Anna

die Lebenspartnerin von Andrej, berichtet in ihrem Blog über den Alltag des Sicherheitsstaates. Seit dem 18. steht die – schon zwei Mal verschobene – Entscheidung des BHG über den Antrag auf Haftverschonung an. Derlei Freiheitsgewinn durch Verschiebungen kostet übrigens Geld: Ware Freiheit. -> Hier geht es zum Spendenkonto. Anna skizziert das Leben mit anonymen Dritten, der Verwandlung von elektronischen Gadgets in Kontrollinstrumente und der Destruktion des Privaten. Was fehlt: Überwachungskameras (es ist unklar, ob die Videoüberwachung fortgesetzt wird) und Details aus der Geodatendatenwelt. Nächste Woche beginnen Zeugeneinvernahmen: die BAW hat bereits mindestens 10 Leute vorgeladen.

Update1:

Eine Informations- und Diskussionsveranstaltung „Wissenschaftliche Arbeit unter Terrorverdacht – Zur Entgrenzung des des Rechtsstaates“ berichtet zum Stand. Sie wird vom Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie des Instituts für Sozialwissenschaften der HU Berlin ausgerichtet und findet am Dienstag, 30. Oktober 2007, um 19 h im Senatssaal der Humboldt-Universität statt. Als Referentinnen und Gäste berichten und diskutieren Christina Klemm, Rechtsanwältin von Dr. Andrej H.; Prof. Dr. Ulrich K. Preuß, Professor für Staatstheorie; Prof. Dr. Norbert Pütter, Arbeitsgruppe Bürgerrechte, FU Berlin sowie Prof. Dr. Hartmut Häußermann, Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie, HU Berlin.

Update 2:

Relevante Einrichtungen der Sozialforschung, aber auch die einschlägige Sektion der DGS haben sich deutlich geäußert:

WZB, KWI und DGS unterstützen Offenen Brief an die Generalbundesanwältin
Wissenschaft stützt sich auf die Freiheit von Forschung und Lehre sowie auf die intellektuelle Unabhängigkeit derer, die diese Profession ausüben. Aus professionsethischer Sicht ist die Argumentation der Bundesanwaltschaft, „die Konstruktion einer intellektuellen Täterschaft“, daher nicht hinnehmbar. Aus diesem Grund schließen sich die Unterzeichnenden als Vertreter ihrer Fachgesellschaft bzw. ihrer Institute der Argumentation des „Offenen Briefes“ vom 9. August 2007 an die Generalbundesanwältin Monika Harms an (http://www.freeandrej.net.ms).
Dabei beziehen wir uns mit unserer Stellungnahme nicht lediglich auf den noch nicht abgeschlossenen „Fall Andrej H.“, sondern ganz allgemein und dezidiert auf die in der Argumentation der Generalbundesanwältin enthaltene Bedrohung wissenschaftlicher und intellektueller Unabhängigkeit.

Jutta Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin)
Claus Leggewie (Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts NRW)
Hans-Georg Soeffner (Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie).

Aus der Soziologenwelt dazu auch Till We.

Update 3

Bundesgerichtshof entscheidet über Haftbefehl gegen
Berliner Soziologen
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten – einen promovierten Soziologen, der u. a. an der Berliner Humboldt-Universität beschäftigt ist – ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Auf seinen Antrag hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 1. August 2007 Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen. Dieser ist auf den Vorwurf gestützt, der Beschuldigte habe sich mitgliedschaftlich an der linksextremistischen gewaltbereiten Organisation „militante gruppe (mg)“ beteiligt, der die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere aufgrund entsprechender Selbstbezichtigungsschreiben, eine Serie von Brandanschlägen zurechnen, die seit mehreren Jahren überwiegend in dem Gebiet Berlin/Brandenburg begangen worden sind. Mit Beschluss vom 22. August 2007 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, worauf der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist. Gegen diesen Beschluss hat der Generalbundesanwalt Beschwerde eingelegt. Der für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs wird voraussichtlich am Mittwoch, den 24. Oktober 2007, gegen 12.00 Uhr eine Entscheidung über dieses Rechtsmittel bekannt geben.
Karlsruhe, den 22. Oktober 2007 Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 KarlsruheTelefon (0721) 159-5013Telefax (0721) 159-5501

Update 4

Vielleicht – nach der (eingeschränkten) Freilassung – etwas anschaulicher der Polylux-Film zum Leben als Terrorist.

Protest / Solidarität

Mittlerweile gibt es einige wichtige Webadressen, die über die Verhaftung von Andrej u.a. informieren und Protest organisieren: der mittlerweile von über 500 Personen unterschriebene internationale Protestbrief an die Generalbundesanwaltschaft (hier in deutscher Sprache), die Website „Einstellung des $129a-Verfahrens sofort!“ und die Website „Solidarität mit Oliver, Florian, Axel und Andrej“, weiter „free andrej„und „delete129a„; endlich die neue „Erklärung zur Verteidigung“, die mensch unterschreiben kann & sollte! Und: über Andrej`s Leben in Moabit.

Empörung

die einrichtungMein Kollege Andrej H. wurde vor wenigen Tagen in Berlin verhaftet. Aus gemeinsamer Arbeit in einem Informationsnetz zur Politik der Privatisierung, entsprechenden Webprojekten und internationalen Forschungsprojekten kenne ich ihn. In einem Seminar, das ich organisiere und das nächste Woche stattfinden wird, war er gleich mehrfach als Referent zu stadtsoziologischen und raumtheoretischen Fragen vorgesehen. Nachdem er zunächst mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe transportiert wurde, sitzt er mittlerweile in Berlin – Moabit in Untersuchungshaft. Das kann ein halbes Jahr dauern. Details stehen hier. Zweifellos: Menschen führen fast immer ein zweites oder drittes heimliches Leben: aus Neugier, Lust, Zwang, Verzweiflung oder Empörung. In solchen Fällen beutet der Staat die Fähigkeit zum Rollenwechsel aus. Aus einem Treffen wird eine Konspiration, der Besuch einer Bibliothek oder die Verwendung eines Fachbegriffs – in diesem Fall: „Gentrifizierung“ – wird zu einem Indiz für ein heimliches Leben. In diesem Fall: für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Seit wenigen Tagen gehe ich definitiv davon aus, dass ich aufgrund dieser lockeren wissenschaftlich-politischen Zusammenarbeit ebenfalls auf meine Gespräche und Gesprächspartner achten muss, meinem Handy noch weniger trauen sollte als bisher und ansonsten eigentlich gehalten wäre, Literaturlisten, E-Mail-Verzeichnisse, Festplatten, Bücherschränke und Book(!) marks nach ihrem terroristischen Potential durchzuforsten. Eine Selbstreinigung meines Sprechverhaltens wäre angesagt nach Maßgabe seiner Nutzbarkeit durch Brandstifter aller Art. Nun – ich werde das vorläufig zurückstellen müssen und statt dessen helfen, der zuständigen Einrichtung eins aufs Dach zu geben, Andrej zu scheiben, Geld zu horten für die Abwehr der vermutlich noch zu „spezifizierenden“ Zugehörigkeitsbehauptungen. Das Ganze ist grotesk, was – entgegen meiner Vermutung an anderem Ort – mit einigem Verzug auch die Tante ZEIT bemerkt hat.