Ingo Schulze

„Ich lebe ja in einer Stadt, die von der Linken seit einiger Zeit mitregiert wird, in Berlin ist das zur Normalität geworden. Die Politik, die die Linke zumindest mitträgt, ist nicht ganz so schlecht wie die ihrer Vorgänger, mitunter aber auch zum Heulen. Wenn die Privatisierung der Wasserwirtschaft in Berlin kein Sündenfall war, dann weiß ich nicht, was ein Sündenfall ist. Ich glaube aber, dass die Bundesrepublik vor neunzehn Jahren eine gerechtere Gesellschaft war als heute, und das ist in meinen Augen das Problem. Ob die Linke das ändern könnte, darüber lässt sich, wie gesagt, streiten.

Inwiefern ging es gerechter zu als heute?

Jemand, der aus dem Westen kommt, kann das sicher besser beantworten. Aber wenn ich heute jemanden treffe, der quer durch Berlin gelaufen kommt, weil er die 2,10 Euro für die Hinfahrt und die 2,10 Euro für die Rückfahrt mit der S-Bahn nicht bezahlen kann – denn das entspricht ungefähr seinem Essenssatz pro Tag -, dann ist das, gelinde gesagt, eine unwürdige Situation. Dieses Hartz-IV-Gesetz wäre Ende der Achtziger oder Anfang der Neunziger undenkbar gewesen. Oder nehmen Sie das Gesundheitswesen, das ist ein Zweiklassensystem geworden. Auch in der Bildung spielt Geld eine wachsende Rolle. Die Ideologie der Privatisierung, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche unterwirft alles einem kurzfristigen Effizienzdenken, das langfristig für unsere Gesellschaft bedrohlich ist.“

Auszug aus einem Interview in der FAZ v. 1.8.08

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