangenheitspolitik, die eine Schlüsselressource der aktuellen politischen Richtungsverschiebungen darstellt.

Die Armut des Armuts- und Reichtumsberichts…

Vor knapp 2 Monaten kam der fünfte ARmuts- und Reichtumsbericht auf den politischen Markt. Die CDU/CSU lobte: eine insgesamt „sehr solide“, „stabile“ und konstante“ Entwicklung – kurz: „Es geht uns in Deutschland gut“ (Wolfgang Schäuble). Die SPD hoffte flugs: „dass wir die Schere zwischen Arm und Reich weiter schließen können, wenn wir uns anstrengen.“ (Nahles).
LuX-Online strengte sich also an und publiziert fünf Beiträge zum fünften Armuts- und Reichtumsbericht! Thomas Sablowski schreibt über „Die Armut des Armuts- und Reichtumsberichts“, Sebastian Schipper skizziert „Wie die Wohnungsfrage hinter Durchschnittswerten verschwindet“, Bernd Belina konstatiert „Armut relativieren mittels Raum. Zur räumlichen Dimension der Armutsgefährdung im „Fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“, Rainer Rilling geht der Frage nach, ob das ganze „Endlich ein Reichtumsbericht?“ ist und Lutz Brangsch fragt: „Vom Bericht zur Politik? Der ARB im politischen Geschäft zwischen Problematisierung, Strategieberatung und Legitimation“.

Theoriekritik

Millie grazie – das neue und originelle Schweizer Blog Theoriekritik hat meine Ungleichheitsmaschine in Sachen Piketty aus telepolis aufgenommen. Die neue Ungleichheitsdebatte hat ja sukzessiv auch den wissenschaftlichen Raum erreicht und dort gibt es natürlich auch neu aufgeputzte alte Frontlinien, aber eben auch zunehmend Anregungen, Korrekturen, Kritik und Transfer in andere Disziplinen. Weit entfernt davon ist die Reaktion in der Politik – Ignoranz und ihre Variante Talk halten sich die Waage – eine Umsetzung in selbstkritische Revisoion von Positionen, den Umbau politischer Programmatik, die Entwicklung von praktischen Konzepten und ernsthaft betriebene, fokussierte Handlungsorientierungen ist von dürftigen Ausnahmen abgesehen kaum zu erkennen.

0,1

IMG_2676_FotorDas aktuell beste Buch zum Thema Reichtum stammt von Hans-Jürgen Krysmanski: 0,1 Prozent. Das Imperium der Milliardäre. Westend. 290 S., geb., 19.90 €. Es verbindet Kapital-, Klassen- und Herrschaftsfrage mit der Reichstumsfrage. Im Neuen Deutschland von gestern habe ich es auf der Seite „Politisches Buch“ (S.17) rezensiert. Leider war das Stück nur ein Tag allgemein zugänglich. Ich lese im Spiegel 32 (S.63): „Die „SZ“ will Ende des Jahres den großen Teil ihrer Online-Angebote kostenpflichtig machen, nur die Grundversorgung mit Nachrichten soll noch frei zugänglich sein. So ähnlich will es auch die „FAZ“ halten.“ Vielleicht sollte die linke Publizistik, wenn sie nicht allgemeine Zugänglichkeit riskieren kann, den Autoren die Entscheidung überlassen, ob sie ihre Beiträge online zugänglich gestellt haben wollen oder dies selbst tun können.

 

The Masters of the Universe – a great year!

Doug Henwood, der recht beharrlich insistiert, dass die Erholung des US-Kapitalismus begonnen hat, vermerkte schon vor Wochen in seinem unverzichtbaren Blog als ein sehr deutliches Indiz:

Oh, but 2009 was a great year for the masters of the universe! The top 25 hedge fund managers pulled in an average of $1 billion last year. The man at the very top, David Tepper, took home $4 billion. Next up was that great liberal humanist, George Soros, at $3.3 billion. The poor relation at #10, Philip Falcone, hauled in $825 million. The $25 billion that this gang collectively earned would be enough to pay the tuition for about one in five college and university students in the USA. That’s only a hair less what the federal government pays in tuition assistance. Twenty-five guys (all men, by the way). What a country.

Obama & Reiche

I love rich people! I want all of you to be rich. Go for it. That’s the America dream, that’s the American way, that’s terrific.Soweit am 30.10.2008 B. Obama in Sarasota auf einer Wahlkampfveranstaltung.

Nun: 2004 finanzierten die Forbes-Reichen und Top-Vorstände aus 674 Firmen und Investoren zu 53 % Bush und zu nur 16 % Kerry; Bush dominierte in Öl und Arzneimittelindustrie, Kerry in Investmentbanken und Hedgefunds (!). Daniel Gross dagegen machte 2004 in Slate eine andere Argumentation auf: wer zwischen 1 und 10 Mio $ verdient, votiertezu 63:37 für Bush statt Kerry. Die Haute Millionaires dagegen favorisierten Kerry mit 59:41 %. Auch für 2008 sei dieser Trend zu sehen – dominierten in zuvor an Bush gefallenen der 25 reichsten Städten oftmals noch die Republikaner, aber ihre Dominanz schrumpfte massiv.

Mark Penn, einer der zentralen Berater Clintons, schrieb in Politico:

„the most affluent 5 percent supported Obama and that was perhaps the key to his victory last week. This group — and the rise of a new elite class of voters — is at the heart of the fast-paced changes in demographics affecting the political, sociological and economic landscape of the country. While there has been some inflation over the past 12 years, the exit poll demographics show that the fastest growing group of voters in America has been those making over $100,000 a year in income. In 1996, only 9 percent of the electorate said their family income was that high. Last week it had grown to 26 percent — more than one in four voters. And those making over $75,000 are up to 15 percent from 9 percent. Put another way, more than 40 percent of those voting earned over $75,000, making this the highest-income electorate in history. The poorest segment of the electorate, those making under $15,000, has shrunk from 11 percent to 6 percent over the past dozen years. And those making $15,000 to $30,000 annually — the working poor — also shrunk from 23 percent to 12 percent of the electorate. At the same time, the voters have become more racially diverse (with white voters dropping 9 points from 1996 to 74 percent of the electorate and minorities) and better educated — voters who had attended some college are surging. While Obama received record votes from the expanded minority communities, that alone would not have led to victory had he not also secured so much support among the growing professional class — and in doing so went beyond the successful 1996 coalition that also climbed the income ladder to include newly targeted soccer moms. Back then, President Clinton got 38 percent of the vote among those making over $100,000. This year Obama earned 49 percent of that vote. He also got 52 percent of a new polling category — those making over $200,000 a year who were no longer among the top 1 percent of earners, as they had been in past elections, but were now the top 6 per cent.“

Nach den aktuellen Exit-Polls wählten die Einkommensgruppe > 200 000 $ im Jahr zu 52 % Obama und zu 46 % McCain  (das sind 6 % der Wähler), wogegen die Einkommensgruppen 50-75 ooo %, 100-150 000 $ und 150-200 000 McCain über Obama präferierten mit 49 :48, 51:48 und 52:46 %. Die Einkommensgruppe 75-100 000 $ (21 % der Wählerschaft) votierte mit 52:48 % für Obama, Wähler < 50 000 $ Einkommen wählten ihn zu 60 % ebenfalls. Damit schnitt Obama unter der Gruppe > 200 000 $ zu 15 % besser ab als Kerry vor vier Jahren, der damals nur 35 % der Stimmen erhielt.  Frank’s Wealth-Blog vermerkt, dass die Steuerpolitik der Kandidaten ausschlaggebend sei: für die reichen Millionäre ist sie eher irrelevant und die avisierte geringe Steuererhöhung Obamas spielt keine wahlentscheidende Rolle. Nach einer Vor-Wahl-Umfrage von Prince & Associates von 493 Familien gelte dieser Unterschied auch für Vermögende: in der Gruppe von 1-10 Mio.$ wollten eine Mehrheit (fast 3/4) für McCain und nur 15 % für Obama wählen, in der Gruppe von > 30 Mio $ dominierte Obama: 2/3 der Reichen in dieser Gruppe wollten Obama wählen. Für sie sind „social issues“, „policies dealing with wars“, die Nominierungen für die obersten Gerichte und die Gesundheitspolitik gegenüber der Steuerpolitik vorrangig, wogegen unter den ärmeren Reichen diese von 88 % als „wichtig“ charakterisiert wurde. Die Reichen in den ärmeren Bundesstaaten der USA tendierten dagegen durchgängig eher zu den Republikanern. Traditionell favorisierte übrigens jetzt der High-Tech-Sektor und der Finanzsektor Obama. Auch Andrew Gelman bestätigt diese herausragende Rolle der Demokraten unter den oberen Einkommensgruppen (die übrigens keineswegs als die Superrich bezeichnet werden können).

Ingo Schulze

„Ich lebe ja in einer Stadt, die von der Linken seit einiger Zeit mitregiert wird, in Berlin ist das zur Normalität geworden. Die Politik, die die Linke zumindest mitträgt, ist nicht ganz so schlecht wie die ihrer Vorgänger, mitunter aber auch zum Heulen. Wenn die Privatisierung der Wasserwirtschaft in Berlin kein Sündenfall war, dann weiß ich nicht, was ein Sündenfall ist. Ich glaube aber, dass die Bundesrepublik vor neunzehn Jahren eine gerechtere Gesellschaft war als heute, und das ist in meinen Augen das Problem. Ob die Linke das ändern könnte, darüber lässt sich, wie gesagt, streiten. „Ingo Schulze“ weiterlesen

2006 war ein gutes Jahr!

für die Jungs von Goldman Sachs und dem Rest der 170 000 Beschäftigten der fünf großen Investmentbanken der USA, zu denen noch Morgan Stanley, Merrill Lynch, Lehman Brothers und Bear Stearns zählen. Ihr Bonus in 2006 summierte sich auf 36 Milliarden Dollar, insgesamt strichen sie runde 60 Milliarden ein – etwa das Bruttosozialprodukt von Vietnam. Zu den regulativen wie klimatischen Prämissen solcher Zufriedenheit gehört sicherlich, dass in der Bush-Administration zahlreiche frühere Spitzenleute von Goldman Sachs arbeiten: Hank Paulson als Schatzmeister, William Dudley als Chef der Federal Reserve Bank von New York; Robert Steel als Undersecretary of Treasury; Reuben Jeffrey als Vorstzender der Commodity Futures Trading Commission und Randal Fort ist als Assistant Secretary of State for Intelligence and Research bei Condoleezza Rice und Joshua Bolten endlich ist der Chief of Staff des Weißen Hauses; Jon Corzine ist Gouverneur von New Jersey; John Thain gehört zum Spitzenpersonal der New Yorker Börse. Mario Draghi übrigens, auch von Goldman Sachs, ist Vorstandsvorsitzender der Bank von Italy.

Das klingt jetzt irgendwie verbissen, so am Neujahrstag? Ist es auch.