Ein wohltuender Realismus durchzieht die Zustandsbeschreibung des „linken Projekts“ in dem Beitrag „Für ein völlig neues Crossover“ (Blätter 11/2013), den André Brie, Michael Brie, Frieder Otto Wolf und Peter Brandt verfasst haben. Ein Politikwechsel ist komplizierter denn je und hat keine soziale Bewegungsbasis. Das „Lager“ jenseits der dominanten CDU/CSU schmilzt kontinuierlich – die arithmetische Konstellation SPD, Grüne und Linkspartei verlor seit 1998 zehn Prozent der Stimmen und liegen nun bei knapp 43 %. Eine politische Kooperation zwischen diesen ist nicht in Sicht, Einstiegsversuche dafür („Crossover“) scheitern seit Jahren krachend. Die SPD operiert im Käfig der CDU, die Hauptoption der Grünen ist schwarzer Entrismus. Sozial weitet sich die politische Demobilisierung der Unterklassen kontinuierlich aus. Politisch hat die CDU/CSU ihre Position dort massiv ausgeweitet, die Linkspartei verlor unter Gewerkschaftsmitgliedern stark.An der Macht etabliert sich ein von CDU und SPD parlamentarisch repräsentierter und massenmedial unumstrittener wirtschafts- und sozialliberaler Block, der eine „legitim“ gewordene rechtspopulistische Kritik an ihm (AfD) kontrolliert und sich quasimonarchisch gegenüber der parlamentarischen Opposition von einer spöttischen Großzügigkeit zur nächsten hangeln kann. Die abhängigen Erwerbsklassen sind überwiegend, wenn auch nur locker in diesen Block integriert. Das ist keine gute Bilanz der Wahlen. Der Blätter-Beitrag skizziert dann eine Crossover-Alternative, die sich auf eine Energiewende als „Einstiegsprojekt“, die Europawahlen als erstes Versuchslabor und den Aufbau einer grenzübergreifenden gesellschaftlichen Solidarisierung als Rückhalt einer politisch-parlamentarischen Wende fokussiert.
So weit, so gut. Eine mutig-genaue Beschreibung eines traurigen Zustands mitsamt einigen Optionen, ihn endlich loszuwerden, muntert auf. Wo sind die Probleme? An welchen Fragen müssen sich diese Optionen bewähren?
Wesentlich wird sein, das politische Potential einer Großen Koalition nicht nur im Bezug zur Opposition herauszuarbeiten, sondern rasch die Schlüsselprojekte dieser Koalition jenseits der Anfangshändeleien zu identifizieren, die starke politische Bruchlinien andeuten – welche Rolle wird zum Beispiel die Einbindung der SPD in das exportpolitisch abgestützte europapolitische Hegemonieprojekt der Regierung Merkel spielen? Welche Auswirkungen auf die Träger der Koalition wird eine dauerhaftere Etablierung einer populistischen Rechten haben? Wie kann der LINKEN das im Text nicht erwähnte Zauberkunststück gelingen, ihre partielle politische Kooperation mit der radikalen Bewegungslinken zu stabilisieren und zugleich eine deutlich reformistische links-alternative breite Zusammenarbeit mit SPD und Grünen durchzusetzen? Ist die in dem Aufsatz eingeforderte aparte Parteienkonstellation als bloßer Sozialpartei (Linke), reiner Umweltpartei (Grüne) und reformkapitalistischer Wirtschaftspartei (SPD) nicht die falsche Konsequenz aus dem Versuch, einen eben breit aufgestellten thematisch-politisch Reformismus der Grünen wahlpolitisch durchzusetzen? Wie kann die äußerst kritische (Selbst-)Exklusion des „sozialen Unten“ – mittlerweile ein Viertel der Bevölkerung – aus der politischen Teilhabe zurückgedrängt werden, die im Text heftig kritisiert wird ohne zu fragen, wie dies erreicht werden kann?