Die Eigentumsfrage kehrt zurück.

Über Versprechungen…

Eine neue Verdrossenheit entwickelt sich. Sie richtet sich auf die Privatisierung, also die Veräußerung öffentlichen Vermögens und seine Umwandlung in privates Eigentum. Diese Politik der Privatisierung war lange Zeit deshalb unterstützt worden, weil sie mit einigen großen Versprechen des Neoliberalismus operierte wie „Wiederherstellung von Effizienz“ (angesichts des maroden Zustands vieler öffentlicher Einrichtungen), „Kosten- und Preissenkung“ (durch Bürokratieabbau und Konkurrenz neuer Anbieter), “Behebung der Krise der öffentlichen Finanzen“ (durch Veräußerungseinnahmen) oder „neue Wahlfreiheit des Konsumenten“ (durch eine Vielfalt der Produkte und Dienste dank technologischer Innovation und Wettbewerb).

Doch nun wächst die Skepsis. Den Bereich der Telekommunikation ausgenommen, kann von Kostensenkungen, die privaten Konsumenten und Konsumentinnen zugute kommen, schon lange nicht mehr geredet werden. Verbreitete Korruption und die Verschlechterung der Qualität beispielsweise durch Reduzierung und Ausdünnung von Dienstleistungen haben die Rede von der Effizienzsteigerung durch Private mittlerweile als Mythos entlarvt. Eine breite qualitative Verbesserung und Modernisierung der Infrastruktur hat nicht stattgefunden. Der Wettbewerb wurde nicht gestärkt, vielmehr wurden aus öffentlichen Monopolen eine Handvoll global operierender privater Monopole. Die Wahlfreiheit ist oft zu chaotischen Angebotskonkurrenzen mutiert. Die Krise der öffentlichen Finanzen ist nicht beseitigt, die aktuellen positiven Veränderungen sind nur in sehr geringem Umfang auf Privatisierungserlöse zurückzuführen, der Staat verarmt sich weiter. Die Privatisierung von Hoheitsaufgaben (Verkehrsüberwachung, Sicherheitsdienste, Polizei, Gefängnisse, Militär) begegnet Misstrauen und ist offenbar nicht kostengünstig – für viele scheint hier auch der Rechtsstaat in Frage gestellt zu werden. Kurz: die Versprechen sind nicht eingehalten worden. Ganz im Gegenteil.

…und die dürre Wirklichkeit
Was zunächst als unbeabsichtigte und unwichtige Nebenfolge verkauft wurde, wird immer mehr als Hauptzweck des Unternehmens Privatisierung deutlich: ein ungeheuerer Umbau der Verteilungsverhältnisse zugunsten der Besitzenden und Reichen im Gefolge der Anlage riesiger überschüssiger Kapitalmengen und eine massive Schwächung des öffentlichen (staatlichen wie genossenschaftlichen) Sektors, die potentiell, aber auch real auf den Abbau öffentlicher Verantwortung und damit auf Entdemokratisierung hinausläuft. Während Anfang bzw. Mitte der 80er Jahre der Umfang der Regulierung hierzulande noch etwa ca. 50 % der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung betraf, waren Anfang dieses Jahrzehnts etwa 33 % der Konsumgüter von staatlicher Regulierung betroffen[1]. Die alte Ordnung wurde gebrochen: die „natürlichen“ Monopole transformiert, die Lohnarbeitsmacht zurückgedrängt, die Kommunen als starke Eigentümermacht zum Versilbern ihres Vermögens gebracht, damit sie ihre Finanzen wenigstens kurzzeitig sanieren konnten und das Kapital drang in die klassischen Infrastrukturbereiche (wie Wohnungswesen, Verkehr, Energie) ein, die im Ergebnis der Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Konjunkturzyklus in genossenschaftlichen oder staatlichen Formen etabliert worden waren. Neue Produktionssphären wie die immaterielle Produktion wurden von Beginn an in privater Form in Wert gesetzt. Im Ergebnis sind öffentliche Infrastruktur und staatliches Kapital zurückgedrängt worden – der Aufbau der öffentlichen Infrastruktur in Form staatlichen Kapitals bedeutete ja, dass die „allgemeinen Bedingungen der Produktion“ und ihr gemeinschaftlicher Charakter durch das private Kapital nicht profitabel produziert werden konnten oder unvertretbare Surplusgewinne abgeworfen wurden, die mit staatlichen Mitteln konterkariert wurden. Das in diesem Bereich fungierende Staatskapital reproduzierte sich – abhängig von den politisch-gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen – häufig auf eine andere Weise als das private Kapital; es unterlag zumindest potentiell und (bei den Kommunen, aber auch z.B. in mitbestimmten Bundesbetrieben) auch reell einer politischen Kontrolle auch hinsichtlich der Qualität, der Zugänglichkeit und der Kosten der erbrachten Dienste und Produkte. Oft brachte es dabei neue Probleme mit sich (Bürokratie, Hierarchie, Kostenaufblähung etc.). Mit der Ausdehnung des globalen Kapitalmarkts, der sich im letzten Vierteljahrhundert mehr als verdreifacht hat, entstand aber nun in weitaus größerem Umfang als bislang die Chance, diese gemeinschaftlichen Voraussetzungen der Produktion im Interesse des Gesamtkapitals selbst privatförmig zu entwickeln. Zugleich wurde ein Wettbewerb um Steuersenkungen etabliert und so die Einnahmesituation der öffentlichen Hände dramatisch verschlechtert. Zwischen 1986 und 2003 veräußerten der Bund und die Länder Vermögen in Höhe von 26 Mrd. € bzw. 14 Mrd. €; das Volumen der Verkäufe kommunalen Eigentums ist nicht bekannt. Der Staat hat sich damit definitiv von oftmals einträglichen Vermögensbeständen getrennt bzw. außerstand gesetzt, gemeinwohlorientierte Leistungen günstig anzubieten. An die Stelle großer öffentlicher Unternehmen und Leistungsanbieter traten jetzt (vor allem in Deutschland) private transnationale Konzerne, die nun als Global Players auf den Weltmärkten agieren und dort oftmals mit riesigen Staatsunternehmen konkurrieren, die mittlerweile als nationale Champions einstiger Entwicklungs- bzw. Schwellenländer wie Russland, China, Brasilien oder Mexiko fungieren. Mittlerweile wird immer deutlicher, dass das private Arrangement der allgemeinen Bedingungen der Produktion die galoppierende Minderung der Gebrauchswertqualität dieser Bedingungen nicht rückgängig gemacht hat. Das betrifft in erster Linie die soziale Qualität dieser Bedingungen (Bezahlbarkeit, Zugang, „Gemeinschaftlichkeit“) aber auch ihren materiellen und stofflichen Zustand, den Verfall ihres ökonomischen Werts und damit ihre Effizienz für die Kapitalakkumulation. So fragt sich also zunehmend, was außer schneller Profitmacherei und Steigerung der Kapitalmacht gegenüber den Beschäftigten, den Gewerkschaften und den staatlichen Einrichtungen der politischen Demokratie als Sinn der fortbestehenden Privatisierungspolitik bleiben soll.

ie zunehmende Problematisierung der Privatisierungspolitik durch eine breite Öffentlichkeit hat jedoch nicht nur mit dem Gefühl zu tun, dass die neoliberale Privatisierungs- und Deregulierungspolitik zu dramatischen Gerechtigkeits- und Demokratielücken geführt hat. Sie hängt auch mit einem Wandel dieser Politik selbst zusammen. Auf den ersten Blick scheint es ja, als ob die große Zeit der Privatisierungspolitik zu Ende geht und wir uns am Ende eines weltweiten Trends befinden, der vor drei Jahrzehnten eingesetzt hat. Zwischen 1977 und 2004 beliefen sich die Privatisierungserlöse der 15 „alten“ Mitgliedsstaaten der EU auf 497 Mrd. €, der neuen auf 54 Mrd €; Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien lagen dabei an der Spitze. Wertmäßig lag dabei der Höhepunkt der Privatisierung bereits in den 90er Jahren und das Volumen der Transfers ist deutlich abgesunken, wie der Newsletter 6 vom Januar 2007 des in Italien publizierten Privatization Barometer zeigt (S.7). Die Erlöse gingen von 1999/2000 an zurück, um dann ab 2003 – 2005 wieder stark anzusteigen. Der Rückgang ist offensichtlich – doch wird er weitergehen oder wird sich dieses Plateau halten? Gemeinsam mit Frankreich stand die BRD im Jahr 2006 an der Spitze der Top-List der europäischen Privatisierung – ein Sachverhalt, der hierzulande kaum bekannt ist. In beiden Ländern wurden aus Vermögensveräußerungen öffentlichen Eigentums knapp 9 Mrd € eingenommen – und diese Position wird die BRD auch 2007 halten: „Germany will certainly remain next year’s privatization heavyweight.“ (Privatization Barometer 6, S.13). Koalition und Länder sind – mit der Ausnahme Berlins – offenbar fest entschlossen, diesen Kurs fortzusetzen; so haben in den letzten Jahren Länder wie Hamburg detailliert ihre öffentlichen Vermögensbestände erfasst, um auch noch das letzte Denkmal auf den Markt werfen zu können.

Für die SPD-CDU-Koalition formulierte 2006 das Bundesministerium der Finanzen: „Privatisierungserlöse leisten einen wesentlichen Beitrag zu Wachstumsimpulsen, die von der Bundesregierung in den nächsten Jahren gesetzt werden. Gleichzeitig ist es nach wie vor das vorrangige Ziel der Privatisierungsmaßnahmen, den ordnungspolitisch gebotenen Weg zur Privatisierung konsequent weiter zu führen, die Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft effizient zu gestalten und den Staat weiter zu verschlanken. (…) Öffentliche Unternehmen werden sich auch in Zukunft im Wettbewerb bewähren müssen. Die privatwirtschaftlich ausgerichtete Beteiligungsführung des Bundes ist dabei eine wichtige Vorbereitung auf die Privatisierung. (…) Die Bundesregierung bleibt damit auf ihrem auch international anerkannten verlässlichen Privatisierungskurs.“[2]Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass hier immer weniger „klassische“ Vermögensbestände veräußert werden können. Es gibt kein Tafelsilber mehr. Es gibt kein Bundesvermögen der Größenordnung Post und Bahn mehr – der Bund reduzierte seine Beteiligung an der Telekom von 100 % (1995) auf 14,8 % (2006) und die Bundesbeteiligung an der Post sank zwischen 1998 und 2006 von 100% auf weit unter 40 %. Von 1998 (137) bis 2006 wurden 28 wesentliche Beteiligungen des Bundes veräußert; der Bund war daher Ende 2005 unmittelbar noch an 108 Unternehmen in einem Wert von ca. 18,5 Mrd. €., beteiligt. Rechnet man die mittelbaren Beteiligungen hinzu, waren es 404 Unternehmen. Zwischen 1991 und 2006 sank die Zahl der Beteiligungen, an denen der Bund mindestens 25 % des Nennkapitals besaß, von 214 auf 112. Von den verbleibenden Unternehmen hätten laut „Beteiligungsbericht 2006“ der Bundesregierung 63 eine „grundsätzliche Privatisierungsperspektive“[3]. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Unternehmen, die im Geschäftsbereich des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung liegen (348 Beteiligungen). Seit langem geht in der Privatisierungspolitik des Bundes um die Sektoren Verkehr (Bahn, Straßensystem, Flughäfen), Post und immaterielle Güter (z.B. Frequenzen) sowie Bereiche der Hoheitsverwaltung (Gefängnisse, Militär, klassische Funktionen der Leistungsverwaltung). Hinzu könnte als relevanter Faktor das Forschungssystem kommen, in dem traditionell gerade der Bereich der Grundlagenforschung öffentlich organisiert und zum Teil in Bundesbesitz ist. Deutlich wird aber, dass die Reduzierung des Bundesvermögens beträchtlich ist, sieht man von den zentralen Netzen (Straße, Wasser) ab. Doch es ist noch was da, weshalb man davon ausgehen kann, dass diese Art von Privatisierungspolitik in der Bundesrepublik bis zum bitteren Ende fortgesetzt werden wird. Weltweit ist sogar (seit 2003) ein Anstieg der Privatisierungserlöse auf über 90 Mrd € (2006) zu vermelden, für den insbesondere die Privatisierung von Staatseigentum in China verantwortlich ist; rund ein Drittel dieser direkten Veräußerungen öffentlicher Vermögensbestände geschah letztes Jahr in Europa. Eine zentrale Spezifik der Privatisierungspolitik ist, dass hierzulande sich die „Staatsmonopole“ sich geradezu nahtlos in private „Global Players“ transformierten und zugleich eine Situation der Polarisierung geschaffen wurde: diesen global operierenden Konzernen stehen häufig kleine Newcomer gegenüber, die einen eigen ausgeprägten Beitrag zu Lohndumping und Prekarisierung leisten.

Die aktuelle Skepsis hat also vor allem drei Wurzeln. Zunächst glauben die „Kunden“ und „Konsumenten“ den Versprechungen nicht mehr und die ungerechten Verteilungseffekte der Privatisierung hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensentwicklung, aber auch der Verarmung der öffentlichen Hand werden immer deutlicher. Die Krise der öffentlichen Investitionen ist durch die Privatisierungspolitik nicht einmal kurzfristig beseitigt worden. Dann sind die negativen Effekte auf die Beschäftigung in den letzten Jahren immer deutlicher geworden. Seit den 90ern sind bei Bahn, Strom und Telekommunikation EU-weit über 850000 Arbeitsplätze verloren gegangen, wobei ein beträchtlicher, aber unbestimmter Teil dieser Verluste auf Privatisierungen zurückzuführen sind. Es sind vor allem die betroffenen Beschäftigten, von denen die Kritik an der Privatisierung ausgegangen ist.

Die neue Runde der Privatisierung und ihre Folgen

Jetzt aber stehen wir schon seit geraumer Zeit zusätzlich am Beginn einer neuen Welle von Privatisierungen – es sei denn, diese Welle bricht sich am Widerstand der Bevölkerung. Die aktuelle Skepsis gegenüber den bisherigen Privatisierungen bezieht sich ja auf Sektoren, deren Produkte und Dienste oftmals eher indirekt wirkten. Betroffen waren hier vor allem die Beschäftigten – und zwar spürbar. Bei den neuen Privatisierungen geht es aber um Schulen und Krankenhäuser, Wasser, Energieversorgung oder Renten. Gesundheit, Bildung, Wohnen, Altersversorgung und Umwelt stehen im Zentrum der neuen Politik der Privatisierung, die seit den 90er Jahren immer stärker in den Vordergrund tritt, wobei einerseits supranationale staatliche Akteure wie die EU, anderseits internationale Finanzinvestoren zunehmend das Feld beherrschen. Hier aber ist die unmittelbare Betroffenheit weitaus größer und Kosten wie Qualität können von Nutzer und Konsumenten weitaus eher beurteilt werden. Neben den Beschäftigten sind es also die Nutzer und Konsumenten der Dienste und Produkte, die plötzlich als eine weitere, zweite Gruppe aktiv werden.
In einzelnen Bereichen ist hier die Privatisierung rasch vorangeschritten, wie das Beispiel des Krankenhauswesens zeigt. So sind von den 2139 Krankenhäusern (mit 523824 Betten und über einer Million Beschäftigten) in der BRD mittlerweile 26,6 %
(1991: 14,8 %) und 12,5 % der Betten privat. Bereits 44 % der öffentlichen Krankenhäuser haben eine privat(rechtlich)e Rechtsform. Manche lukrativ erscheinende Typen von Krankenhäusern wie die psychiatrischen Kliniken sind mittlerweile fast vollständig in privater Hand. Es entstehen neue „integrierte“ private Einrichtungen im Segment der Reichen und Wohlhabenden, die Wellness, Altersversorgung, Hoteldienste- und -kultur, Gesundheitsmanagement und Urlaubsevents miteinander verknüpfen und sich als neues Luxussegment des all-in-one etablieren. Finanzinvestoren operieren hier zunehmend, deutsche Konzerne sind hier gleich mehrfach Marktführer in Europa. Die Folgen dieser Privatisierung und der kontinuierlichen Abnahme der Investitionen der öffentlichen Hand sind signifikant: Personal wurde abgebaut (vor allem klinisches Hauspersonal und Pflegdienste – um ca. 10 % unter dem Standard der öffentlichen Häuser), die Hausverträge des öffentlichen Dienstes wurden gekündigt, höhere Lohnspreizungen breiten sich aus, Service-Tätigen werden ausgelagert, es gibt eine deutliche Arbeits- und Leistungsverdichtung, die Fallkosten werden reduziert. Die Verweildauer wurde zwischen 1991 und 2005 von 14 auf 8,6 Tage reduziert (!), die Anzahl der Betten pro Arzt stieg im privaten Bereich auf mittlerweile 1421 an (gegenüber den öffentlichen Häusern, wo sie bei 1047 liegt), im Pflegebereich sind es 521 gegenüber 454. Das Prinzip der wohnungsnahen Versorgung wird immer mehr durchlöchert.[4]
Auch in anderen Bereichen wurde durch die Privatisierung massiv Personal abgebaut (Post, ÖPNV, Stromversorger). Die Bindung an das Tarifvertragssystem des öffentlichen Dienstes wurde aufgebrochen, unterschiedliche Tarifsysteme wurden eingeführt, die oftmals auf Lohndumping hinausliefen. So ist ein massiver Druck auf die Lohneinkommen der im öffentlichen Dienst beschäftigten ArbeitnehmerInnen entstanden. Die neuen kleineren Akteure auf den vormals staatlichen bzw. öffentlichen Märkten bieten in aller Regel geringere Löhne und fordern längere Arbeitszeiten ab (als Beispiel kann die Firma PIN gelten, die ein Durchschnittsentgelt von 1020 € im Monat bietet gegenüber der Deutschen Post mit 1765,88 €); sie bezahlen kaum Zuschläge, geben weniger Urlaub und entlassen schnell. Die Position der kollektiven Interessenvertretung wurde verschlechtert, die Belegschaften der neuen Wettbewerber sind häufig gewerkschaftsfrei[5]. Privatisierte Unternehmen sind oftmals Avantgarden beim Abbau sozialer Rechte und gewerkschaftlicher Positionen. Das wirkt auf öffentliche Unternehmen zurück, so dass mittlerweile eine Doppelstruktur entstanden ist und im Sektor des öffentlichen Eigentums gebändigte und losgelassene Staatskapitalien miteinander konkurrieren[6]. Die Drohung mit der Privatisierung – exemplarisch am Streik der Müllabfuhr im öffentlichen Dienst 2006 vorgeführt – ist mittlerweile gang und gäbe, wenn es um die Restbestände des öffentlichen Dienstes vor allem auf kommunaler und Länderebene geht. Privatfirmen treten als Streikbrecher auf und mindern so die Erzwingungseffekte von Streiks beträchtlich. Zunehmend konzedieren die Gewerkschaften in Streiksituationen die Gewährleistung von Notdiensten – die nichts anderes als eine Mischung von Abwehrmaßnahmen gegenüber privaten Streikbrechern und der verdeckten Fortsetzung regulärer, normaler Erwerbstätigkeit sind.

Zugleich aber macht ein Blick auf die öffentlichen Aktivitäten in Sachen Privatisierung deutlich, dass die Bereitschaft zur buchstäblichen Infragestellung wächst. Während von 187 Initiativen in Sachen Volksentscheid, die seit 1946 hierzulande aufgebracht worden waren, in neuerer Zeit erstmals einige Initiativen (z.B. in Hamburg, Sachsen oder Hessen) Eigentumsfragen bzw. Privatisierungsmaßnahmen thematisierten, galten von den (weitaus leichter durchzusetzenden) über 3000 Bürgerbegehren seit dem Jahr 2000 ein rasch wachsende Anzahl Fragen des Eigentums auf kommunaler Ebene: es ging um Stadtwerke, Krankenhäuser, Freizeiteinrichtungen wie Schwimmbäder, Energieversorgung, Wasserfragen und Verkehr. Mittlerweile sind über 160 Bürgerbegehren zum Thema Privatisierung initiiert worden, von denen 44 als unzulässig erklärt wurden, 15 wurden durch Einlenken im Kompromiss beendet und 32 hatten Erfolg, wogegen 17 am Quorum scheiterten[7]. Bemerkenswert ist aber vor allem, dass sich die Initiatoren in den Abstimmungen keine Niederlagen durch Mehrheiten einhandelten, die sich für Privatisierungspolitiken einsetzten. Die kommunalen Abstimmungen bestätigten vielmehr die Ergebnisse der in den letzten Jahren durchgeführten Umfragen, wonach die Politik der Privatisierung hierzulande keine Mehrheit findet, sondern eine wachsende Ablehnung erfährt. In Städten wie Berlin oder Hamburg sind die Bürgerbegehren mittlerweile zu taktischen Instrumenten der Beeinflussung des Parteiensystems geworden. Sie haben sich innerhalb weniger Jahre zu einem strategischen Instrument des Widerstands gegen die Privatisierungspolitik auf lokaler Ebene entwickelt. Zwischen den neuen zahlreichen Initiativen vor allem zu Fragen des Wohnens, der Gesundheit und des Wassers sowie der Bildung besteht jedoch bislang kaum eine Form politischer Kooperation. Sie ist aber nicht nur notwendig, um politische Erfolge zu sichern.

Es geht auch darum, dass die Entwicklung von Alternativen neben genossenschaftlichen und gemeinschaftlichen Lösungen auf lokaler Ebene auch übergreifende gesamtstaatliche und transnationale Lösungen einschließen muss, die allgemeine technische und stoffliche Faktoren berücksichtigen müssen, die durch dezentrale oder verteilte Organisationsmodi nicht aufgefangen werden können und daher eine sich über lange Zeiträume entwickelnde breite gesellschaftliche Kultur erfordern. Gerade die Netze (Straße, Schiene) und die Konnektivitäten der ökologischen Dimensionen (Klimaschutz, Wasser, Luft, zum Teil auch Energie) machen solche übergreifenden Institutionen notwendig – effiziente Regulierung, Konnektivität, Vernetzung und Kooperation müssen nicht die Form eines autoritären Etatismus annehmen. Der hilflose, aber im Kern antiautoritäre Etatismus der Linken der 60er und 70er Jahre hat zu Recht auf diese Sachverhalte verwiesen – im langen Marsch durch die Institutionen ging das dann überraschungsfrei verloren. Die Frage der radikalen Reorganisation nicht nur der Infrastruktur und des Staates, sondern auch seiner demokratischen Verfassung ist in den neuen Initiativen bereits in nuce aufgegriffen. Der Wiederaufbau einer neuen öffentlichen Infrastruktur muss nicht nur verbunden werden mit der grandios einfachen Frage, für welches Dasein eigentlich das zukünftige System der Daseinsvorsorge vorsorgen soll; sie muss auch verbunden werden mit der demokratischen Transformation des Öffentlichen.

Die Eigentumsfrage und die demokratische Frage gehören zusammen.

[ eine aktualisierte und erweiterte Fassung dieser Zwischenbilanz ist erschienen auf der RLS-Website: http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/standpunkte_0712.pdf ]

Fußnoten


 

[1] So Joachim Bischoff in seinem Beitrag auf der Tagung „“Öffentliche Dienstleistungen unter Privatisierungsdruck – die Reorganisation der öffentlichen Infrastruktursektoren in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, die am 29./30.Juni 2007 in Marburg stattfand und vom WSI sowie der Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI) veranstaltet wurde.
[2] So der Bericht des Bundesministeriums der Finanzen zur „Verringerung von Beteiligungen des Bundes – Fortschreibung 2006“, Berlin 2006
[3] S. den umfangeichen Beteiligungsbericht des Bundes, Berlin Dezember 2006. Er kommt dem von DGB und Linkspartei geforderten Privatisierungsbericht noch am nächsten.
[4] Diese Angaben wurden von Thorsten Schulten (WSI) auf der Marburger Tagung vorgetragen.
[5] Diese Angaben nach dem Referat von Torsten Brandt (WSI) auf der Marburger Tagung.
[6] Christoph Herrmann (Arbeiterkammer Wien) wies auf der Marburger Tagung darauf hin, dass erst mit dem Aufkommen der Privatisierung in Österreich das einheitliche Tarifsystem zerbrach und die soziale Homogenität der Belegschaften aufgebrochen wurde.
[7] Diese Angaben nach Volker Mittendorf auf der Marburger Tagung.

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