Paradoxien

Bekanntlich hat sich vor ein paar Tagen die Partei „Die Linke.“ gegründet. – eine Bezeichnung, welche der SPD-Vorsitzende Kurt Beck nicht aussprechen mochte und daher von „SED-PDS- Nachfolgegruppierung“ sprach – welch ein jämmerliches Wortgehüpfe. Ähnliche Verrenkungen praktizierte der geschäftsführende Sozialdemokrat Müntefering schon über Monate – nirgends wird klarer, wie groß die Konkurrenzfurcht der SPD ist – man könnte glauben, die Domaine Sozis.org würde zum Verkauf angeboten.

Interessant an der Partei „Die Linke.“ ist die Menge an Widersprüchen und Paradoxien, für die sie noch steht. Während diverse Parteiprojekte und linke Kooperationskulturen in Italien, Spanien oder Frankreich tief in der Krise stecken, hat dieses Projekt offenbar noch Dynamik und die Kraft, ein eigenes politisches Zentrum zu bilden. Mit dem Zusammenwurf von WASG und PDS ist die Partei sozialdemokratischer und radikaler zugleich geworden (wenn das keine Erfindung ist!), fordistische Interessenkämpfer sind plötzlich zu Lasten mehrerer Postmoderner, mancher Völkischer und vieler Staatsfreunde aus der alten PDS präsent; wenigstens die ältere Kulturlinke horcht auf und einige Wissenschaftslinke halten Die Linke. plötzlich für eine anschlußfähige Organisation. Ost und West unterscheiden sich zäh. Die Voraussetzungen für eine breitere Repräsentanz zudem populistisch angerufener sehr unterschiedlicher Kulturen und Interessen sind gegeben (und sie organisieren sich auch in dem, was bekanntlich des Teufels ist: in Fraktionen!), eine gemässigte Variante demokratischer Parteiform ist möglich – doch die Entstehungsgeschichte der Partei – Machtzentrum Fraktion und dort eine übersichtliche Machermännerquadriga Plus und erfreulich viele, ungewöhnlich starke Vetomächte – stehen für einen patriarchalisch gedoppelten Autoritarismus. Moderne und Postmoderne, Aufsteiger und Geschlagene, Machtnahe und Machtlose, Auf- und Ausgeschlossene sehen hier ein Projekt. Nun wird am Parteiaufbau West (insgesamt 2500 neue Mitglieder nach dem Parteitag werden vermeldet) gebastelt, das Superwahljahr dräut, Lafontaine bietet Beck die Kanzlerschaft zu Minimalbedingungen an und die Programmatikdenker sitzen in den Startlöchern des Parteigeistes.

Das Wichtigeste scheint mir: eine Partei zu entwickeln, die an fünf Momenten zweifelsfrei unterscheidbar erkannt werden kann: an Diversität, Solidarität, Gerechtigkeit, Gleichheit und Anerkennung – nicht nur inhaltlich-programmatisch, sondern – vor allem! – in der Parteiform, politischen Kultur, Sprache, Organisationskultur und Praxis. Das wäre was. Eine Partei als Befähigungszusammenhang, von dem dieser Tage Alex Demirovic sprach. Und sie wird nicht mehr als einen großen Kompromiss erreichen können in den nächsten langen Jahren, aber die Notwendigkeit einer zweiten großen Transformation verdeutlichen können. Eine neue Erzählung von links steht an: in einer Welt, in welcher der rauhe Neoliberalismus sich ausbreitet.

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