Rethinking Marxism (1):
Akademischer Marxismus in den Moränen des Fordismus

Im Zweijahresturnus organisiert die Zeitschrift Rethinking Marxism „internationale Konferenzen“ an der University of Massachusetts in Amherst, USA. So auch vom 26. bis 28. Oktober 2006, mit der sechsten Ausgabe. Doch: international?

Schon der Versuch der akademischen Eingeborenen der Vereinigten Staaten von Amerika, den Ort dieses Geschehens zu erreichen – immerhin eine zentrale Hochschule eines Bundeslandes – , zeigt seine Alltagstücken: ohne Privatbesitz an Automobilen ist man auf prohibitiv teure, kaum verbreitete, oft nicht erreichbare Taxitransporte angewiesen. Das einzige Bussystem ist auf den Hochschulcampus und ein paar Ausläufer in einem Radius von ein paar Kilometern begrenzt, ein Zug verbindet einmal am Tag den Ort mit dem Rest der Schienenwelt und Flugzeuge landen im weit entfernten Bradley International Airport, so daß der marxismusbegierige Mensch zunächst 110 Dollar los wird, um dorthinein zu kommen. Hat er ein Hotel außerhalb der knappen Busgrenze, entledigt er sich im nu` pro ride zwischen 45 und 70 Dollar. Laufen ist nicht, zwischen den Hotels und privaten Quartieren sind Meilen (nicht Kilometer) Raum und der fußkranke Linksbürger kann stunden- oder tagelang die zersiedelten Häuser an sich vorbeiziehen lassen, ohne ein einziges Fahrrad zu erblicken. Was ja auch sinnlos wäre, denn lockere Tagestouren zum Bäcker und Fleischer sind doch eher aufwendig. Ob eingeboren oder fremdländisch: der Kopfarbeiter begreift schnell, dass postkoloniale Diskurse, linke Cultural Studies und neugedachte Marxismen (die Grundausstattung der schicken Tagung, die ihn erwartet) nichts zu tun haben mit der fortwirkenden Macht des alten fordistischen Kapitalismus und seinem Paradigma: der Autoökonomie, -gesellschaft und –natur.
Ein Glück also, dass Rethinking Marxism überhaupt keine internationale Tagung ist, sondern ein großer, beeindruckender Sammelort des US-amerikanischen akademischen Marxismus mit bald 500 Panelists, 170 workshops und wohl gut 1000 TeilnehmerInnen. Es gibt wohl keine linke Tagung in den USA, die eine solche Viezahl radikaler, marxistischer, akademischer, linker, postkolonialer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus den entlegensten und den zentralsten Orten der USA versammelt, von Mal zu Mal neue Köpfe attrahiert, weithin unbekannte und der und ihrer Sache folgende Referenten und Diskutanten präsentiert. Wer in den USA nur das Bush` country sieht und daraus allein seinen Blick auf die USA und seine Position zu den USA speist, ignoriert all` jene, die eben dort und so den Kampf gegen das Bushland führen. Die Tagung gibt Grund für die Annahme, dass es in keinem kapitalistisches Land der Gegenwart einen solch starken akademischen Marxismus gibt, der im übrigen keineswegs nur aus mobil gebliebenen Alt-68`ern besteht – ganz im Gegenteil. Um so bemerkenswerter, dass es den Erfindern und Machern der Zeitschrift Rethinking Marxism gelungen ist, ihr Konferenzprojekt bis hin zur Finanzierung im akademischen Normalraum fest zu verankern. Schließlich ist akademischer Marxismus keine politische Gefahr, wenn die Gesellschaft und ihre Subjekte nicht zu ihm hin treiben.

Auch wenn gerade die Kernakteure und Schlüsselindividuen des Projekts Rethinking Marxism um David Ruccio und Richard Wolff oftmals involviert sind in politische und gesellschaftliche Projekte recht heftigen Klassenkampfs (ihnen also die Kategorie der nicht bloß theoretischen Praxis keineswegs fremd ist), leistet man sich hier die Zeitreise des akademischen Marxismus. Im Panel zu „Commodities und Aesthetics“ versuche ich dem überspudelnd redenden Steven Shaviro zu folgen, der nicht nur das ausgezeichnete Blog Pinocchio Theory schreibt, sondern auch eben im ausgezeichneten Heft Socialism and Social Critique in Science Fiction von Socialism and Democracy (3/2006) einen wunderbaren kleinen Aufsatz über die Prophecies of the Present publiziert hat und hier über Beauty in the Age of Flexible Accumulation spricht. Er spricht rasend und Ermahnungen zur Verlangsamung überfordern sein Kurzzeitgedächtnis deutlich, blättert wirklich wild in seinem fast fertigen Buchmanuskript, greift jene und diese ihn spontan beeindruckende Seuqenz heraus, stößt sie hervor, macht eine unbestimmte Zahl von Seiten später eine harte Landung im nächsten Textstück, teilt es hastig mit, dementiert es im nächsten Buchstabenflug und lebt in der einen Welt: der des Textes. Jasper Fforde`s There is somethin rotten lässt grüßen. Ist dies hier eine Veranschaulichung eines textverpflichteten akademischen Marxismus, so wird der Plenumsbeitrag von Kojin Karatani, einem japanischen Philosophen am Abschlußtag der Konferenz vor 500 Zuhörern ein bloßes Ärgernis: er las seinen Text mit immer mehr anschwellender Wortmenge per minute, bald rasend und verzweifelt ungerührt von Ermahnungen und Bitten des erstarrten Moderators, dann auch des verzweifelten Klatschens des Publikums, erst nach 60 (statt nach 20 Minuten wie vorgesehen) den autoritativ-empörten Zwischenrufen des berühmten Herrn Ernesto Laclau weichend – ein Philosoph im Käfig seines Textes.

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3 Antworten auf „Rethinking Marxism (1):
Akademischer Marxismus in den Moränen des Fordismus“

  1. Ja, mensch, da hast du ja glatt auf das Science Fiction Heft verlinkt, worauf ich Dich vorhin hingewiesen habe. Schande über mich. Das nächste Mal lese ich erst Dein Blog, bevor ich überhaupt irgendwas anderes tue. Klingt sehr lustig, die Konferenzbeschreibung. Jetzt habe ich den ersten Kommentar hier geschrieben. Oder?

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