Es gab viele 68… [III]

Artefakte

Die Leistung der linken 68er war, ihre Erfahrungen der ersten großen politischen Krisenmomente (1964-1968/9) des goldenen Fordismus als Bruch und radikalalternativen Entwurf zu fassen. Ihre unmittelbare politische Aktion gelangte bis zur sozialen, kulturellen, theoretischen und auch politischen Revolte (ein Begriff, der sich der ewigen Dialektik von „Reform & Revolution“ nicht fügen will). Dieser erstaunliche Bruch provozierte deutlich Reaktionen. Die offensiven und strategischen Antworten der ruling classes freilich – ihre Politik der Modernisierung des Kapitalismus schon zeitgleich seit Mitte der 60er Jahre, ihre Aufkündigung des alten sozial-liberalen Klassenkompromisses und ihren Wechsel zum Neoliberalismus, ihr neuer Erfindungsreichtum in Sachen Zwang und Gewalt, ihre Klugheit bei der Schaffung neuer Produktivkräfte und damit ungesehener Akkumulationsräume und -praxen – dies alles nahmen die linken 68er bestenfalls beiläufig zur Kenntnis, sie waren kein wirklich bewegendes Motiv. Vor allem die unspannende Eigentumsfrage hat sie kaum interessiert. Aber manchmal verwirklichte sie die einfachen Sachen (in) dieser Zeit: Kooperation, Radikalität, Öffentlichkeit, Solidarität, Communalität etwa, die sich größere Menschenmengen überwiegend aus der großen bürgerlichen Mittelklassenkultur eher selten zu Eigen machen.

Der politischen Linken hinterließ sie ein frisch aktualisiertes, säkularisiertes, oft entmystifiziertes und ziemlich komplettes historisches Register linken Denkens und eine Menge kultureller, theoretischer und politischer (nicht aber sozialer und schon gar nicht ökonomischer) Artefakte, welche nach 1989 halfen die völlige politische Auflösung der Linken in Europa zu verhindern, so dass es oft bei Dezimierung durch Demütigung, Geringschätzung und beiläufige Entmachtung blieb, also der Raum und die Chance zur Rifundazione offen gehalten wurden. Und es bleibt der Ratschlag, dass es sich lohnt, Probleme – Themen – auf ihr politisches Überraschungspotential hin zu untersuchen und dieses cool, clever und mit einer radikalen Freude an Regelverletzung auszuprobieren.

68 war eine rasende Zeit. Verhältnisse lassen sich immer neu zum Tanzen bringen. Und: alles, was geschehen ist, kann wiederkommen. Alles.

.P.S. -> Mittlerweile erschienen in RosaLux 1/2008 

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