Brzezinski, EU und Ukraine

larger west beyond 2025 brzezinskiEinige Sätze aus Zbigniew Brzeziński’s Buch  „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (1997; Dt. Ausgabe 1999 mit einem Vorort von Hans-Dietrich Genscher) werden gegenwärtig allerorten zitiert:

Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Rußlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr. Es kann trotzdem nach einem imperialen Status streben, würde aber dann ein vorwiegend asiatisches Reich werden, das aller Wahrscheinlichkeit nach in lähmende Konflikte mit aufbegehrenden Zentralasiaten hineingezogen würde, die den Verlust ihrer erst kürzlich erlangten Eigenstaatlichkeit nicht hinnehmen und von den anderen islamischen Staaten im Süden Unterstützung erhalten würden. Auch China würde sich angesichts seines zunehmenden Interesses an den dortigen neuerdings unabhängigen Staaten voraussichtlich jeder Neuauflage einer russischen Vorherrschaft über Zentralasien widersetzen. Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatisch die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden. Verlöre die Ukraine ihre Unabhängigkeit, so hätte das unmittelbare Folgen für Mitteleuropa und würde Polen zu einem geopolitischen Angelpunkt an der Ostgrenze eines vereinten Europas werden lassen. {74/75} (…)

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Hurra. Es hat geklappt.

EU-EmpireUm zu verstehen, welche kaum zu unterschätzende Bedeutung die Causa Ukraine für das imperiale Spiel Europas hat, ist ein Blick auf drei Beiträge in der FAZ vom 24.2.2014 „nach dem Seitenwechsel“ (FAZ) auf der ersten (Frankenberger) und zweiten (Banas, Sattar und Busse) Seite sehr hilfreich.

Aus dem Auswärtsspiel wurde ein Heimspiel. Deutschland war der Spielführer, Polen ist im Geschäft, Frankreich darf dabei sein. Die EU ist für’s second hand zuständig, nationaler Exekutivföderalismus hat Vorrang, wenn es um die Filetstücke geht. Russland ist draußen und soll sich gefälligst auch draußen halten. Ein paar Ersatzspieler dürfen noch mitmachen – aber sonst gilt der Satz von Steinmeier: „Wir haben die verdammte Pflicht, das Land in Ruhe zu lassen.“ Wer die Ukraine spalten will, wird sich die Finger verbrennen: „„Richtschnur aller Entscheidungen“ müsse der Erhalt der staatlichen Einheit sein. Darauf hatte man sich mit Washington und den europäischen Partnern verständigt.“ Wer alles führt, hat nichts zu verteilen. Wie die EU „das Land in Ruhe lässt“ ist auch klar:  gesteuert wird mit Geld („gewaltige Summen“), das mit „strengen Auflagen…zur Begleitung tiefgreifender Strukturreformen“ verausgabt wird. Der Wechselkurs wird freigegeben, damit ordentlich umverteilt werden kann – die Gaspreiserhöhung vornedran. Am Ende wird die Ukraine „endgültig aus dem russischen Einflussbereich“ entfernt sein – dann ab in das EU-Empire. Der deutsche Kollateralnutzen? Steinmeier kann zur nächsten Legislatur zufrieden als imperialer Außenminister („Führungsrolle in Europa“) in den Ruhestand gehen, das „deutsch-polnische Verhältnis war nie enger“, Frankreich bekommt für den neuen Hollande-Neoliberalismus ein paar Machtbrocken hingeworfen und darf dem deutschen Militär bei Gelegenheit Interventionstipps geben und das deutsche Kapital lässt es gut sein: autoritärer Kapitalismus? – ja, aber ordentlich, mitsamt dem rechten Sektor.

Geopolitik

2013-1 Geopolitik

Heute ist das Heft 1/2013 von Wissenschaft und Frieden erschienen, das sich im Schwerpunkt mit Geopolitik befasst. Großartig die Karten, die Benjamin D. Hennig für seinen Beitrag über „Kriege, Krisen, Konflikte…und Karten“ und für www.worldmapper.org angefertigt hat. Wer etwa die Kartenanamorphote der Kriegsopfer im Zeitraum 1945-2000 (S.32) gesehen hat versteht mit einem Blick, was heute eine Kartographie der Gewalt bedeutet. Das Titelbild gibt die Verteilung der Todesopfer durch Landminen im Jahr 2010 wieder. „Geopolitik“ weiterlesen

Wo ist Öl?

Worldmapper hat eine anschauliche Karte zur Frage, welche Länder zwischen 1965 und 2004 Öl wieviel Öl verbrauchten. Eine weitere Karte bei Booz zeigt das Gegenstück: das „visuelle“ Staatsgewicht der Ölressourcen und wieviel diese Staaten verbrauchen.

Kartografien der Macht 3 [Wirtschaft]

Wieder anders die Karten der Wirtschaftsmacht. Konzerne bilden Ressourcen (Standorte, Rohstoffe, Energie wie Atom und Öl, gebundenes Kapital, Warenzeichen und Ikonen, Aufmerksamkeit und Arbeitskräfte), Märkte (Geld- und Warenströme, Konkurrenten) und die Relationsgrafiken ihrer Profitwirtschaften ab – also die Landschaften des Kapitals und seiner Imperien des Eigentums. Ihre Karten repräsentieren die quantitativen Dimensionen der Verteilung und Bewegung von Eigentum und Kapital. Sie operieren in den Mustern der Konkurrenz und visualisieren die Profile der Standorte. Es geht um Wertschöpfung und Bonitäten. Wer also an die Karten des Kapitals denkt, wird an erster Stelle auf die Grafiken treffen, welche die Statistiken ökonomischer Daten wiederspiegeln: Bruttosozialprodukt, Beschäftigung, Handel, Einkommen, Finanzdaten, die Börsenkarten, Warenströme, Gewinngrößen, -relationen und faktoren. Sie spiegeln also den Fluß und die Verteilung des Kapitals und des Eigentums wieder [z.B. die Chicago Busniess Market Facts Interaktive Maps oder die scharfe Property Shark Website]. Sie sind zugleich Karten der Macht und werden von dieser gemacht. In der lassen sie nicht erkennen, was das Zeichnen von Karten bedeutet: Repräsentation, also Selektivität, Auswahl, Weglassen, Hervorhebung, Übertreibung, Vereinfachung und Kombination.

Nun produziert das Kapital nicht nur den Fluß von Gütern und Geld, sondern auch von Zeichen und Erzählungen. Vor allem ist jeder Schritt der Expansion verbunden mit neuen Karten und Zeichen, die seine neuen Repräsentanzen belegen. Seine Presseabteilungen infiltrieren die Medien des Neuen, Websites der Unternehmen präsentieren Idendität. Ihre Werbung und ihr Marketing binden sich an neue Märkte. Werbung lässt sich als symbolisches Mapping und als Konstruktion einer visuellen Konstellation verstehen – auch wenn es hier um Markenzeichen und um Verkauf geht. Die Karten der Wirtschaftsmacht geben meist solchen Erwägungen Raum: sie müssen Wiedererkennbarkeit durch die Präsentation von Profitabilität, unverkennbar eigenen Stil und Logo sichern und eine eigene große Erzählung andeuten. Räumliche Konstellationen oder konkrete geografische Bezüge haben im Feld der Kapitalperspektiven differenzierte Rollen. So bleibt in der medialen Alltagspräsentation des Kapitals dieses gleichsam unsichtbar, es ist ein mythisches, utopisches „gutes“ und „wohltätiges“ Kapital, ein dekontextualisiertes und deterritorialisiertes (also zumindest global präsentes) Kapital. Im globalen Raum gibt sich das Kapital hilfreich: beim Übergang in die Moderne, bei Katastrophen, bei individuellen Problemen. Epische Projekte monumentalen Zuschnitts werden da angegangen, die Anrufung des Spirituellen schwingt dabei oft mit. Es präsentiert Weltbilder des Fortschritts und der Kontrollfähigkeit, des Wandels und der Stabilität. Es ist Träger erfolgversprechender Ideen. Es sind Versprechenskarten. Seine Veränderung im Raum geht nach außen und nach oben: Expansion und Aufstieg sind die Bewegungen, die es vorführt. Für Raumeroberung und –kontrolle stehen die Netzwerkgraphiken der business-charts, in denen die Verflechtung und Verdichtungen der interlocking directorates dokumentiert werden.
Und es bewegt sich ökonomisch eben, mit der eigenen Zeitrationalität des Verwertungsflusses (Mobilität, Logistik, Just-in-Time, Raum-Zeit-Kompression etc.). Das visuelle Marketing der internationalen Konzerne in den Werbebotschaften des Fernsehens und Kinos geht dabei klar auf Abstraktion: keine Bindung an Orte, also serielle, delokalisierte globale oder Nicht-Orte, die keine bekannte Geographie haben. Da gibt es austauschbare serielle Geschäftstürme, wichtige Männer (Power-Broker des Wandels, verantwortungsschwere Manager, mobile klassenindifferente Aufstiegsnomaden, weißgekleidete Technikbeherrscher), Hochtechnik, Logos und exotische Orte, wo Frauen und wilde Landschaften kolonial als affektiver Hintergrund konfiguriert werden, zuweilen auch national iraq_oil_2003.jpgkonnektierte architektonische Zeichen (Freiheitsstatue, Eiffelturm, Brandenburger Tor). In diesen Netzwerken der Krisenlosigkeit ist die dunkle Seite des Kapitals versteckt: Ungleichheit, gar nicht exotische Armut, Gewerkschaften, Ausbeutung, Krieg. Die Stile der visuellen Raumpräsenz des Kapitals haben zugleich viel zu tun mit der Verortung und Bewegung seiner verschiedenen Abteilungen. Die Selbstdarstellung der Extraktionsindustrien (Rohstoffe, Öl, Energieproduktion) operiert häufig mit gängigen, ortsbezogenen Landkarten, auf denen sie Ressourcen,economic-freedom-2006.jpg Produktionsstrukturen und Verteilmedien vermerkt. Die visuellen Beschreibungen der Transportindustrie und des Cyberkapitals fokussieren auf Netzwerke und den Fluß der profitablen Objekte in ihnen, ob es nun um Migranten oder um Megabits geht. Die weitläufigen Industrien der Soft Power schließlich zeichnen auch die Verteilungsmuster ideologischer Güter und ideeller Waren. Alle Getränkegemeinsam verfolgen in vielfältigster Weise die räumliche Verteilung ihrer Produkte und ihren Verbrauch – ein Exempel unter Tausenden ist die schicke Karte „Generic Names for Soft Drinks by County“.

Alle nutzen Mapping als Marketing. Ihr Verfolg der sozialen Welten des Konsums geht über in die Sozialkartierungen, die zu einem Betätigungsfeld der soziokulturellen Machtapparate geworden sind. Hier geht es um die visuellen Kulturen der sozialen Integration und Gefolgschaften, der Differenz, Diversität oder Multikulturalität, der „natürlichen“ Extreme der Ungleichheit und der neoliberalen Illusionsideologien der kommenden oder schon vorhandenen Gleichheit. Dieses breite Milieu der Zivilgesellschaft ist differenziert, seine Kulturen sind unübersichtlich und mit zahllosen Interessen und Akteuren verknüpft. Hier tummeln sich google earth-Spieler, Sozialnavigationsexperten, Symbolfachleute – und ein paar Millionen Mapper mehr.

Kartografien der Macht 2 [Staat]

Die aktuellen bürgerlichen, gleichsam klassischen Karten der Macht sind weiterhin partikular, utilitaristisch und mit deutlichen Interessen- und Funktionsperspektiven ausgestattet. Entsprechende rhetorische und metaphernbildende Verrichtungen prägen die Kartenwelt. Die Staaten zeichnen ihre Territorien mitsamt den formellen Machtaufbauten ihrer Souveränität. Sie zeichnen vor allem die Grenzen und ihr Management, denn diese repräsentieren letztlich die eigene raison d`etre, das Politische, manifestieren und organisieren sie doch jenseits konkreter Eigentums- und Machtansprüche die zentrale Unterscheidung zwischen „Innen“ und „Außen“, also insofern auch zwischen Freund und Kontrahent / Gegner / Feind. Sie zeichnen Zentren („Hauptstadt“!) und Peripherie, Raumordnung, politische und administrative Gliederungen, „Landesverteidigung“ und „Justiz“. Der 2006 abgeschlossene 12-bändige „Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland“ soll sich so auf „ein Staatsgebiet“ beschränken und gilt, wie die Website formuliert, als „Hoheitsaufgabe des Staates, d.h. die Herstellung oder Finanzierung (soll) durch staatliche Institutionen“ geschehen – vier Bände sind allerdings von Stiftungen (Thyssen, Mercator, ZEIT-Stiftung) gefördert, darunter just jene über „Unternehmen und Märkte“ und „Deutschland in der Welt“. Unter den thematischen Kartenwerken dieses ambitiösen Unternehmens einer post-89er nationalidentifikatorischen Gebrauchsanleitung für Deutschland, an dessen Edition über ein Jahrzehnt lang rund 600 AutorInnen arbeiteten, wird man allerdings wie bei allen anderen aktuell vergleichbaren Nationalatlanten (Kanada, Schweiz, Frankreich, Schweden, USA) durchgängig sechs substantielle Abteilungen durchaus möglicher kartographischer Visualisierung vermissen:

Ø die unmittelbare und mittelbare orientierende Erfassung der räumlichen Dimension von Macht und HerrschaftForbes-Karte der Reichen

Ø die Erfassung, Analyse und Darstellung von Reichtum – die zaghafte Forbes-Karte könnte hier eine kleine Motivation sein

Ø die Untersuchung und Abbildung der räumlichen Konfiguration von Eigentumsbeziehungen, die zwar in den örtlichen Kataster- und Liegenschaftskarten für operationelle Zwecke äußerst penibel vermerkt sind, aber nicht zu einer herrschaftsbezogenen und politikökonomisch sinnhaften nationalen und letztlich transnationalen Datenbasis und einem entsprechenden Verständnis verknüpft werden können

Ø die räumlichen Strukturen des strafenden Staates (Gefängnisse, Camps, Lager etc.)

Ø die sozialen, politischen und kulturellen Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen gesellschaftlichen Subjekten (Klassen, Bewegungen etc.) und schließlich

Ø die transnational-imperialen Outlets der Politik und des Kapitals.

Diese externen Outlets und Handlanger, deren Verzeichnung in den Kriegs- wie Appropriationsoptiken der einstigen imperialistischen und kolonialistischen Überlagerungen der Welt so gängig war, kamen in den offizialisierten Bildern der zerfallenden formellen Imperien seit Mitte des letzten Jahrhunderts in aller Regel nicht mehr oder nur noch beiläufig vor. Dies freilich ändert sich nun langsam in der Situation der neuen Raum-Zeit-Kompression des transnationalen Globalkapitalismus.
Jenseits der nationalstaatsgenerierten und –bezogenen raumvisuellen und kartographischen Kultur konzentrieren sich im Zeitalter des von der Weltraumindustrie gepflegten planetaren Blicks [siehe die Ausstellung „Kunstwerk Erde„] die Karten der Staatsmacht in der Regel auf die Diagnose und strategische Planung der Dimension der globalisierten Mapping SwitzerlandInfrastrukturentwicklung: Ökologiekarten etwa wie jene von UNEP/GRID oder von privater Seite aus die „Kartenmaschine„. Dass sich dabei eigentümliche Ungleichgewichte ergeben, zeigt der berühmte Atlas der Schweiz: er lässt keine Libellenart und deren Lokation aus, dafür aber das bekannte Schweizer Bankwesen [wie die Blicke und Haltungen auch auf die Nationalstaaten ideologisch geleitet sind, zeigt das Projekt Mapping Switzerland, das u.a. Hunderttausende von Newsgroup-Einträgen danach untersuchte, welche Begriffe mit „Schweiz“ konnotiert (s.Beitrag in der Weltwoche 52/52-2004, -> pdf 6,3 MB) wurden]. Gleichwohl zeigt sich hier, welche Fülle öffentlicher Daten vorliegt, die vor allem statistisches Orientierungswissen projiziert und bereitstellt. Global angelegt dann die zahlreichen Karten zur Human Development. Hier geht es um die Kartenwerke internationaler Organisationen, insbesondere der UNO und ihrer Teilgliederungen (z.B. FAO) oder der Weltbank. Typisch sind hier mittlerweile Kopplungsprojekte mit privaten Akteuren wie z.B. das Global Poverty Mapping Project oder das Poverty and Food Insecurity Mapping Project. Auch von privater Seite wird diese Dimension natürlich bearbeitet – beispielhaft, oft originell und zugänglich hier die Werke der Hive-Group oder der Kaiser Family Foundation zur Gesundheit, des Unternehmensberatungsnetzwerks Maplecroft und der Gapminder Foundation. Schließlich geht es der Politik auch in der Zeit des Neoliberalismus um die Herstellung und Sicherung der allgemeinen (nunmehr auch globalen) Bedingungen der Produktion (Akkumulation) und Reproduktion desamerican-empire-net.jpg Kapitals. Eher peripher wird zwar nicht das alte, aber das neue (digitale) Eigentum zum Thema, sei es kommerziell wie bei dem Telegeography-Unternehmen oder wie GovCom sozialkritisch.
Weitaus bedeutsamer auf dem weiten Feld der Staatskarten aber ist die Gewaltkartographie des Sicherheits- undDas Auge der Überwachung Militärstaates. Im Zeichen der inneren Sicherheit wird Sichtbarkeit und Identifizierung organisiert, um so gegebenenfalls Überwachung und Kontrolle zu ermöglichen. In den sich andeutenden oder bereits ausbreitenden neuen Praxen der Spurensicherung, der Biokontrolle (z.B. elektronische Fußfessel) oder des Biomapping [Zum hier anders verwandten Begriff vgl. das (nicht-militärische) Projekt Christian Nolds. Die Traditionslinien der Psychogeografie sind mit solcher Emotionskartierung verbunden; zum Thema Überwachung Robert O`Harrow: No Place to Hide, New York u.a. 2005] werden nicht nur die bisherigen Privaträume aufgebrochen, sondern auch Wege geöffnet für eine detaillierte zeitnahe Durchdringung sozialer Ereignisse (Versammlungen, Demonstrationen, Aufstände) und technischer Systemoperationen. Crime-Mapping [S. das Forschungsprojekt MAPS („Mapping and Analysis for Publicfrancemap.jpg Safety“) des Justizministeriums der USA] und Riot-Mapping breiten sich als disziplinäre Fronttechnologien der Sozialsteuerung und der Implementierung kultureller Alltagssymboliken im Inneren der hoheitlich ihre Verantwortung tragenden Nationalstaaten aus. Die „Unruhen“ oder „Aufstände“ in „den Pariser Vororten“ und „in Frankreich“ wurden nach wenigen Stunden in Karten der Medien dokumeniert, die überwiegend mit dem Flammensymbol operierten. Zu den Kartoon-Riots tauchten ebenso rasch google-earth-Karten auf. Sie markieren jene Privatisierung des öffentlichen Raums, die von einem rechtfertigungsabstinenten Staat betrieben werden kann. Zuweilen bietet er auch Farbkarten seiner Gefängnislandschaften. Ohnehin boomt Justice Mapping und Mapping Crowds – ob nun Demonstranten, „Jugendliche“ oder „Migranten“ – ist mittlerweile eine sich ständig verfeinernde Routinepraxis des Sicherheitsstaates.

domain rule.comDie Kultur und Ambition der Geopolitik zeigt sich jedoch im militärischen Milieu, das nach außen geht, am deutlichsten. Hier ist auch neben der Erfassung der Eigentumsverhältnisse das historisch elaborierteste und auch innovativste Feld staatlicher Raumerfassung und -organisation. Militärkarten sind Legion –US-Militärbasen in Deutschland Opferkarten dagegen eine kaum auffindbare Ausnahme. Das Vokabular ist auf wenige Objekte reduziert: es geht zunächst um Schauplätze militärischer Aktion oder um die Klassifizierung relevanter strategischer Räume und ihre militärisch bedeutsamen Potentiale, also um direkte (z.B. RisikoländerFeuerkraft, Militärbasen) und indirekte (z.B. Wirtschafts- und Produktionskraft) Ressourcen, endlich konkret um die Akteurs– und Feindbestimmung [s. z.B. propagandistisch die Datenbasis zu Al Qaeda],core_and_the_gap.jpg um militärische Lokationen, Bewegungen, Ziele, Treffer, Opfer. Thomas P.M. Barnett`s The Pentagon`s New Map steht paradigmatisch für solche Konstruktionen. Das Weblog des einflußreichen Barnett detailliert seit 4 Jahren sein Konzept einer „nicht-integrierten“ „Lücke“ in der Weltgeographie, Terrorismus Trends 2005die es militärisch zu beseitigen gelte, um das Revier der USA vollends planetar zu machen. Ein neues Genre ist hier in den letzten Jahren entstanden: die Terrorkarten und die Karten der sog. failed states, endlich die nicht empfehlenswerten Risikoländer, von denen der militärisch unerfahrene Mensch nach Anraten des Staates fernhalten solle. Mittlerweile ist in der neuen Zeit des Terrors derlei visueller Orientierungsservice unentbehrlicher Standart medialer Konkurrenz geworden. Wenige Minuten nach radical_islamic_activities.jpgden ersten Meldungen über die Verhinderung eines vielfachen Flugzeuganschlages aus England offerierte beispielsweise Spiegel-Online am 10.8.2006 eine interaktive flash-Karte „Die schlimmsten Anschlägeheroes.jpg seit 9/11 – al-Qaidas Blutspur“. Minutiös werden in dieser Welt der Gewaltkartographie die Makro- und Mikrowelten der landscapes of fear entfaltet. Sie zeigen, wie überwacht, kontrolliert, vernutzt, zerstört und getötet werden kann – und wird. Eher zurückhaltend wird dabei die „eigene Seite“ heroisiert, doch dies reflektiert sich zuweilen auch in eher grotesken Bildern -ein etwas angestrengtes Beispiel für das mapping der Heimatorte von 2800 gefallenen amerikanischen Helden des Irak-Krieges gab etwa die Palm Beach Post.